Medizinrecht

Zu den Voraussetzungen eines Grundurteils im Erstattungsstreit zwischen Leistungsträgern der Sozialhilfe

Aktenzeichen  L 8 SO 312/14

Datum:
20.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54 Abs. 4, Abs. 5, § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 123, § 130 Abs. 1 S. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
BayAGSG BayAGSG Art. 82 Abs. 2
SGB XII SGB XII § 97 Abs. 2, Abs. 4
SGB XI SGB XI § 120
SGB X SGB X § 105
AGSG AGSG Art. 82 Abs. 2
VwGO VwGO § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen eines Grundurteils im Erstattungsstreit zwischen Leistungsträgern der Sozialhilfe.
2. Soweit es um die Feststellung der zukünftigen sachlichen Zuständigkeit für den Leistungsfall geht (Fallübernahme), ist eine Feststellungsklage (§ 55 SGG) zulässig.

Verfahrensgang

S 22 SO 325/13 2014-10-15 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Oktober 2014, S 22 SO 325/13, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den beklagten Bezirk keinen Erstattungsanspruch und keine Anspruch auf Übernahme der Fallbearbeitung in eigener Zuständigkeit.
A.Gegen das Urteil des SG vom 15. Oktober 2014 ist die Berufung zulässig, insbesondere ist der für die Statthaftigkeit bei Erstattungsstreitigkeiten erforderliche Beschwerdewert von 10.000 € überschritten, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG.
Die Berufung ist zulässig und form- und fristgemäß vom Kläger am 19.12.2014 gegen das ihm am 04.12.2014 zugestellte Urteil des SG eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG).
1. Der Senat legt das Klagebegehren dahingehend aus, dass sowohl die Kostenerstattung als auch die gerichtliche Feststellung des sachlich zuständigen Sozialhilfeträgers für den Leistungsfall des Beigeladenen zu 1) begehrt wird (§ 123 SGG). Die im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zur Entscheidung gestellten Rechtsschutzbegehren sind zulässig.
2. Soweit der Kläger erstinstanzlich im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 15.10.2014 abweichend von seinem ursprünglich bezifferten Leistungsantrag und seiner Feststellungsklage bei Klageerhebung am 20.06.2013 ausschließlich einen unbezifferten Leistungsantrag gerichtet auf die Erstattung der ab dem 01.01.2009 für den Beigeladenen zu 1) erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege gestellt hat, hat das SG hierüber im Wege eines Grundurteils nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG entschieden und dieses unter Berufung auf eine Entscheidung des LSG vom 21.02.2013, L 18 SO 85/10 als zulässig angesehen.
Nachdem der Kläger nunmehr im Wege der Klageänderung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 30.11.2016 einen auf 244.013,83 € bezifferten Leistungsantrag und den Antrag auf Übernahme des Hilfefalles in eigener Zuständigkeit stellt, liegt darin eine nach § 99 Abs. 1 SGG zulässige, weil sachdienliche Klageänderung. Der Senat kann an dieser Stelle daher offenlassen, ob er der vom 18. Senat im o.g. Urteil vertretenen Rechtsansicht zur Zulässigkeit eines unbezifferten Leistungsantrages im Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträgern folgt. Anzumerken ist hier aber, dass ein Grundurteil nach § 130 SGG für eine Feststellungsklage bzw. eine Klage auf Übernahme des Falles nicht zulässig ist.
3. Hinsichtlich des nunmehr bezifferten Berufungsantrages handelt sich um eine echte Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 SGG. Diese erfordert keine besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, denn die Beteiligten stehen einander nicht in einem Über-, Unterordnungsverhältnis, sondern in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber (Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 11. Auflage, § 54 Rn. 41).
4. Soweit es um die Feststellung der zukünftigen sachlichen Zuständigkeit für den Leistungsfall geht („Fallübernahme“), ist eine Feststellungsklage (§ 55 SGG) zulässig. Dem steht keine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob in einem Rechtsstreit zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern die Subsidiarität der Feststellungsklage überhaupt greift (verneinend Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O. § 55 Rn. 19 c). Denn jedenfalls in der in diesem Verfahren vorliegenden Konstellation steht dem Kläger eine Gestaltungs- oder Leistungsklage hinsichtlich der künftigen Kosten nach der mündlichen Verhandlung beim Senat als prozessual sinnvolle Alternative nicht zur Verfügung. Ein Feststellungsinteresse des Klägers ist zu bejahen. Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um einen unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu subsumierenden Fall einer Zuständigkeitsklage (dagegen spricht, dass es sich bei den beteiligten Sozialhilfeträgern nicht um Sozialversicherungsträger handelt) oder um einen Anwendungsfall des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, hier: eines Erstattungsrechtsverhältnisses) handelt.
5. Hinsichtlich des nunmehr (wieder) gestellten Feststellungsantrages bedurfte es einer Beiladung des Leistungsberechtigten und der Leistungserbringerin, weil beide ein berechtigtes Interesse (§ 75 Abs. 1 SGG) daran haben, welcher Sozialhilfeträger künftig zuständiger Leistungsträger ist. Hinsichtlich der geltend gemachten Erstattungsforderung bedurfte es hingegen keiner Beiladung des Hilfebedürftigen nach § 75 Abs. 2 1. Alt SGG (sog echte notwendige Beiladung) oder der Leistungserbringerin. Es kann daher dahinstehen, ob die Rechtsprechung zur Erstattung von Leistungen nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (keine Beiladung des Leitungsempfängers, weil die Anspruchsnorm des § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX nur die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen den Sozialhilfeträgern betreffe, vgl. BSG vom 25.4.2013 – B 8 SO 6/12 R – Rn. 10 m.w.N., zuletzt BSG, Urteil vom 23.7.2015 – B 8 SO 7/14 R -, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3 Rn. 9) auf Erstattungsansprüche nach § 105 SGB X zu übertragen ist, oder dies wegen der Wirkung der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X hier anders zu beurteilen ist.
Die Leistungserbringerin war hinsichtlich der Erstattungsforderung nicht beizuladen, weil deren finanzielle Forderungen hinsichtlich der Kosten der ambulanten Pflege des Leistungsberechtigten in der Zeit vom 01.01.2009 bis 30.11.2016 durch den Kläger beglichen wurden und sie somit kein berechtigtes Interesse i.S. § 75 SGG hat, das durch die Entscheidung berührt werden kann. Eine Beiladung des Leistungserbringers ist nach der Rechtsprechung nur im Rechtsstreit zwischen dem Sozialhilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger erforderlich, nicht aber im Erstattungsstreit (Leitherer in Meyer/Ladewig, SGG Kommentar, 11. Auflage, § 75, Rn. 10 k).
B.Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Bezirk. Ungeachtet der Rechtsgrundlage und der rechtzeitigen Anmeldung (siehe dazu unter 1) kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger unzuständiger Leistungsträger ist; vielmehr ist er sachlich (siehe dazu unter 2-4) und örtlich (siehe dazu unter 5,6) zuständiger Sozialhilfeträger – § 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, § 98 Abs. 1 SGB XII i.V.m. Art. 80, 82 BayAGSG.
1. a) Der Kläger hätte seinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten jedenfalls rechtzeitig am 30.07.2008 und am 22.05.2013 geltend gemacht, als er diesen dem Grunde nach angemeldet hat. Nach § 111 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Der Kläger hat hier erstmals ab 01.12.2007 mit Bescheid vom 07.02.2008 Leistungen der ambulanten Pflege nach § 65 Abs. 1 S.2 SGB XII bewilligt und diese vorsorglich bereits am 30.07.2008 beim Beklagten zur Erstattung angemeldet. Am 22.05.2013 hat der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des LSG vom 21.02.2013, L 18 SO 85/10 erneut seinen Erstattungsanspruch angemeldet und um Fallübernahme gebeten. Am 20.06.2013 hat der Kläger dann Klage zum SG erhoben. Selbst mit der späteren zweiten Anmeldung des Erstattungsanspruches vom 22.05.2013 konnte der Beklagte sich nicht auf die Verjährung der für die Zeit ab 01.01.2009 geltend gemachten Leistungen berufen.
b) Es kann unentschieden bleiben, ob der Kläger einen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X oder nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX gegen den beklagten Bezirk geltend macht. Denn sowohl der Wortlaut von § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX verlangt, dass festgestellt wird, dass ein anderer Leistungsträger für die Leistung zuständig ist, wie das auch bei § 105 SGB X der Fall ist. Dort wird verlangt, dass ein unzuständiger Träger Sozialleistungen erbracht hat. (§ 105 Abs. 1 S. 1 SGB X).
Es muss damit nicht entschieden werden (vgl. so auch in ähnlicher Konstellation BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 6/12 R -, Rn. 12, juris), ob der Kläger aufgrund des vom Beklagten an ihn – als zweitangegangenen Trägers – weitergeleiteten Antrages vom 03.12.2007 auf Kostenübernahme für die Leistungen in der Wohngruppe der ambulanten Pflege in A-Stadt (denkbar als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 19 Abs. 3, §§ 53 und 54 Abs. 1 SGB XII iVm § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX) gegenüber dem Leistungsempfänger im Außenverhältnis zuständiger Leistungs- und Rehabilitationsträger (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX i.V.m. § 5 Nr. 4 SGB IX) geworden ist, denn er ist sachlich und örtlich zuständiger Träger und damit nicht Erstattungsberechtigter.
2. Der Kläger ist als örtlicher Sozialhilfeträger sachlich zuständig, weil die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers nicht gegeben ist. Weder wurden Leistungen stationär erbracht (siehe dazu unter 3), noch liegt eine Sonderzuständigkeit des Bezirks für Eingliederungshilfe durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft vor (siehe dazu unter 4).
Der Kläger ist sachlich nach § 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1SGB XII i.V.m. Art. 80, 82 BayAGSG zuständig für die erbrachte Hilfe zur ambulanten Pflege nach § 65 SGB XII.
Gem. § 97 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist dann, wenn das Gesetz keine andere Bestimmung trifft, der örtliche Träger der Sozialhilfe für die Erbringung der Leistungen nach dem SGB XII zuständig; dies ist hier der Kläger. Ein Fall des § 97 Abs. 4 SGB XII (stationäre Leistungen) liegt nicht vor (siehe dazu unter 3).
Nach § 97 Abs. 2 SGB XII ist eine abweichende Festlegung der Zuständigkeit durch Landesrecht möglich. Dabei soll gem. § 97 Abs. 2 Satz 2 SGB XII „soweit wie möglich“ eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für die Leistungen (im Sinne von § 8 Nr. 1 bis 6 SGB XII) geschaffen werden.
Die sachliche Zuständigkeit, d.h. die Abgrenzung zwischen überörtlichem und örtlichem Sozialhilfeträger ergibt sich aus Art. 82 i.V.m. 81 BayAGSG ( in der Fassung des zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze vom 27.12.2007). Nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 BayAGSG sind die überörtlichen Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für (Nr. 1) alle Leistungen der Sozialhilfe nach dem 6. Kapitel SGB XII und (Nr. 2) alle übrigen Leistungen der Sozialhilfe, die in stationären oder teilstationären Einrichtungen gewährt werden. Nach Art. 82 Abs. 2 AGSG gilt § 97 Abs. 4 SGB XII entsprechend, wenn Eingliederungshilfe an Behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen im Sinn des § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen erbracht wird. In diesem Fall ist also der überörtliche Sozialhilfeträger zuständig und zwar für sämtliche Leistungen nach dem SGB XII, die an den Leistungsempfänger erbracht werden.
3. Bei der Versorgung des Beigeladenen zu 1) in der Wohngemeinschaft C. A-Stadt handelt es sich um eine ambulante, und nicht um eine stationäre (oder teilstationäre) Leistung nach § 13 Abs. 1 SGB XII. Der Beklagte war daher nicht nach § 97 Abs. Abs. 2 SGB XII i.V.m. Art. 82 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 1 S. 2 BayAGSG als überörtlicher Träger sachlich zuständig.
a. Von einer vollstationären Einrichtung im Sinne von § 13 SGB XII und damit auch im Sinne von Art. 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayAGSG kann nur dann gesprochen werden, wenn der gesamte Bedarf des Hilfebedürftigen nach § 9 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung in einrichtungsspezifischer Weise befriedigt wird. Eine stationäre Einrichtung übernimmt für den Hilfebedürftigen – von dessen Aufnahme bis zur Entlassung – die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung (vgl Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand November 2014, K § 13 RdNr. 58, 59 mwN). Das BSG betont in ständiger Rechtsprechung, dass es bei der Abgrenzung von stationären zu ambulanten Angeboten für die rechtliche Qualifikation der Leistung ohne Belang ist, ob und wie sich eine Einrichtung bezeichnet und es ebenso wenig von Belang ist, wie die Leistungen in den zwischen Leistungserbringer und den Sozialhilfeträgern abgeschlossenen Vereinbarungen bezeichnet werden (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R -, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rn. 19, 20).
Wesentlich für den Einrichtungsbegriff ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (ständige Rechtsprechung des BVerwGE zuletzt mit Urteil vom 24.Februar1994 – 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; sowie des BSG, BSGE 106, 264 ff Rn. 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr. 2 und Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R -, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rn. 18) und der der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfen oder der Erziehung dient (vgl. § 13 Abs. 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr. 1 Rn. 15).
b. Hier übernahm kein Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Beigeladenen zu 1). Die Intensivwohngruppe der C. A-Stadt bietet betreutes Wohnen in einer familiären und persönlichen Umgebung an. Die professionelle Pflege wird von einem Team aus Intensivfachpersonal und examinierten Pflegefachkräften, die über eine spezielle Fortbildung für außerklinische Heimbeatmung verfügen, geleistet. Sowohl ein Facharzt für Allgemeinmedizin mit langjähriger Erfahrung in der Betreuung von „heimbeatmeten“ Patienten, als auch ein Facharzt (Prof.) für Neurologie stehen zur Verfügung, um eine fachspezifische ambulante ärztliche Versorgung zu gewährleisten. Zudem bestehen Kooperationen mit Physio- und Ergotherapeuthen, sowie Logopäden, die regelmäßig die Bewohner zur Therapie aufsuchen.
Der Betreuer des Beigeladenen zu 1) legte dem Beklagten den Mietvertrag nach § 535 BGB vom 29.11.2007 über teilmöblierte Räume mit dem Vermieter (300 € monatliche Miete), den Servicevertrag vom 29.11.2007 (volle Verpflegung, Wäschewaschen, Reinigung, monatlich 650 €) und den Pflegevertrag vom 01.12.2007 über die Erbringung ambulanter Pflege nach § 120 SGB XI einschließlich eines Kostenvoranschlages über monatlich 4386,50 € abzüglich der Pflegeleistungen der Pflegekasse in Höhe von 1688 € vor; Vertragspartner der beiden letztgenannten Verträge war die Beigeladene zu 2). Nach der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Vereinbarung nach §§ 75 ff SGB XII für den Leistungsbereich des ambulant betreuten Wohnens für pflegebedürftige Menschen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf vom 12.03.2013 beinhaltete die vereinbarte Betreuungspauschale von 650 € monatlich neben Ernährung und Haushaltsführung auch die Betreuung und allgemeine „Pflege“.
Der Mietvertrag wurde mit dem Vermieter geschlossen, es bestand keine Einheit zwischen den drei Verträgen. Nach § 3 des Servicevertrages war der Beigeladene zu 1) in der Wahl der Serviceleisters frei; der Servicevertrag war jederzeit unabhängig vom Mietvertrag kündbar.
Der Vertragspartner (Bewohner) konnte und musste also seine notwendige Pflege und ggf. erforderliche Teilhabeleistungen sowie Betreuung selbst organisieren. Der Pflegevertrag vom 01.12.2007 über die Erbringung ambulanter Pflege nach § 120 SGB XI beinhaltete ausdrücklich Leistungen der ambulanten Pflege i.S.v. § 36 SGB XI (häusliche Pflege). Leistungen der häuslichen Pflege werden zulässigerweise auch dann erbracht, wenn der Pflegebedürftige nicht in seinem eigenen Haushalt gepflegt wird. Dies ist durch Änderung in § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB XI durch das 1. SGB XI-ÄndG vom 14.06.1996 „klargestellt“ worden. Mit dieser Änderung, dass Leistungen bei häuslicher Pflege auch dann möglich sind, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden, sollte ermöglicht werden, dass die häusliche Pflegehilfe auch bei Aufenthalt in einer Altenwohnung oder in einem Wohnheim erbracht werden kann. Dagegen sind Leistungen bei häuslicher Pflege – neben der Situation einer vollstationären Pflege (§ 43 Abs. 1 SGB XI i.V.m. § 71 Abs. 2 SGB XI) – ausgeschlossen, wenn es sich bei der Einrichtung, in welcher der Pflegebedürftige gepflegt wird, um Einrichtungen i.S. des § 71 Abs. 4 SGB XI handelt. Dazu gehören insbesondere Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Kindergärten, Schulen und Internate, Werkstätten und Wohnheime für behinderte Menschen. In diesen Einrichtungen werden zwar im Einzelfall auch Hilfen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens nach § 14 Abs. 4 SGB XI zur Verfügung gestellt; sie dienen jedoch nach ihrer Grundausrichtung regelmäßig einem anderen Zweck als demjenigen der Pflege (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 1. Aufl. 2014, § 36 SGB XI, Rn. 24). Um ein derartiges Institut handelte es sich bei dem Vertragsangebot der Beigeladenen zu 2) nicht. Die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Bewohner sollte, entsprechend dem Konzept bei den Bewohnern selbst bzw. bei ihren rechtlichen Betreuern liegen.
Damit lag keine stationäre Leistung vor.
c. Für das Vorliegen einer ambulanten Leistung spricht auch das Fehlen von Verträgen nach §§ 75 ff SGB XII über stationäre Leistungen und die ambulante Leistungserbringung durch die zuständige Krankenkasse/Pflegekasse (Leistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf).
d. Es lag auch keine teilstationäre Leistung vor. Der Beigeladene zu 1) lebt am Ort der Hilfeerbringung und suchte die Wohngemeinschaft nicht nur für einen Teil des Tages auf. Im Übrigen hat das BSG erhebliche Zweifel daran geäußert, ob ein betreutes Wohnen überhaupt in teilstationärer Form erbracht werden kann (BSG Urteil vom 23.Juli 2015, B 8 SO 7/14 R, Rn. 18 ff.). Diesen Zweifel schließt sich der Senat an.
e. § 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) enthält demgegenüber kein verlässliches Abgrenzungskriterium. Während früher der Anwendungsbereich des HeimG an eine institutionelle Form des Wohnens oder Betreut-Werdens anknüpfte und sich beschränkte auf die herkömmlichen Formen stationärer Pflege, stellt das WBVG dagegen auf eine Verbindung von Verträgen zur Überlassung von Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistungen für ältere sowie pflegebedürftige oder behinderte volljährige Personen ab. Damit erstreckt sich sein Anwendungsbereich auch auf neue Betreuungs- und Wohnformen.
4. Der Beklagte ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe nicht nach Art. 82 Abs. 2 BayAGSG – mit der Folge der Gesamtfallzuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers – sachlich zuständig, weil keine Eingliederungshilfe durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen erbracht wird.
Der Beigeladene zu 1) gehört zwar aufgrund seiner schweren Behinderungen, verbunden mit Schwerstpflegebedürftigkeit, grundsätzlich zu dem von § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII erfassten Personenkreis. Das Zusammenleben in der Intensivwohngruppe der C. A-Stadt ist auch eine Wohngemeinschaft i.S. Art. 82 Abs. 2 BayAGSG, es fehlt aber an dem zusätzlichen Merkmal des Erbringens der Eingliederungshilfe durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft.
a. Der Senat hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 22.November 2016, L 8 SO 221/14 umfassend zum Begriff des ambulant betreuten Wohnens geäußert und schon früher entschieden, dass der Begriff des (betreuten) Wohnens nach Art. 82 Abs. 2 BayAGSG anders auszulegen ist, als der (weitere) Begriff des in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten (betreuten) Wohnens in § 98 Abs. 5 SGB XII (Urteil des Senats vom 21. Januar 2016, L 8 SO 235/14, Rn.57).
In Art. 82 Abs. 2 BayAGSG wird schon dem anderen Wortlaut nach „Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen“ gefordert und Ziel der Vorschrift ist, im Interesse des Leistungsempfängers entsprechend dem Gesamtfallgrundsatz die Leistung aus einer Hand zu erbringen. § 98 SGB XII hat keine Auswirkungen auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit (BT-Drs. 16/2711, S. 11). Ist für die betreute Wohnmöglichkeit (etwa eines behinderten Menschen) der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig, geht eine für die vorherige Hilfeleistung bestehende Zuständigkeit des örtlichen Trägers daher auf ihn über (Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 45. UPD 11/2015, § 98 Örtliche Zuständigkeit, Rn. 74).
Der Wille des Landesgesetzgebers zeigt sich hier insbesondere in der Entstehungsgeschichte, die den Schluss auf eine weit gezogene Auslegung im Sinne des Gesamtfallgrundsatzes erlaubt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens (Änderungsantrag vom 8.12.2007, Drucksache 15/9458 des Bayer. Landtags) sind zuvor vorgesehene einschränkende Tatbestandsmerkmale gestrichen worden. Zuvor hieß es noch im Entwurf zu Art. 82 Abs. 2 AGSG: „wenn Eingliederungshilfe an Behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen im Sinn des § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII durch Betreuung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft oder in vergleichbar intensiv betreutem Einzelwohnen erbracht wird.“ Dann wurden unter Nummer 4 b) der Gesetzesbegründung (Drucksache 15/8865, Gliederungspunkt 1.3, S. 10 vom 4.12.2007 des bayerischen Landtags betreffend Art. 82 Abs. 2 BayAGSG) die Zusätze „therapeutisches bzw. vergleichbar intensives“ bei „in einer betreuten Wohngemeinschaft oder in vergleichbar intensiv betreutem Einzelwohnen erbracht“ gestrichen. Dies bedeutete damals, dass die Bezirke, die zusätzlich zu ihrer Zuständigkeit für die teilstationäre und stationäre auch die Zuständigkeit für die gesamte ambulante Eingliederungshilfe erhalten haben, für die übrigen Leistungen (z.B. Pflege) auch zuständig werden sollten, wenn in der Form einer betreuten Wohngemeinschaft auch Eingliederungshilfe geleistet wurde. Der Rechtsprechung des 18. Senats des Bayer. LSG (Urteil vom 21.2.2013, Az.: L 18 SO 85/10) ist daher beizupflichten. Der 18. Senat sieht den Gesetzeszweck infrage gestellt, wenn es darauf ankäme, in welchem Umfang Leistungen der Eingliederungshilfe, der Hilfe zur Pflege, der sozialen Pflegeversicherung und gegebenenfalls der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, um zu bestimmen, welcher Sozialhilfeträger für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII zuständig ist, zumal der anteilige Bedarf in Folge von Änderungen im Gesundheitszustand des Hilfebedürftigen zeitlich variieren könne. Diesem Gedanken hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Auf die Auslegung durch den Verband der Bezirke kommt es nicht an, wonach der überörtliche Träger nur leisten solle, wenn der Anteil der Eingliederungshilfe in der gesamten Hilfe mehr als unerheblich ist und ein Ausmaß von 2 Stunden erreicht (Ergebnisprotokoll einer Sitzung des Fachausschusses für Soziales des Verbandes der bayerischen Bezirke in Füssen im April 2010). Dabei ist ausgeführt, dass es insbesondere notwendig sei, dass die Eingliederungshilfeleistungen regelmäßig und kontinuierlich erbracht würden, einen Betreuungsschlüssel von mindestens 1 zu 12 bzw. mindestens zwei Fachleistungsstunden direkte Klientenleistung pro Woche umfassten und diese Betreuungsleistungen dem Zweck dienten, die eigenbestimmte Lebensführung durch Unterstützung in der täglichen Lebenswirklichkeit zu verbessern und damit die Fähigkeit im häuslichen nicht stationären Leben zu sichern (Seite 4 des Protokolls).
b. Entgegen der Ansicht des SG handelt es sich bei den Leistungen des Intensivwohnens A-Stadt um eine Betreuung in einer Wohngemeinschaft i.S. Art. 82 Abs. 2 BayAGSG. Auch wenn die Begrifflichkeit in Art. 82 Abs. 2 BayAGSG anders gewählt ist als in § 98 Abs. 5 SGB XII (Formen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten) kann man zur Orientierung die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der bundesrechtlichen Regelung des § 98 Abs. 5 SGB XII heranziehen. So führt auch das BSG mit Urteil vom 25.08.2011 (B 8 SO 7/10 R Rn. 15) an, dass der Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten im Gesetz nicht näher definiert werde, sich allerdings über den Verweis in § 54 Abs. 1 SGB XII an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX zu orientieren habe (BT-Drucks 15/1514, S. 67 zu § 93). Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen hat deshalb in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim betreuten Wohnen ist nicht die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern (nur) die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung. Der Art nach darf es sich bei der Betreuung nicht um eine vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung handeln, sondern Hauptzielrichtung der Leistungen muss die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein.
In dem Intensivwohnen A-Stadt erfolgt eine Betreuung in einer Wohngemeinschaft. Bei den vom C. angebotenen Leistungen handelt es sich um solche des ambulant betreuten Wohnens i.S. einer wohnbezogenen Betreuung. Dies ergibt sich zum einen aus der Leistungsvereinbarung, die der C. mit dem Kläger für den Leistungsbereich des ambulanten Wohnens für pflegebedürftige Menschen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf am 12.03.2013 geschlossen hat. Als Ziel der Leistungen werden eine selbstbestimmte Lebensführung und ein selbstständiges Wohnen beschrieben. Daneben wird die Aktivierung der Leistungsbezieher zu einer angemessenen Tagestruktur als vordergründig beschrieben, um das Ziel der sozialen Integration und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erreichen. Die Leistungen umfassen u.a. den lebenspraktischen, den lebensgestaltenden Bereich und die psychosoziale Betreuung. Anders als das SG meint, hat die behinderungsbedingte, massive Einschränkung des Beigeladenen zu 1) nicht zur Folge, dass dieser nicht mit seinen verbliebenen Restmöglichkeiten ein seinen Fähigkeiten entsprechendes selbstbestimmtes Leben führen kann (vgl. hierzu Rechtsprechung des BSG zu Regelsatzstufe 3 BSG Urteile vom 24.02.2016, B 8 SO 13/14 R, Urteile vom 23.07.2014, B 8 SO 31/12 R, B 8 SO 14/13 R).
Das BSG hält die Vorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII für wenig durchdacht und inkonsistent und regt eine gesetzliche Neuregelung an (BSG Urteil vom 20.04.2016, B 8 SO 8/14 R, Rn. 11). Gleichwohl ist die Vorschrift geltendes Recht und anzuwenden, wobei entscheidend auf das Ziel der Hilfe abzustellen ist, wie das BSG im Urteil vom 30. Juni 2016 – B 8 SO 7/15 R -, Rn. 19, juris erneut betont hat: Es genüge, sei aber auch erforderlich, dass durch die geleistete Hilfe das selbständige Leben und Wohnen ermöglicht werden solle, indem z.B. einer Isolation bzw. Verwahrlosung, einer relevanten psychischen Beeinträchtigung oder einer stationären Unterbringung entgegengewirkt werde, die mit einer Übernahme der Gesamtverantwortung für die gesamte Lebensführung des behinderten Menschen durch eine Einrichtung einhergehe, damit der behinderte Mensch durch den Verbleib in der eigenen Wohnung einen Freiraum für die individuelle Gestaltung seiner Lebensführung erhalte.
Nach dem Konzept der Beigeladenen zu 2) geht es hier um die Unterstützung der selbstständigen Lebensführung. Vergütet werden die Betreuungsleistungen mit einer monatlichen Pauschale von 650 €, die neben Aufwendungen für Ernährung, Haushaltsführung, Hygieneartikel und neben den gesondert abgerechneten Pflegeleistungen, alle mit der Leistungsvereinbarung geschuldeten Betreuungsleistungen mitabdeckt. Nach dem Ziel der Hilfe war hier die Verselbstständigung bzw. der Erhalt der Selbstständigkeit der Lebensführung des schwerstbehinderten Menschen in seinem eigenen Wohn- und Lebensumfeld Ziel der Maßnahme. Eine Form des betreuten Wohnens liegt hier vor, weil dem Beigeladenen zu 1) durch fachlich geschulte Personen in regelmäßiger Form Betreuungsleistungen erbracht werden, die konzeptionell auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Rahmen seiner behinderungsbedingten Einschränkungen gerichtet sind.
c. Der Beklagte hat aber keine Eingliederungshilfe i.S. Art. 82 Abs. 2 BayAGSG „durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen“ für den Beigeladenen zu 1) erbracht, so dass es bei der sachlichen Zuständigkeit des Klägers verblieben ist.
aa. Zwar bewilligte der Beklagte dem Beigeladenen zu 1) anders als in dem vom Senat am 22. November 2016 entschiedenen Fall (L 8 SO 221/14) erstmals mit Bescheid vom 25.09.2009, Leistungen der Eingliederungshilfe (ambulante Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) im Umfang von 1 Stunde täglich (Freizeitgestaltung) für die Zeit ab 01.10.2009. Hintergrund dieser Bewilligung waren Ermittlungen des Klägers, wonach der Beigeladene zu 1) täglich eine Stunde „gemeinsame Beschäftigung“ (Rekapitulieren von vorher Geschehenem, von Spaziergängen, Fotos oder Personen zum Erhalt der kognitiven Fähigkeiten, Spazierfahrt, Sitzen auf Terrasse etc.) von der Beigeladenen zu 2) erhielt. Die Auszahlung und Abrechnung der Eingliederungshilfe erfolgte durch den örtlichen Sozialhilfeträger (den Kläger). Mit Bescheid vom 21.04.2011 bewilligte der Beklagte dem Beigeladenen zu 1) rückwirkend ab 25.11.2009 Mobilitätshilfe im Umfang von 80 € monatlich.
bb. Die dem Beigeladenen zu 1) tatsächlich bewilligten und erbrachten Eingliederungshilfen (Freizeitgestaltung und Mobilitätshilfe) begründen aber nicht die Anwendung der Ausnahmevorschrift von Art. 82 Abs. 2 BayAGSG, weil es sich nicht um eine an einen Behinderten i.S. § 53 Abs. 1, 2 SGB XII erbrachte Eingliederungshilfe „durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen“ handelt.
Insoweit folgt der Senat der Auffassung des SG, wonach Art. 82 Abs. 2 AGSG jedenfalls nicht so ausgelegt werden kann, dass stets dann, wenn irgend eine (beliebige) Leistung der Eingliederungshilfe erbracht wird, unabhängig von den sonstigen Umständen der Betreuung, die „Gesamtfallzuständigkeit“ des überörtlichen Trägers ausgelöst wird.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG anhand des Wortlautes, der Entstehungsgeschichte und des systematischen Regelungszusammenhanges.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der landesrechtlichen Norm setzt die Zuständigkeit (für die Leistungen nach den anderen Kapiteln des SGB XII) voraus, dass Eingliederungshilfe durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen erbracht wird. Es ist sachgerecht, eine (selbst angemietete) Wohnung dann als betreute Wohnmöglichkeit anzusehen, wenn der behinderte Mensch dort Angebote zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erhält, er also dort nicht nur Hilfen bekommt, die gesundheitsbedingte Defizite ausgleichen sollen (Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, Kommentar, 12. Aufl. 2010, § 55 Rn. 21). Darüber hinaus muss die Eingliederungshilfe in Form des betreuten Wohnens auf die Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei der Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn-und Lebensbereich gerichtet sein. Dies ergibt sich aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX, wonach Hilfen „zu selbstbestimmtem Leben“ in betreuten Wohnmöglichkeiten geleistet wird. Die ausschließliche Erbringung von Hilfen am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben genügt dem gegenüber für eine Anwendung von Art. 82 Abs. 2 AGSG nicht.
Der Sinn und Zweck des betreuten Wohnens liegt darin, trotz der behinderungsbedingten Beschränkungen ein möglichst eigenständiges und unabhängiges Leben führen zu können. Da der Beigeladene zu 1) in dem von ihm angemieteten Zimmer keine Angebote der Eingliederungshilfe erhält, welche auf die Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei der Erledigung seiner alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich gerichtet sind, bleibt es bei der sachlichen Zuständigkeit des Klägers als örtlichen Sozialhilfeträger. Die dem Beigeladenen zu 1) bewilligte Eingliederungshilfe war auf eine reine Freizeitgestaltung gerichtet, Gegenstand war die gemeinsame Beschäftigung (Rekapitulieren von vorher Geschehenem, von Spaziergängen, Fotos oder Personen zum Erhalt der kognitiven Fähigkeiten, Spazierfahrt, Sitzen auf Terrasse etc.). Es ging dabei nicht um eine pädagogische Hilfestellung zum Bewältigen eines selbstbestimmten Wohnens, wie dies etwa in den vom Senat bereits am 21.01.2016, L 8 SO 235/14 (betreutes Wohnen einer Studentin) oder am 20.12.2016 unter dem Az. L 8 SO 119/15 (betreutes Einzelwohnen mit Budget) entschiedenen Fällen stattfand. Dort sicherten die Eingliederungshilfemaßnahmen konkret das selbstständige und selbstbestimmte Wohnen durch qualifiziertes, sonderpädagogisches Fachpersonal.
Auch die dem Beigeladenen zu 1) vom Beklagten seit 25.11.2009 gewährte Mobilitätshilfe dient nicht der Unterstützung des selbstständigen Lebens.
Der Senat hält die Auslegung des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG, wonach nur Eingliederungshilfemaßnahmen i.S. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX das Merkmal „durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft“ erfüllen, nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG (Allzuständigkeit des überörtlichen Trägers, Leistungen aus einer Hand) für zutreffend. Der Landesgesetzgeber hat die bloße Erbringung von Eingliederungshilfen nach dem eindeutigen Wortlaut nicht ausreichen lassen. Auch legt die sprachliche Gestaltung „durch Betreuung in einer Wohngemeinschaft“ anstelle von „in einer Wohngemeinschaft“ eine Verknüpfung der gewährten Eingliederungshilfe mit dem betreuten Wohnen zwingend nahe. Nach dem Sinn und Zweck der Norm sollen bei bestimmten Leistungsformen („Betreutes Wohnen“) die Leistungen nach den unterschiedlichen Kapiteln des SGB XII von einem überörtlichen Träger erbracht werden. Nachdem Art. 82 Abs. 2 BayAGSG eine Ausnahmevorschrift zu Art. 81, 82 Abs. 1 BayAGSG ist, hat an dieser Stelle eine einschränkende Auslegung zu erfolgen.
Für eine einschränkende Auslegung spricht auch der Gesetzentwurf der Staatsregierung Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze vom 10.09.2007 (LT-Drucksache 15/8865 S. 2). Dort wird ausgeführt, dass die Staatsregierung an ihrem Ziel festhält, auch die Zuständigkeit für die stationären und ambulanten Angebote der Hilfe zur Pflege zusammenzuführen. Dies soll jedoch erst in einem weiteren Schritt erfolgen. Nachdem die Bezirke über Art. 82 Abs. 1 Nr. 2 BayAGSG die sachliche Zuständigkeit für die Leistungen in stationären und teilstationären Einrichtungen haben, wäre eine weite Auslegung des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG, wonach jede Form der Eingliederungshilfe ausreichte, eine (ungewollte) Vorwegnahme des für die Zukunft anvisierten Zusammenlegungsziels bei den Hilfen zur Pflege.
Zudem sollte mit der Neuregelung des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG eine Förderung des ambulanten Sektors erzielt werden (Landtags-DS aaO S. 10). Auch dies spricht für eine restriktive Auslegung, denn nur diese ermöglicht, dass die örtlichen Träger, die wohnortnah das Angebots- und Leistungsspektrum in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich steuern, bei der ambulanten Pflege weitgehenden Gestaltungsfreiraum erhalten und behalten. Schließlich spricht auch die Geschichte der Gesetzesänderung (historische Auslegung) gegen eine Anwendung der Vorschrift bei jeglicher Art der Eingliederungshilfe. Durch den Änderungsantrag vom 04.12.2007 (Drucksache 15/9458) sind frühere, zusätzliche Beschreibungen der Intensität („therapeutische“ Wohngemeinschaft oder „vergleichbar Intensiv betreutes“ Einzelwohnen) weggefallen. Diese Hilfen sollen auch den Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung zugute kommen. Dies besagt der Änderungsantrag vom 4.12.2007 (Drucksache 15/9458). Gleichzeitig wird aber ausgeführt, dass damit keine substantielle Ausdehnung der umfassenden Sonderzuständigkeit verbunden sei. Es wird also erkannt, dass die Rechtsfolge zu einer umfassenden Sonderzuständigkeit führt (alle weiteren Hilfen der Sozialhilfe). Eine „substantielle Ausdehnung“ sollte aber nicht erfolgen. Das bedeutet, dass die Tatbestandsvoraussetzungen eng begrenzt bleiben sollten im Sinne einer Sonderform der Betreuung.
Die vom Beklagten gewährte Eingliederungshilfe (Freizeitgestaltung und Mobilitätshilfe) steht nicht mit den Leistungen zur Betreuung in einer Wohngemeinschaft im Zusammenhang. Es handelt sich nach dem Inhalt der Leistung (eine Stunde täglich gemeinsame Beschäftigung” (Rekapitulieren von vorher Geschehenem, von Spaziergängen, Fotos oder Personen zum Erhalt der kognitiven Fähigkeiten, Spazierfahrt, Sitzen auf Terrasse etc.) um Teilhabeleistungen nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII, § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX als Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Demgegenüber sind Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX nicht erforderlich i.S. von unerlässlich, wenn der behinderte Mensch zwar in diverser Hinsicht bei seiner Lebensführung der Hilfe bedarf, dieser Hilfebedarf jedoch nicht mit der von ihm gewählten Wohnform im Zusammenhang steht oder sich nicht auf die Aufrechterhaltung einer selbstbestimmten Wohnform bezieht.
d. Das zu Art. 82 Abs. 2 BayAGSG gefundene Auslegungsergebnis steht auch in Übereinstimmung mit der hier nicht entscheidungsrelevanten Abgrenzung zwischen den Leistungen der Hilfen zur Pflege und den Eingliederungshilfen. Der Senat teilt die Auffassung des SG in seinem Urteil vom 20. Mai 2016, S 22 SO 186/15 (anhängig unter L 8 SO 155/16), wonach diejenigen teilhaberelevanten Leistungen, die in den §§ 45 b, 124 SGB XII erfasst und vom Gesetzgeber ausdrücklich der Pflege zugewiesen sind, nicht zur Eingliederungshilfe gehören und für die Eingliederungshilfe dagegen Leistungen und Angebote in Frage kommen, die über den in §§ 45b, 124 SGB XI umschriebenen Leistungskatalog hinausgehen. Auch verbietet es sich, die in den Leistungen der zusätzlichen (§ 45b SGB XI) und häuslichen Betreuung (§ 124 SGB XI) zweifellos enthalten teilhabebezogenen Aspekte isoliert zu betrachten und allein deshalb unter Bezugnahme auf Art. 82 AGSG die Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers zu reklamieren. Nur ergänzend merkt der Senat an, dass der Kläger als örtlicher Sozialhilfeträger mit dem Beigeladenen zu 2) eine Vereinbarung nach §§ 75 ff SGB XII über Leistungen des ambulant betreuten Wohnens unter Bezugnahme auf § 61 SGB XII geschlossen hat und in § 9 der Vereinbarung vom 12.03.2013 das Abrechnungsverfahren geregelt hat. Daraus ergibt sich, dass die Vertragsparteien (der Kläger und die Beigeladene zu 2)) übereinstimmend davon ausgehen, dass die in dem Vertrag geregelten direkten, mittelbaren und indirekten Leistungen (vgl. § 6 Umfang der Leistungen) alle unter die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und unter den Begriff der Hilfen zu Pflege fallen. Damit spricht hier vieles dafür, dass die Rund – um – die – Uhr- Betreuung und Versorgung des Beigeladenen zu 1) vertraglich und auch faktisch unter dem erweiterten Leistungskatalog der Hilfen zur ambulanten Pflege erfolgt, für die der Kläger sachlich und örtlich zuständig ist.
5. Der Kläger ist auch örtlich zuständiger (örtlicher) Sozialhilfeträger für die Leistungen der Hilfe zur ambulanten Pflege, die er beginnend mit dem 01.12.2007 und dem erstmaligen Bewilligungsbescheid vom 07.02.2008 dem Beigeladenen zu 1) als Leistungen der ambulanten Pflege nach § 65 Abs. 1 S.2 SGB XII gewährt hat. Der Beigeladene zu 1) hält sich tatsächlich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers auf (§ 98 Abs. 1 SGB XII), so dass sich dessen örtliche Zuständigkeit ergibt. Eine abweichende örtliche Zuständigkeit nach § 98 Abs. 5 SGB XII kommt nicht in Betracht.
6. Ebenso wenig kommt eine örtliche Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 SGB XII in Betracht, weil es sich bei der Unterbringung in der Wohngemeinschaft in A-Stadt nicht um eine stationäre Leistung handelt (vgl. oben unter 3).
Nachdem der Kläger sachlich und örtlich originär zuständiger Träger für die Leistungen der ambulanten Pflege des Beigeladenen zu 1) ist, steht ihm kein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zu.
Das Urteil des SG erging zu Recht. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
C.Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Der Kläger hat die gesamten Kosten zu tragen. Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat;
§ 155 Abs. 3 VwGO. Eine Befreiung von den Gerichtskosten (§ 2 Gerichtskostengesetz) besteht nicht (§ 64 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB X).
D.Die Revision wird nicht zugelassen. Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Streitentscheidend ist die landesrechtliche Norm des Art. 82 Abs. 2 BayAGSG, die nicht revisionsrechtlich zu überprüfen ist (§ 162 SGG).


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