Medizinrecht

Wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Beamtin

Aktenzeichen  M 5 E 20.387

Datum:
10.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23317
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4  S.7,§ 123 Abs. 1
BeamtStG § 29 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Antragstellerin wird vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von der Verpflichtung aus den Schreiben der Antragsgegnerin vom … Juli 2019 und *. Januar 2020, sich einer Rehabilitationsmaßnahme mit Schwerpunkt Psychosomatik zu unterziehen, freigestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1971 geborene Antragstellerin stand als Beamtin in Diensten der Antragsgegnerin. Sie wurde mit Ablauf des … Januar 2016 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Die Amtsärztin am Gesundheitsamt eines Landratsamts kam im Gesundheitszeugnis vom … Juni 2018 zu dem Ergebnis, dass die von amtsärztlicher Seite mit Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2015 konstatierte Dienstunfähigkeit aus aktueller Sicht zum jetzigen Zeitpunkt so nicht mehr nachvollzogen werden könne. Es lägen keine wesentlichen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit vor. Eine Reduzierung der Arbeit sei nicht erforderlich, auch Publikumsverkehr sei möglich, Unterbrechungen seien ebenfalls nicht erforderlich. Es seien keine weiteren Untersuchungen erforderlich. Die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit sei bereits hergestellt. Die Beamtin sei dazu in der Lage, ihre Dienstpflichten zu 100% auszuüben. Sämtliche Tätigkeiten, die dem beruflichen Werdegang entsprächen, seien zumutbar.
Um die Leistungsfähigkeit nachhaltig zu erhalten, empfehle sich eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vor Beginn der Wiederaufnahme der Diensttätigkeit. Die entsprechende stationäre Rehabilitationsmaßnahme solle auch dazu genutzt werden, dysfunktionale Bewältigungsmechanismen (Vermeidungsverhalten) nachhaltig abzubauen. Anschließend solle eine stufenweise Wiedereingliederung über maximal sechs Wochen erfolgen.
Mit Schreiben vom … Juli 2019 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin das Ergebnis dieses amtsärztlichen Gutachtens mit. Gemäß § 29 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz seien Beamtinnen und Beamte, die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurden, verpflichtet, sich geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit zu unterziehen. Die Antragstellerin werde daher aufgefordert, unverzüglich das Erforderliche zur Einleitung einer entsprechenden medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu veranlassen und bis spätestens … August 2019 über den Sachstand zu informieren.
Nach Schriftwechsel zwischen dem Bevollmächtigten der Antragstellerin und der Antragsgegnerin insbesondere wegen des Gesundheitszeugnisses vom … Dezember 2015, eines zur Erstellung des Gesundheitszeugnisses vom … Juli 2018 eingeholten externen fachärztlichen psychiatrisch-nervenärztlichen Gutachtens vom … Juli 2018 und eines fachärztlichen Attests der die Antragstellerin behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom … Januar 2018 – aus dem sich die weitere Dienstunfähigkeit der Antragstellerin ergeben solle – teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom *. Januar 2020 mit, dass sie sich weitere dienstrechtliche Schritte vorbehalte, würden bis … Januar 2020 keine geeigneten Unterlagen vorgelegt, dass sich die Antragstellerin der mit Schreiben vom … Juli 2019 angeordneten Maßnahme zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit unterziehe.
Am 28. Januar 2020 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin für diese beim Verwaltungsgericht München nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung den Antrag gestellt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die dienstlichen Weisungen vom … Juli 2019 und vom *. Januar 2020, wonach die Antragstellerin sich einer Rehabilitationsmaßnahme mit Schwerpunkt Psychosomatik zu unterziehen habe, einstweilen auszusetzen.
Der Antragsgegnerin sei das externe Gutachten vom … Juli 2018 ebenso wenig bekannt wie der Antragstellerin. Sie könne ihre Weisung daher nicht darauf stützen. Die Amtsärztin habe in ihrem Gesundheitszeugnis vom … Juli 2018 außerdem das fachärztliche Attest vom … Januar 2018 nicht ausreichend gewürdigt, wonach die Dienstfähigkeit der Antragstellerin keineswegs wiederhergestellt sei. Bei Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme drohe eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 3. März 2020 sinngemäß beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es bestehe kein Anordnungsanspruch, da die streitgegenständliche innerdienstliche Weisung rechtmäßig sei. Die Antragstellerin sei zur Teilnahme an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme verpflichtet. Das Attest vom … Januar 2018 sei der amtsärztlichen Stellungnahme vom … Juli 2018 zu Grunde gelegt worden. Hinsichtlich des nicht substantiierten Vortrags, dass die Rehabilitationsmaßnahme der Gesundheit der Antragstellerin jedenfalls nicht förderlich sei, seien keine neuen aktuellen ärztlichen Unterlagen vorgelegt worden, die zu einer anderen Beurteilung der Dienstfähigkeit führen würden. Auch das externe Gutachten vom … Juli 2018 sei zu Grunde gelegt worden. Der Amtsarzt teile die tragenden Feststellungen und Gründe des Gutachtens und die in Frage kommenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit mit, soweit deren Kenntnis für den Dienstherrn für die zu treffende Entscheidung erforderlich seien. Die Diagnose selbst und die zu ihr führenden Feststellungen unterlägen regelmäßig der ärztlichen Schweigepflicht. Bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag würde von (weiteren) Maßnahmen abgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Personalakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch, das heißt, die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache, voraus. Die Antragspartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.
2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft. Bei der Anordnung gegenüber einem Beamten, sich einer (stationären) Rehabilitationsmaßnahme mit Schwerpunkt Psychosomatik zu unterziehen, handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, da diese Anordnung keine unmittelbare Außenwirkung i.S.v. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) entfaltet (zu einer stationären Alkoholentwöhnungsbehandlung in einer geeigneten Suchtfachklinik: BayVGH, B.v. 8.1.2013 – 3 CE 11.2345 – juris Rn. 19 m.w.N.). Vielmehr entspricht es der Befugnis des Dienstherrn, gesetzlich allgemein ausgesprochene Pflichten des Beamten – wie hier die Pflicht, sich einer Maßnahme zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit zu unterziehen (§ 29 Abs. 4 Halbsatz 1 Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) – durch dienstliche Weisung (§ 29 Abs .4 Halbsatz 2 BeamtStG) zu konkretisieren (BVerwG B.v. 9.5.1990 – 2 B 48/90 – ZBR 1990, 261). Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann folglich nur im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO in Betracht kommen. § 44a VwGO steht nicht entgegen (VG München, B.v. 29.8.2019 – M 5 E 19.2937 – juris Rn. 13 unter Bezug auf: BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5/18 – juris Rn. 38).
3. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, damit die Antragstellerin alsbald Gewissheit darüber erlangt, ob sie der Weisung zur Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme Folge zu leisten hat, und weil die Antragsgegnerin (nur) zugesichert hat, bis zu einer Entscheidung über den vorliegenden Antrag von weiteren dienstrechtlichen Maßnahmen abzusehen (VG München, B.v. 25.5.2011 – M 5 E 11.2185 – juris Rn. 16).
4. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
a) Zum einen mangelt es den Weisungsschreiben vom … Juli 2019 und … Januar 2020 an einer Kostenübernahmeerklärung der Antragsgegnerin. Eine solche ist aber bei Anordnung einer medizinischen Maßnahme durch den Dienstherrn erforderlich (Abschnitt 8 Nr. 4.4.1 Satz 2 Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht – VV-BeamtR, die von der Antragsgegnerin angewandt werden; vgl. Schriftsatz vom 3.3.2020; BayVGH, B.v. 11.7.2017 – 3 CE 17.917 – juris Rn. 17 ff.).
b) Zum anderen liegen die Voraussetzungen des der Weisung ausdrücklich zu Grunde gelegten § 29 Abs. 4 Halbsatz 1 BeamtStG nicht vor.
Nach § 29 Abs. 4 Halbsatz 1 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte, die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sind, verpflichtet, sich geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit zu unterziehen. Nach Halbsatz 2 kann ihnen die zuständige Behörde entsprechende Weisungen erteilen.
Nach Abschnitt 8 Nr. 4.2 VV-BeamtR kann eine Maßnahme zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit (Rehabilitationsmaßnahme) unter folgenden Voraussetzungen angeordnet werden:
– Die Maßnahme dient unmittelbar der Beseitigung krankheitsbedingter Leistungsdefizite der Beamtin oder des Beamten und damit der Wiederherstellung der (vollständigen oder teilweisen) Dienstfähigkeit der Beamtin oder des Beamten. Die Erfolgsaussichten der Maßnahme sind durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen; dabei soll auch eine Abschätzung der zu erwartenden Dauer und Kosten gegeben werden.
– Die Maßnahme ist für die Beamtin oder den Beamten zumutbar.
– Die für die Maßnahme anfallenden Kosten sind unter Anlegung eines strengen Wirtschaftlichkeitsmaßstabs angemessen.
Die Antragstellerin wurde zwar zum *. Februar 2016 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Die angeordnete – stationäre – Rehabilitationsmaßnahme mit Schwerpunkt Psychosomatik ist jedoch zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der Antragstellerin weder geeignet noch zumutbar, weil die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit der Antragstellerin nach dem amtsärztlichen Gesundheitszeugnis vom 23. Juli 2018 zum Untersuchungszeitpunkt bereits vorlag. Hinsichtlich der Rehabilitationsmaßnahme erfolgte dementsprechend im Gesundheitszeugnis auch nur eine Empfehlung, „um die Leistungsfähigkeit nachhaltig zu erhalten“.
5. Die Antragsgegnerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist (Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Anh. § 164 Rn. 14).


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