Medizinrecht

Sperrzeit in der Gastronomie

Aktenzeichen  25 NE 21.1741

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24982
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BayIfSMV § 15 Abs. 1 Nr. 1 13.

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Antrag übereinstimmend für erledigt erklärt bzw. zurückgenommen wurde.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Antragstellerin und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
IV. Der Streitwert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin betreibt in Bayern eine Schankwirtschaft in räumlichem und funktionalem Zusammenhang mit einer Prostitutionsstätte. Sie beantragt (zuletzt noch), § 15 Abs. 1 Nr. 1 der 13. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (13. BayIfSMV vom 5. Juni 2021, BayMBl. 2021 Nr. 384), in der Fassung der Änderungsverordnung vom 27. Juli 2021 (BayMBl. Nr. 516), die mit Ablauf des 25. August 2021 außer Kraft tritt (§ 29 13. BayIfSMV), durch Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Die Regelung hat folgenden Wortlaut:
Ҥ 15 Gastronomie
(1) Gastronomische Angebote dürfen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen unter folgenden Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden:
1. Gastronomische Angebote dürfen nur zwischen 5 Uhr und 1 Uhr zur Verfügung gestellt werden. (…)”
Die Antragstellerin trägt zur Begründung ihres Eilantrags im Wesentlichen vor, die Sperrzeitregelung verletze sie in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Eine epidemische Lage von nationaler Tragweite im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 6 IfSG liege nicht vor. Die entsprechende Feststellung durch den Bundestag habe nicht getroffen werden dürfen. Auch leide die 13. BayIfSMV an einem schwerwiegenden Begründungsdefizit. Im Übrigen sei eine Sperrzeitregelung keine notwendige Schutzmaßnahme. Die angegriffene Regelung sei vor dem Hintergrund des aktuellen pandemischen Geschehens nicht mehr erforderlich. Hinsichtlich der sogenannten “variants of concern” (VOC) könne sich der Verordnungsgeber angesichts weitgehender Lockerungen in anderen Lebensbereichen nicht darauf berufen, deren Verbreitung eindämmen zu wollen. Der Erforderlichkeit der angegriffenen Maßnahmen stehe auch die fortschreitende Immunisierung der Bevölkerung entgegen. Der Verordnungsgeber nehme Infektionen im Einzelfall hin und ziele vielmehr auf Nachverfolgung von Infektionsketten.
Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und verweist im Wesentlichen auf die Entscheidung des Senats vom 6. Juli 2021 im Verfahren 25 NE 21.1721, mit der es der Senat abgelehnt hatte, die Sperrzeitregelung vorläufig außer Vollzug zu setzen. Seit dieser Entscheidung habe sich die Risikobewertung des Robert Koch-Instituts (RKI) nicht verbessert, sondern täglich verschlechtert (wird ausgeführt).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
A. Soweit das Verfahren hinsichtlich der ursprünglich noch streitgegenständlichen Regelungen übereinstimmend für erledigt erklärt (Schließung von Prostitutionsstätten und Schankwirtschaften) bzw. der Antrag zurückgenommen wurde (Schließung von Bordellbetrieben), war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO analog).
B. Der damit allein noch streitgegenständliche Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Sperrzeitregelung in § 15 Abs. 1 Nr. 1 13. BayIfSMV hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 15 Abs. 1 Nr. 1 13. BayIfSMV hinsichtlich der Anordnung einer Sperrzeit von 1.00 Uhr bis 5.00 Uhr hat unter Anwendung des geltenden Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (2.). Auch eine Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung nicht gegeben.
Insofern verweist der Senat zur Begründung zunächst auf seinen Beschluss vom 6. Juli 2021 im Verfahren 25 NE 21.1721, mit dem er die vorläufige Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Regelung abgelehnt hat. Weder das Antragsvorbringen noch die aktuelle pandemische Lage rechtfertigen eine andere Beurteilung
a) Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die Beschränkung gastronomischer Angebote auf den Zeitraum zwischen 5.00 und 1.00 Uhr nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 13. BayIfSMV mit § 32 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 13, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 22 ff.).
b) Einen formellen Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG kann der Senat nicht erkennen. Diese Verpflichtung dient dazu, “die wesentlichen Entscheidungsgründe für die getroffenen Maßnahmen transparent zu machen, und damit insbesondere der Verfahrensrationalität wie auch der Legitimationssicherung. Sie gewährleistet als prozedurale Anforderung den Grundrechtsschutz durch Verfahren” (BT-Drs. 19/24334, 74). In der Begründung ist zu erläutern, in welcher Weise die Schutzmaßnahmen im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Infektionsbekämpfung dienen. Eine empirische und umfassende Erläuterung ist nicht geschuldet (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 74). Dem ist der Verordnungsgeber wohl hinreichend nachgekommen, indem er ausführte, dass vor dem Hintergrund der kontinuierlich sinkenden Anzahl der Neuinfektionen, dem Fortschreiten des Impfprogramms und der nunmehr flächendeckenden Verfügbarkeit von PCR-, POC-Antigentests und Selbsttests zwar weitere Öffnungsschritte unter strengen Auflagen vertretbar erschienen, die Rücknahme von Maßnahmen aus infektionsschutzfachlicher Sicht insbesondere auch im Hinblick auf das Auftreten der besorgniserregenden Varianten (VOC) indes schrittweise und nicht zu schnell erfolgen sollte. Mit besonderer Besorgnis werde derzeit das Vorkommen der Virusvariante Delta beobachtet, die nach bisherigen Erkenntnissen nochmals eine deutlich höhere Übertragungsfähigkeit zu besitzen scheine und vermutlich auch häufiger zu Krankenhausaufenthalten führe. Der Anteil der VOC Delta werde weiterhin rasch ansteigen (vgl. Begründungen vom 27.7.2021, BayMBl. 2021 Nr. 517, vom 30.6.2021, BayMBl. 2021 Nr. 468, vom 22.6.2021, BayMBl. 2021 Nr. 420, vom 5.6.2021, BayMBl. 2021 Nr. 385, vom 5.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 172, vom 24.2.2021, BayMBl 2021 Nr. 150, vom 12.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 113, vom 25.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 225 und vom 9.4.2021, BayMBl. 2021 Nr. 262). Einer genauen Begründung für die Festlegung des Sperrzeitbeginns auf 1.00 Uhr bedurfte es dagegen nicht. Eine Verpflichtung des Normgebers zu derart detaillierten Erläuterungen seiner Ermessensausübung ginge über die Darlegung der wesentlichen Gründe hinaus und würde die Anforderungen des § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG überspannen.
c) Die angegriffene Norm ist voraussichtlich materiell rechtmäßig, weil sie mit der Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 13, Abs. 3, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG im Einklang steht und sich bei summarischer Prüfung nicht als unverhältnismäßig erweist.
aa) Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 Nr. 13, Abs. 3 IfSG liegen immer noch vor.
(1) Der Deutsche Bundestag hat die in § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG vorgesehene Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite mit Blick auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 erstmals am 25. März 2020 getroffen (BT-PlPr 19/154, 19169C). Er hat diese Feststellung seither auch nicht – wie in § 5 Abs. 1 IfSG vorgesehen – aufgehoben und diese Aufhebung im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht, sondern am 18. November 2020, am 4. März 2021 und zuletzt am 11. Juni 2021 den Fortbestand einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG jeweils für weitere drei Monate festgestellt (vgl. BT-Drs. 19/24387; Annahme des Entschließungsantrags BT-Drs. 19/27196; Annahme des Entschließungsantrags BT-Drs. 19/30398). Dass diese Feststellung – wie die Antragstellerin meint – nicht getroffen hätte werden dürfen, ist weder substantiiert dargelegt noch sonst bei summarischer Prüfung ersichtlich.
(2) Die Regelung ist auch zur Erreichung des Ziels, der Ausbreitung des Infektionsgeschehens zu begegnen und Neuinfektionen vorzubeugen, geeignet, erforderlich und angemessen. Durch die zeitliche Begrenzung werden die Kontaktmöglichkeiten in den Gastronomiebetrieben beschränkt und es wird verhindert, dass sich wechselnde Gäste oder Gästegruppen zu dieser Zeit in den Einrichtungen einfinden, vor allem auch in Innenräumen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist nicht übermäßig belastend. Eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe führt zu dem Ergebnis, dass die Grenze der Zumutbarkeit (noch) gewahrt ist (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 6.7.2021 – 25 NE 21.1721 Rn. 14 ff. – noch unveröffentlicht).
(3) Eine andere Entscheidung gebietet auch das aktuelle pandemische Geschehen nicht.
Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (v. 17.8.2021, https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html; jsessionid=3B6869EF190F6259445DE853C6D25B5B.internet121?nn=13490888) wird die Gefährdung für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als hoch, für vollständig Geimpfte als moderat eingeschätzt. Nach einem Anstieg der Fälle im ersten Quartal 2021 gingen die 7-Tage-Inzidenzen und Fallzahlen sowohl im Bundesgebiet als auch in Bayern von Ende April bis Ende Juni deutlich zurück, um zuletzt wieder deutlich anzusteigen; die landesweite 7-Tage-Inzidenz liegt in Bayern aktuell bei 28,0 der (bundesweite) 7-Tage-R-Wert bei 1,16 (Lagebericht des RKI zur Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand: 17.8.2021, https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/Aug_2021/2021-08-17-de.pdf? blob=publication). Der seit Ende April zu verzeichnende deutliche Rückgang der Anzahl der hospitalisierten und intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten setzt sich aktuell ebenfalls nicht weiter fort, liegt aber insgesamt auf niedrigem Niveau. Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex; es haben sich erst wenige Therapieansätze in klinischen Studien als wirksam erwiesen (RKI, Risikobewertung v. 17.8.2021, a.a.O.; RKI, Wochenbericht v. 12.8.2021, https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/Gesamt.html). In Bayern haben bis zum 17. August 2021 rund 60,8% der Bevölkerung eine Erstimpfung und 56,2% den vollständigen Impfschutz erhalten (vgl. Impfquotenmonitoring des RKI, https://www…de/SharedDocs/Bilder/InfAZ/neuartiges_Coronavirus/Impfquotenmonitoring_BL.png; jsessionid=12C48EC9153E8E6413 2F73AFE08EECBA.internet092? blob=poster& v=210). Damit liegt die Impfquote noch deutlich von einer sog. Herdenimmunität entfernt (rund 85% vollständig Geimpfte in der Altersgruppe der 12 bis 59-Jährigen sowie von 90% für Personen ab dem Alter von 60 Jahren, vgl. https://www…de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/27_21.pdf? blob=publicationFile).
Nach der seit dem 29. März 2021 geltenden Fassung des § 28a IfSG (BGBl. 2021 I S. 370) sind bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen absehbare Änderungen des Infektionsgeschehens durch ansteckendere, das Gesundheitssystem stärker belastende Virusvarianten zu berücksichtigen (§ 28a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG). Die Dynamik der Verbreitung einiger Varianten von SARS-CoV-2 (aktuell B.1.1.7 (Alpha), B.1.351 (Beta), P.1 (Gamma) und B.1.617.2 (Delta)), die als besorgniserregende Varianten bezeichnet werden, wird in Deutschland systematisch analysiert. Die Variante Delta hat sich inzwischen durchgesetzt. Alle Impfstoffe, die zurzeit in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen bei vollständiger Impfung auch vor einer Erkrankung durch die Variante B.1.617.2 (Delta). Die bisher vorliegenden Daten zeigen aber, dass nach Erhalt von nur einer von zwei Impfstoffdosen die Schutzwirkung gegenüber der Delta-Variante (B1.617.2) im Vergleich zur Alpha-Variante (B.1.1.7) leicht verringert ist. Zudem liegen Daten vor, die auf eine erhöhte Übertragbarkeit der Delta-Variante und potenziell schwerere Krankheitsverläufe hinweisen. Demzufolge muss mit einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen in den nächsten Wochen gerechnet werden und kann die Verbreitung neuer Varianten zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage beitragen, solange keine hinreichende Impfquote erreicht ist (RKI, Risikobewertung, a.a.O.). Das RKI empfiehlt daher auch in der derzeitigen Lage relativ niedriger Inzidenzen, die Abstands- und Hygienemaßnahmen beizubehalten und insbesondere in geschlossenen Räumen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, bis alle, für die ein Impfschutz zugelassen ist, ein Impfangebot erhalten konnten (RKI, Pressekonferenz am 18.6.2021, abrufbar unter https://www…com/watch?v=guPlPAMVmgk).
Vor diesem Hintergrund, namentlich der drohenden weiteren Ausbreitung von leichter übertragbaren und wohl schwerere Krankheitsverläufe verursachenden Varianten und des noch nicht hinreichenden Impffortschritts, spricht aus ex-ante-Sicht vieles dafür, dass die Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 13. BayIfSMV auch bei der derzeit noch moderaten landesweiten Inzidenz eine weiterhin notwendige Schutzmaßnahme zur Kontrolle des Infektionsgeschehens im Sinn des § 28a Abs. 1 Nr. 13, Abs. 3 Satz 7 IfSG darstellt, die den besonderen Anforderungen nach § 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG (noch) gerecht wird.
Die Ausdehnung gastronomischer Angebote, vor allem in Innenräumen, geht epidemiologisch mit einer gesteigerten Gefahrensituation einher. Die Sperrzeitregelung soll dazu beitragen, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus unter den Gästen zumindest zu reduzieren und hierdurch die Virusausbreitung in der Bevölkerung insgesamt (bis zu einer hinreichenden Immunisierung der Bevölkerung durch Impfung) einzudämmen. Damit wiederum soll die mit einer unkontrollierten Infektionsausbreitung einhergehende Gefahr einer Erkrankung vieler Menschen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen vermieden werden. Angesichts der Risikobewertung des RKI lässt weder der Umstand, dass gegenwärtig Intensivbetten in einem erheblichen Umfang frei sind, noch der Hinweis darauf, dass sich bisher die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems in Deutschland und damit auch in Bayern nicht realisiert hat, auf eine Verminderung oder gar einen Wegfall der Gefährdungssituation schließen (vgl. OVG NW, B.v. 20.8.2020 – 13 B 1197/20.NE – juris Rn 47; B.v. 27.8.2020 – 13 B 1220/20.NE – juris). Davon, dass das Ziel, die Verbreitung der Pandemie (in Bayern) zu verhindern, bereits erreicht sei, kann unter den dargestellten Gesichtspunkten (Anstieg des Anteils an besorgniserregenden Virusvarianten und noch nicht ausreichend hohe Impfquote) derzeit nicht die Rede sein. Trotz der zwischenzeitlichen Aufhebung der Impfpriorisierung konnten wegen der erforderlichen Einhaltung von Wartezeiten zwischen zwei Impfungen, der Zeitspanne bis zum Aufbau des Immunschutzes nach der Impfung sowie vor dem Hintergrund, dass die Ständige Impfkommission noch nicht für alle Personen eine generelle Impfempfehlung gibt (z.B. nicht für schwangere Frauen), auch noch nicht alle Personen einen vollständigen Impfschutz erhalten, die von diesem Angebot Gebrauch machen möchten.
3. Auch eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung ergibt, dass die Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung nicht dringend geboten ist.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte ein Normenkontrollantrag Erfolg, wäre die Beschränkung der Öffnungszeiten für Gastronomiebetriebe zu Unrecht erfolgt. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Regelung käme es zu einem teilweise irreversiblen Eingriff insbesondere in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit mit nachteiligen wirtschaftlichen Folgen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin nach eigenen Angaben erhebliche Einnahmeausfälle durch die bisherigen Einschränkungen entstanden sind. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung und bliebe ein Normenkontrollantrag erfolglos, hätte die einstweilige Außervollzugsetzung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 13. BayIfSMV zur Folge, dass mit vermehrten Infektionen mit SARS-CoV-2 zu rechnen wäre. Bei der Beurteilung und Abwägung dieser Umstände müssen die beeinträchtigten Interessen, die insbesondere wirtschaftlicher Art sind, weiterhin zurücktreten. Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2020 – 1 BvR 899/20 – juris Rn. 13), sind sie derzeit noch nachrangig. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlichen Folgen durch die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen etwas abgemildert werden können.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 sowie § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich der durch Hauptsacheerledigung beendeten Teile des Verfahrens entsprach es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen, weil der Antrag bis zur vorläufigen Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen mit Beschlüssen des Senats vom 22. Juni 2021 (Az. 20 NE 21.1608 hinsichtlich der Schießung von Prostitutionsstätten) bzw. vom 23. Juli 2021 (Az. 25 NE 21.1832 hinsichtlich der Schließung von Schankwirtschaften) insofern voraussichtlich erfolgreich gewesen wäre. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 28. Juli 2021 außer Kraft tritt (§ 29 13. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
D. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben