Medizinrecht

Zum Verbot von Gruppentraining und Spielstunden in Hundeschulen

Aktenzeichen  20 NE 20.2866

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1833
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGo § 47 Abs. 6
11. BayIfSMV § 20 Abs. 2
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 16, § 32 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenzform – hier der Betrieb einer Hundeschule – ist zur Erreichung der Ziele des Schutzkonzepts der 11. BayIfSMV geeignet und erforderlich. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass der bayerische Verordnungsgeber das ihm durch §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 16, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeräumte Ermessen in einer von den Regelungen anderer Länder abweichenden Weise ausüben kann, liegt in der Natur einer vom Bundesgesetzgeber ausdrücklich auf die Länder delegierten Normsetzungskompetenz. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Antragstellerin betreibt eine Hundeschule in Bayern. Mit ihrem Eilantrag begehrt sie die vorläufige Außervollzugsetzung von § 20 Abs. 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737) in der Fassung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75), soweit die Vorschrift Hundeschulen betrifft.
2. Zur Begründung ihres Eilantrags trägt die Antragstellerin vor, das Verbot von Gruppentraining und Spielstunden in Hundeschulen sei durch das Infektionsgeschehen nicht gerechtfertigt und greife massiv in das Grundrecht der Antragstellerin auf freie Berufsausübung ein. Es sei zudem fraglich, ob Hundeschulen als außerschulische Bildungsangebote zu verstehen seien, da es in erster Linie nicht um die Ausbildung der Hundebesitzer, sondern um die der Hunde gehe. Andere Bundesländer wie Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hessen ließen den Betrieb von Hundeschulen unter Beachtung von Hygieneauflagen weiterhin zu, was zu einer Wettbewerbsverzerrung führe. Die Antragstellerin haben einen hervorragenden Hygieneplan erarbeitet; zudem finde das Hundetraining ausschließlich unter freiem Himmel statt.
3. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 20 Abs. 1 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (a) bei summarischer Prüfung bereits keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (b).
a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
b) Nach diesen Maßstäben ist der Eilantrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmung abzulehnen, weil der in der Hauptsache gestellter Normenkontrollantrag (20 N 20.2947) bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Die von der Antragstellerin angegriffene Bestimmung des § 20 Abs. 1 11. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 16, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG im Einklang und erweist sich im Rahmen einer summarischen Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig.
(1) Mit der 11. BayIfSMV wurde ab 16. Dezember 2020 das öffentliche Leben in Bayern insgesamt stark eingeschränkt. Nachdem noch unter Geltung der 10. BayIfSMV vom 8. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 711) nur freizeitbezogene Aktivitäten weitgehend untersagt waren, sind mit der 11. BayIfSMV u.a. Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sowie der Einzelhandel ganz überwiegend geschlossen, die Erbringung von Dienstleistungen nur noch eingeschränkt möglich und private Kontakte, insbesondere seit Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV (BayMBI. 2021 Nr. 5), stark beschränkt. Die Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenzform nach § 20 Abs. 1 11. BayIfSMV ist ein Baustein dieses Gesamtkonzepts, mit dem soziale Kontakte reduziert und Infektionsketten verhindert bzw. durchbrochen werden sollen. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, besteht das Risiko einer Ansteckung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren SARS-CoV-2-Virus voraussichtlich nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (BT-Drs. 19/23944 S. 31).
In der derzeitigen pandemischen Situation mit einem weiterhin starken diffusen Infektionsgeschehen begegnet die Entscheidung des Verordnungsgebers, außerschulische Bildungsangebote in Präsenzform zu untersagen, damit (auch) in diesem Bereich physische Kontakte unterbunden werden, keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. zur alten Rechtslage BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – BeckRS 2020, 29302 Rn. 21; vgl. auch die Begründungen zur 11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 738) sowie zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 8. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 6). Auf die Frage, ob es beim Betrieb von Hundeschulen bislang zu nachweislichen Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus gekommen ist, kommt es nach derzeitiger Rechtslage daher ebenso wenig an wie auf die Eignung möglicher – auch von der Antragstellerin vorgetragener – Hygienekonzepte.
(2) Die Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenzform ist zur Erreichung der Ziele des Schutzkonzepts der 11. BayIfSMV geeignet und erforderlich. Bei summarischer Beurteilung zeigt sich kein gleich wirksames, die Normbetroffenen weniger belastendes (milderes) Mittel. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Infektionen beitragen. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie, die nach wie vor von einem starken, diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist, ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass vordringlich auf Einhaltung von Abstand und Hygiene ausgerichtete Maßnahmen nicht mehr genügen, sondern dass Kontakte innerhalb der Bevölkerung soweit wie möglich unterbunden werden müssen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 6, S. 3), vom Gericht voraussichtlich nicht zu beanstanden.
(3) Auch gegen die Angemessenheit der Untersagung außerschulischer Bildungsangebote in Präsenzform bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass dies faktisch zu einer weitgehenden Schließung jedenfalls solcher außerschulischer Bildungseinrichtungen führt, die ihr Unterrichtsangebot nur in Präsenzform anbieten können und bei diesen schwerwiegende wirtschaftliche Einbußen verursacht. Angesichts des weiterhin angespannten Infektionsgeschehens und der aktuellen Gefährdungslage (vgl. Robert-Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19, Stand 3. Februar 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Inf-AZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) stehen diese wirtschaftlichen Folgen aber nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe.
(4) Aus der Tatsache, dass Hundeschulen in anderen Bundesländern unter Hygieneauflagen weiterhin zugelassen sind, kann die Antragstellerin keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten; ein solcher könnte sich nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt richten (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – BVerfGE 76,1 – juris Rn. 151; BVerwG, B.v. 26.1.2016 – 2 B 17.15 – Buchholz 239.1 § 38 BeamtVG Nr. 4 – juris Rn. 13). Dass der bayerische Verordnungsgeber das ihm durch §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 16, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeräumte Ermessen in einer von den Regelungen anderer Länder abweichenden Weise ausüben kann, liegt in der Natur einer vom Bundesgesetzgeber ausdrücklich auf die Länder delegierten Normsetzungskompetenz.
2. Sollte das Vorbringen der Antragstellerin – entgegen ihrem ausdrücklichen Rechtsschutzziel – so aufzufassen sein, dass sie bestreitet, überhaupt in den Regelungsbereich der angegriffenen Norm zu fallen, wäre ein solches einstweiliges Feststellungsbegehren ausschließlich im Verfahren nach § 123 VwGO zu verfolgen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; eine Reduzierung des Streitwerts auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 ist vorliegend nicht angebracht, da der Eilantrag im Hinblick auf den befristeten Geltungszeitraum (bis 14. Februar 2021, vgl. § 29 11. BayIfSMV) der angegriffenen Bestimmung auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet war.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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