Medizinrecht

Schadensersatz, Schmerzensgeld, Unfall, Kollision, Mitverschulden, Geschwindigkeit, Feststellung, Ermessen, Unfallgeschehen, Verschulden, Verletzung, Haftung, Verfahren, Zahlung, Kosten des Rechtsstreits, angemessenes Schmerzensgeld, erforderliche Sorgfalt

Aktenzeichen  8 O 1740/19

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47696
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 Euro nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 04.07.2019 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle vergangenen und zukünftigen materiellen und weiteren immateriellen Schäden (letztere, soweit sie derzeit nicht vorhersehbar sind), welche aus dem Unfall vom 05.12.2017 resultieren, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
III. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger freizustellen von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte Q.B. & Partner, R1-B1-Straße 12/V, M. aus der Kostennote vom 14.09.2018 in Höhe von 2.791,74 Euro.
IV. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist für die Klagepartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage erwies sich in vollem Umfang als begründet mit der Maßgabe, dass das Gericht hinsichtlich Ziffer I. der Klageanträge ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 Euro für angemessen erachtete.
Die Klageanträge waren zulässig, insbesondere bestand für den Feststellungsantrag hinsichtlich Ziffer II. der Klageanträge gemäß § 256 Abs. 1 ZPO das erforderliche Feststellungsinteresse, da es der Klagepartei derzeit noch nicht möglich ist, sämtliche auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführende Schäden abschließend zu beziffern.
Der Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gegenüber den Beklagten ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB:
Nach erfolgter Beweiserhebung, insbesondere der Erholung mehrere Gutachten des Sachverständigen D. S2., steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt den streitgegenständlichen Unfall allein verschuldet hat und deshalb dem Grunde nach in vollem Umfang dem Kläger aus § 823 Abs. 1 BGB wegen fahrlässiger Verletzung des Körpers des Klägers haftet:
Zunächst ist festzustellen, dass weder die durchgeführte Parteianhörung von Kläger und Beklagtem gemäß § 141 ZPO, noch die Einvernahme der Zeugen E., K. und Sch. alleine und letztlich zur Überzeugung des Gerichts den genauen Hergang des Unfalls darstellen bzw. nachweisen konnte. So haben die Parteien im Rahmen ihrer jeweiligen Anhörung (vgl. hierzu Bl. 64 d. A.) jeweils im Wesentlichen den schriftsätzlichen Vortrag ihrer Parteivertreter wiederholt, ohne dass zunächst die eine oder andere Version des Hergangs für das Gericht glaubhafter erschien. Hinsichtlich der vernommenen Zeugen im Hauptverhandlungstermin vom 22.10.2019 (vgl. hierzu Bl. 67 ff. d. A.) ist festzustellen, dass diese entweder die genaue Kollision der Parteien nicht mitbekommen oder aber letztlich nicht so genaue Angaben – insbesondere zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfaltsmaßstäbe – machen konnten, dass eine alleinige Überzeugungsbildung hinsichtlich des Unfallhergangs aufgrund der Aussagen möglich gewesen wäre.
Zur entscheidenden Überzeugungsbildung hat vielmehr die Begutachtung – des auch bei der Zeugeneinvernahme anwesenden – Sachverständigen S2. im Rahmen seines Gutachtens vom 04.11.2019 sowie seiner anschließenden mündlichen Befragungen geführt:
Aufgrund der in sich schlüssigen und auch auf Befragung im Termin vom 04.02.2020 sich weiterhin stimmig darstellenden Ausführungen (vgl. hierzu Bl. 80 ff. d. A. sowie Bl. 110 ff. d. A.) steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte durch die Außerachtlassung mehrerer Sorgfaltspflichten eines Rodlers die streitgegenständliche Kollision im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in fahrlässiger Weise allein verschuldet hat, ohne dass den Kläger ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB trifft:
Im Kern der Sachverständigenbegutachtung ist dabei festzustellen und festzuhalten, dass in Anbetracht der konkreten räumlichen und örtlichen Gegebenheiten die vom Beklagten gewählte Geschwindigkeit und Fahrweise – auch im Hinblick auf die Doppelbesetzung des Schlittens – sorgfaltswidrig war:
Hierbei ist festzustellen, dass der Sachverständige auf Seite 8 des Ausgangsgutachtens (vgl. Bl. 87 d. A.) angibt, dass es ihm unter Auswertung der Zeugenaussagen zwar nicht möglich sei, eine exakte Anprallgeschwindigkeit anzugeben, allerdings das Aufwirbeln von Schnee bei der Kollision, die Verletzung der Beteiligten und die Beschreibung des Effekts der Massenträgheit darauf hinweise, dass die Kollisionsgeschwindigkeit erheblich höher als Schrittgeschwindigkeit gewesen sei. Diese Feststellung hat der Sachverständige in völlig plausibler Art und Weise auch im Rahmen mehrfacher Nachfragen durch die Beklagtenpartei im Rahmen seiner Anhörung vom 04.02.2020 vollständig aufrechterhalten:
Insbesondere wurde von der Beklagtenpartei dem Sachverständigen nochmals die Aussage des Zeugen K. vorgehalten, nach der dieser angab, dass der vorbeifahrende Schlitten unauffällig gewesen sei – wohl, was die Geschwindigkeit betrifft. Auf nochmalige Nachfrage hat der Sachverständige erklärt (vgl. letzter Absatz auf Bl. 117 d. A.), dass sich keine Änderung hieraus bezüglich der Feststellung der Kollisionsgeschwindigkeit im Ausgangsgutachten ergibt.
Für das Gericht entscheidend und auch im Rahmen mehrfacher Befragung vom Sachverständige plausibel ausgeführt und aufrechterhalten, stellt sich die Passage des zweiten Absatzes auf Seite 9 des Hauptgutachtens (vgl. Bl. 88 d. A.) dar. Dort heißt es, dass sich gerade das Rodeln eines mit zwei Personen besetzten Schlittens hinsichtlich der Lenkbarkeit deutlich unterscheidet hinsichtlich eines Rodels, der mit nur einer Person besetzt sei. Dies betreffe die Lenkbarkeit, aber auch den Bremsvorgang des Rodels (vgl. Bl. 88 d. A.). Ein mit zwei Personen besetzter Rodel sei hierbei deutlich schwieriger zu lenken und der Bremsweg verlängere sich zudem, da ein sog. Notbremsen mittels Hochziehen der Kufen kaum oder gar nicht möglich sei. Diese Eigenschaften bzw. Besonderheiten müssten gemeinsam fahrende Rodler – wie hier im Fall der Beklagte und die Zeugin E. – mittels geringer Fahrgeschwindigkeit und defensiver Fahrweise ausgleichen bzw. Rechnung tragen. Außerdem führt der Sachverständige aus, dass es geboten sei (vgl. Bl. 88 d. A., 2. Absatz), dass Rodler gerade an der konkreten Unfallstelle, die sich auf einer schmalen Forst straße befand, auf welcher zugleich Fußgänger aufsteigen, ihre Geschwindigkeit und ihre Fahrweise den konkreten Gegebenheiten anpassen. Der Sachverständige führt hierbei aus, dass es zwingend erforderlich sei, auf Sicht zu fahren und im Rahmen der Sichtweite Personen bzw. Hindernissen zuverlässig ausweichen und/oder zuverlässig anhalten zu können. Beides sei im vorliegenden Fall nicht gegeben (vgl. Bl. 88 d. A., 2. Absatz, letzter Satz). Der Sachverständige führt weiter aus, dass es – obwohl der Beklagte den Kläger aus einer Entfernung von jedenfalls 30 – 40 m optisch und akustisch wahrnahm – diesem trotz vehementer Maßnahmen des Bremsens gemeinsam mit der Zeugin E. nicht gelungen sei, den Rodel auf einer schwach geneigten, gradlinigen Forst straße zum Halten zu bringen und dies gleichwohl trotz des Umstandes, dass die Schneeverhältnisse nach Aussage des Beklagten optimal, d. h. festgefahren aber griffig gewesen sind (vgl. Bl. 87 d. A., letzter Absatz). Vielmehr sei der Beklagte samt Rodel mit erheblicher Restgeschwindigkeit in den seitlichen Tiefschnee neben dem Fahrweg gefahren, wobei der Rodel im Schnee steckenblieb und der Beklagte und seine Begleiterin fielen bzw. nach vorne flogen. Aufgrund dieser Umstände sei eine Anpassung der Geschwindigkeit an die gegebenen Verhältnisse und auch eine Anpassung der Fahrweise nicht gegeben gewesen (vgl. Bl. 88 d. A., 2. Absatz). An den Ausführungen des Sachverständigen, die in sich stimmig und nachvollziehbar sind, bestehen keine Anhaltspunkte zu Zweifeln.
Hinsichtlich des Umstandes, dass der Kläger keine eingeschaltete Stirnlampe trug, ergibt sich für das Gericht kein zu berücksichtigender Verursachungsbeitrag am Unfallgeschehen und damit kein Mitverschulden:
Der Sachverständige führt hier zur Überzeugung des Gerichts nachvollziehbar aus, dass der Umstand, dass der Kläger ohne Stirnlampe für den Rodler weniger sichtbar gewesen war, unstreitig dadurch begegnet wurde, dass er durch Rufen auf sich aufmerksam machte (vgl. Bl. 88 d. A., letzter Satz). Die Sachverständigenausführungen wurden auch auf intensive Befragung zur Überzeugung des Gerichts in sich stimmig und nachvollziehbar im Hauptverhandlungstermin vom 04.02.2020 aufrechterhalten und nochmals zur Überzeugung des Gerichts vertieft:
Insbesondere konnte auch durch den Einwand der Beklagtenpartei, der Sachverständige habe möglicherweise nicht beide Varianten des Sachverhalts hinsichtlich des Aufsteigens des Klägers bei der Begutachtung berücksichtigt, die Überzeugungsbildung des Gerichts vom oben geschilderten Unfallhergang verändert werden:
Auch unter Berücksichtigung der von der Beklagtenpartei vorgetragenen Sachverhaltsvariante, nämlich eines Aufstiegs des Klägers talseits und dessen unvermittelten Ausweichmanövers nach rechts stellt der Sachverständige fest (vgl. Bl. 115 d. A., erster Absatz) dass bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt auch in diesem Fall dem Rodler ein Abbremsen oder Ausweichen dergestalt hätte möglich sein müssen, dass eine Kollision vermieden worden wäre. Eine Änderung der Feststellungen im Hauptgutachten ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts hieraus nicht.
Aufgrund der genannten Umstände steht zur Überzeugung des Gerichts ein Alleinverschulden des Beklagten am Unfallgeschehen durch überhöhte Geschwindigkeit und nicht angepasste Fahrweise fest, sodass der Beklagte dem Grunde nach in vollem Umfang aus § 823 Abs. 1 BGB haftet.
Gemäß § 253 BGB steht dem Kläger unter Berücksichtigung der medizinischen Begutachtung durch die Sachverständige Dr. B2. vom 09.10.2020 (vgl. Bl. 187 ff. d. A.) ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 Euro unter Berücksichtigung der unfallbedingten Verletzungen und Beeinträchtigungen zu:
Die Sachverständige – an deren in sich stimmigen und nachvollziehbaren Ausführungen nicht zu zweifeln ist – stellt insbesondere auf Seite 12 ihres Gutachtens (vgl. Bl. 198 d. A.) fest, dass folgende Verletzungen und Beeinträchtigungen am Kniegelenk ausschließlich Folgen des Unfalles seien:
– Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks nach konservativer Behandlung einer vorderen Kreuzbandruptur, einer Innenbandruptur und einer Ruptur der hinteren Gelenkkapsel mit einer nicht verschobenen Wadenköpfchenmehrfragmentfraktur und einer nicht verschobenen Fraktur am Tibiaplateau.
– Belastungsabhängige Beschwerden beim längeren Gehen und Stehen.
– Radiologische Anzeichen einer strähnigen Kalksalzminderung im Bereich des distalen Femur und des proximalen Tibiaanteils li.
– Einfach positive vordere Schublade bei festem Anschlag im Sinne einer verbliebenen Teilinstabilität des linken Kniegelenks.
– Diskrete mediale Aufklappbarkeit bei 30 Grad Beugung.
Sie bestätigt ferner auf Bl. 13 ihres Gutachtens (Bl. 199 d. A.), dass aus ihrer Sicht eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit vom 05.12.2017 bis 05.02.2018 mit einer resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit zu 100% bestand. Für weitere sechs Monate sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% auszugehen, welche dann in eine dauerhafte von 10% übergehe (vgl. Bl. 199 d. A.). Während sich die Verletzungen auf die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht auswirken würden, müsse im Rahmen der privaten Lebensführung durch den Kläger insbesondere auf verschiedene sportliche Betätigungen wie Rudersport, Marathon, Jogging ausgedehnter Art, Tennis und Squash entweder ganz verzichtet oder erhebliche Einschränkungen in Kauf genommen werden. Hierbei sei festzustellen, dass bei einer dauerhaften Belastbarkeit des linken Kniegelenks Einschränkungen bestünden und eine Unfähigkeit zu knien festzustellen sei. Es liege ferner eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks bei Streckung und Beugung vor. Durch geänderte Druckverhältnisse im Kniegelenk sei von einer vorzeitig eintretenden Arthrose auszugehen. Die Sachverständige führt ferner aus, dass aus ihrer Sicht die Einwendungen der Beklagtenpartei, wonach die beschriebenen Beschwerden nicht auf den Unfall zurückzuführen seien „völlig unbegründet“ seien (vgl. Bl. 200 d. A., drittletzter Absatz). Abschließend führt die Sachverständige (vgl. Bl. 201 d. A.) aus, dass hinsichtlich des Kreuzbandrisses auch eine operative Versorgung keine Garantie auf eine 100%-ige Wiederherstellung des Vorzustandes und einer Erreichung einer 100%-igen Stabilität gewährleiste.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände, insbesondere der Beeinträchtigung der privaten Lebensweise sowie der dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% sowie des gegebenen erhöhten Arthroserisikos erschien dem Gericht insgesamt ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 Euro angemessen.
Die zulässige Feststellungsklage gemäß Ziffer II. erwies sich in vollem Umfang als begründet, da zur Überzeugung des Gerichts eine 100%-ige Haftung des Beklagten am Unfallgeschehen feststeht (vgl. oben). Gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 249 S. 1 BGB, 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren seiner Prozessbevollmächtigten gemäß der Kostennote vom 14.09.2018 in Höhe von 2.791,74 Euro freizustellen:
Die Höhe der insofern festgesetzten Rechtsanwaltsgebühren von 2.791,74 Euro war nicht zu beanstanden. Eine vollständige Haftung dem Grunde nach des Beklagten ist gegeben (vgl. oben). Auch dem Antrag gemäß Ziffer III. der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Obwohl das Schmerzensgeld nicht in der von der Klägerpartei angedachten Höhe gewährt wurde, kam eine teilweise Klageabweisung nicht in Betracht, da insofern von der Klägerpartei in Ziffer I. der Klageanträge ein noch unbezifferter Schmerzensgeldantrag gestellt wurde (vgl. Bl. 2 d. A.).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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