Medizinrecht

Verpflichtung zum Rückschnitt von Pflanzen

Aktenzeichen  Au 6 K 17.239

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 140160
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 81 Abs. 1 S. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1, Art. 66 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Das Schriftformerfordernis für eine Klageerhebung ist ohne eigenhänige Unterschrift ausnahmsweise dann gewahrt, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag handschriftlich adressiert worden ist (ebenso BayVGH BeckRS 2004, 33668). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Androhung einer Ersatzvornahme ist – anders als die Grundverfügung – mit Durchführung der Ersatzvornahme erledigt (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 45492 Rn. 45). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch Hereinragen angrenzender Bepflanzung kann im Bereich eines Gehwegs idR bei einem Unterschreiten des Lichtraumprofils von 2,50 m angenommen werden (Fortführung von VG Augsburg BeckRS 2012, 60569 Rn. 33). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist teilweise bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet und daher abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Klägerin verhandelt und entschieden werden, da sie hierauf in der Ladung hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die Klage, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheids vom 16. Januar 2017, ist hinsichtlich der Ziffern I, II und VI des Bescheids zulässig. Gegen die Ziffern IV und V des Bescheids ist die Anfechtungsklage hingegen nicht statthaft und damit unzulässig.
a) Die Klage wurde wirksam gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben. Sie ist nicht bereits wegen fehlender Unterschrift auf dem Klageschriftsatz unzulässig.
Zwar erfordert die schriftliche Klageerhebung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der Regel die eigenhändige Unterschrift der klagenden Partei unter dem das Verfahren eröffnenden Schriftstück. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es hiervon jedoch Ausnahmen, wenn sich auch ohne eigenhändige Namenszeichnung aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Rechtsverkehrswillen ergibt. Entscheidend ist insoweit, ob sich aus dem bestimmenden Schriftsatz allein oder in Verbindung mit beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne dass darüber Beweis erhoben werden müsste (vgl. BVerwG, B.v. 19.12.2001 – 3 B 33/01 – juris; BVerwG, U.v. 6.12.1988 – 9 C 40.87 – juris; BVerwG, U.v. 18.12.1992 – 7 C 16.92 – juris).
Die Klageschrift vom 2. Februar 2017 trägt keine eigenhändige Unterschrift der Klägerin. Jedoch ist die Urheberschaft der Klägerin nicht zweifelhaft. Auch wenn der Vorname nur mit der Initiale im Klageschriftsatz angeführt sowie die Klage in der ersten Person plural formuliert ist und der streitgegenständliche Bescheid der Klage nicht beigefügt wurde, ergeben sich doch hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die Urheberschaft der Klägerin. So nennt die Klägerin ihre Adresse, die Beklagte und das Aktenzeichen des Bescheids sowie das im Jahr 2012 ergangene Urteil zwischen den Beteiligten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände bestehen hinsichtlich der Urheberschaft der Klägerin keine Zweifel.
Ebenfalls ergeben sich aus der konkreten Form der Klageerhebung hinreichende Anhaltspunkte für den Willen der Klägerin, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen. Solche Umstände können sich entweder aus dem Schriftsatz selbst – hier also aus der Klageschrift – oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ergeben. Das ist z.B. dann der Fall, wenn auf dem Umschlag der Absendervermerk handschriftlich geschrieben wurde (vgl. BayVGH, B.v. 25.11.1987 – 7 C 87.03235 – juris Rn. 12); ist der Absender dagegen nur maschinenschriftlich wiedergegeben, genügt das nicht (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1988 a.a.O. Rn. 9). Im vorliegenden Fall wird das gänzliche Fehlen der Unterschrift auf dem Klageschriftsatz durch den beim Gerichtsakt befindlichen Briefumschlag ersetzt, da das Kuvert, mit dem die Klage erhoben wurde, handschriftlich adressiert ist. Dies lässt genügend deutlich erkennen, dass die Klage mit Willen der Klägerin bei Gericht erhoben werden sollte. Dies reicht aus, um den Zweck der Unterschrift unter einer Klageschrift als auch auf diese Weise erfüllt ansehen zu können (BayVGH, B.v. 23.7.2004 – 11 ZB 04.1005 – juris). Der von der Beklagten zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 1990 (4 B 96/90 – juris) betrifft hingegen die Frage, ob ein handschriftlich ausgefüllter Rückschein genüge und damit einen anderen Sachverhalt.
b) Die Klage ist gegen die Ziffern I und II des Bescheids vom 16. Januar 2017 in Form der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft. Insoweit hat sich der Verwaltungsakt noch nicht erledigt, da durch den ständigen Pflanzenwuchs auch weiterhin die Bepflanzung in den Gehwegbereich hinein ragen kann und somit zumindest von der Freihalteverpflichtung noch unmittelbare Rechtsfolgen für die Zukunft ausgehen.
c) Gegen die Ziffern IV und V ist die Anfechtungsklage, d.h. der Antrag auf Aufhebung der Androhung der Ersatzvornahme, nicht statthaft. Denn die Androhung gem. Art. 36 VwZVG hat mit der für den 10. April 2017 angekündigten Durchführung der Ersatzvornahme und der rechtzeitigen Beseitigung des Überhangs keinerlei unmittelbare Rechtsfolgen mehr, sie hat vielmehr ihre Beschwer verloren und hat sich erledigt (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 15 ZB 14.2686 – juris Rn. 45). Eine für die Fortführung des Verfahrens im Wege der Fortsetzungsfeststel-lungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) erforderliche Umstellung ihres Klageantrags hat die Klägerin nicht erklärt.
2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie nicht begründet.
a) Dem Bescheid vom 16. Januar 2017 steht die Rechtskraft des Urteils vom 21. November 2012 (Az: Au 6 K 12.1168) nicht entgegen (§ 121 VwGO), da die Beklagte einen neuen Verwaltungsakt mit anderem Inhalt erlassen hat. Der Bescheid vom 16. Januar 2017 beschränkt die Verpflichtung zum Rückschnitt lediglich auf die östliche Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. …14 (und nicht wie im früheren Bescheid auf die östliche Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. …3) sowie auf das Lichtraumprofil in Höhe von 2,50 m.
b) Rechtliche Grundlage für die Verpflichtung der Klägerin, die Pflanzen bis zur östlichen Grundstücksgrenze der Fl.Nr. …14 und bis zu einer Höhe von 2,50 m zurückzuschneiden, ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 29 Abs. 2 Satz 1, Art. 66 Nr. 4 BayStrWG.
Gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden.
Gemäß Art. 66 Nr. 4 BayStrWG kann mit Geldbuße belegt werden, wer vorsätzlich oder fahrlässig dem Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG zuwiderhandelt.
Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Im Sinne dieser Vorschrift sind Anpflanzungen aller Art Bäume, Sträucher, Stauden, Hecken, lebende Zäune und anderes mehr (Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand: 15.10.2015, Art. 29 Rn. 21). Das Verbot erfasst nicht nur die Neuanlegung von Anpflanzungen, sondern auch das Wachsenlassen von Pflanzen (BayObLG, B.v. 4.4.1995 – 3 ObOwi 30/95 – juris Rn.5), wie es vorliegend der Fall ist.
Unter Berücksichtigung des Art. 14 GG bzw. des Art. 103 der Bayerischen Verfassung bedarf es dabei für die Erfüllung des Tatbestandes einer konkreten Gefahr der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 24). Eine konkrete Gefahr kann in der Regel bei einem Unterschreiten des Lichtraumprofils von 2,50 m im Bereich des Gehwegs angenommen werden (vgl. auch VG Braunschweig, U.v. 18.6.2014 – 6 A 242/13 – juris Rn. 20; VG Augsburg, U.v. 24.11.2012 – Au 6 K 12.1168 – juris Rn. 33; VG Koblenz, U.v. 8.8.2008 – Az. 4 K 1831/07.KO – juris Rn. 29). Fußgänger könnten nämlich gezwungen werden, vor herabhängenden Ästen auf die Fahrbahn auszuweichen. Das freigehaltene Lichtraumprofil muss es auch großen Menschen mit Schirm oder Kindern mit Fahrrädern ermöglichen, selbst bei wegen Nässe und Schneelast herabhängenden Zweigen den Gehweg ungehindert zu nutzen. Hierfür ist ein Lichtraumprofil von 2,50 m ausreichend. Nach den Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen für die Anlage Stadtstraßen (RASt 06, Ausgabe 2006, Ziff. 4.1) betragen die Grundmaße für 25 Verkehrsräume von Fußgängern und Radfahrern zudem jeweils 1,00 m in der Breite.
cc) Vorstehendes zugrunde gelegt, ist durch das Wachsenlassen der Sträucher und Bäume auf den Grundstücken Fl.Nr. …3 und …14 eine hinreichend konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem öffentlichen Gehwegsteil gegeben und damit der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Über die W… wird das östlich der Straße befindliche Siedlungsgebiet R… mit der Innenstadt verbunden. Dass westlich davon eine Ortsrandlage besteht, nimmt der Straße deshalb nicht ihre Verkehrsbedeutung. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Augsburg im Verfahren Au 6 K 12.1168 (im Urteil vom 21. November 2012 Rn. 34) sowie den Feststellungen bei der Inaugenscheinnahme des streitgegenständlichen Gehwegabschnitts am 13. Oktober 2017 (Protokoll hierzu: Blatt 59 ff. der Gerichtsakte) handelt es sich bei der W… um eine untergeordnete, schmale, jedoch regemäßig befahrene und begangene innerörtliche Straße. Auf den Grundstücken der Klägerin Fl.Nr. …3 und Fl.Nr. …14 befindliche Bepflanzungen ragen nach den weiteren Feststellungen der Inaugenscheinnahme in den Luftraum des Gehwegs im Bereich der Nr. …1 und unterschreiten hierbei das Lichtraumprofil von 2,50 m Höhe. Nach Darstellung der Beklagten mussten Fußgänger bereits wiederholt auf die Fahrbahn ausweichen. Auch wenn es hierbei noch zu keinem Zwischenfall mit einem Fahrzeug gekommen ist, ist doch in Anbetracht der hierbei betroffenen Rechtsgüter Leib und Leben und der Verkehrsbedeutung der W… als Verbindungs Straße der Siedlung R… und der Innenstadt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Störung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Falle des Unterschreiten des Lichtraumprofils in der Höhe und Breite sowie wegen des Ausweichens von Fußgängern auf die Fahrbahn gegeben.
Der Verweis der Klägerin auf die Benutzung des Gehwegs auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist hierbei nicht behilflich, da die zweimalige Straßenquerung die Gefährdung von Fußgängern noch erhöhen würde.
dd) Die Anordnung ist auch verhältnismäßig. Sie ist geeignet und erforderlich, die Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, hier der Fußgänger, zu unterbinden. Der Rückschnitt ist in Höhe und Breite des Lichtraumprofils erforderlich, da andernfalls Überhänge Passanten zu Ausweichmanövern auf die Straße veranlassen können. Da der Gehweg im streitgegenständlichen gewidmeten Bereich eine Engstelle aufweist, wirken sich hier bereits geringfügige Verschmäle-rungen der Gehfläche erheblich aus. Die Verpflichtung zum Rückschnitt ist auch angemessen. Das öffentliche Interesse an der gefahrlosen und ungehinderten Benutzung von dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Flächen hat Vorrang vor dem Interesse der Klägerin, diese Flächen weiterhin unter Überschreitung ihres Grundstückseigentums rechtswidrig zur Begrünung in Anspruch zu nehmen (so auch VG München, B.v. 17.9.2014 – M 2 S 14.3820 – juris Rn. 18). Hierbei ist insbesondere auch die gesetzgeberische Wertung des § 910 BGB in den Blick zu nehmen, wonach der Grundstücksnachbar über die Grundstücksgrenzen ragende Zweige nach Fristsetzung beseitigen darf und der Gesetzgeber folglich den die Grenze überschreitenden Teil des Eigentums als weniger schutzwürdig erachtet. Auch wird der vorzunehmende Rückschnitt voraussichtlich nicht zu einer Zerstörung der Bepflanzung führen.
ee) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin auf andere Engstellen Bezug nimmt, sind diese bauhistorisch bedingt. Erlaubt angelegte Ein- und Ausfahrten von Grundstücken sind nicht mit einem unerlaubten und willkürlichen Pflanzenbewuchs vergleichbar. Sie zwingen nicht zu Ausweichmanövern auf die Fahrbahn. Dass die Anordnung aus sachfremden Motiven erfolgt sei – von der Klägerin werden bewusste Benachteiligung und Mobbing behauptet -, ist weder von der Klägerin näher substantiiert worden noch sonst ersichtlich. Mit der Anordnung wird von der Klägerin auch kein nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG unzulässiges Verhalten gefordert. Nach Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift sind behördlich angeordnete Maßnahmen ausdrücklich von dem Verbot, Hecken in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September über einen schonenden Form- und Pflegeschnitt hinaus abzuschneiden, ausgenommen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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