Medizinrecht

Widerruf der Heilpraktikererlaubnis wegen mangelnder Zuverlässigkeit

Aktenzeichen  21 CS 20.433

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10751
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 70, § 222
VwGO § 80 Abs. 5, § 122 Abs. 2 S. 3, § 146 Abs. 1, Abs. 4, § 147, § 154 Abs. 2
1. DVO-HeilprG § 1, § 2 Abs. 1, § 7
BayDG Art. 25 Abs. 1
StPO § 267 Abs. 5 S. 1, § 359

 

Leitsatz

1. § 2 Abs. 1 lit. f der 1. DVO-HeilprG setzt eine strafrechtliche Verurteilung nicht zwingend voraus, sondern gestattet und fordert regelmäßig eine von strafrechtlichen Wertungen unabhängige Würdigung des Sachverhalts, ob eine Berufspflicht in erheblichem Umfang verletzt wurde. (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Heilpraktiker darf das Unterlassen der Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe weder veranlassen noch stärken. Verkennt er entgegen der ihm dargelegten ärztlichen Diagnose eine Krebserkrankung, obwohl die Patientin an einer ausgeprägten Brustkrebsvorstufe gelitten hat, begeht er eine Pflichtverletzung, wenn er nicht auf eine dringende schulmedizinische Behandlung hinwirkt. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen der Tatrichter im Urteil diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnet, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten, dürfen die tatsächlichen Feststellungen im Ordnungsrecht regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder der gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden. (Rn. 22 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 5 S 19.2489 2020-02-17 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehung des Widerrufs seiner Heilpraktikererlaubnis.
Die Stadt … erteilte dem Antragsteller mit Bescheid vom 16. September 1996 die Erlaubnis, die Heilkunde ohne Bestallung berufsmäßig auszuüben (Heilpraktikererlaubnis).
Das Amtsgericht … verurteilte den Antragsteller am 9. März 2018 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten (§§ 222, 70 StGB).
Das Landgericht … hob mit Urteil vom 19. Februar 2019 auf die Berufung des Antragstellers das Urteil des Amtsgerichts … auf und sprach den Antragsteller aus tatsächlichen Gründen von dem ihm gemachten Tatvorwurf frei. In der Berufungshauptverhandlung wurden u.a. folgende Feststellungen getroffen: Nach verschiedenen ärztlichen Untersuchungen der Patientin B. seit 17. November 2008 seien am 5. Dezember 2008 eine Magnetresonanztherapie (MR-Mammographie) und am 16.12.2008 eine Feinnadelbiopsie zur Gewinnung eines histopathologischen Befundes erfolgt. Diese Untersuchungen seien am 30. Dezember 2008 wiederholt worden. Bei B. sei dabei ein ausgedehntes intraduktales (innerhalb der Brustdrüsengänge wachsendes) „Carzinoma in situ“ der hochgradigen Stufe NG3 diagnostiziert worden. Hierbei handele es sich um die Diagnose einer Krebsvorstufe, bei der mit den angewendeten Untersuchungsmethoden noch kein invasives, vom Milchgangsystem in tiefere Schichten erfolgtes Wachstum von Tumoranteilen festgestellt werden könne. Ohne adäquate Therapie entwickele sich diese Krebsvorstufe zu einem invasiven Karzinom weiter und werde über einen kürzeren oder längeren Zeitraum mit Sicherheit einen tödlichen Verlauf nehmen. Bei der Befundbesprechung, die nach den Untersuchungen, jedoch Tage vor dem 8. Januar 2009 im Landeskrankenhaus W. stattgefunden habe, sei B. ärztlicherseits das Krankheitsbild eröffnet worden und sie über die Notwendigkeit einer einfachen Mastektomie (Entfernung der kompletten Brustdrüse) – der nach Stand der Wissenschaft indizierten Therapie dieser Erkrankung – aufgeklärt worden. B. habe daraufhin erklärt, dass sie eine Zweitmeinung einholen wolle. Sie habe sich deshalb am 8. Januar 2009 zur Praxis des Antragstellers begeben und ihm in einem Beratungsgespräch verschiedene Krankenunterlagen und Befundberichte über die im November/Dezember 2008 vorgenommenen Untersuchungen vorgelegt, u.a. den histopathologischen Befund über die am 16. Dezember 2008 durchgeführte Feinnadelbiopsie. B. habe dem Antragsteller erklärt, dass ihr ärztlicherseits die Entfernung der linken Brust angeraten worden sei und sie zum Krankheitsbild eine Zweitmeinung einholen wolle. Der Antragsteller, der die Unterlagen zur Kenntnis genommen habe, habe bei B. daraufhin eine Untersuchung mittels eines Biotensors (Metallrute) durchgeführt. Er habe die Diagnose gestellt, dass bei B. keine Krebserkrankung vorliege, sondern lediglich eine Milchdrüsenentzündung, die er mit überwiegend homöopathischer Medikation, die über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse, erfolgreich behandeln könne.
Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Diagnose des Antragstellers und der Wirksamkeit der von ihm empfohlenen Therapie habe sich B. daraufhin bis einschließlich März 2013 der vorgeschlagenen Behandlung unterzogen. Sie habe in der Folgezeit unterlassen, die gebotene schulmedizinische Behandlung durchzuführen. Dabei habe sich ihr Gesundheitszustand ab Ende 2012 verschlechtert. Sie sei Mitte April 2013 im Landeskrankenhaus W. aufgenommen worden, wo u.a. ausgeprägte Metastasen im Brust-, Leber- und im Wirbelsäulenbereich festgestellt wurden.
B verstarb am 28. April 2013 an den Folgen der Krebserkrankung.
Ferner stellte das Landgericht fest, dass der Antragsteller bei der Behandlung von B. in leichtfertiger Weise gegen die ihm als Heilpraktiker obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen habe. Seine bei B. gestellte Diagnose einer Milchdrüsenentzündung der Brust sei falsch gewesen, was er aus den vorgelegten Unterlagen hätte erkennen können und müssen. Bei der bei einem Heilpraktiker gebotenen selbstkritischen Prüfung im Einzelfall, ob seine Fähigkeiten zur Diagnose und sachgemäßen Behandlung der Patientin B. ausreichten, hätte er sich nicht über die vorliegenden ärztlichen Befunde hinwegsetzen und der B. erklären dürfen, dass sie an keiner Krebserkrankung leide, sondern lediglich an einer Milchdrüsenentzündung und der B. eine darauf aufbauende Behandlung mit homöopathischen Präparaten empfehlen dürfen. Er hätte einen Arzt hinzuziehen oder die Behandlung ablehnen müssen.
Trotz des Pflichtverstoßes sei der Antragsteller jedoch aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil der für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung erforderliche Nachweis, dass die Pflichtverletzung kausal für den Eintritt des Todes der B. gewesen sei, nicht habe geführt werden können. Das Gericht habe auf der Grundlage der erholten Sachverständigengutachten nicht die Überzeugung gewinnen können, dass B., wenn sie sich der schulmedizinischen Behandlung unterzogen hätte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dann den tatsächlichen Todeszeitpunkt überlebt hätte.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2019 widerrief das Landratsamt … gegenüber dem Antragsteller die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Nr. 1), forderte ihn auf, die Urkunde über seine Heilpraktikererlaubnis und alle noch in seinem Besitz befindlichen Ausfertigungen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids herauszugeben (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an (Nr. 3). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Nr. 2 des Bescheides wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 4).
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 13. Dezember 2019 Klage erhoben. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Februar 2020 ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
II.
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners wiederherzustellen, mit der die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung – widerrufen worden ist. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern.
1. Nach § 7 Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung – Heilpraktikergesetz (HeilPrG) – vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 251), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2702), i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (DVO-HeilprG) vom 18.2.1939 (RGBl. I S. 259; zuletzt geändert durch Verordnung vom 4.12.2002 – BGBl. I S. 4456), ist die Heilpraktikererlaubnis „zurückzunehmen“ (bzw. nach der heutigen verwaltungsverfahrensrechtlichen Terminologie zu widerrufen, vgl. VGH BW, B.v. 2.10.2008 – 9 S 1782/08 – NJW 2009, 458; BayVGH, B.v. 28.7.2000 – 21 ZB 98.3498 – juris Rn. 9), wenn nachträglich Tatsachen eintreten oder bekannt werden, die eine Versagung der Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 DVO-HeilprG rechtfertigen würden. Nach § 2 Abs. 1 DVO-HeilPrG wird die Heilpraktikerlaubnis unter anderem dann nicht erteilt, wenn sich aus Tatsachen ergibt, dass dem Antragsteller die sittliche Zuverlässigkeit fehlt, insbesondere, wenn schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen vorliegen (Buchst. f).
An der Zuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. f DVO-HeilprG fehlt es, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Heilpraktiker werde in Zukunft die Vorschriften und Pflichten nicht beachten, die sein Beruf mit sich bringt, und sich dadurch Gefahren für die Allgemeinheit oder die von ihm behandelten Patienten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22/09 – NJW 2010, 2901; NdsOVG B.v. 23.10.2008 – 8 PA 75/08 – juris; BayVGH, B.v. 28.7.2000 – 21 ZB 98.3498 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 25.2.1998 – 13 B 500/97 – juris Rn. 11 jeweils m.w.N.). Wegen der Bedeutung der durch einen unzuverlässigen Heilpraktiker gefährdeten Rechtsgüter sind hierbei grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.1995 – 7 CS 95.3110 – NVwZ-RR 1997, 151 m.w.N.). Die danach erforderliche Prognose ist anhand der Umstände des Falles, der Lebensumstände des Heilpraktikers sowie seiner Persönlichkeit, insbesondere seines durch die Art, die Schwere und die Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordenen Charakters, zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010, a.a.O.). Maßgebend sind insoweit die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010, a.a.O.; OVG NW, B.v. 15.1.2003 – 13 A 2774/01 – NJW 2003, 1888; BayVGH, B.v. 28.7.2000 – 21 ZB 98.3498 – juris Rn. 8 m.w.N.).
2. Hieran gemessen haben der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht zu Recht eine Unzuverlässigkeit des Antragstellers bejaht, ohne dass dies durch die mit der Beschwerde dargelegten Gründe in Frage gestellt wurde.
2.1 Der Einwand des Antragstellers, Antragsgegner und Verwaltungsgericht hätten ihrer Entscheidung im Hinblick auf die Unzuverlässigkeit des Antragstellers nicht ohne Weiteres die Feststellungen des Landgerichts zugrunde legen dürfen, da eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers nicht vorliege, sondern dieser vielmehr freigesprochen worden sei, führt nicht zum Erfolg.
Der Antragsteller kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, dass er wegen des Vorfalls strafrechtlich nicht verurteilt worden ist. § 2 Abs. 1 Buchst. f 1. DVO-HeilprG setzt eine solche strafrechtliche Verurteilung nicht zwingend voraus, sondern gestattet und fordert regelmäßig eine von strafrechtlichen Wertungen unabhängige Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – juris; OVG NW, B.v. 25.2.1998 – 13 B 500/97 – juris Rn. 21), wie sie hier vom Antragsgegner und ihm folgend vom Verwaltungsgericht vorgenommen worden ist. Aus dem Verhalten des Antragstellers hat sich sowohl für das Landgericht nach den Feststellungen im Strafurteil als auch nach der von der Verwaltungsbehörde vorgenommenen Sachverhaltswürdigung die Verletzung einer wesentlichen Berufspflicht in erheblichem Umfang ergeben. Der Freispruch des Antragstellers gründet hingegen ausschließlich in dem für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung erforderlichen aber nicht mit der hinreichenden Gewissheit zu führenden Nachweis, dass die Pflichtverletzung kausal für den Eintritt des Todes der B. gewesen ist.
Das Verwaltungsgericht hat ausführlich und zutreffend dargelegt, dass der Antragsteller seine Berufspflichten in erheblicher Weise verletzt hat (2.1.1; vgl. BA S. 17ff.), was sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus den verwertbaren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts ergibt (2.1.2), von denen ein Abweichen vorliegend nicht geboten ist (2.1.3).
2.1.1 Eine wesentliche Berufspflicht des Heilpraktikers ist es, sich der Grenzen seines Wissens und Könnens bewusst zu sein und einer notwendigen ärztlichen Behandlung seines Patienten nicht im Wege zu stehen. Ein Heilpraktiker darf das Unterlassen der Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe weder veranlassen noch stärken (vgl. BVerfG, B.v. 3.6.2004 – 2 BvR 1802/02 – juris.; VGH BW, B.v. 2.10.2008 – 9 S 1782/08 – juris). Denn wer einen Heilpraktiker aufsucht, wird vielfach einen Arzt für entbehrlich halten, weil ein Teil der ärztlichen Funktion vom Heilpraktiker übernommen werden darf. Die Heilpraktikererlaubnis bestärkt den Patienten dabei regelmäßig in der Erwartung, sich in die Hände eines nach heilkundigen Maßstäben Geprüften zu begeben (vgl. BVerfG, B.v. 2.3.2004 – 1 BvR 784/03 – NJW-RR 2004, 705; VGH BW, U.v. 26.10.2005 – 9 S 2343/04 – juris Rn. 22). Der Heilpraktiker steht einem Arzt jedoch nicht gleich. Die Tätigkeit eines Heilpraktikers muss daher insbesondere an den Gesundheitsgefahren orientiert sein, die sich aus dem Versäumen ärztlicher Hilfe ergeben können. Ein praktizierender Heilpraktiker muss stets die Gefahren im Auge behalten, die sich daraus ergeben können, dass seine Patienten medizinisch gebotene Hilfe nicht oder nicht rechtzeitig in Anspruch nehmen (vgl. VGH BW, B.v. 2.10.2008 – 9 S 1782/08 – juris).
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Antragsteller habe entgegen der ihm dargelegten ärztlichen Diagnose die Krebserkrankung von B. verkannt und stattdessen eine Brustdrüsenentzündung diagnostiziert. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe B. den Antragsteller aufgesucht, um nach der ärztlichen Diagnose des „intraduktalen Carzinoma in Situ“ (Brustkrebsvorstufe) und erforderlicher Operation eine Zweitmeinung einzuholen. Der Antragsteller hätte aufgrund der ihm von B. vorgelegten Untersuchungsbefunde (insbesondere des histopathologischen Befunds) ohne Weiteres erkennen können, dass B. an einer ausgeprägten Brustkrebsvorstufe gelitten habe und dringend entsprechender ärztlicher Behandlung bedurft hätte. Der Antragsteller hätte auf die gebotene schulmedizinische Behandlung der B. hinwirken müssen. Im Vertrauen auf die Diagnose des Antragstellers habe sich B. dessen Behandlung unterzogen und die gebotene schulmedizinische Behandlung unterlassen.
2.1.2 Das Verwaltungsgericht ging dabei davon aus, dass die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichtes hinsichtlich der Pflichtverletzung des Antragstellers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verwertbar sind, obwohl er freigesprochen wurde.
Das Landgericht hat den Antragsteller vom Vorwurf einer Straftat freigesprochen. Da vorliegend kein Fall einer gesetzlich ausdrücklich angeordneten Bindungswirkung an die tatsächlichen Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils besteht (anders z.B. Art. 25 Abs. 1 BayDG), ist bei einem freisprechenden strafgerichtlichen Urteil die materielle Rechtskraft auf den Tenor beschränkt. Auf die Entscheidungsgründe eines Urteils bezieht sich die Wirkung der Rechtskraft dagegen nicht. Auch hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen tritt keine Rechtskraft ein (BVerwG, B.v. 24.1.2017 – 2 B 75.16 – juris Rn. 9; insoweit unzutreffend VG Regensburg BA. S. 20).
Zwar ist dem Antragsteller darin zuzustimmen, dass sich der Freigesprochene nicht gegen entscheidungstragende Feststellungen, die einem freisprechenden Urteil zugrunde liegen, durch die Einlegung eines Rechtsmittels wehren kann, das Verwaltungsgericht ist jedoch im vorliegenden summarischen Verfahren trotz des freisprechenden Urteils zutreffend davon ausgegangen (BA S. 18ff.), dass die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts … insbesondere hinsichtlich der Sorgfaltspflichtverletzung der Entscheidung über den Widerruf der Heilpraktikererlaubnis grundsätzlich zugrunde gelegt werden können und ein Abweichen im vorliegenden Einzelfall nicht geboten ist.
Grundsätzlich gilt, dass die tatsächlichen Feststellungen, die in einem rechtskräftigen Strafurteil enthalten sind, gerade im Ordnungsrecht regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder der gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden dürfen, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen ergeben (vgl. zum Strafbefehl BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37/01 – NJW 2003, 913,916). In einem Strafverfahren bestehen regelmäßig weitergehende Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts als in einem Verwaltungsverfahren, dem rechtskräftigem Strafurteil kommt eine materielle Richtigkeitsgewähr zu und die Feststellungen können für die Entscheidung über den Widerruf der Heilpraktikererlaubnis grundsätzlich zugrunde gelegt werden (zur ärztlichen Approbation NdsOVG, B.v. 13.1.2009 – 8 LA 88/08 – juris Rn.7). Ein Abweichen von den Feststellungen im Strafurteil ist dann veranlasst, wenn gewichtige Anhaltpunkte für deren Unrichtigkeit sprechen, etwa wenn Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 StPO gegeben sind, die maßgeblichen und tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts erkennbar auf einem Irrtum beruhen oder die Behörde oder die Verwaltungsgerichte ausnahmsweise in der Lage sind, eine für ihre Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht aufzuklären (BVerwG, B.v. 10.3.1997 – 6 B 72/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Werden die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils angegriffen, so dürften Verwaltungsbehörde und Verwaltungsgericht in der Regel nicht in der Lage und ohne schwerwiegende Anhaltspunkte auch nicht dazu angehalten sein, das gesamte Verfahren noch einmal in vollem Umfang aufzurollen, wenn das Urteil nach einer Hauptverhandlung mit umfangreicher Beweiserhebung und Beweiswürdigung zustande gekommen ist und sich keine konkrete Aussicht bietet, auf diese Weise andere und besser abgesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Vielmehr ist es Sache des Betroffenen, bereits im Strafprozess seine Einwendungen gegen die seiner Meinung nach fehlerhaften Feststellungen im Strafurteil mit den hierfür vorgesehenen Rechtsbehelfen geltend zu machen. Tut er dies nicht, so muss er den Sachverhalt, der der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegt, im Verwaltungsverfahren gegen sich gelten lassen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.1997 – 6 B 72/96, juris Rn. 9 f.m.w.N; NdsOVG, B.v. 13.1.2009 – 8 LA 88/98 – juris Rn. 8).
Im vorliegenden Fall des freisprechenden Urteils können diese Grundsätze jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Anwendung finden:
Das Strafgericht hat die getroffenen Feststellungen umfassend geprüft und die objektive Pflichtverletzung des Antragstellers bei Stellung der Diagnose am 8. Januar 2009 sowie deren subjektive Vorwerfbarkeit ausdrücklich festgestellt. Zu dieser Überzeugung gelangte das Strafgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nach Würdigung der Einlassung des Antragstellers sowie der ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung ausgeschöpften Beweismittel und aller sonstigen aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung herrührenden Umstände. Wird ein Angeklagter freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat nicht strafbar erachtet worden ist (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Die Urteilsgründe haben den Anklagevorwurf, die hierzu getroffenen Feststellungen, die wesentlichen Beweisgründe und die rechtlichen Erwägungen mitzuteilen (BGH, U.v. 2.4.2014 – 2 StR 554/13 Rn. 11). Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter grundsätzlich nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Die Urteilsbegründung entspricht diesen Anforderungen. Das Landgericht hat schließlich ausgeführt, dass der Antragsteller trotz des Pflichtverstoßes aus tatsächlichen Gründen freizusprechen sei, weil der für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Antragstellers und dem Todeseintritt seiner Patientin nicht habe festgestellt werden können. Die Kammer habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die gebotenen Maßnahmen das Leben der B. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet oder verlängert hätten. Dies habe zur Folge, dass der Antragsteller nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ freizusprechen sei.
2.1.3 Das Verwaltungsgericht ist weiter auch zutreffend unter Würdigung der vom Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Einwände davon ausgegangen, dass vorliegend keine Gründe dafür bestehen, die ein Abweichen von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils rechtfertigen (vgl. BA S. 19 f).
Der Vortrag des Antragstellers in der Beschwerdebegründung, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit seinem Einwand befasst, dass dem Antragsteller bei der ersten Behandlung am 8. Januar 2009 der elementare Arztbrief vom 16. Januar 2009 rein chronologisch schon nicht habe vorgelegt werden können, führt nicht weiter. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss vielmehr klar davon ausgegangen, dass insbesondere der histopathologische Befund vom 16. Dezember 2008 dem Antragsteller bei der ersten Behandlung der B. vorgelegt wurde, aus dem sich das Bild einer Brustkrebsvorstufe bei B. abgezeichnet hat (vgl. hierzu BA S. 17; zu den Feststellungen des Landgerichts in Bezug auf die am 8.1.2009 vorgelegten Unterlagen vgl. Strafurteil S. 11 und 12). Der Einwand der Antragstellerseite, dass das Krebsleiden den Milchstau nicht ausschließe und man dem Antragsteller nicht im Sinne von Unzuverlässigkeit vorwerfen könne, die B. deshalb behandelt zu haben, geht ebenfalls fehl. Dem Antragsteller wird vielmehr vorgeworfen, dass er sich nicht über die vorliegenden ärztlichen Befunde hätte hinwegsetzen und der von ihm behandelten Patientin hätte erklären dürfen, dass sie an keiner Krebserkrankung leide, sondern lediglich an einer Milchdrüsenentzündung.
Der Einwand des Antragstellers in der Beschwerdebegründung, er habe entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass er die B. nicht auf ärztliche Behandlungsmöglichkeiten hingewiesen habe, in der Sitzung des Amtsgerichts … geäußert, Krebspatientinnen eine Behandlung im …-Krankenhaus empfohlen zu haben (vgl. Schriftsatz v. 28.1.2020 und Sitzungsprotokoll v. 9.3.2018 S. 7), führt ebenfalls nicht weiter. Ausweislich des Sitzungsprotokolls des Amtsgerichts … vom 9. März 2018 betraf die vom Antragsteller angesprochene Empfehlung nicht den Fall der Patientin B. und ist auch nicht geeignet, Rückschlüsse auf das Verhalten des Antragstellers im Fall der Patientin B. zu ziehen.
2.2 Auch mit seiner Rüge der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat der Antragsteller keinen Erfolg.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, gegenüber einem umfassenden Widerruf der Heilpraktikererlaubnis bestünden geeignete und den Antragsteller weniger belastende Maßnahmen, wie die von ihm abgegebene Selbstverpflichtungserklärung, Krebspatienten nicht mehr zu behandeln. Darüber hinaus hätte das Landratsamt „Auflagen“ verfügen können, dass er auch vergleichbar schwerwiegende Erkrankungen, die eine ärztliche Behandlung erforderlich machen, nicht behandeln dürfe.
Das Merkmal der sittlichen Unzuverlässigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Behörde keinen Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum lässt und gerichtlich voll überprüfbar ist (Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 7 DVO-HeilprG Rn. 5; vgl. auch BA S. 16). Liegt sittliche Unzuverlässigkeit vor, ist die Heilpraktikererlaubnis zwingend zu widerrufen. Die Heilpraktikererlaubnis ist zwar grundsätzlich – anders als die einem Arzt mit der Approbation erteilte Heilbefugnis – auf Teilbereiche der Heilkunde beschränkbar, so dass dem Bedürfnis eines Antragstellers nur auf abgegrenztem Gebiet oder nur mit einer bestimmten Therapieform heilkundlich tätig zu werden, Rechnung zu tragen sei, solange sichergestellt ist, dass der Betreffende die Grenzen seines Könnens kennt und beachtet (Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 1 HeilprG Rn. 27). Ein solcher Fall einer Teil- bzw. Beschränkbarkeit der Heilpraktikererlaubnis liegt hier jedoch eindeutig nicht vor. Die Heilpraktikererlaubnis, die grundsätzlich zur Ausübung der gesamten Heilkunde im Sinn des § 1 Abs. 2 HeilprG berechtigt, kann nicht auf „nicht schwerwiegende Krankheitsfälle“ beschränkt werden.
3. Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Heilpraktikererlaubnis. Die mit dem Erlaubniswiderruf verbundene Anordnung der sofortigen Vollziehung greift in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des Antragstellers ein, weil ihm schon vor rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache die Möglichkeit genommen wird, weiter den Beruf des Heilpraktikers auszuüben. Ein derartiges präventives Berufsverbot ist nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfG, B.v. 8.4.2010 – 1 BvR 2709/09 – juris Rn. 10 ff.). Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, nicht ausreicht, sondern die Anordnung der sofortigen Vollziehung voraussetzt, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hänge von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lasse (BVerfG, B.v. 8.4.2010, a.a.O. m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der in der Anordnung der sofortigen Vollziehung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers gerechtfertigt. Auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO; BA. S. 21 f.; zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl. BA S. 23 f.). Die Beschwerdebegründung hat darüber hinaus keine weiteren Umstände dargetan.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Nrn. 1.5 und 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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