Medizinrecht

Schließung von Einzelhandelsbetrieben aufgrund der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  20 NE 21.460

Datum:
25.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3819
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
11. BayIfSMV § 12 Abs. 1 S. 1
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, § 32 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

1. § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV hat mit § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV erweist sich zur Erreichung der Ziele des zugrundeliegenden Schutzkonzepts voraussichtlich als verhältnismäßig. (Rn. 20 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Antragsteller betreiben ein Einzelhandelsgeschäft für Wäsche, Betten, Mode und Heimtextilien in Würzburg und begehren mit ihrem Eilantrag die vorläufige Außervollzugsetzung der § 12 Abs. 1 Satz 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737), zuletzt geändert am 12. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 112).
2. Zur Begründung ihres Eilantrags vom 16. Februar 2021 führen sie an, bereits im Frühjahr habe das Einzelhandelsgeschäft der Antragstellerin zu 1) schließen müssen, wodurch es zu immensen Umsatzeinbußen gekommen sei. Nach dem „Lockdown“ im Frühjahr sei der Einzelhandel bis zum Dezember wieder geöffnet gewesen. In diesem Zeitraum sei es gelungen, zumindest zu einem großen Teil die Verluste aus dem März/April 2020 auszugleichen. Zudem habe die Antragstellerin zu 1) einen KfWgeförderten Kredit über 800.000,00 € zu einem Zinssatz von 3% aufnehmen können. Nach der erneuten Schließung des Einzelhandels seien inzwischen ca. drei Monate vergangen in denen der Einzelhandel keinerlei Umsatz im stationären Geschäft habe machen können.
Die Antragstellerin zu 1) habe zum Betrieb des Einzelhandelsgeschäftes monatliche Fixkosten (wird ausgeführt). Zwischenzeitlich seien sämtliche Rücklagen aufgebraucht und der Kreditrahmen ausgeschöpft. Wenn nicht im März 2021 wieder nennenswerte Einnahmen erzielt werden könnten, drohe nach 178 Jahren erfolgreicher Geschäftstätigkeit die Insolvenz. Staatliche Hilfen hätte die Antragstellerin zu 1) lediglich in Höhe von 50.000,00 € im Frühjahr 2020 erhalten. Während des 2. Lockdowns sei kein einziger Euro an staatlicher Hilfe eingegangen.
In rechtlicher Hinsicht rügen die Antragsteller, nach § 28a IfSG müssten Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte ausgerichtet werden, wenn das Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes indifferent gelagert ist. Genau dies treffe in der aktuellen Situation auf den Freistaat Bayern zu. Während im Osten des Freistaates wenige Landkreise und kreisfreie Städte eine hohe Inzidenz (Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner befinden) aufwiesen, gebe es zahlreiche Landkreise und kreisfreie Städte, die eine deutlich niedrigere Inzidenz aufwiesen. In genau solchen Fällen verlange § 28a IfSG ausdrücklich Schutzmaßnahmen mit regionaler Betrachtung des Infektionsgeschehens. Diese von § 28a Abs. 3 IfSG vorgesehene Abstufung und Differenzierung finde bzgl. des Einzelhandels zu keinem Zeitpunkt statt. Dass es auch anders gehe, zeige der Antragsgegner in den Bestimmungen zur Ausgangssperre in § 3 S. 1 BayIfSMV. Die 11. BayIfSMV verstoße darüber hinaus gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zum einen seien die darin getroffenen Regelungen hinsichtlich des Einzelhandels teilweise nicht geeignet das Infektionsgeschehen einzudämmen, zum anderen fehle es an der Erforderlichkeit und der Angemessenheit. Nach derzeitigem Stand sei mit einer Auszahlung der genannten Hilfen des Bundes erst im Laufe des Frühjahrs zu rechnen. Die Lage für zahlreiche Einzelhandelsunternehmen sei jedoch bereits jetzt prekär und existenzbedrohend. Darüber hinaus verstoße die angegriffene Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV. Es erschließe sich nicht, warum ein (teils mehrstündiger) Friseurbesuch gestattet werden sollte, der (wahrscheinlich deutlich kürzere) Kauf einer Hose im Einzelhandel dagegen nicht. Insbesondere sei es im Einzelhandel deutlich einfacher den empfohlenen Mindestabstand von 1,5m einzuhalten. Zu berücksichtigen sei nach nun mittlerweile monatelangem „Lockdown“ im Übrigen, dass die verfassungsrechtliche Legitimation für den Beschluss von derart weitreichenden Maßnahmen nicht gegeben sei. Die Expertise des RKI werde wegen der aus den Medien bekannten Vorgänge (wird ausgeführt) angezweifelt. Schließlich sei das Zitiergebot hinsichtlich der Berufsfreiheit verletzt.
3. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
A.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (a.) bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg (b.). Auch eine Folgenabwägung fällt zulasten der Antragsteller aus (c.).
a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
b) Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung abzulehnen, weil der in der Hauptsache erhobene Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg hat.
aa) Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die angegriffene Schutzmaßnahme nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV mit § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 22 ff.). Auf die angeführte Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Auch ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor, weil der Gesetzgeber mit der Regelung der § § 28 Abs. 1, 28a IfSG dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG angelegten Ausgestaltungs- und Regelungsauftrag nachkommt (BayVGH, B. v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 18).
Die Einwendungen der Antragsteller zum Parlamentsvorbehalt rechtfertigen keine andere Einschätzung. Die früheren Zweifel des Senats zur Wahrung des Parlamentsvorbehalts hat der Gesetzgeber mit den Änderungen des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) weitgehend ausgeräumt. Dass die Exekutive auf Grundlage der § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a IfSG über die konkreten Schutzmaßnahmen entscheidet, ist grundsätzlich zulässig, solange das Gesetz die Reichweite und Grenzen des exekutiven Handelns vorgibt, was durch § 28a IfSG voraussichtlich der Fall ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 28), und der Verordnungsgeber diese Vorgaben einhält.
bb) Die angegriffene Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich bei summarischer Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig.
(1) Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen des Senats in den Beschlüssen vom 5. November 2020 (Az. 20 NE 20.2468 – juris Rn. 14 ff.) und 12. November 2020 (Az. 20 NE 20.2463 – juris Rn. 33 ff.) Bezug genommen. Diese Erwägungen gelten im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Grundsatz fort.
(2) Sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verordnungsgebers, die Geltungsdauer der 11. BayIfSMV bis zum 7. März 2021 (vgl. § 1 Nr. 9 der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 112) nochmals zu verlängern, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats liegen die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4, 5 und 10 IfSG vor. Nach dem Lagebericht des RobertKoch-Instituts (RKI) vom 23. Februar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Fe b_2021/2021-02-23-de.pdf? _blob=publicationFile) ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld sowie in Alten- und Pflegeheimen. Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 23. Februar 2021 bundesweit 60 und in Bayern 58. Wegen der Überschreitung dieses Schwellenwertes sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
(3) Bei einer bundes- bzw. landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundes- bzw. landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 9 und 10 IfSG). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber bei einem Infektionsgeschehen von bundes- bzw. landesweit über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen eine Infektionsbekämpfung nach einer bundes- bzw. landesweit möglichst einheitlichen Strategie erreichen, um mögliche infektiologische Wechselwirkungen und Verstärkungen zwischen einzelnen Regionen auszuschließen und die Akzeptanz der erforderlichen schwerwiegenden Maßnahmen in der Bevölkerung zu erhöhen (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 35).
cc) Die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV erweist sich zur Erreichung der Ziele des zugrundeliegenden Schutzkonzepts voraussichtlich auch als verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen.
Der Senat geht nach wie vor davon aus, dass die Schließung von Einzelhandelsbetrieben mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme ist. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID-19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehr- als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. BVerwG, U. v. 28.6.2004 – 6 C 21.02 – BeckRS 2004, 25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – NVwZ 2020, 1823 – juris Rn. 6) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Bei der Entscheidung über die weitere Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite muss ggf. die Sach- und Interessenlage neu abgewogen werden. Deswegen greifen die Einwendungen der Antragstellerin, die Schließung von Einzelhandelsbetrieben sei nicht geeignet und erforderlich, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, nicht durch.
Bei summarischer Beurteilung ist vorliegend auch kein gleich wirksames, die Normbetroffenen weniger belastendes (milderes) Mittel erkennbar. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen mit SARS-CoV-2 beitragen. In der derzeitigen Phase der Pandemie, die weiterhin von einem starken diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist und in der in vielen Fällen das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden kann (vgl. auch Begründung vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 113, S. 2), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichtete Maßnahmen weiterhin nicht genügen, sondern die Kontakte der Bevölkerung insgesamt stärker unterbunden werden müssten, um das Infektionsgeschehen weiter einzudämmen, voraussichtlich nicht fehlerhaft. Die von den Antragstellern angeführten Studien zu den Infektionsrisiken mit SARS-CoV-2 in Einzelhandelsgeschäften rechtfertigen deshalb kein anderes Ergebnis.
Auch gegen die Angemessenheit der weitreichenden Betriebsschließungen im Einzelhandel bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese nicht zuletzt wegen ihrer Dauer zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbußen der Betreiber führen und damit deren Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schwer beeinträchtigen und ggf. im Einzelfall – mit zunehmender Dauer – auch in die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreifen können.
Ob Betriebsschließungen in der konkreten Situation im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine angemessene Schutzmaßnahme darstellen, hat der Verordnungsgeber nach § 32 IfSG zu entscheiden. Dieser hat in einer dokumentierten Entscheidung die besonders gewichtigen infektiologischen Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 IfSG abzuwägen. Dabei dürfte es sich um eine prognostische Abwägungsentscheidung handeln, welche dem Verordnungsgeber einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (BayVGH, B. v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 25). Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen Erwägungen ausgegangen ist. Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu. Insoweit enthält die Begründung der 11. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 738 S. 5) lediglich Anhaltspunkte, dass der Verordnungsgeber angesichts der dramatischen Situation der Reduzierung der Kontakte einen unbedingten Vorrang einräumen wollte. Bei der Verlängerung der Maßnahmen, zuletzt mit Verordnung vom 12. Februar 2021, ging der Verordnungsgeber davon aus, dass die Schließung u.a. der (nicht privilegierten) Einzelhandelsbetriebe mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen fortgeführt werden muss (vgl. Begründung, BayMBl. 2021 Nr. 113 S. 1).
Diese Einschätzung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht rechtlich zu beanstanden (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 20). Angesichts des weiterhin angespannten Infektionsgeschehens sowie der gravierenden Auswirkungen im Fall einer (konkret drohenden) Überlastung des Gesundheitssystems stehen die wirtschaftlichen Folgen für die Betreiber derzeit nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe. Die verbesserte epidemische Lage seit dem Verordnungserlass der 11. BayIfSMV am 15. Dezember 2010 bietet gegenwärtig noch keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung, zumal die Auswirkungen der sich rasch verbreitenden mutierten, wohl ansteckenderen Virusvarianten (VOC) auf die Gefährdungslage in Deutschland (vgl. oben Rn. 24) gegenwärtig noch nicht sicher abgeschätzt werden können.
dd) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt voraussichtlich ebenfalls nicht vor.
(1) Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Normgeber nicht jede Differenzierung; solche bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (BVerfG, B.v. 18.7.2019 – 1 BvL 1/18 u.a. – NJW 2019, 3054 – juris Rn. 94; B.v. 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 – BVerfGE 130, 240 – juris Rn. 40 ff.).
Der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 6 Satz 3 IfSG den Infektionsschutzbehörden bei bereichsspezifischen Differenzierungen in einem Gesamtkonzept einen Gestaltungsspielraum eingeräumt. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht zwingend erforderlich ist. Wichtige Gründe des Gemeinwohls können solche Ausnahmen rechtfertigen; insbesondere können die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten berücksichtigt werden (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 74).
(2) Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich die Ungleichbehandlung der geschlossenen Einzelhandelsbetriebe mit bestehenden Vergleichsgruppen bei summarischer Prüfung nicht als sachwidrig.
(a) Soweit der Einzelhandel der Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs dient, unterscheidet er sich von Einzelhandelsbetrieben, deren Sortiment schwerpunktmäßig nicht auf solche Güter ausgerichtet ist. Dass in Supermärkten teilweise auch Textilwaren angeboten werden, ändert daran nichts. Das Abstellen auf den Schwerpunkt des jeweiligen Sortiments ist als generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelung (vgl. nur BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – juris Rn. 32) voraussichtlich nicht sachwidrig, zumal der Verordnungsgeber eine Ausweitung solcher „Nebensortimente“ in § 12 Abs. 1 Satz 3 11. BayIfSMV untersagt hat.
(b) Soweit sich die Antragstellerin auf eine Ungleichbehandlung mit den ab 1. März 2021 geöffneten Friseuren beruft, ist diese Regelung noch nicht wirksam. Hinzu kommt, dass es sich bei einem Friseurbetrieb wohl um keinen im wesentlichen gleichen Sachverhalt mit dem Betrieb eines Modehauses handelt.
c) Aber auch wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgeht, ergibt die dann vorzunehmende Folgenabwägung, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Antragstellerin an einer Öffnung ihrer Einzelhandelsbetriebe (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und ggf. Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) überwiegen.
Das pandemische Geschehen ist weiterhin auf hohem Niveau. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 23. Februar 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Fe b_2021/2021-02-23-de.pdf? _blob=publicationFile) ist nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 12.2.2021, vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.htm l) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Es ist noch unklar, wie sich deren Zirkulation auf die Situation in Deutschland auswirken wird. Aufgrund der vorliegenden Daten zu einer erhöhten Übertragbarkeit der VOC besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage. Ob und in welchem Maße die VOC die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen. Das individuelle Risiko, schwer zu erkranken, kann anhand der epidemiologischen bzw. statistischen Daten nicht abgeleitet werden. Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen können auch nach leichten Verläufen auftreten.
In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Grundrechte der Antragstellerin.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 7. März 2021 außer Kraft tritt (vgl. § 29 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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