Medizinrecht

Wirksamkeit einer Alkoholverbotsverordnung

Aktenzeichen  10 NE 20.2437

Datum:
7.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36091
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6
LStVG Art. 8, Art. 30 Abs. 1
GO Art. 24 Abs. 1 Nr. 1
BayStrWG Art. 22a
OWiG § 117, § 118
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung des Art. 30 Abs. 1 LStVG, wonach Gemeinden auf bestimmten öffentlichen Flächen den Verzehr und das Mitführen alkoholischer Getränke verbieten können. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. An die Darlegung der “tatsächlichen Anhaltspunkte” für die Annahme der alkoholbedingten Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten iSv Art. 30 Abs. 1 S. 1 LStVG dürfen keine Anforderungen gestellt werden, die von den Gemeinden mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht erfüllt werden können (hinreichend sichere Tatsachengrundlage hier bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung bejaht). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen § 2 der Verordnung über das Verbot des Verzehrs und des Mitführens alkoholischer Getränke auf öffentlichen Flächen (Alkoholverbotsverordnung), die die Antragsgegnerin am 17. August 2020 beschlossen und am 26. August 2020 im Amtsblatt bekannt gemacht hat. Diese Verordnung regelt das Mitführen und den Verzehr alkoholischer Getränke im Stadtgebiet der Antragsgegnerin auf bestimmten öffentlichen Flächen außerhalb von Gebäuden und genehmigten Freischankflächen (§ 1 Abs. 1) und gilt gemäß § 1 Abs. 2 für die Bereiche Grünanlage B. Grund (P. Straße 79, 79a), Badegrundstück St. Grund (Unterer S2.-weg 6a), Grünanlage und Verkehrsfläche Seepromenade, Bu.-park (bei D.-straße / N.-weg). Die in § 2 geregelten Verbote gelten gemäß § 1 Abs. 4 täglich in der Zeit von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr und haben folgenden Wortlaut:
§ 2 Verzehr und Mitführen alkoholischer Getränke
(1) Im Geltungsbereich dieser Verordnung ist der Verzehr alkoholischer Getränke verboten.
(2) Im Geltungsbereich dieser Verordnung ist das Mitführen alkoholischer Getränke zu den in verboten, wenn die Getränke den Umständen nach zum dortigen Verzehr bestimmt sind.
Gemäß § 3 kann die Antragsgegnerin in Einzelfällen (ganz oder teilweise) Ausnahmen zulassen. § 4 regelt die Bußgeldbewehrung bei Zuwiderhandlungen gegen die Verbote des § 2. Die Verordnung gilt gemäß § 5 Abs. 2 befristet bis 31. Dezember 2021.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines von ihm (und seiner Familie) bewohnten Hauses im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Am 1. Oktober 2020 stellte er einen Normenkontrollantrag (10 N 20.2188) gegen die Alkoholverbotsverordnung der Antragsgegnerin mit dem Antrag, festzustellen, dass § 2 der Verordnung über das Verbot des Verzehrs und des Mitführens alkoholischer Getränke auf öffentlichen Flächen vom 18. August 2020 nichtig bzw. unwirksam ist.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 26. Oktober 2020 ließ er beantragen,
die Regelung des § 2 der Verordnung der Antragsgegnerin über das Verbot des Verzehrs und des Mitführens alkoholischer Getränke auf öffentlichen Flächen vom 18. August 2020 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
Er sei antragsbefugt, weil er durch die angegriffene Vorschrift in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit unzulässig eingeschränkt werde. Ein Rechtsschutzinteresse für den Eilantrag bestehe, weil die Verbote der Verordnung in den Wintermonaten zwar selten zur Anwendung kommen würden, dies allerdings auch nicht auszuschließen sei und der Antragsteller daher jederzeit durch den Vollzug der Verordnung betroffen werden könne. Ohne die beantragte einstweilige Anordnung würde er durch die Verbote bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über seinen Normenkontrollantrag andauernd in seinen Rechten verletzt, ohne dass dies später wieder gut gemacht werden könnte; der Erlass der einstweiligen Anordnung sei daher zur Abwendung des Verlustes seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte dringend geboten. § 2 der Verordnung verstoße sowohl gegen Art. 2 Abs. 1 GG als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die durch die Antragsgegnerin mit der angegriffenen Alkoholverbotsverordnung getroffene Ermessensentscheidung gemäß Art. 30 Abs. 1 LStVG sei rechtswidrig. Denn sie habe die Verordnung (nur) erlassen, um den Eigentümern der im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung gelegenen Villengrundstücke eine unbeeinträchtigte Nutzung ihrer Grundstücke zu ermöglichen; so habe sie trotz entsprechender Probleme und Beschwerden das ebenfalls im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Grundstück zwischen Lüßbach und Würm (jenseits der Nepomuk-Brücke) nicht in den Geltungsbereich der Verordnung mit einbezogen. Zudem sei die Verordnung auch nicht erforderlich, weil die Antragsgegnerin seit 2019 über eine Sondernutzungssatzung für Gemeindestraßen verfüge, nach deren § 3 das Niederlassen zum Alkoholgenuss außerhalb zugelassener Freischankflächen als erlaubnispflichtige Sondernutzung anzusehen und nach § 7 eine solche Erlaubnis zu versagen sei; einer zusätzlichen Alkoholverbotsverordnung habe es nicht bedurft. Darüber hinaus bestünden hinreichende gesetzliche Möglichkeiten, gegen Ruhestörungen und das Hinterlassen von Abfall vorzugehen. Zudem sei das Verbot ungeeignet, da es erst ab 22:00 Uhr greife, das zugrundeliegende Problem des übermäßigen Alkoholkonsums von Jugendlichen aber bereits am Nachmittag beginne. Nach alledem werde der Normenkontrollantrag voraussichtlich Erfolg haben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das vom Antragsteller genannte Grundstück zwischen L. und W. gehöre zwar zum Stadtgebiet S1., sei aber Teil eines Erholungsgebietes, welches vom Landratsamt S1. zusammen mit dem Erholungsflächenverein verwaltet werde und für das eine Benutzungssatzung des Landkreises bestehe. Insofern habe hier kein Regelungsbedarf bestanden, zumal bei der Antragsgegnerin bezüglich dieses Bereichs auch keine Anzeigen von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten vorgelegen hätten. Der Erlass der einstweiligen Anordnung sei nicht dringend geboten, weil sich die vom Antragsteller angegriffene Vorschrift im Normenkontrollverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werde. Entgegen der Auffassung des Antragstellers reichten andere Regelungsmöglichkeiten nach der Gemeindeordnung oder dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz nicht aus. Die angesprochene Sondernutzungssatzung beziehe sich nur auf öffentlich gewidmete Straßen, Wege und Plätze, öffentliche Grünanlagen seien davon jedoch nicht erfasst. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 30 Abs. 1 LStVG lägen vor, da hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorlägen, dass auf den betreffenden Flächen aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig Straftaten nach dem StGB und BtMG, Ordnungswidrigkeiten gemäß §§ 117 und 118 OWiG sowie abfallrechtliche Verstöße begangen würden; insoweit werde auf die Übersicht in der Behördenakte über zahlreiche Vorkommnisse im Geltungsbereich der Verordnung im Zeitraum vom 1. Juni 2020 bis 17. August 2020 verwiesen. Die Verbotsverordnung sei auch verhältnismäßig. Bezüglich des Verbotszeitraums sei der besonders zu schützende Nachtzeitraum entscheidend, in dem es vor allem zu alkoholbedingten Ordnungswidrigkeiten nach §§ 117 und 118 OWiG komme. Einem relativ geringfügigen Grundrechtseingriff durch ein zeitlich und örtlich begrenztes Verbot stehe der schwerer wiegende Schutz der Anwohner und Dritter, insbesondere der Schutz der Nachtruhe, gegenüber. Zudem bestehe bei besonderen Anlässen gemäß § 3 die Möglichkeit, Ausnahmen von den Verboten zuzulassen. Der Einwand sachfremder Erwägungen werde zurückgewiesen. Die Verordnung ziele allein auf die Verhütung alkoholbedingter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und damit auch die Unterbindung von Lärmbelästigungen der Anwohner, jedoch unabhängig von der Art der Wohnung bzw. des Anwesens.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte (Aufstellungsakte) Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig, weil er sich gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit Art. 5 Satz 1 AGVwGO gegen eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift richtet, der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hinreichend substantiiert vorgetragen hat, durch die angegriffene Rechtsvorschrift (§ 2 der Alkoholverbotsverordnung) oder deren Anwendung in seinem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt zu sein, und die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gewahrt ist. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen jedoch nicht vor.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a.‒ juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500 – juris Rn 10). Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und voraussichtlich begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine begehrte einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag später aber Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe (vgl. BVerwG, B.v. 25.5.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500 – juris Rn 10).
2. Gemessen daran kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht in Betracht, weil der Senat davon ausgeht, dass der Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich unbegründet sein wird. Selbst bei Unterstellung offener Erfolgsaussichten überwiegt bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das öffentliche Interesse an einem weiteren Vollzug der angegriffenen Regelung.
2.1. Die vom Antragsteller angegriffenen Verbote in § 2 der Alkoholverbotsverordnung der Antragsgegnerin erweisen sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig.
2.1.1. Durchgreifende Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des Art. 30 Abs. 1 LStVG, wonach Gemeinden durch Verordnung auf bestimmten öffentlichen Flächen – außerhalb von Gebäuden und genehmigten Freischankflächen – den Verzehr alkoholischer Getränke verbieten können, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen werden (Satz 1), und auch das Mitführen alkoholischer Getränke an den in der Verordnung bezeichneten Orten verbieten können, wenn die Getränke den Umständen nach zum dortigen Verzehr bestimmt sind (Satz 2), sind weder vom Antragsteller vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Teilweise in der Literatur geäußerte Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser speziellen gesetzlichen Verordnungsermächtigung zur Reduzierung alkoholbedingter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum (vgl. Gesetzesbegründung LT-Drs, 16/15831 S. 2) mit den betroffenen Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. Münkler in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.8.2020, LStVG Art. 30 Rn. 47 ff.), und dem Bestimmtheitsgebot (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechend; vgl. Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 39 ff.) teilt der Senat nicht.
2.1.2. Die hier zur Überprüfung gestellte Regelung des § 2 der Alkoholverbotsverordnung ist voraussichtlich auch selbst rechtlich weder formell noch materiell zu beanstanden. Der Einwand fehlenden Regelungsbedarfs aufgrund bereits anderweitig bestehender entsprechender Verbote, insbesondere der Regelungen der Sondernutzungssatzung der Antragsgegnerin für Gemeindestraßen, greift nicht durch (2.1.2.1.). Die in § 2 der Alkoholverbotsverordnung normierten Verbote halten den gesetzlichen Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 30 Abs. 1 LStVG ein, weil entgegen der Auffassung des Antragstellers hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass auf den betroffenen öffentlichen Flächen der Antragsgegnerin aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen werden (2.1.2.2.). Die in § 2 geregelten Verbote – Verzehrverbot (Abs. 1) und Verbot des Mitführens (Abs. 2) – sind schließlich auch verhältnismäßig (s. Art. 8 LStVG; 2.1.2.3.).
2.1.2.1. Der Gesetzgeber hat bei der Einfügung des neuen Art. 30 in das Gesetz über das Landesstraf- und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (LStVG) durch das Änderungsgesetz vom 27. Februar 2013 die mit Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO und Art. 22a BayStrWG bereits bestehenden Möglichkeiten, dem öffentlichen Alkoholmissbrauch entgegenzuwirken, als nicht weitreichend genug angesehen und deshalb den Gemeinden mit der neu geschaffenen gesetzlichen Verordnungsermächtigung die Möglichkeit eingeräumt, den exzessiven Alkoholkonsum auf öffentlichen Flächen effektiv und auf rechtssicherer Grundlage einzudämmen (vgl. Gesetzesbegründung Zu § 1 Nr. 2 [Art. 30 LStVG] Absatz 1, LT-Drs, 16/15831 S. 4; Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 5, 11). Demgemäß wird diese sicherheitsrechtliche Ermächtigungsgrundlage im Bereich der Gefahrenvorsorge (Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 3) durch die genannten weiteren Möglichkeiten der – allerdings nutzungsbezogenen – Regelung des Alkoholkonsums auf öffentlichen Flächen in ihrem Anwendungsbereich ebenso wenig verdrängt, wie sie umgekehrt diese gesetzlichen Ermächtigungen nicht verdrängt (Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 11). Die Antragsgegnerin war demgemäß nicht gehindert, neben einer nutzungsbezogenen Beschränkung in ihrer Satzung über die Sondernutzung an Gemeindestraßen vom 6. Februar 2019 unter anderem des Niederlassens zum Alkoholgenuss außerhalb zugelassener Freischankflächen (§ 3 Abs. 2 Buchst. j dieser Satzung) eine gefahrenabwehrrechtliche Beschränkung des übermäßigen Alkoholkonsums im öffentlichen Raum zur (präventiven) Verhütung von alkoholbedingten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf der Grundlage des Art. 30 Abs. 1 LStVG zu erlassen. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung im Übrigen auch zutreffend darauf verwiesen, dass sich die bestehende Satzungsregelung nur auf dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, Wege und Plätze (einschließlich der Seepromenade) bezieht, öffentliche Grünanlagen wie zum Beispiel das Steininger Badegrundstück davon aber gerade nicht erfasst sind.
2.1.2.2. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers, der die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer entsprechenden Verbotsverordnung gemäß Art. 30 Abs. 1 LStVG lediglich „mit Nichtwissen“ bestreitet, rechtfertigen im konkreten Fall hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass im räumlichen Geltungsbereich der Alkoholverbotsverordnung (s. § 1 Abs. 2) aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen werden. Derartige Ordnungswidrigkeiten, die den Erlass einer Alkoholverbotsverordnung grundsätzlich zu rechtfertigen vermögen, sind insbesondere die Verursachung unzulässigen Lärms (§ 117 OWiG), zum Beispiel bei nächtlichen Ruhestörungen, sowie die Belästigung der Allgemeinheit im Sinne von § 118 OWiG, wenn diese Belästigung ein erhebliches Ausmaß erreicht (vgl. Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 23; die Einschränkung in Art. 30 Abs. 1 LStVG i.d.F vom 8.7.2013 [a.F.], dass es sich um Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung handeln muss, hat der Gesetzgeber in der seit 25.5.2018 gültigen aktuellen Fassung [des Art. 30] aufgehoben). Notwendig, aber auch ausreichend für den erforderlichen Gefahrenverdacht ist dabei das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für den Schadenseintritt (die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten). Das Tatbestandsmerkmal regelmäßig ist erfüllt, wenn an dem betreffenden öffentlichen Ort mit einer gewissen Häufigkeit Rechtsverletzungen eintreten, die unter Alkoholeinfluss begangen werden (Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 27). Für die erforderliche Kausalität zwischen dem Konsum von Alkohol und der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten genügt, dass der Alkoholkonsum als möglicher Mitauslöser dieses Verhaltens identifiziert werden kann (Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 31). Der Verordnungserlass ist dabei nur auf hinreichend sicherer, von der Gemeinde darzulegender Tatsachengrundlage und belastbarer Erhebungen möglich (vgl. Gesetzesbegründung Zu § 1 Nr. 2 [Art. 30 LStVG] Absatz 1, LT-Drs, 16/15831 S. 4; vgl. auch Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 32: aufgrund „aussagekräftiger Daten“).
Eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage in dem dargelegten Sinn liegt bei summarischer Prüfung mit den in den Normaufstellungsakten der Antragsgegnerin enthaltenen Unterlagen und Nachweisen vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass an die Darlegung der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ im Sinne von Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LStVG keine Anforderungen gestellt werden dürfen, die von den Gemeinden mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht erfüllt werden können (vgl. Gesetzesbegründung Zu § 1 Nr. 2 [Art. 30 LStVG] Absatz 1, LT-Drs, 16/15831 S. 4). In der Behördenakte ist neben einer größeren Anzahl schriftlicher (per E-Mail) Bürgerbeschwerden über gravierende Lärmbelästigungen der Allgemeinheit bzw. der Nachbarschaft durch stark alkoholisierte (Groß-)Gruppen, erhebliche Verunreinigungen der betroffenen öffentlichen (Bade-)Flächen durch hinterlassenen Müll, (teilweise zerschlagene) Flaschen, Essensreste etc. und Sachbeschädigungen mit den entsprechenden Fotos vor allem auch eine Übersicht bzw. Auflistung der Polizeiinspektion S1. über relevante Vorkommnisse bzw. Ereignisse im Geltungsbereich der Alkoholverbotsverordnung im Zeitraum 1. Juni 2020 bis 17. August 2020 dokumentiert. In dieser polizeilichen Übersicht (Bl. 64 der Normaufstellungsakten) sind Straftatbestände wie Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung, Diebstahl, Sachbeschädigung sowie „sonstige relevante Ereignisse“ wie alkoholisierte/betrunkene feiernde und lärmende Jugendliche, laute Musik, Ruhestörungen durch laute Musik und Feiern und Streitigkeiten zwischen größeren Gruppen vermerkt. Darüber hinaus sind aus der Behördenakte wiederholte (wohl) alkoholbedingte Verstöße gegen die Infektionsschutzregeln im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ersichtlich. Der von der Antragsgegnerin festgestellte Zusammenhang zwischen dem (erhöhten) Alkoholkonsum und den dokumentierten Ordnungsverstößen ist auf der Grundlage dieser Erhebungen und Unterlagen nachvollziehbar bzw. schlüssig und rechtfertigt somit die Annahme, dass übermäßiger Alkoholkonsum auf den betreffenden öffentlichen Flächen die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten jedenfalls mitverursacht hat.
2.1.2.3. Die in § 2 der Alkoholverbotsverordnung angeordneten Verbote – Konsumverbot (Abs. 1) und Mitführverbot (Abs. 2) – genügen als zulässige Regelungsgegenstände einer auf Art. 30 Abs. 1 LStVG gestützten Verordnung auch den sonstigen Rechtmäßigkeitsanforderungen. Trotz einer sprachlich missglückten Formulierung genügt auch das Verbot des Mitführens in § 2 Abs. 2 der Alkoholverbotsverordnung noch dem Erfordernis hinreichender Normbestimmtheit. Der Erlass der Alkoholverbotsverordnung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers weder ermessensfehlerhaft, noch verstoßen die Verbote gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (s. Art. 8 LStVG). Ein grundrechtseinschränkendes Gesetz genügt diesem Grundsatz nur, wenn es geeignet und erforderlich ist, um die von ihm verfolgten legitimen Zwecke zu erreichen, und die Einschränkungen des jeweiligen grundrechtlichen Freiheitsraums hierzu in angemessenem Verhältnis stehen (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. BVerfG, U.v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a. – juris Rn. 223 m.w.N.).
Konkrete Anhaltspunkte für die Behauptung des Antragstellers, diese Verbote seien von der Antragsgegnerin nur verfügt worden, um den Eigentümern der im Geltungsbereich der Verordnung gelegenen „Villenanwesen“ entgegenzukommen und diesen eine ungestörte Grundstücksnutzung zu ermöglichen, werden von ihm nicht angeführt. Auch aus den Normaufstellungsakten ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Antragsgegnerin nicht (allein) von dem gemäß Art. 30 Abs. 1 LStVG legitimen Zweck der Verhütung bzw. Reduzierung durch übermäßigen Alkoholkonsum bedingter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten hat leiten lassen. Dass ein örtlich begrenztes Alkoholverbot zu einer teilweisen Verlagerung dieser Problematik führen kann (vgl. Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 49 m.w.N.), macht die Maßnahme nicht von vornherein ermessensfehlerhaft oder gar ungeeignet.
Der Einwand des Antragstellers, das Alkoholverbot sei bereits ungeeignet, da es gemäß § 1 Abs. 4 der Alkoholverbotsverordnung täglich erst ab 22:00 Uhr greife, die Problematik alkoholisierter Jugendlicher jedoch schon am Nachmittag beginne, verkennt, dass eine Maßnahme auch dann im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LStVG geeignet ist, wenn mit ihr der angestrebte Zweck zwar nicht ganz, aber wenigstens teilweise erreicht werden kann (vgl. Nr. 8.1.2. VollzBekLStVG). Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die gesetzliche Regelung der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es genügt bereits die Möglichkeit einer Zweckerreichung (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. BVerfG, B.v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07 u.a. – juris Rn. 103 m.w.N.). Dass entsprechend der Einschätzung der Antragsgegnerin (Normgeberin) durch die streitbefangenen Verbote der gewünschte Erfolg – Reduzierung durch übermäßigen Alkoholkonsum bedingter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – gefördert werden kann, ist zur Überzeugung des Senats nicht ernstlich zweifelhaft. Ein milderes Mittel gleicher Wirksamkeit (vgl. BVerfG, B.v. 8.6.2010 a.a.O. Rn. 103) hat weder der Antragsteller aufgezeigt, noch ist mangels gleicher Effektivität ein solches in zusätzlichen Kontrollen durch private Sicherheitsdienste oder in einer erhöhten Polizeipräsenz zu sehen (zu letzterem vgl. Münkler, a.a.O., Art. 30 Rn. 51 m.w.N.). Schließlich sind die angegriffenen Verbote voraussichtlich auch verhältnismäßig im engeren Sinn (s. Art. 8 Abs. 2 LStVG). Dabei ist die konkrete Ausgestaltung der Verbote zu berücksichtigen, die im Wesentlichen auf die Nachtzeit (ab 22:00 Uhr) und einen räumlich eng begrenzten Bereich des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin beschränkt sind, zumal während der Nachtzeit dem (auch) betroffenen Schutzgut der ungestörten Nachtruhe und damit der Gesundheit besondere Bedeutung zukommt. Demgegenüber wiegt der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) unter anderem des Antragstellers weniger schwer; sein individuelles Interesse auf ein „geselliges Zusammentreffen mit anderen“ im öffentlichen Bereich „bei einem Glas Wein“ muss letztlich zurückstehen. Auch sein Hinweis auf die Alte Mainbrücke in Würzburg führt diesbezüglich nicht weiter.
2.2. Selbst bei – mit Blick auf eine relativ begrenzte Daten- bzw. Tatsachengrundlage und noch nicht vorliegende Evaluierung der Maßnahmen – Unterstellung offener Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens fiele die (dann) erforderliche Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Das oben dargestellte öffentliche Interesse an der Verhütung alkoholbedingter Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie insbesondere am Schutz der ungestörten Nachtruhe und damit der Gesundheit der Anwohner überwiegt das individuelle Interesse des Antragstellers, mit anderen auf den betreffenden öffentlichen Flächen der Antragsgegnerin jederzeit bei einem „geselligen Zusammensein“ Alkohol konsumieren zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 35.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei mit Blick auf die mit dem Eilantrag letztlich bezweckte Vorwegnahme der Hauptsache eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nicht angebracht erscheint.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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