Medizinrecht

Schadensersatz wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler

Aktenzeichen  24 U 86/19

Datum:
6.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44623
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Behandlungsfehler ist nur dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (ebenso BGH BeckRS 2011, 23919). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 1901/16 2018-11-29 LGKEMPTEN LG Kempten

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 29.11.2018, Az. 22 O 1901/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin macht gegen den beklagten Frauenarzt Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler geltend.
Die 1970 geborene Klägerin, die selbständige Fotografin und Dekorateurin ist, ließ sich im August 2011 in D., wo sie sich berufsbedingt aufhielt, aufgrund von Beschwerden in der Frauenarztpraxis Dres. S./S.-F. untersuchen. Im Rahmen der Untersuchung wurde ein großes Uterusmyom festgestellt, eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung mittels Abstrich von der portio vaginalis uteri durchgeführt und die Klägerin in das F.-N.-Krankenhaus in D. eingewiesen, wo sie am 11.08.2011 stationär aufgenommen und am 15.08.2011 das Uterusmyom operativ entfernt wurde. Nach der Entlassung am 19.08.2011 stellte sie sich erneut bei den Frauenärzten Dres. S./S.-F. vor. Die Auswertung des in der Frauenarztpraxis Dres. S./S.-F. genommenen Abstrichs ergab den Befund Pap II.
Am 25.04.2012 begab sich die im Allgäu lebende Klägerin erstmals in Behandlung in die Frauenarztpraxis des Beklagten in K. Unstreitig sollte der Beklagte eine Kontrolle hinsichtlich der Myom-OP in D. durchführen. Ob die Klägerin außerdem eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung wünschte, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Frage, ob sie weitere Beschwerden in Form eines übelriechenden Ausflusses aus der Scheide angab. Unstreitig führte der Beklagte eine Sonographie zur Kontrolle der Myom-OP durch, aber keine Krebsfrüherkennung. Insbesondere wurde am 25.04.2012 kein Abstrich genommen, was der Klägerin auch bewusst war.
Am 10.04.2013 stellte sich die Klägerin für eine Routineuntersuchung erneut beim Beklagten vor. Ein an diesem Tag genommener zytologischer Abstrich ergab einen Befund Pap V. Die weitere Abklärung ergab, dass die Klägerin an einem Plattenepithelkarzinom der Zervixschleimhaut erkrankt war. In der Folge musste sich die Klägerin mehreren schwerwiegenden operativen Eingriffen unterziehen, u. a. einer 8-stündigen Operation am 02.05.2013 in der Universitätsklinik U., in deren Rahmen die Gebärmutter mit den Eileitern beidseits sowie 52 Lymphknoten im gesamten Beckenbereich entfernt und eine Blasenteilresektion mit Neuimplantation beider Harnleiter durchgeführt wurde. Es folgten eine Strahlentherapie und Chemotherapie sowie weitere Behandlungen und Therapien, die noch andauern.
Mit Klageschrift vom 30.11.2016 erhob die Klägerin Klage gegen den Beklagten auf Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 80.000,00 € sowie auf Ersatz materieller Schäden (Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden) in Vergangenheit und Zukunft sowie die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer materieller und immaterieller Schäden mit folgenden Vorwürfen:
– Der Beklagte habe es versäumt, am 25.04.2012 eine Krebsfrüherkennung durchzuführen, obwohl sie dies ausdrücklich gewünscht habe.
– Der Beklagte habe es versäumt, sie am 25.04.2012 darauf hinzuweisen, dass sie sich spätestens im August 2012 (also ein Jahr nach der Untersuchung in D.) für eine erneute Krebsfrüherkennungsuntersuchung bei ihm vorstellen solle.
– Der Beklagte habe es am 25.04.2012 versäumt, weitergehende Diagnostik hinsichtlich der von ihr angegebenen weiteren Beschwerden (nämlich übel riechender gelblicher Ausfluss und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) zu betreiben.
Sowohl bei einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung als auch im Rahmen der aufgrund des Ausflusses gebotenen diagnostischen Maßnahmen wäre das sich entwickelnde Karzinom nach Auffassung der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entdeckt worden.
Das Landgericht hat die Klägerin und den Beklagten informatorisch angehört und die Arzthelferin des Beklagten, die Zeugin S., vernommen. Es hat ferner ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. vom 13.11.2017 nebst zwei Ergänzungsgutachten vom 19.02.2018 und 23.07.2018 eingeholt.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 29.11.2018 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe den Beweis nicht geführt, dass am 25.04.2012 die Durchführung einer Krebsvorsorgeuntersuchung vereinbart gewesen sei. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, eine Vorsorgeuntersuchung unabhängig von den Vereinbarungen der Parteien durchzuführen. Dass der Beklagte die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, sie solle sich bis spätestens August 2012 zur Krebsvorsorge wieder bei ihm vorstellen, sei jedenfalls kein grober Behandlungsfehler, weil die Klägerin über den damals gültigen einjährigen Kontrollrhythmus Bescheid gewusst habe. Die Behauptung der Klägerin, sie habe unter einem streng riechenden gelblichen Ausfluss sowie unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr gelitten und dies gegenüber dem Beklagten angegeben, hat das Landgericht als unglaubhaft bewertet; eine weitergehende differentialdiagnostische Untersuchung sei nicht erforderlich gewesen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Landgerichts vom 29.11.2018 form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen – dort mit Schriftsatz vom 29.10.2018 erweiterten – Anträge weiterverfolgt.
Sie beantragt,
I. Das am 29.11.2018 verkündete Urteil des LG Kempten, Az.: 22 O 1901/16 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens jedoch 80.000,00 € nebst Zinsen hieraus iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.04.2012.
III. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin materiellen Schadensersatz iHv 183.493,00 € nebst Zinsen hieraus iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung sowie aus 84.035,00 € seit 01.12.2018 und schließlich als Nebenforderung 6.369,39 € (vorgerichtlich entstandene anwaltliche Vergütung) nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
IV. Der Beklagte wird außerdem dazu verurteilt, der Klägerin ab Dezember 2018 jeweils vierteljährlich im Voraus bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter eine monatliche Rente iHv 3.545,00 € (1.045,00 € Haushaltsführungsschaden sowie 2.500,00 € Verdienstausfallschaden) zu bezahlen und ab dann eine solche iHv 1.045,00 € (nur noch Haushaltsführungsschaden), und zwar jeweils bis spätestens zum 3. Werktag eines Quartals.
V. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen weiteren, ihr aus der streitgegenständlichen ärztlichen Falschbehandlung im April 2012 zukünftig noch entstehenden im-/materiellen Schaden zu ersetzen, dabei den materiellen nur, soweit ein solcher nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist bzw. übergeht.
Sie macht geltend, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, dass dem Beklagten kein Beratungsverschulden im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Durchführung einer Krebsvorsorgeuntersuchung spätestens im August 2012 vorzuwerfen sei. Das Landgericht sei rechtsfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, eine weitere differentialdiagnostische Untersuchung sei am 25.04.2012 nicht geboten gewesen. Die Klägerin habe dem Beklagten berichtet, dass sie unter streng riechendem gelben Ausfluss und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr leide. Dem hätte nachgegangen werden müssen.
Der Beklagte bestreitet dies weiterhin und verteidigt das angefochtene Urteil.
Er beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Senat hat am 12.07.2019 mit den Parteien verhandelt und beide Partei nochmals angehört; Beweise wurden nicht erhoben. Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze, die erwähnten Sachverständigengutachten sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg, da die zulässige Klage unbegründet ist.
1. Der Beklagte hat den mit der Klägerin zustande gekommenen Behandlungsvertrag nicht dadurch verletzt, dass er am 25.04.2012 keine Krebsfrüherkennungsuntersuchung durchgeführt hat.
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist die Durchführung einer Krebsvorsorgeuntersuchung zwischen der Klägerin und dem Beklagten nicht vereinbart worden. Der Senat teilt nach der ergänzenden Anhörung der Parteien diese Einschätzung.
1.1. Dafür spricht die Dokumentation der Behandlung vom 25.04.2012.
a) In der elektronischen Patientenakte des Beklagten (Anlage B2) ist für den 25.04.2012 vermerkt: „Kontrolle nach OP – Myom – in D. 19/08/2011, nur Sonographie gewünscht, keine Vorsorge“. Desweiteren sind die Ergebnisse der Vaginalsonographie vermerkt. Bilder der Sonographie sowie ein Befundbericht, den der Beklagte am 12.06.2012 an die Klägerin gesandt hat, befinden sich ebenfalls bei den Unterlagen. Danach wurde ein kleines Hinterwandmyom entdeckt, das nicht behandlungsbedürftig war.
b) Das stimmt mit dem Praxiskalender des Beklagten überein. Ein Auszug ist als Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 24.07.2017 nach Bl. 88 d. A. eingeheftet. Hier ist „Kontrolle nach OP im August, NEU“ vermerkt, aber nicht „KV“ – anders als bei den für 08:30, 09:30, 10:45 und 11:00 Uhr bestellten Patientinnen.
c) In der „Mappe für den Erstkontakt“, die in der Praxis des Beklagten für eine neue Patientin angelegt wird, ist allerdings „Kontrolle nach Myom-OP 08/2011 + KV“ vermerkt (vgl. Klageerwiderung vom 01.03.2017, S. 6 = Bl. 46 d. A.). Der Beklagte erklärt das damit, dass die Arzthelferin bei einer neuen Patientin standardisiert das Stichwort „KV“ eintrage, um zu dokumentieren, dass sie die Frage nach einer Krebsvorsorge angesprochen habe. Werde diese tatsächlich gewünscht, werde bereits vor dem Kontakt mit dem Arzt durch das Personal Blut abgenommen, der Blutdruck untersucht und Urin abgegeben, was hier nicht der Fall war. Die Zeugin S. hat diese Übung vor dem Landgericht bestätigt (Prot. vom 24.07.2017, S. 4 = Bl. 87 d. A.), das Landgericht ist ihrer Aussage gefolgt, obwohl es diese Übung als „merkwürdig“ bezeichnet hat. Ein Berufungsangriff richtet sich dagegen nicht.
1.2. Der Senat hat auch nach der ergänzenden Anhörung der Parteien keine Überzeugung dahin gewinnen können, dass entgegen der Dokumentation in der Patientenakte doch eine Krebsvorsorgeuntersuchung vereinbart gewesen wäre.
a) Die Klägerin hat zwar – wie schon vor dem Landgericht (Prot. vom 24.07.2017, S. 2 = Bl. 85 d. A.) betont, dass sie eine Krebsvorsorgeuntersuchung gewollt und dies schon bei der telefonischen Terminvereinbarung und erneut bei der Anmeldung erklärt habe. Dies steht aber nicht nur im Widerspruch zur Dokumentation und dem Terminkalender, sondern ist auch sonst nicht glaubhaft. Hinsichtlich der Terminvereinbarung sind die Angaben der Klägerin auch hinsichtlich der Beschwerden mit einem gelblichen Ausfluss nicht zuverlässig (vgl. dazu unten 2.). Zudem hat die Klägerin betont, dass sie früher jährlich zur Krebsvorsorge gegangen sei und wisse, dass bei einer solchen Untersuchung ein Abstrich gemacht werde. Die Klägerin hat selbstverständlich bemerkt, dass ein Abstrich am 25.04.2012 nicht gemacht wurde; ebenso dass ihr weder Blut noch Urin abgenommen wurde noch eine Tastuntersuchung der Brüste durchgeführt wurde. Ihre dazu in 1. Instanz gegebene Erklärung, sie sei „kein Arzt“ (Prot. vom 24.07.2017, S. 2 = Bl. 85 d. A.), erklärt nicht, warum die Klägerin nicht wenigstens nachgefragt hat, wenn sie doch aufgrund des großen, ihr im Vorjahr in D. entfernten Myoms unter erheblichen Ängsten gelitten hat.
b) Die Angaben des Beklagten, der noch eine eigene Erinnerung an das Gespräch und die Untersuchung hat, erscheinen dem Senat dagegen eher glaubhaft. Die eigene Erinnerung begründete der Beklagte damit, dass die Klägerin ihm – kurz nachdem er bei der Krebsvorsorgeuntersuchung vom 10.04.2013 zutreffend Indizien für ein Zervixkarzinom festgestellt hatte – erhebliche Vorwürfe gemacht habe und er auf Anraten seiner Haftpflichtversicherung seine Erinnerung aufgeschrieben habe. Die Angaben des Beklagten stehen im Einklang mit dem Terminkalender und der Dokumentation, wenn auch nur mit einer Einschränkung. Der Beklagte hat einen „Unterbauchschmerz“ dokumentiert, wegen dessen er eine Vaginalsonographie durchgeführt habe; er spricht dagegen nur von einem „Narbenschmerz“, wegen dessen er der Klägerin empfohlen habe, die Narbe mit Öl zu behandeln. Dies passt wiederum mit der Erinnerung der Klägerin zusammen, dass der Beklagte ihr Schwangerschaftsöl empfohlen habe (Prot. vom 12.07.2019, S. 3 Mitte = Bl. 247). Hier erscheint es möglich, dass die Patientin über einen „Unterbauchschmerz“ geklagt hat, den der Arzt als „Narbenschmerz“ gedeutet hat, weil sich in diesem Bereich die langgestreckte Operationsnarbe von der Myom-Operation befindet. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beklagten folgen daraus nicht.
Hinsichtlich der Untersuchung kann offen bleiben, ob die Klägerin über „Unterbauchschmerz“ oder „Narbenschmerz“ geklagt hat, weil auch bei ersterem keine Untersuchungen erforderlich gewesen wären, die unmittelbar geeignet gewesen wären, das später bei der Klägerin Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. vom 19.02.2018, S. 2 = Bl. 132 d. A.). diagnostizierte Zervixkarzinom zu erkennen (vgl. das 1. c) Die Mutmaßung der Klägerin, der Beklagte habe aufgrund eines Gesprächs der Parteien über Fotografie, die sowohl die berufliche Tätigkeit der Klägerin als auch das Hobby des Beklagten darstellt, wie durch in seinen Praxisräumen ausgestellten Unterwasserfotografien sichtbar ist, die vereinbarte Vorsorgeuntersuchung vergessen, kann nicht der Wirklichkeit entsprechen. Denn im Fall der Vereinbarung einer Vorsorgeuntersuchung wären eine Blut- und Urinuntersuchung sowie eine Blutdruckmessung durchzuführen gewesen, für die das Praxispersonal in eigener Zuständigkeit verantwortlich war. Dass das Praxispersonal durch das Gespräch der Parteien über Fotografie abgelenkt gewesen wäre und deshalb seine eigenen Pflichten ebenfalls vergessen hätte, kann ausgeschlossen werden.
1.3. Eine Krebsvorsorgeuntersuchung war auch nicht deshalb geschuldet, weil die Klägerin nach ihrem bestrittenen Vortrag eine Untersuchung gewünscht habe, damit „so etwas nicht mehr passiert“.
a) „So etwas“ meint die Myom-Operation aus dem August 2011; unstreitig hat der Beklagte diesbezüglich eine Nachsorgeuntersuchung durchgeführt. Soweit die Klägerin in der Klageschrift vom 30.11.2016 „so etwas“ um die Worte „oder Schlimmeres“ ergänzt hat (S. 4), hat sie das in ihrer Anhörung durch das Landgericht nicht wiederholt (Prot. vom 24.07.2017, S. 2 unten), wohl aber in ihrer Anhörung durch den Senat (Prot. vom 12.07.2019, S. 2 unten). Eine zuverlässige Feststellung, dass die Klägerin „oder Schlimmeres“ geäußert und damit eine Krebsvorsorge gemeint hat, kann der Senat darauf nicht stützen.
b) Zudem ist dokumentiert, dass der Beklagte die Klägerin gefragt hat, ob er eine Krebsvorsorgeuntersuchung machen solle, was die Klägerin abgelehnt habe (Anlage B2). Insoweit stützt die Dokumentation die Angaben des Beklagten bei seiner Anhörung durch das Landgericht (Prot. vom 24.07.2017, S. 3) und durch den Senat (Prot. vom 12.07.2017, S. 5 oben).
c) Damit fehlt es für die Berufungsrüge der Klägerin, eine Behandlungsverweigerung sei zu dokumentieren, schon an der Grundlage: Die Ablehnung einer Krebsvorsorgeuntersuchung am 25.04.2012 ist dokumentiert. Im Übrigen betrifft die von der Klägerin zitierte Entscheidung (OLG Hamm, Urteil vom 12. 10. 2018 – I-26 U 172/17 -) einen ganz anderen Sachverhalt, nämlich die Ablehnung einer medizinisch gebotenen Diagnostik nach einem auffälligen Tast- oder Sonographiebefund, während es hier um die Ablehnung einer Vorsorgeuntersuchung ohne konkreten Verdacht sogar vor Ablauf der sich aus den Leitlinien ergebenden Frist handelt.
1.4. Ohne eine besondere Vereinbarung schuldete der Beklagte der Klägerin am 25.04.2012 eine Krebsvorsorgeuntersuchung nicht. Nach den damals gültigen Leitlinien war eine jährliche Untersuchung vorgesehen. Die Jahresfrist war seit der letzten Untersuchung im August 2011 in D. noch nicht verstrichen. Auch aus dem Umstand, dass die Untersuchung in D. einen Pap II-Befund ergeben hat, folgt nichts anderes, zumal dieser Befund dem Beklagten am 25.04.2012 nicht bekannt war.
2. Das Landgericht hat die Frage verneint, ob der Beklagte aufgrund der von der Klägerin geklagten Beschwerden am 25.04.2012 eine weitergehende Untersuchung hätte durchführen müssen, bei der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Hinweise auf ein Zervixkarzinom gefunden worden wäre. Dies teilt der Senat.
2.1. Hinsichtlich der von der Klägerin erwähnten „Unterbauchschmerzen“ oder „Narbenschmerzen“ hat der Beklagte mit der Vaginalsonografie die gebotene Untersuchung durchgeführt. Eine weitergehende Untersuchung war – wie der Sachverständige Prof. Dr. T. im 1. Ergänzungsgutachten ausgeführt hat (S. 2 = Bl. 132 d. A.) – in Abhängigkeit von der Stärke der Schmerzen nicht geboten; mit dem angenommenen „Narbenschmerz“ war eine Ursache für die Beschwerden gefunden. Zudem war der angegebene Schmerz für die Erkennung des später bei der Klägerin diagnostizierenden Zervixkarzinoms nicht richtungsweisend, wie der Sachverständige im 2. Ergänzungsgutachten überzeugend darstellt (S. 6 = Bl. 162 d. A.). Sie wären kein Anlass für eine Abstrichnahme an der Scheide oder eine andere zur Früherkennung der Krebserkrankung geeignete Untersuchung gewesen.
2.2. Dagegen wäre eine solche Untersuchung geboten gewesen, wenn die Klägerin über einen gelblichen, übelriechenden Ausfluss nicht nur während der Periode geklagt hätte (vgl. das 2. Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. vom 23.07.2018, S. 2 ff. = Bl. 158 ff.). Allerdings hat das Landgericht der Behauptung der Klägerin, sie habe einen gelblichen, übelriechenden Ausfluss sowie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr angegeben, keinen Glauben geschenkt.
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung unter anderem auf die empörte Reaktion des Beklagten über die abermalige Behauptung der Klägerin gestützt, die der Kammer glaubhaft erschien. Dies stellt eine nachvollziehbare Würdigung der Anhörung dar, die sich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO hält und deren Begründung im Ersturteil überzeugend angegeben wird. Auch wenn das Landgericht es „im Ausgangspunkt [als] unwahrscheinlich [erachtet], dass ein Gynäkologe diesen Aussagen nicht nachgeht“, handelt es sich nicht um eine Beweiswürdigung nach dem Motto, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“ (Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache. In: Palmström). Der Umstand, dass eine Nichtbeachtung bestimmter geäußerter Beschwerden einen besonders ungewöhnlichen und schweren Behandlungsfehler darstellen würde, kann jedenfalls dann Berücksichtigung finden, wenn das Gericht aufgrund seines Eindrucks dem beklagten Arzt eine solche Ignoranz nicht zutraut. Dies hat das Landgericht aufgrund der Reaktion des Beklagten überzeugend begründet.
b) Das kann jedoch auf sich beruhen, da jedenfalls die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis nicht geführt hat, dass sie einen gelblichen, übelriechenden Ausfluss sowie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr angegeben hat.
1) Die Klägerin kann sich nicht auf die Dokumentation des Beklagten stützen, was allerdings keinen großen Beweiswert hat: Wenn der Beklagte die Beschwerden der Klägerin ignoriert hätte, obwohl sie diese geäußert hat, hätte er sie nach der Lebenserfahrung auch nicht dokumentiert.
2) Die Darstellung des Untersuchungsverlaufs durch die Klägerin erscheint aber hinsichtlich eines anderen Umstands nicht tragfähig: Sie gibt an, dem Beklagten die Behandlungsunterlagen der F.-N.-Klinik in D. mitgegeben zu haben, was dieser bestreitet, weil er sie andernfalls kopiert und die Kopien zu seinen Unterlagen genommen hätte, wo sie sich nicht befinden. Hierzu ist der Dokumentation tatsächlich ein Vermerk der Arzthelferin zu entnehmen „Gynambulanz ist erst ab 08:30 Uhr erreichbar!“ Daraus folgt, dass die Arzthelferin im Rahmen der auf 08:15 Uhr terminierten Untersuchung bei der gynäkologischen Ambulanz des D.  Krankenhauses angerufen hat, was dann Sinn gibt, wenn dort Behandlungsunterlagen angefordert werden sollten.
3) Insbesondere erscheint dem Senat aufgrund der Anhörung vom 12.07.2019 die Darstellung in Bezug auf den „gelblichen übelriechenden Ausfluss“ nicht glaubhaft. Die Klägerin stellt diesen zwar als so schlimm dar, dass er bereits ihre Slips verätzte, will es aber hingenommen haben, dass der Beklagte darüber mit ihr nicht gesprochen und auch keine Therapie angegeben (Prot. vom 12.07.2019, S. 3 Mitte und S. 4 oben) und keinerlei Untersuchung durchgeführt hat. Sie konnte keine Angaben über Beginn und Ende dieser Beschwerden machen. Als Anlass für die Vereinbarung des Termins beim Beklagten hat sie vor dem Senat behauptet, sich sechs Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bemüht zu haben; das wäre im Februar gewesen, da habe sie die Beschwerden bereits gehabt. Dann habe sie noch bis April 2012 auf einen Termin warten müssen (Prot. vom 12.07.2019, S. 4). Vor dem Landgericht hatte sie noch angegeben, sie habe vielleicht zwei Wochen vorher (d. h. vor dem Termin) in der Praxis des Beklagten angerufen (Prot. vom 24.07.2017, S. 2 = Bl. 85 d. A.), was auch eher plausibel erscheint, weil die Klägerin Privatpatientin war.
Auch über den weiteren Verlauf hinsichtlich des Ausflusses, den sie andererseits als übelriechend und ätzend schildert, kann die Klägerin nur vage Angaben machen. Sie habe sich dann mit verschiedenen Salben beholfen. Sie wisse nicht mehr, ob der Ausfluss danach vergangen sei und ob er zur Zeit der nächsten Untersuchung im April 2013 noch ein Thema gewesen sei (Prot. vom 12.07.2019, S. 4 oben).
Der Senat kann diese Angaben aufgrund der Diskrepanz zwischen den mit dem Ausfluss verbundenen erheblichen Unannehmlichkeiten – einschließlich Schmerzen beim Geschlechtsverkehr – einerseits und der mangelnden Erinnerung an Beginn und Ende der Beschwerden nicht nachvollziehen und glaubt ihnen daher nicht.
Eher glaubhaft erscheint die Angabe des Beklagten, bei der nächsten Untersuchung im April 2013 sei die Klägerin in Tränen aufgelöst gewesen und habe angegeben, erhebliche Beschwerden beim Geschlechtsverkehr zu haben (Prot. vom 12.07.2019, S. 6 oben). Möglicherweise bringt die Klägerin in ihrer Erinnerung Geschehnisse aus dem April 2012 und dem April 2013 durcheinander.
3. Der Klägerin ist auch der Nachweis eines Verstoßes des Beklagten gegen die Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung nicht gelungen. Ein solcher Verstoß soll darin liegen, dass der Beklagte die Klägerin nicht auf die Notwendigkeit einer Krebsvorsorge im August 2012 – ein Jahr nach der letzten Vorsorgeuntersuchung bei Dres. S. / S.-F.im August 2012 in D. – hingewiesen hat.
3.1. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung stellt einen Behandlungsfehler dar, so dass die Beweislast die Patientin trifft.
3.2. Ein Hinweis auf die Fälligkeit der nächsten Vorsorgeuntersuchung im August 2012 – also nach weiteren vier Monaten – war schon deshalb nicht geboten, weil die Klägerin nach ihrem Vortrag in der Vergangenheit stets jährlich zur Krebsvorsorge gegangen war, also über die Frist Bescheid wusste, ebenso wie über den Umstand, dass zuletzt im August 2012 eine Vorsorgeuntersuchung stattgefunden hatte.
3.3. Der Beklagte hat nach seiner unwiderlegten Behauptung, die auch durch den Stichpunkt „nur Sonographie gewünscht, keine Vorsorge“ dokumentiert ist, die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Vorsorgeuntersuchung noch nicht jetzt (im April) fällig sei, sondern erst in vier Monaten. Damit hat der Beklagte sogar eine therapeutische Sicherungsaufklärung durchgeführt, allerdings nicht am Ende, sondern zu Beginn der Untersuchung.
3.4. Der Beklagte hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin annehmen könnte, die Untersuchung vom 25.04.2012 sei schon die jährliche Krebsvorsorgeuntersuchung gewesen. Die durchgeführte Ultraschalluntersuchung stellte die gewünschte Nachuntersuchung nach der Myom-Operation vom August 2012 dar. Wesentliche Elemente einer Krebsvorsorgeuntersuchung, darunter ein Abstrich, aber auch Blut-, Urin- und Tastuntersuchungen waren nicht gemacht worden, wie die Klägerin erkannte. Aus der Bemerkung während oder nach der Sonographie, es sei „alles in Ordnung“, konnte die Beklagte nicht schließen, dass sich das auch auf eine – offensichtlich gar nicht durchgeführte – Krebsvorsorgeuntersuchung beziehen würde; jedenfalls gab es für den Beklagten keinen Anhaltspunkt, dass die geschäftsgewandte Klägerin auf einen solchen Gedanken kommen könnte.
3.5. Selbst wenn man – anders als der Senat – davon ausgehen würde, dass die Klägerin der Meinung war, der Beklagte habe eine Krebsvorsorgeuntersuchung oder eine adäquate andere Untersuchung durchgeführt, und wenn man – anders als der Senat – meinen würde, der Beklagte hätte ein solches Missverständnis der Klägerin erkennen und sie diesbezüglich aufklären müssen, so läge darin in keinem Fall ein grober Behandlungsfehler. Ein Behandlungsfehler ist nur dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urt. v. 20. 09. 2011 – VI ZR 55/09 NJW 2011, 3442). Damit bliebe die Beweislast für die Kausalität eines etwaigen Fehlers bei der Klägerin. Da aber nicht feststeht, dass eine Vorsorgeuntersuchung im August 2012 bereits zu einer Feststellung des Zervixkarzinoms geführt hätte (Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. vom 13.11.2017, S. 16/17 = Bl. 113/114 d. A.), würden sich auch unter diesen Annahmen keine Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten ergeben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.


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