Miet- und Wohnungseigentumsrecht

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Aktenzeichen  S 37 AS 745/21 ER

Datum:
8.6.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21547
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begeht vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01.06.2021 sowie die Gewährung von einer Mietkaution in Höhe von 3.030 Euro.
Die Antragstellerin (nachfolgend „ASt“ genannt) bezieht seit geraumer Zeit Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und wohnte zuletzt mehrere Jahre in einer 34 Quadratmeter großen Ein-Zimmer Wohnung im Stadtgebiet M. Die monatliche Grundmiete betrug zuletzt 443,22 Euro, die Vorauszahlungen für Heizung und Nebenkosten betrugen 125 Euro pro Monat, mithin betrug die Bruttowarmmiete 568,22 Euro. Seit ca. 9 Jahren wohnte zudem Herr K. in derselben Wohnung. Nach Angaben der ASt handele es sich bei ihr und Herrn K. nicht um eine Einstandsgemeinschaft, sie seien lediglich freundschaftlich verbunden. Die ASt habe Herrn K. als Untermieter bei sich aufgenommen, als dieser aus der JVA entlassen wurde, da er sonst obdachlos geworden sei. Herr K. bezieht Leistungen nach dem SGB XII, die Untermiete von Herrn K in Höhe von 200 Euro pro Monat (bruttowarm) wurde vom Antragsgegner (nachfolgend „ASg“ genannt) bei der Berechnung der Kosten der Unterkunft der ASt abgezogen.
Am 11.01.2021 teilte die ASt dem ASg mit, dass sie in eine neue Wohnung umziehen möchte und bat um „Bewilligung“ der neuen Wohnung. Die neue Wohnung befindet sich im selben Wohnhaus und wird vom selben Vermieter vermietet wie die bisher bewohnte Wohnung. Bei der neuen Wohnung handelt es sich um eine 55 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung. Die ASt würde gemeinsam mit Herrn K. als Untermieter in die neue Wohnung einziehen. Die Nettokaltmiete beträgt 845 Euro, die Nebenkostenvorauszahlung (warme und kalte Nebenkosten) beträgt 165 Euro, der Mietvertrag sieht eine Mietkaution in Höhe von 3.030 Euro vor Die ASt übersendete zudem einen Entwurf eines Untermietvertrags zwischen ihr und Herrn K, welcher einen Untermietzins in Höhe von 385 Euro pro Monat zzgl. Nebenkosten (warm und kalt) in Höhe von 75 Euro pro Monat vorsah. Die ASt trug dem ASg vor, dass sie seit mehr als sechs Jahren eine bezahlbare Unterkunft suche und dies in M fast unmöglich sei als ALG II-Bezieher. Sie wohne mit Herrn K. nunmehr seit 9 Jahren beengt auf 32 qm, seit einer missglückten Heizungssanierung 2017 sei die Wohnung stark renovierungsbedürftig. Die ASt sei schwer Asthmakrank und ein eigenes Zimmer sei daher unerlässlich. Der Mietvertrag beginne am 01.02.2021, die ASt müsste der Hausverwaltung eine Zusage bis zum Ende der Woche geben.
Mit Bescheid vom 27.01.2021 lehnte der ASg die Übernahme der Kosten der neuen Wohnung sowie die Übernahme der Mietkaution und weiterer Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten ab. Die Zustimmung zum Umzug sei zu erteilen, wenn der Umzug erforderlich sei und die Kosten der neuen Unterkunft angemessen seien, § 22 Abs. 4 SGB II. Vorliegend sei der Umzug nicht erforderlich, da die aktuelle Wohnung aus zwei Zimmern bestehe und die ASt ihrem Untermieter kündigen könne. Es stelle sich die Frage, ob zwischen der ASt und Herrn K. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe und Herr K. in die Bedarfsgemeinschaft aufzunehmen sei. Die Kosten der neuen Unterkunft liege über der Mietobergrenze (681 Euro für einen Ein-Personen Haushalt) und sei daher nicht angemessen. Auch nach Abzug der Untermieteinnahmen von Herrn K. iHv 460 Euro verbliebe eine Bruttokaltmiete von 715 Euro. Die Mietobergrenze sei auch in diesem Fall überschritten.
Ebenso am 27.01.2021 unterzeichnete die ASt einen Mietvertrag über die neue Wohnung.
Mit Schreiben vom 02.02.2021 legte die ASt gegen den Bescheid vom 27.01.2021 Widerspruch ein. Die aktuelle Wohnung sei eine 1-Zimmer Wohnung, keine 2-Zimmer-Wohnung. Die Kaltmiete der neuen Wohnung betrage entgegen des Ablehnungsbescheids nicht 1.010 Euro, sondern 845 Euro. Bei dem Betrag vom 1.010 Euro handele es sich um die Bruttowarmmiete. Bei Anrechnung des Untermietzinses von Herrn K. betrage der Anteil der ASt an der Bruttowarmmiete 550 Euro, was angemessen sei.
Mit Änderungsbescheid vom 23.02.2021 bewilligte der ASg unter Aufhebung der Bescheide vom 25.03.2020 und 23.11.2020 höhere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum 01.10.2020 bis 30.04.2021 entsprechend der Erhöhung der Grundmiete der vorherigen Wohnung der ASt um 51,18 Euro. Bewilligt wurden nunmehr 243,22 Euro Grundmiete (Grundmiete in Höhe von 443,22 Euro abzüglich Untermietzins des Herrn K. iHv 200 Euro), 32,98 Euro Heizkosten und 92,02 Euro Nebenkosten, insgesamt mithin KdU in Höhe von 368,22 Euro pro Monat.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2021 half der ASg dem Widerspruch der ASt für den Bewilligungszeitraum bis 30.04.2021 nicht ab. Nach § 22 Abs. 4 SGB II solle der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Mietvertrags über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger sei zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen seien. Für Ein-Personen Haushalte gelte in M derzeit eine Mietobergrenze iHv 681 Euro Bruttokaltmiete. Die KdU für die neue Wohnung seien daher unangemessen. Sind die Aufwendungen für die neue Wohnung unangemessen, so bestehe keine Verpflichtung des kommunalen Trägers zur Erteilung der Zusicherung.
Gem. § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II könnten Wohnungsbeschaffungskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. In diesem Fall sei zudem auch die Erforderlichkeit des Umzugs Voraussetzung für die Zusicherung auf Anerkennung von Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten. Der Umzug sei jedoch nicht erforderlich gewesen. Ein ggf. bestehender Renovierungsbedarf rechtfertige keinen Umzug, die ASt habe sich insoweit mit dem Vermieter in Verbindung zu setzen.
Am 07.04.2021 beantragte die ASt die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum 01.05.2021 bis 31.10.2021.
Mit Bescheid vom 21.04.2021 bewilligte der ASg für den Zeitraum vom 01.05.2021 bis 31.10.2021 u.a. KdU iHv 131,90 pro Monat. Anerkannt wurde nur die Bruttokaltmiete der alten Wohnung (535,05 Euro), da der Umzug in die neue Wohnung abgelehnt worden sei. Von der Bruttokaltmiete wurde die Untermiete von Herrn K. iHv 460 Euro abgezogen. Die Betriebskostenpauschale werde rechnerisch entsprechend der Raumgröße auf Nebenkosten und Heizkosten aufgeteilt, die sich daraus ergebenden Heiz- und Warmkosten iHv 56,65 Euro pro Monat wurden in tatsächlicher Höhe bewilligt.
Ebenso mit Schreiben vom 21.04.2021 erfolgte eine Anhörung zu Überzahlungen in der Vergangenheit. Die Bewilligung von KdU für den Zeitraum 01.02.2021 bis 30.04.2021 sei insoweit aufzuheben, als die ab Februar geschultete Untermiete des Herrn K. iHv 460 Euro auf die bewilligte KdU der ASt. anzurechnen sei. Der ASt wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 08.05.2021 eingeräumt.
Der Prozessbevollmächtigte der ASt teilte im Schriftsatz vom 25.05.2021 mit, dass Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.04.2021 betreffend den Zeitraum 01.05.2021 bis 31.10.2021 eingelegt worden sei.
Mit Schreiben vom 06.05.2021 (Eingang beim Sozialgericht München: 10.05.2021) stellte die ASt einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
Der Prozessbevollmächtigte der ASt beantragte schriftsätzlich:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, ab dem 01.06.2021 den Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 550 € vorläufig auszubezahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Mietkaution in Höhe von 3.030 € vorläufig auszubezahlen.
3. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin.
Der ASg beantragt schriftsätzlich,
den Antrag abzulehnen.
Der Proessbevollmächtigte der Ast. trägt zur Begründung vor, dass hinsichtlich des Anordnungsgrundes eine Kündigung oder eine Androhung einer Kündigung des Wohnungsvermieters gerade nicht vorliegen müsse. Um eine drohende Wohnungslosigkeit anzunehmen, sei bereits eine Kündigungslage nach § 543 Abs. 2 BGB ausreichend (BayLSG, Beschluss v. 19.03.2013, Az. L 16 AS 61/13 B ER). Nach der Rechtsprechung des BVerfG würde man die Anforderungen an den Anordnungsgrund überspannen, wenn eine drohende Wohnungs- oder Obdachlosigkeit zeitlich erst dann angenommen werde, wenn das Mietverhältnis bereits gekündigt oder eine Räumungsklage erhoben worden sei (BVerfG, Beschluss v. 01.08.2017, Az. 1 BvR 1910/12). Ein offensichtlich bestehender Leistungsanspruch sei zuzusprechen, selbst wenn diesbezüglich keine Eilbedürftigkeit vorliege.
Die ASt habe Anspruch auf die Mietkaution gem. § 22 Abs. 6 SGB II. Sie habe auch Anspruch auf die tatsächlichen Aufwendungen gem. § 22 Abs. 1 SGB II. Die neuen Unterkunftskosten seien angemessen. Abzüglich des Untermietzinses von Herrn K. belaufe sich der Bruttowarmmietanteil der ASt auf insg. 550 Euro pro Monat. Damit überschreiten die tatsächlichen Unterkunftskosten nicht die gültige Mietobergrenze für eine Person. Auf eine Aufteilung der Nebenkosten in kalte Nebenkosten sowie Kosten für Heizung und Warmwasser komme es für das vorliegende Verfahren nicht an. Vor diesem Hintergrund hätte der Umzug genehmigt werden müssen bzw. die Aufwendungen für die neue Unterkunft hätten zugesichert werden müssen. Die „Einnahmen“ aus der Untervermietung würden direkt den Unterkunftsbedarf der ASt mindern, so dass die Unterkunftskosten der neuen Wohnung niemals über der relevanten Angemessenheitsgrenze gelegen haben. Die Untervermietung sei eine klassische Form, im Falle von unangemessen hohen Unterkunftskosten die Kosten zu senken. Sofern der unwahrscheinliche Fall eintreten solle, das die langjährige Wohngemeinschaft aufgelöst werde, könne der ASg ein Kostensenkungsverfahren einleiten.
Der Umzug sei auch erforderlich gewesen, da die zweiköpfige Wohngemeinschaft zuvor auf viel zu beengtem Raum in einem 1-Zimmer-Appartment auf lediglich 32 qm leben musste, nach jahrelanger Suche stehe den beiden Bewohnern nun eine 2-Zimmer-Wohnung mit 55 qm zur Verfügung. Auch ein SGB II – Leistungsbezieher dürfe frei über sein Leben entscheiden, insbesondere, ob er alleine leben oder gemeinsam als Wohngemeinschaft umziehen möchte.
Gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II sei § 22 Abs. 1 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für einen Zeitraum von sechs Monaten als angemessen gelten.
Der derzeit anerkannte KdU-Bedarf in Höhe von 131,90 Euro liege weit unter dem vor dem Umzug anerkannten Bedarf.
Der ASg trägt vor, dass die ASt ausweislich ihrer eigenen Angaben nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn K. lebe. Die Bruttokaltmiete für eine 1-Personen-Bedarfsgemeinschaft betrage 681 Euro. Die von der ASt neu angemietete Wohnung liege damit über der derzeit gültigen Mietobergrenze. Allein diese Grenze sei maßgeblich für die Beurteilung, ob einem Umzug zugestimmt werden könne. Nicht relevant sei, ob die Wohnung durch teilweise Untervermietung finanziert werden könne. Das Untermietverhältnis könne aus den verschiedensten Gründen seine Beendigung finden, dann schulde die Antragstellerin weiterhin die vollen (unangemessenen) Mietkosten. Die ASt könne selbstverständlich ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten, sie könne jedoch dessen Finanzierung nicht „ohne Wenn und Aber“ vollständig auf den ASg übertragen.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des ASg.
II.
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist abzulehnen.
Mit ihrem Antrag begehrt die ASt die Übernahme der Kosten der Unterkunft sowie „Ausbezahlung“ der Mietkaution. Nachdem sie damit jeweils eine Erweiterung ihrer bisherigen Rechtsposition anstrebt, ist jeweils ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber -entgegen des Vortrags des Prozessbevollmächtigten der ASt – nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER). Ist die Sache ersichtlich nicht eilbedürftig, dürfte eine einstweilige Anordnung selbst dann nicht erlassen werden, wenn mit absoluter Sicherheit feststünde, dass der geltend gemachte materielle Anspruch bestünde (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 399 ff., Stand: 22.01.2021; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B).
a) Kosten der Unterkunft und Heizung
Vorliegend kann dahinstehen, ob hinsichtlich des Antrags auf vorläufige Bezahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 550 Euro ab 01.06.2021 ein Anordnungsanspruch besteht.
Nur ergänzend soll Folgendes erwähnt werden: Hinsichtlich des Bestehens eines Anordnungsanspruchs ist insbesondere die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu beachten, welche bei einem nicht erforderlichen Umzug (vgl. hierzu Ausführungen unten) eine individuelle Angemessenheitsgrenze schafft. Sinn und Zweck der Regelung ist, ein Ausschöpfen der jeweiligen vom kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenze zu vermeiden. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist vorliegend anwendbar. Die Angemessenheitsfiktion des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II greift nach dessen Sinn und Zweck vorliegend nicht, da § 67 SGB II für sog. Neufälle geschaffen wurde. Sinn und Zweck des Sozialschutz-Pakets ist es, Hilfebedürftigen, die wegen der Corona-Pandemie erstmalig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, unbürokratisch weiterzuhelfen. Die von den Auswirkungen der Pandemie Betroffenen sollen sich nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen. (BT-Drs. 19/18107, S. 25). Nach summarischer Prüfung geht der ASg daher richtigerweise davon aus, dass gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur der bisherige Bedarf anzuerkennen ist. Fraglich ist, welcher Betrag als „bisheriger Bedarf“ im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II heranzuziehen ist. Der ASg. scheint die vertraglich geschuldete Bruttokaltmiete der bisherigen Wohnung als bisherigen Bedarf anzuerkennen. Nach Auffassung der Kammer sprechen gewichtige Gründe dafür, dass lediglich die Bruttokaltmiete der bisherigen Wohnung abzüglich des damals erhaltenen Untermietzinses des Herrn K. als bisheriger Bedarf anzuerkennen ist, da dies der tatsächliche Bedarf der ASt. war und eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck der Regelung (Vermeidung von Kostensteigerungen durch nicht erforderliche Umzüge) wohl eher gerecht wird. Fraglich ist zudem, ob nunmehr in einem zweiten Schritt der aktuelle Untermietzins des Herrn K. (460 Euro bruttowarm) von dem bisherigen Bedarf der ASg als bedarfssenkender Posten abzuziehen ist, wie es der ASg im Bescheid vom 21.04.2021 vorgenommen hat, oder ob der Untermietzins des Herrn K. richtigerweise vom neuen tatsächlich anfallenden Bedarf der ASt. abzuziehen ist, der Untermietzins somit den tatsächlichen Bedarf der ASt. um 460 Euro mindert. (Wobei der dann verbleibende tatsächliche Bedarf aber nach obigen Ausführungen nicht gänzlich als Bedarf anzuerkennen, sondern gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu deckeln ist.) Da § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht als Sanktion gemeint ist, sondern lediglich eine Deckelung der Kosten bezweckt, sprechen wohl die gewichtigeren Gründe für letztere Auffassung. Auf die Beantwortung dieser Rechtsfragen, ebenso wie die Prüfung weiterer offener Fragen wie z.B. das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft zwischen der ASt. und Herrn K., kommt es im vorliegenden Eilverfahren nicht an, so dass die Kammer hierzu keine abschließende Entscheidung trifft.
Entscheidend ist indes, dass jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller darlegen, dass eine dringende gegenwärtige Notlage dergestalt besteht, die eine sofortige Entscheidung des Gerichts zur Abwendung wesentlicher, später nicht mehr rückgängig zu machender Nachteile erfordert. Hierbei darf die Beurteilung des Anordnungsgrundes nicht schematisch erfolgen, es ist vielmehr zu prüfen, ob ein wesentlicher Nachteil i.S.d § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG im konkreten Einzelfall vorliegt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 01. August 2017 – 1 BvR 1910/12). Auch wenn mit o.g. Beschluss des BVerfG ggf. nicht allein auf die Erhebung der Räumungsklage abzustellen ist, so muss zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für eine Verpflichtung des ASg hinsichtlich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung jedenfalls eine baldige Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit drohen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. November 2015 – L 2 AS 1821/15 B ER). Ob eine derartige Gefahr frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage anzunehmen ist oder bereits generell eine (drohende) Kündigung des Vermieters ausreichend ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn die ASt trägt nicht einmal eine konkrete Drohung des Vermieters mit einer Kündigung der Wohnung vor. Aus dem bloßen Umstand, dass die ASt aktuell nicht über bedarfsdeckende Mittel zur Bezahlung ihrer Miete verfügt, folgt nicht zwingend und nicht unmittelbar eine Wohnungs- oder Obdachlosigkeit. Mietrückstände allein begründen noch keine unmittelbare Gefährdung des Grundrechts aus Art.13 Grundgesetz (GG). Diese Gefährdung ist nicht bereits gegeben, wenn die privatrechtliche Verpflichtung zur Mietzahlung nicht mehr erfüllt werden kann (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 22, Stand: 09.04.2020, Rn. 303). Sie tritt frühestens ein, wenn auch der Verlust der Wohnung unmittelbar droht (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. November 2015 – L 2 AS 1821/15 B ER, Beschluss Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 05.11.2015 – L 2 AS 1723/15 B ER). Anhaltspunkte für eine der ASt unmittelbar drohende Wohnungs- oder Obdachlosigkeit liegen nicht vor.
Wegen des offensichtlich fehlenden Anordnungsgrundes kann das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs dahingestellt bleiben. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung ab 01.06.2021 war daher abzulehnen.
b) Mietkaution
Vorliegend kann dahinstehen, ob hinsichtlich des Antrags auf vorläufige Auszahlung der Mietkaution in Höhe von 3.030 Euro ein Anordnungsgrund besteht. Denn jedenfalls ist kein Anordnungsanspruch glaubhaft.
Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 6 SGB II sind nicht erfüllt. Gem. § 22 Abs. 6 SGB II kann eine Mietkaution als Wohnungsbeschaffungskosten übernommen werden. Die Gewährung steht jedoch unter einem Zusicherungsvorbehalt und im Ermessen des ASg, wobei die Aufwendungen für die Mietkaution als Darlehen erbracht werden sollen (§ 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II).
Vorliegend hat der ASg die Zusicherung zur (darlehensweisen) Übernahme der Mietkaution nicht erteilt, es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die vorherige Zusicherung entbehrlich gewesen wäre. Die Kostenübernahme stand im freien Ermessen des ASg, denn es handelte sich vorliegend um keinen Fall des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II, da der Umzug weder vom ASg veranlasst, noch aus anderen Gründen notwendig war. Notwendigkeit in diesem Sinne besteht, wenn die bisherige Wohnung den Unterkunftsbedarf des Hilfebedürftigen als Teil der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung nicht (mehr) zu decken vermag. Hierunter fallen vor allem auch gesundheitliche Gründe, die einen Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zulassen. § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II umfasst aber auch die Fälle, in denen der Umzug zwar nicht zwingend notwendig ist, aber aus sonstigen Gründen erforderlich erscheint. Anhaltspunkte hierfür sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere war die zuvor bewohnte Wohnung mit ca. 34 qm für eine Person nicht unzumutbar klein. Die ASt hätte ihrem Untermieter kündigen können, um mehr Privatsphäre zu erhalten. Die ASt bildet mit Herrn K. nach eigener Aussage gerade keine Einstandsgemeinschaft, sie verbindet lediglich ein freundschaftliches Verhältnis, so dass eine Kündigung zur Widerherstellung der eigenen Privatsphäre nicht unzumutbar ist. Soweit die ASt einen Renovierungsbedarf der vorherigen Wohnung erwähnt, wurde diesbezüglich nichts substantiiert vorgetragen, was auf eine Unzumutbarkeit der weiteren Bewohnung schließen lassen würde. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass auch ein vernünftiger Grund einen Umzug erst dann rechtfertigt, wenn auf andere Weise als durch Umzug keine Abhilfe erreicht werden kann. Im Falle eines Renovierungsbedarfs hätte sich die ASt zunächst an ihren Vermieter wenden müssen, um eine etwaige Mängelbeseitigung zu erzielen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies vergeblich versucht worden sei.
Sofern die ASt vorträgt, dass auch ein SGB II – Leistungsbezieher frei entscheiden dürfe, ob er alleine leben oder gemeinsam als Wohngemeinschaft umziehen möchte, ist zu beachten, dass nicht jede wünschenswerte Änderung, sei sie noch so verständlich, als notwendig im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II anzusehen ist mit der Folge, dass für die Kosten der Veränderung der SGB II – Leistungsträger aufzukommen habe. Zwar kann der Wunsch, mit einem Mitbewohner (in einer für zwei Personen ausreichend großen Wohnung) zusammen zu wohnen, ein nachvollziehbarer und verständlicher Grund für einen Umzug darstellen, von dem sich auch ein Nichthilfebedürftiger ggf. hätte leiten lassen. Dieser Wunsch ist nach Auffassung der Kammer aber nicht derart gewichtig, dass die Kosten, welche durch den Umzug entstehen (3.030 Euro Mietkaution), angemessen erscheinen.
Wegen des offensichtlich fehlenden Anordnungsanspruchs kann das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahingestellt bleiben. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der (darlehensweisen) Übernahme der Mietkaution war daher abzulehnen
2. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 193 SGG entsprechend. Da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im Ergebnis erfolglos blieb, hat der ASg keine Kosten zu erstatten.
3. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor, da keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung bestand. Zwar dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt und im PKH-Verfahren grundsätzlich keine strittigen Rechts- oder Tatsachenfragen geklärt werden, indes kann PKH abgelehnt werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. z.B. BVerfG v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – Rn. 25 ff.). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe bestand seit Beginn des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aus den oben angeführten Entscheidungsgründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung.


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