Medizinrecht

Vergütungsanspruch für die Behandlung – Krankenhausbehandlungsleistungen

Aktenzeichen  S 15 KR 844/17

Datum:
21.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146174
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 54 Abs. 5, § 87, § 90, § 144 Abs. 2, § 197a Abs. 1 S. 1
SGB V § 39 Abs. 1 S. 2
KHG § 17b
KHEntgG § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 11

 

Leitsatz

1 Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR – hier Version 2011) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen.  (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 593,39 € festgesetzt.

Gründe

Die gemäß §§ 87, 90 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Leistungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung in beantragter Höhe und dementsprechend auch nicht auf Zahlung von Zinsen.
Die Klägerin hat keinen weiteren Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (Bundessozialgericht , Urteile vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr. 13 m.w.N.; und vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.), aber nicht begründet.
Der ursprünglich entstandene Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen für andere Versicherte, der bezüglich der Höhe nicht streitig ist und deshalb keiner näheren Prüfung zu unterziehen ist (BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 8/15 R -, juris m.w.N.), ist durch die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch erloschen (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.), da der Beklagten ein Erstattungsanspruch zusteht.
Der Klägerin steht wegen der stationären Behandlung der Versicherten neben dem von der Beklagten gezahlten und nicht zurückgeforderten Betrags kein weitergehender Vergütungsanspruch nach DRG B17C zu.
Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung sind erfüllt. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte Leistungen im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses ohne rechtlichen Grund erbracht hat (st.Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.09.2010 – B 1 KR 4/10 R -, SozR 4-2500 § 264 Nr. 3; Urteil vom 03.07.2012 – B 1 KR 16/11 R -, SozR 4-2500 § 129 Nr. 7). Dies ist der Fall. Denn die Kl. hat gegen die Bekl. einen Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten nur in der von der Bekl. geltend gemachten Höhe nach DRG J10B.
Die Klägerin hat die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung erfüllt, indem sie die Versicherte stationär behandelt hat. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr. 13 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Die Höhe der Vergütung bemisst sich nach DRG J10B und nicht nach DRG B17C.
Die Vergütung für Krankenhausbehandlungen des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 S. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR – hier Version 2011) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 41/14 R). Nach Ansicht des BSG handelt es sich bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen um eine rechtliche Prüfung (BSG, B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8).
Die DRG B17C nach FPV 2011 wird nur dann im Groupierungsvorgang angesteuert, wenn die strittige Kodierung G90.8 rechtsfehlerhaft ist. Dies ist nicht der Fall. Die Argumentation der Kl. kann nicht überzeugen. Für die Kammer steht es in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten von Dr. E. fest, dass bei der Behandlung der Hyperhidrose mittels der Resektion des Ganglions L4 die Kodierung R61.0 gewählt werden muss. In diesem Falle wird – wie von der Bekl. korrekt ermittelt – die DRG J10B angesteuert.
Die Beweiserhebung hat ergeben, dass durch die streitgegenständliche Operation die zugrundeliegende Erkrankung nicht behandelt wird. Das Gutachten von Dr. E. ist insoweit eindeutig, schlüssig und überzeugend. Die Durchtrennung einer Nervenbahn behebt nicht die Störung der autonomen Regelungen, sondern bewirkt lediglich, dass die elektrischen Impulse nicht an die Empfänger – die Schweißdrüsen – weitergegeben werden. Damit ist die Störung als solche aber nicht tangiert, d.h. wenn die Nervenbahnen wieder verbunden werden würden, so würde das übermäßige Schwitzen wieder auftreten. Anders ist nicht zu erklären, dass Patienten nach entsprechenden Operationen gerichtsbekannt häufig über vermehrt auftretendes Schwitzen an anderen Körperregionen klagen. Entsprechend wurde bereits von Versicherten in der erkennenden Kammer die Bezahlung einer Operation eingeklagt, die die Durchtrennung der Nervenfasern wieder rückgängig machen soll, weil entweder der versprochene Erfolg nicht eingetreten ist oder weil sich die Problematik des übermäßigen Schwitzens an andere Stelle verlagert hat.
Auch die Ausführungen des behandelnden Operateurs Dr. G. in der mündlichen Verhandlung konnten die Kammer nicht davon überzeugen, dass mit der Zerstörung des Ganglions L4 eine ursächliche Behandlung der Erkrankung erfolgt. Dr. G. führte selbst aus, dass Begleitsymptome der nicht genau bekannten neuronalen Störung regelmäßig die hier streitgegenständliche Hyperhidrose, aber auch vermehrtes Erröten, Herzrasen und die Symptomatik von „kalten Händen und Füßen“ seien, alles Symptome, die mit einer Störung des sympathischen Nervensystems einhergehen. Die Durchtrennung des Ganglions L4 kann aber keinen Einfluss auf jene anderen Begleit-Symptome der Erkrankung haben. Die Erkrankung selbst bleibt mithin unbehandelt, die Durchtrennung des Ganglions hat mithin das Ziel, eine Symptomatik der Erkrankung zu behandeln.
Dr. G. hat entsprechend die Frage des Vorsitzenden, ob er seine Patienten darüber aufklären würde, dass nach der Operation vermehrtes Schwitzen an anderer Stelle auftreten könne, bejaht. Wäre das jeweils – abhängig vom konkreten Ort des Schwitzens – behandelte Ganglion wirklich „krank“ im Sinne einer Funktionsstörung dieses Nervenknotenpunkts, so würde ein solcher Effekt nicht eintreten können. Dr. G. schilderte selbst, dass diese Effekte durch Schleifen (loops) im neuronalen Regelkreis erfolgen würden, mithin also der gesamte Regelkreis und nicht nur das behandelte Ganglion von der Funktionsstörung betroffen ist. Dr. G. behauptete selbst nicht, dass mit der durchgeführten Operation der gesamte Regelkreis behandelt werden könnte.
Daher kann auch das Urteil des LSG Hamburg vom 17.05.2017 (L 1 KR 56/14) nicht überzeugen. Der Senat führte dort aus, dass eine Messung der Nervenimpulse, die zur krankhaften Hyperhidrose führten, nicht möglich sei. Er schildert überzeugend, dass die Diagnose der zugrundeliegenden (vermuteten) Erkrankung („primäre fokale Hyperhidrose“) letztlich aufgrund einer Ausschlussdiagnostik erfolgt. Der dort angehörte chirurgische Sachverständige gab an, dass die Fehlsteuerung des Nervensystems nicht „zu 100%“ ergründet sei. Man gehe nicht von einer Fehlsteuerung durch den Hypothalamus (über das endokrine System), sondern von fehlsteuernden Ganglien aus.
Diese Ausführungen vermögen nicht das Sachverständigengutachten von Dr. E. zu entkräften, dass die Ursache der Erkrankung letztlich nicht verstanden ist. Vielmehr werden diese bestätigt, da an die Stelle von Gewissheiten Hypothesen gesetzt werden. Diese reichen nach der Überzeugung der Kammer für die Ersetzung der spezifischen Kodierung R61.0 („Hyperhidrose, umschrieben“) nicht aus.
Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert war in Höhe von 593,39 € festzusetzen, da die Zahlung des oben genannten Betrags streitig war und dieser nach § 52 Abs. 3 GKG zu Grunde zu legen ist.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine grundsätzliche Bedeutung vorliegt und eine Abweichung von höchstrichterlichen Entscheidungen (des Bayerischen Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts) nicht gegeben ist. Insbesondere liegt keine grundsätzliche Bedeutung vor. Hier für muss eine Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung ungeklärt sein und die Klärung muss im allgemeinen Interesse liegen, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse reicht nicht. Auch eine Klärung von Tatsachenfragen mit verallgemeinerungsfähigen Auswirkungen genügt nicht (zum Ganzen Meyer-Ladewig et. al., SGG, § 144 Rn. 28 f.).
Hier liegt bereits keine Rechtsfrage vor, die klärungsbedürftig ist, da strittig die Frage auf Tatsachenebene ist, ob mit der streitgegenständlichen Operation die zugrundeliegende Erkrankung (mit-) behandelt wird. Die Klärung dieser Frage hat zwar verallgemeinerungswürdige Auswirkungen, dies reicht aber wie dargelegt nicht für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG.


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