Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Anlass zur Klage bei Regulierung vor Klageeinreichung

Aktenzeichen  2 T 7171/20

Datum:
18.2.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11772
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91a, § 269 Abs. 3 S. 2, S. 3, Abs. 5
BGB § 254, § 280, § 286

 

Leitsatz

1. Ein die Auferlegung von Kosten auf den Beklagten nach Zurücknahme einer Klage rechtfertigender “anderer Grund” kann nur ein prozessrechtlicher, nicht aber ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch sein. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Klage des Geschädigten gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer erst am vierten Arbeitstag nach der Regulierung des Schadens erfolgt, bestand kein kostenrechtlich bedeutsamer Anlass zur Klageeinreichung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reicht ein Geschädigter die Klage erst vier Tage nach Regulierung des Schadens ein, ist ein Verzugsschadensersatzanspruch wegen überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 C 647/20 2020-10-20 Bes AGERLANGEN AG Erlangen

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 20.10.2020, Az. 5 C 647/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 682,60 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.04.2020 machte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 2 aus einem Verkehrsunfall vom 18.03.2020 Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 751,98 Euro geltend und setzte der Beklagten zu 2 für die Schadensregulierung eine Frist bis 11.05.2020 (Anlage K2). Eine Zahlung erfolgte nicht.
Mit Klageschrift vom 12.06.2020, eingegangen bei Gericht am 16. (per Fax) bzw. 19.06.2020 (im Original), beantragte der Kläger, die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 751,98 Euro Schadensersatz sowie zur Zahlung von 147,56 Euro an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu verurteilen. Die Klageschrift wurde den Beklagten nicht zugestellt. Mit Schriftsatz vom 25.06.2020 erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, da die Beklagte zu 2 die eingeklagte Summe am 11.06.2020 bezahlt hatte. Infolge richterlichen Hinweises vom 01.09.2020 (Bl. 13 d.A.) korrigierte der Kläger mit Schriftsatz vom 21.09.2020 seine Erklärung und nahm die Klage unter Verwahrung gegen die Kostenlast zurück.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20.10.2020, dem Kläger zugestellt am 26.10.2020, hat das Amtsgericht die Kosten des Rechtsstreits gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO dem Kläger auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass am 12.06.2020 noch kein begründeter Anlass zur Klageerhebung vorgelegen habe. Die Beklagten hätten zuvor die klägerischen Ansprüche nicht bestritten. In Verkehrsunfallsachen sei dem Kfz-Haftpflichtversicherer ein angemessener Prüfungszeitraum für die geltend gemachten Forderungen zuzubilligen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 19 d.A.) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 03.11.2020, beim Beschwerdegericht am selben Tag eingegangen, hat der Kläger hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass die Beklagten infolge des klägerischen Schreibens vom 22.04.2020 mit der Schadensregulierung nach § 286 Abs. 1 BGB in Verzug geraten seien und im Übrigen die dem Kfz-Haftpflichtversicherer einzuräumende Prüfungsfrist maximal einen Monat betrage.
Mit Beschluss vom 23.11.2020 hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die gem. §§ 269 Abs. 5, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache erfolglos. Der Kläger hat nach seiner Klagerücknahme vom 21.09.2020 die Kosten des Rechtsstreits entsprechend dem in § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO verankerten Grundsatz zu tragen.
1. Gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht abweichend von S. 2 nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Hs. 2 stellt insoweit klar, dass dies auch dann gilt, wenn die Klage – wie hier – nicht zugestellt wurde. Die Vorschrift regelt in ihrem Anwendungsbereich eine Ausnahme von dem nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO geltenden Grundsatz, dass der Kläger nach Rücknahme der Klage verpflichtet ist, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20).
Der Umstand, dass die Beklagten die Prozesskosten möglicherweise aus materiell-rechtlichen Gründen tragen müssten, da sie sich mit der Schadensregulierung in Verzug befanden (dazu sogleich), würde allerdings keinen „anderen Grund“ im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO darstellen. Einen solchen „anderen Grund“ können lediglich prozessuale Erstattungsansprüche, nicht jedoch materiell-rechtliche Verpflichtungen zur Kostenerstattung bilden (BeckOK ZPO/Bacher, 39. Ed. 1.12.2020, ZPO § 269 Rn. 12 m.w.N. zur BGH-Rspr.).
§ 269 Abs. 3 S. 3 ZPO findet nach zutreffender und in der obergerichtlichen Rechtsprechung herrschender Ansicht auch dann Anwendung, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage bereits vor ihrer Anhängigkeit weggefallen, dies dem Kläger aber bis dahin ohne sein Verschulden unbekannt geblieben ist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. September 2003 – 2 W 85/03, juris Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 12. März 2004 – 29 W 2840/03, juris Rn. 15; OLG Hamm, Beschluss vom 23. Januar 2008 – 7 W 4/08, juris Rn. 12; KG, ZUM-RD 2008, 229 [juris Rn. 3]; KG, NJW-RR 2009, 1411, 1412 [juris Rn. 7]; OLG Jena, Beschluss vom 3. Juni 2011 – 4 W 248/11, juris Rn. 5; OLG Karlsruhe, NJW 2012, 1373, 1374 [juris Rn. 9]; OLG Frankfurt, NJW-RR 2014, 1406 [juris Rn. 3]; OLG Koblenz, NZI 2019, 991, 992 [juris Rn. 9]; KG, MDR 2019, 510 [juris Rn. 10]; OLG Karlsruhe, MDR 2020, 759 [juris Rn. 8]; OLG Karlsruhe, ZIP 2020, 2415, 2416 [juris Rn. 15]; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20).
Da der Kläger eine zu seinem Vorteil von § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO abweichende Kostenentscheidung begehrt, ist er grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass seine Belastung mit den Verfahrenskosten billigem Ermessen widerspricht (BGH NJW 2006, 775, 776).
2. Die Kostentragungslast bestimmt sich in Anlehnung an § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen. Dies erfordert eine sachliche Prüfung der geltend gemachten Forderung, die fehlende Erkennbarkeit des erledigenden Ereignisses für den Kläger bei Klageerhebung sowie die Frage, ob das Ereignis seinen Ursprung in der Sphäre des Klägers oder des Beklagten hat, ggf. auch die Berücksichtigung eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (Assmann in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 269 Rn. 103 m.w.N.).
a) Zuzugeben ist der Beschwerde, dass die Beklagten sich mit der Regulierung der streitgegenständlichen Haupt- und Nebenforderung in Verzug befanden, was grundsätzlich einen maßgeblichen Aspekt bei der Ermessensentscheidung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20 Rn. 34; OLG Nürnberg Beschluss vom 16.12.2015 – 6 W 1373/15, n.v.).
Dass die Klageforderung in der Sache begründet war, ist infolge der uneingeschränkten Regulierung durch die Beklagte zu 2 zu unterstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 27.07.2010 – VI ZR 154/08; OLG Frankfurt MDR 1996, 426 zu § 91a ZPO). Damit bestand „Anlass zur Einreichung der Klage“ i.S.d. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Denn für einen solchen ist zu fordern, dass die Klage bei ihrer Einreichung – wie im Streitfall nicht mehr – zulässig und begründet war oder aber, dass sie – wie im Streitfall gegeben – jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen wäre. Lediglich auf den Fall einer aus objektiver Sicht zu keinem Zeitpunkt aussichtsreichen Klage ist die Vorschrift nicht anwendbar (von BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZB 38/20).
Anders als das Amtsgericht im angegriffenen Beschluss anzunehmen scheint, befanden sich die Beklagten mit der Regulierung der Klageforderung in Verzug.
Zwar ist anerkannt, dass einem Haftpflichtversicherer auch in einfach gelagerten Fällen eine angemessene Überprüfungszeit zur Klärung des Haftungsgrundes sowie der Schadenshöhe zuzugestehen ist. Die Länge der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist davon auszugehen, dass einem Haftpflichtversicherer bei einem durchschnittlichen Schadensfall ohne besondere Schwierigkeiten und Besonderheiten eine Regulierung jedenfalls spätestens binnen 4 Wochen (bei 20 Arbeitstagen) möglich sein muss. Maßgeblich für den Fristbeginn ist dabei der Zugang eines ersten spezifizierten Anspruchsschreibens (zu alledem LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 13. Mai 2019 – 2 T 7/19, juris).
Ausgehend davon befanden sich die Beklagten in Folge der vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung durch Schreiben des Klägervertreters vom 22.04.2020 im Zeitpunkt der Zahlung zum 11.06.2020 selbstverständlich in Verzug (§ 286 Abs. 1 S. 1 BGB) – unabhängig davon, dass die Klageerhebung im Schreiben vom 22.04.2020 nicht bereits angedroht worden war und die Beklagten ihre generelle Einstandspflicht gegenüber dem Kläger nie bestritten hatten. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass die die Grundlage des Verzugs bildende Fälligkeit der Schadensersatzforderung nicht erst durch eine (erste) Zahlungsaufforderung bewirkt wird (so aber falsch OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2018 – 22 W 2/18, juris Rn. 12), sondern die Fälligkeit bereits im Zeitpunkt der Rechtsgutverletzung, d.h. des Unfalls eintritt (im Einzelnen dazu BGH, Beschluss vom 18. November 2008 – VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338). Der Hinweis im Schreiben der Beklagten zu 2 vom 20.07.2020, wonach die „Schadensregulierung fristgemäß erfolgt ist“ entbehrt deshalb jeder Grundlage. Mit Inverzugsetzung der Beklagten zu 2 kam über die Regulierungsvollmacht der AKB auch der Schädiger selbst in Verzug (§ 164 Abs. 3 BGB; vgl. BGH NJW 1973, 1369; OLG Saarbrücken BeckRS 2015, 08438; OLG Nürnberg NJW 1974, 1950).
b) Ungeachtet des Verzugs der Beklagten gebieten die chronologischen Besonderheiten des Streitfalls gleichwohl, die Ermessensentscheidung zulasten des Klägers treffen.
Die Regulierung der Streitforderung erfolgte ausweislich des Kostenblatts der Beklagten (Buchungsdatum, d.h. Eingang der Zahlung) am 11.06.2020. Die Klageschrift trägt das Datum vom 12.06.2020. Eingereicht wurde sie bei Gericht allerdings per Fax erst am 16.06.2020, im Original am 19.06.2020.
Die Einreichung der Klageschrift bei Gericht per Fax am 16.06.2020 erfolgte also erst am vierten (!) Arbeitstag nach Verbuchung des Zahlungseingangs, mit dem die Klageforderung erloschen und eine etwaige Klage unbegründet geworden war, mithin kein „Anlass zur Einreichung der Klage“ im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO mehr bestand.
Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob sich der Kläger im Falle einer Klageeinreichung am selben oder auch Folgetag des Zahlungseingangs auf die fehlende Erkennbarkeit des weggefallenen Klageanlasses berufen könnte. Stehen jedenfalls von Verbuchung des Zahlungseingangs bis Klageeinreichung per Fax nahezu sechs volle Wochentage bzw. vier Arbeitstage zur Verfügung, kann sich dies hinsichtlich der entstandenen Prozesskosten nicht mehr zulasten der – wenngleich erst nach Verzugseintritt regulierenden – Beklagten auswirken. Es muss erwartet werden, dass zumindest am Tag bevor die Klageschrift „auf den Weg gebracht wird“ der Zahlungseingang überprüft wird, um die fortbestehende Berechtigung der Klageforderung abschließend zu klären.
Nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB, dass – unabhängig von einem Vertreterverhältnis – derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss (BGH, Urteil vom 25. April 1985 – IX ZR 141/84, BGHZ 94, 232), muss der Kläger sich die Kenntnis des Klägervertreters vom Zahlungseingang am 11.06.2020 zurechnen lassen.
c) Bei der gegebenen Sachlage kann sich der Kläger auch nicht erfolgreich auf einen bestehenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch berufen. Zwar ist nach dem Vorstehenden grundsätzlich von einem Verzugsschadenersatzanspruch des Klägers nach § 286 Abs. 1 S. 1, § 280 Abs. 1 BGB auszugehen. Die unterlassene Prüfung des Fortbestehens der Klageforderung für einen Zeitraum von vier Arbeitstagen begründet aber ein derart überwiegendes Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB (der für alle Schadensersatzansprüche anwendbar ist: MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 254 Rn. 7), dass für einen materiellen Kostenerstattungsanspruch kein Raum mehr bleibt.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert orientiert sich an der Höhe der insgesamt für das erstinstanzliche Verfahren angefallenen Gebühren (zB OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Mai 2001 – 2 W 1363/01 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 13. August 2020 – 12 W 302/20 -, juris).


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