Medizinrecht

Wohnungseinweisung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit

Aktenzeichen  W 5 E 20.592

Datum:
29.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7905
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 123

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das hiesige Verfahren sowie für das Klageverfahren W 5 K 20.591 werden abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt ihre erneute Einweisung sowie die drei weiterer Familienangehöriger ihres Haushalts in die Räume ihrer ehemaligen Wohnung für eine angemessene Zeit, mindestens für die Dauer von drei Monaten.
1. Aufgrund der bevorstehenden Zwangsräumung am 3. Februar 2020 wies die Antragsgegnerin die zuvor in der Wohnung der Katholischen Kirchenstiftung A… in der H2.Straße … in 9… H3. wohnende Antragstellerin (geb. am …1965), deren Sohn J… T… (geb. am …2006), sowie die Tochter der Antragstellerin, Frau T… B… (geb. …1992) mit ihrem am … … 2020 geborenen Kind S… zur Abwendung ihrer Obdachlosigkeit mit Bescheid vom 28. Januar 2020 und mit Wirkung vom 1. Februar 2020 bis zum 30. April 2020 in die vg. Wohnung ein.
Mit Ziffer 1 Satz 1 und 2 des Bescheids vom 20. April 2020 i.d.F. des Änderungsbescheids vom 28. April 2020 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin und die drei weiteren Personen ihres Haushalts auf, die Unterkunft in der H2.Straße … mit Wirkung zum 30. April 2020 zu räumen; mit Wirkung zum 28. April 2020 wurde ihnen die Unterkunft in 9…., A…, EG rechts zur Nutzung zugewiesen. Es wurde erlaubt, an Mobiliar je ein Bett und einen Schrank sowie einen Esstisch und vier Stühle mitzubringen (Ziffer 14 des Bescheids).
2. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 27. April 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg Klage und beantragte, den Bescheid der Stadt H3. vom 20. April 2020 aufzuheben und die Einweisung der im angefochtenen Bescheid genannten Personen in die Wohnung H2.Straße … in 9…H3. einstweilen um eine angemessene Zeit, jedoch mindestens um drei Monate zu verlängern (W 5 K 20.591).
Mit Schriftsätzen vom 27. April 2020 und vom 28. April 2020 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die Einweisung der im angefochtenen Bescheid genannten Personen in die Wohnung H2.Straße … in H3. einstweilen um eine angemessene Zeit, jedoch mindestens um drei Monate zu verlängern.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Dieser sei räumlich, jedoch auch in zeitlicher Hinsicht unangemessen. Durch den Bescheid solle ein Haushalt mit vier Personen in eine gerade einmal aus zwei Zimmern bestehende Unterkunft eingewiesen werden, wodurch der Antragstellerin und ihrer Familie schon in räumlicher Hinsicht weder eine angemessene Entfaltung noch die Aufrechterhaltung ihrer Privatsphäre im Mindestmaß möglich wäre. Hinzu komme, dass die Antragstellerin mitsamt ihrer Familie ausweislich Ziffer 14 des Bescheids lediglich je ein Bett und einen Schrank sowie insgesamt einen Esstisch und vier Stühle in die Unterkunft mitbringen dürfe, was zur Folge habe, dass sie einen Großteil ihrer Besitztümer zurücklassen müssten. Grund hierfür sei, dass der Antragstellerin noch Ende März zugesichert worden sei, dass für sie ein kleines Wohnhaus zur Verfügung stünde, das ausreichend Platz biete. Hierauf habe sich die Antragstellerin verlassen und keine Vorsorge für die anderweitige Unterbringung ihrer Besitztümer getroffen. In der Folge habe die Antragstellerin frühestens am 14. April 2020 davon Kenntnis erlangen können, dass eine anderweitige Unterbringung ihrer Besitztümer notwendig würde. In Anbetracht dessen sei die Umweisung der Antragstellerin jedenfalls in dieser kurzen Frist unangemessen. Die Antragsgegnerin übersehe, dass eine derart kurzfristige Anmietung von Lagerräumen im Regelfall unmöglich sei. Die Umweisung sei auch deshalb unangemessen, weil sich sowohl die Antragstellerin als auch ihr Sohn in fachärztlicher, psychotherapeutischer Behandlung befänden und sie so einer gewissen Stabilität und Kontinuität in ihrer Lebensführung bedürften. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Tochter der Antragstellerin erst im Januar dieses Jahres entbunden habe und deshalb in besonderem Maße ruhebedürftig sei. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine besondere Unzumutbarkeit hinsichtlich der betroffenen Rechte der Katholischen Kirchenstiftung A… vor.
3. Mit Schriftsatz vom 28. April 2020 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag nach § 123 VwGO abzuweisen.
Zur Begründung wurde ausgeführt: Am 12. November 2019 habe die Stadt H3 ein Schreiben des Gerichtsvollziehers bekommen, mit dem angekündigt worden sei, dass die Wohnung der Antragstellerin am 4. Dezember 2019 geräumt werde. Es sei dann zunächst zwischen der Antragsgegnerin und der Kirchenstiftung vereinbart worden, dass die Familie der Antragstellerin in der Wohnung bleiben dürfe und dass die Familie bis zum 30. April 2020 in die Wohnung eingewiesen werde. In der Folgezeit habe die Antragstellerin immer wieder erklärt, dass sie auf Wohnungssuche sei, aber Absagen erhalte. Im März 2020 habe sich dann eine Möglichkeit ergeben, die Familie in einem Haus in W… unterzubringen. Im April 2020 sei dann entschieden worden, die Familie nicht in dem Haus in W… unterzubringen, sondern in der Obdachlosenunterkunft A… Diese Wohnung sei renoviert und habe eine Größe von 57,20 m², habe zwei Zimmer mit je 12,40 m², ein Wohn- und Esszimmer mit 22,35 m², Bad mit WC und Zentralheizung. Die Wohnung befinde sich in einem Mehrfamilienhaus und sei von der Stadt H3 angemietet worden. Die Umsetzung sei angemessen und zumutbar. Es handele sich um eine Notunterkunft, die dazu dienen solle, eine mögliche Obdachlosigkeit kurzfristig zu beseitigen. Deshalb seien die Anforderungen an eine solche Unterkunft nicht mit einer gewöhnlichen Wohnung zu vergleichen und Einschränkungen an Größe und Ausstattung hinzunehmen. Die Antragstellerin sei am 14. April 2020 informiert worden, dass es mit der Wohnung in W… nichts werde und sie in der Notunterkunft A… eingewiesen werde und habe damit genügend Zeit gehabt, den Umzug zu organisieren.
4. Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte sowie auf die Gerichtsakten im Verfahren W 5 K 20.591 Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zulässig, jedoch unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Da die Antragstellerin bei sachgerechter Auslegung ihres Antragsbegehrens (§ 88 VwGO) ihre vorläufige Wiedereinweisung bzw. die ihrer drei Familienangehörigen in ihre frühere Wohnung (H2.Straße … in 9… H3.) begehrt, ist im Wege des Eilrechtsschutzes allein ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO statthaft. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Räumungs- und Zuweisungsbescheid vom 20. April 2020/28. April 2020 – jenseits der Frage seiner Statthaftigkeit – genügt dem Rechtschutzanliegen der Antragstellerin nicht, weil auf diese Weise allenfalls eine Suspendierung der Zuweisung in die neue Unterkunft, jedoch keine vorläufige Wiedereinweisung in die bisherige Unterkunft erwirkt werden kann. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage kann ein Wiederaufleben der zuletzt erfolgten Einweisung in die bisherige Unterkunft schon deshalb nicht zur Folge haben, da diese bis zum 30. April 2020 befristet war. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat im Schriftsatz vom 28. April 2020 (und nochmals im Schriftsatz vom 29.4.2020) auch ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass der von ihm erhobene Antrag – abweichend von vorangegangenen Ausführungen – dementsprechend als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verstehen sei.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Diese Voraussetzungen sind nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischer Prüfung nicht gegeben. Dabei kann offenbleiben, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist. Die Antragstellerin hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch gegen die Antragsgegnerin glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung steht der Antragstellerin und ihren drei Familienangehörigen ein Rechtsanspruch auf Unterbringung in den bisher von ihnen genutzten Räumen (H2.Straße … in 9… H3.) nicht zu.
2.1. Nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sind die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Dazu gehört die Unterbringung unfreiwillig Obdachloser.
Ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl. 2007, 439; VGH Kassel, B.v. 24.9.1991 – 11 TG 1481.91 – juris). Denn die Gefahrenabwehrpflicht der Sicherheitsbehörde gilt nur bezüglich der Abwehr einer „unfreiwilligen“ Obdachlosigkeit, die nur dann vorliegt, wenn eine Person nicht über eine Unterkunft verfügt, die einen Minimalschutz vor der Witterung und zur Sicherung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bietet (vgl. VGH Mannheim, B.v. 5.3.1996 – 1 S 470/96 – NVwZ-RR 1996, 439 = juris), die aber – wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts – nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst – wirtschaftlich, finanziell und nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes – dazu in der Lage ist, die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.
Bei der Unterbringung Obdachloser hat die Gemeinde als Sicherheitsbehörde ein Ermessen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8 LStVG); sie hat unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Da die Obdachlosenunterbringung grundsätzlich nur eine Notlösung sein kann, muss der Obdachlose eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche bis zur Grenze der menschenwürdigen Unterbringung hinnehmen (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Primär hat die Unterbringung dabei in einer gemeindeeigenen oder der Gemeinde zur Verfügung stehenden (Not-)Unterkunft zu erfolgen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann als ultima ratio die Wiedereinweisung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Vermieter in die bisher vom Obdachlosen bewohnten Räume in Frage kommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die von ihm zu räumende oder geräumte Wohnung wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Hauseigentümers als Nichtstörer (Art. 9 Abs. 3 LStVG) allerdings nur in Fällen schwerster Notlagen, denen die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann, für einen eng begrenzten Zeitraum von etwa zwei Monaten in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 14.8.1990 – 21 B 90.00335; B.v. 21.4.1998 – 4 ZS 98.1164; B.v. 25.9.1998 – 4 CS 98.2581 – alle juris).
2.2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Antragstellerin vorliegend keinen Anspruch auf erneute Einweisung in die Räume ihrer ehemaligen Wohnung in der H2.Straße … in 9… H3.. Denn der eng begrenzte Zeitraum für eine solche Wiedereinweisung von etwa zwei Monaten ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung schon weit überschritten.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin und ihre Familienangehörigen mit Bescheid vom 28. Januar 2020 und mit Wirkung vom 1. Februar 2020 zwangsweise in die streitgegenständlichen Räume der ehemaligen Wohnung in der H2.Straße … in 9… H3. eingewiesen und hat die Katholische Kirchenstiftung A… mit Bescheid ebenfalls vom 28. Januar 2020 zur Duldung dieser zwangsweisen Unterbringung bis 30. April 2020 verpflichtet und die vg. Wohnung für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 30. April 2020 beschlagnahmt. Tatsächlich bewohnt die Antragstellerin und ihre Familie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch diese Räume. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin und ihre Familie mithin bereits über einen Zeitraum von drei Monaten zwangsweise in den streitgegenständlichen Räumen der Katholischen Kirchenstiftung A… untergebracht. Dass diese hiergegen nicht gerichtlich vorgegangen ist, steht dem nicht entgegen. Eine Wiedereinweisung der Antragstellerin und ihrer Familienmitglieder in diese Räume – wie beantragt – kommt daher aufgrund des bereits erfolgten massiven Eingriffs in das verfassungsrechtlich geschützte Hauseigentum der Katholischen Kirchenstiftung A… als Nichtstörer nicht in Betracht.
2.3. Darüber hinaus ist auch kein – für die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die bisher von ihm bewohnten Räume aber erforderlicher – Fall einer schwersten Notlage gegeben, dem die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann. Die Antragstellerin und ihre drei Familienmitglieder sind vielmehr primär in der von der Antragsgegnerin angemieteten gemeindlichen Obdachlosenunterkunft unterzubringen.
Voraussetzung für einen Anspruch der Antragstellerin auf Wiedereinweisung in die bisherige Wohnung ist, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft und die Wiedereinweisung die einzig denkbare Maßnahme wäre, um der drohenden Obdachlosigkeit abzuhelfen, das Ermessen der Antragsgegnerin also auf Null reduziert ist. Eine Einweisung in die bisherige Wohnung scheitert rechtlich demnach schon dem Grunde nach dann, wenn andere Möglichkeiten für die vorübergehende und den Bedürfnissen der Antragstellerin gerecht werdende Unterbringung bestehen. Die vorübergehende Unterbringung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten stellt lediglich eine Notmaßnahme dar, solange der Untergebrachte keine dauerhafte Wohnmöglichkeit hat. Er kann keine Unterbringung in einer den allgemeinen oder seinen bisherigen Lebensverhältnissen entsprechenden Wohnung verlangen. Ein Obdachloser, der sich hilfesuchend an die Allgemeinheit wendet, muss eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche hinnehmen. Die Anforderungen an eine Obdachlosenunterkunft sind demgemäß gering. Nach der Rechtsprechung ist lediglich erforderlich, dass es sich um eine den Mindestanforderungen genügende Unterkunft handelt. Weitergehende Lebensbedürfnisse hat die Obdachlosenbehörde nicht abzudecken. Es ist ausreichend, wenn ihm eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die zur Verfügung gestellte Obdachlosenunterkunft keine Dauerwohnung darstellt.
Die Wiedereinweisung in die bisher von der Antragstellerin und den weiteren Familienmitgliedern bewohnten Räume in der ehemaligen Wohnung in der H2.Straße … ist vorliegend nicht die einzig denkbare Maßnahme, um der drohenden Obdachlosigkeit abzuhelfen, sodass das Ermessen der Antragsgegnerin also nicht auf Null reduziert ist. Denn mit der von der Stadt H3 angemieteten Obdachlosenunterkunft A… besteht nun – im Unterschied zur Situation zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 28. Januar 2020 – eine andere Möglichkeit für die vorübergehende und den Bedürfnissen der Antragstellerin gerecht werdende Unterbringung, nachdem die Antragsgegnerin diese Wohnung renoviert hat und die dort zuvor untergebrachten Personen umsetzen konnte. Die der Antragstellerin auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts von der Antragsgegnerin noch angebotene und ihr mit Bescheid vom 20./28. April 2020 zugewiesene dortige Unterbringung ist der Antragstellerin und ihren drei Familienangehörigen insbesondere zumutbar. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin der Auffassung ist, dass der Antragstellerin und ihrer Familie in räumlicher Hinsicht die Unterkunft nicht zumutbar wäre, kann sich dem die Kammer nicht anschließen.
Die Unterbringung kann dabei immer nur eine Notlösung sein, so dass ein Obdachloser auch eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche hinnehmen muss (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, 38. Erg.Lief. Okt. 2019, Art. 7 Rn. 184). Die Grenzen zumutbarer Einschränkungen liegen erst dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 und B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Zur Mindestausstattung der zugewiesenen Räume gehört neben der Heizung ein Stromanschluss. Erforderlich sind außerdem ein Wasseranschluss bzw. eine Waschgelegenheit sowie die Möglichkeit der Mitbenutzung der Toilette bzw. einer Dusche oder eines Bades (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser, 4. Aufl. 2007, Nr. 10.5.4.4; jew. mit weiteren Nachweisen).
Ein Auswahlrecht unter mehreren diesen Voraussetzungen genügenden Unterkünften steht dem Obdachlosen dabei nicht zu. Die zugewiesene Unterkunft muss – selbst wenn diese nachgewiesenermaßen bestehen – nicht allen Unterbringungs- und Sorgebedürfnissen, die eine Person hat, gerecht werden. Den Ansprüchen an eine Obdachlosenunterkunft genügen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. GB.v. 24.4.2020 – W 5 K 19.1650; B.v. 27.4.2001 – W 5 E 01.408 und B.v. 28.3.1996 – W 5 S 96.373 – beide juris) deshalb auch sog. Wohncontainer, wenn diese angemessenen Schutz vor der Witterung bieten (insbesondere also beheizbar sind) und die notwendigsten Bedürfnisse befriedigen, insbesondere die unerlässlichen Einrichtungen für die Körperhygiene vorhalten. Ausreichend zur Beseitigung der infolge Obdachlosigkeit drohenden konkreten Gefahren ist aber grundsätzlich auch die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer (vgl. VG München, B.v. 10.5.2015 – M 22 E 15.1818 und B.v. 10.11.2006 – M 22 E 06.4221 – beide juris; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 3. Aufl. 2019, S. 133). So hat auch das OVG Münster die Unterbringung von Einzelpersonen in Sammelunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen für zumutbar erklärt (vgl. B.v. 7.3.2018 – 9 E 129/18 – juris) und der VGH Mannheim die Unterbringung in einem Hochbunker in Gemeinschaftszimmern mit sechs bis acht Betten (B.v. 24.12.1993 – 1 S 279/93 – juris) ebenso für ausreichend erachtet wie die gemeinsame Unterbringung von 13 Einzelpersonen in einer aus insgesamt fünf Zimmern bestehenden Unterkunft im Souterraingeschoss einer ehemaligen Schule (B.v. 3.1.1994 – 1 S 3066/93 – juris).
Bei der Obdachlosenunterbringung sind zwangsläufig auch Einschränkungen hinsichtlich der Größe der zur Verfügung gestellten Räume gegenüber einer wohnungsmäßigen Versorgung hinzunehmen. So fanden auf die vorübergehende Unterbringung von Obdachlosen auch während ihrer Geltung die Vorschriften des (zum 31.12.2004 aufgehobenen) Wohnungsaufsichtsgesetzes mit der Forderung einer Wohnfläche von 10 m² für jeden erwachsenen Bewohner keine Anwendung (vgl. Art. 9 des Wohnungsaufsichtsgesetzes; so auch Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 185; BayVGH, B.v. 14.8.1990 – BayVBl 1991, 114).
Gemessen an diesem Maßstab ist die Zuweisungsentscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Es ist nichts Stichhaltiges dafür ersichtlich, dass die nun zugewiesene renovierte Wohnung mit einer Wohn- und Nutzfläche von 57,20 m², bestehend aus zwei Zimmern mit jeweils 12,40 m², einem Ess- und Wohnzimmer mit 22,35 m² und einem Bad mit WC und ausgestattet mit einer Zentralheizung, den oben genannten Mindestanforderungen an eine Obdachlosenunterkunft nicht genügt. Die Kammer sieht im vorliegenden Fall selbst bei einer Orientierung an den Mindestwohnflächen des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Größenordnung der der Antragstellerin und ihren drei Familienangehörigen zur Unterbringung zur Verfügung gestellten Wohnung bei weitem als ausreichend an, zumal es sich hier nur um eine vorübergehende Unterbringung handelt.
2.4. Die Antragstellerin hat durch die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Antragstellerin bzw. ihres Sohnes J… ein Unterkunftswechsel generell ausgeschlossen ist und deshalb eine Wiedereinweisung in die bisherige Unterkunft aus der staatlichen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG heraus zwingend geboten ist. Nach dem fachärztlichen Attest des Herrn Dr. med. … … (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 21. November 2019 befinde sich die Antragstellerin langjährig wegen einer depressiven Erkrankung in ambulanter Behandlung. Aktuell sei ihr psychisches Zustandsbild dekompensiert. Durch die Kündigung der Wohnung seitens des Vermieters mit dem kurzfristigen Verlust der Wohnsituation sei von einer weiteren Verschlechterung der Erkrankung der Patientin auszugehen, ggf. auch mit der Notwendigkeit einer akutstationären psychiatrischen Behandlung. Abgesehen davon, dass die fachärztliche Bescheinigung nicht aktuell, sondern bereits fünf Monate alt ist, bezieht sie sich ausschließlich auf die gesundheitlichen Folgen der Kündigung der Wohnung, setzt sich aber nicht mit der jetzt anstehenden Zuweisung der Obdachlosenunterkunft auseinander. Darüber hinaus werden in dem äußerst kurz gehaltenen Attest die (potentiellen) medizinischen Folgen der Kündigung und des in der Folge eingetretenen Verlustes der Wohnsituation nur vollkommen unspezifisch („weitere Verschlechterung der Erkrankung“, „ggf. auch mit der Notwendigkeit einer akutstationären Behandlung“) dargestellt. Die fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. med. K. … vom 25. November 2019 erschöpft sich in der (medizinischen) Bewertung, dass für die psychische Gesundheit von J… eine stabile familiäre Situation unbedingt erforderlich sei und eine Kontinuität der schulischen Situation (inklusive Schulbegleitung) dringend gewährleistet werden müsse, um eine Dekompensation zu verhindern. In den ärztlichen Bescheinigungen wird auch nicht bzw. nicht in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, weshalb die Erkrankung der Antragstellerin und ihres Sohnes J… zwingend den Aufenthalt der Antragstellerin und ihrer Familie in ihrer bisherigen Unterkunft erforderlich macht. Nach allem ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die bei einem Umzug in die Notunterkunft A* … … … noch verbleibenden Belastungsfaktoren tatsächlich zu einer Gesundheitsverschlechterung der Antragstellerin und ihres Sohnes J… führen, die nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine fortdauernde Unterbringung der Antragstellerin und ihrer drei Familienmitglieder gerade in den bisherigen Räumlichkeiten zwingend erforderlich macht.
2.5. Soweit von Seiten des Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragen wird, dass die Antragstellerin mitsamt ihrer Familie ausweislich Ziffer 14 des Bescheids lediglich je ein Bett und einen Schrank sowie insgesamt einen Esstisch und vier Stühle in die Unterkunft mitbringen dürfe, was zur Folge habe, dass sie einen Großteil ihrer Besitztümer zurücklassen müsse und Grund hierfür sei, dass der Antragstellerin noch Ende März zugesichert worden sei, dass für sie ein kleines Wohnhaus zur Verfügung stünde, das ausreichend Platz biete, worauf sich die Antragstellerin verlassen und keine Vorsorge für die anderweitige Unterbringung ihrer Besitztümer getroffen habe, kann dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Denn zum einen hatte die Antragstellerin jedenfalls seit dem 14. April 2020 definitiv davon Kenntnis, dass sie und ihre Familie nicht in das zunächst avisierte Haus in W… eingewiesen wird, sondern in die Notunterkunft A* … … …, so dass sie spätestens zu diesem Zeitpunkt – wie auch von Seiten des Bevollmächtigten der Antragstellerin eingeräumt wird – davon Kenntnis hatte, dass eine anderweitige Unterbringung ihrer Besitztümer notwendig werden würde. Ein Zeitraum von knapp über zwei Wochen ist aber vollkommen ausreichend, um den Umzug und die Einlagerung von Möbeln und Hausrat zu organisieren, zumal der Antragstellerin schon seit Monaten klar sein musste, dass ein Umzug aus der ihr gekündigten Wohnung, für die mehrfach (zum 4.12.2019 und zum 3.2.2020) die Räumung seitens des Gerichtsvollziehers angekündigt worden war, notwendig werden wird. Zum anderen ist darauf zu verweisen, dass bei einer Zwangsräumung zwar die Gemeinde – wie hier geschehen – die obdachlosen Personen unterbringen muss, nicht aber deren Besitz. Möbel und andere Gegenstände kann der Obdachlose nur insoweit unterbringen, wie das die Fläche erlaubt, auf die er ohnehin Anspruch hat (Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, S. 141). Es ist dann vielmehr Sache des Obdachlosen und Eigentümers des Hausrats bzw. gegebenenfalls des Gläubigers (also Vermieters), der die Räumung betreibt, für die Unterbringung des Hausrats (mit einen Regressanspruch gegenüber dem Räumungsschuldner) zu sorgen; die Gemeinde ist hier in keiner Weise in der Pflicht (Huttner, Die Unterbringung Obdachloser, Nr. 4.7; Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, S. 141).
2.6. Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung deshalb keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin sie und ihre drei Familienangehörigen in die bisherigen Räume einweist; ihr Antrag nach § 123 VwGO ist deshalb abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 63 Abs. 2 GKG (Auffangstreitwert 5.000,00 EUR, Halbierung im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz).
4. Zugleich waren der mit dem Sofortantrag gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten der Antragstellerin für dieses Verfahren sowie der Prozesskostenhilfeantrag für das Klageverfahren W 5 K 20.591 abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).


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