Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Mietwagenkosten, Normaltarif, Fahrzeug, Vollkaskoversicherung, Ersatzpflicht, Wirtschaftlichkeitsgebot, Schadensbehebung, Schadensersatzforderung, Unfallersatztarif, Selbstbehalt, Selbstbeteiligung, Mietfahrzeug, Berechnung, Schwacke-Liste, kostenpflichtiges Abonnement

Aktenzeichen  14 S 2487/20

Datum:
20.1.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44667
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

17 C 2498/20 2020-08-12 Urt AGERDING AG Erding

Tenor

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 12.08.2020, Az. 17 C 2498/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Erding ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 803,12 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um den Ersatz von Mietwagenkosten.
Die Beklagte hatte die vom Kläger vorgerichtlich geltend gemachte Schadensersatzforderung in Höhe von 1.416,71 EUR um 859,79 EUR gekürzt und lediglich 556,92 EUR bezahlt. Nach dem klägerseits vorgenommenen Abzug von 4% für ersparte Eigenaufwendungen beläuft sich die Klageforderung auf 803,12 EUR.
Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 12.08.2020 vollumfänglich statt gegeben.
Die Kammer nimmt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Erding vom 12.08.2020.
Ergänzend ist festzustellen, dass der Kläger den Ersatz der Kosten für einen Zusatzfahrer begehrt. Die Ehefrau des Klägers hat sowohl das unfallbeschädigte Fahrzeug als auch das Mietfahrzeug als Zusatzfahrerin genutzt.
Der Kläger hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 12.08.2020 mit dem Aktenzeichen 17 C 2498/20 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt erstmals in der Berufungsinstanz vor, dass die Schwackeliste nunmehr nur noch gegen ein kostenpflichtiges Abonnement durch die Klagepartei bzw. den Geschädigten eingesehen werden könne. Diese Preise stünden dem Unfallgeschädigten somit nicht mehr zur Verfügung, diese Anknüpfungstatsache könnten daher nicht zur Berechnung des Normaltarifs herangezogen werden.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 19.10.2020 und mit Verfügungen vom 12.11.2020 und 18.11.2020 umfassende Hinweise erteilt. Hierauf wird Bezug genommen.
Mit Einverständnis der Parteien wurde auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Die Kammer hat mit Beschluss vom 22.12.2020 als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, den 08.01.2021 bestimmt.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Der Kläger kann Ersatz für die Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren von mehreren möglichen Wegen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Dies bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erheblichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte muss sich bei der Anmietung eines Mietwagens daher grundsätzlich für den sogenannten Normaltarif entscheiden. Die höheren Sätze des von den Kfz-Vermietern angesetzten sogenannten Unfallersatztarifs sind nur ausnahmsweise zu ersetzen. Ist eine Anmietung zum Unfallersatztarif sachgerecht, kann der Schädiger seine Ersatzpflicht nur dann reduzieren, wenn er nachweist, dass dem Geschädigten für den erforderlichen Leistungsumfang ein günstiger Tarif ohne weiteres zugänglich war, vergleiche Urteil des BGH vom 02.02.2010, Aktenzeichen VI ZR 139/08.
Das Amtsgericht hat die klägerseits geltend gemachten Mietwagenkosten zu Recht in den Bereich des Normaltarifs eingruppiert und die ersatzfähigen Mietwagenkosten nach §§ 286, 287 ZPO in nicht zu beanstandender Weise anhand der Schwacke-Liste geschätzt.
a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruches ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Betracht bleiben. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den sogenannten Normaltarif auf der Grundlage des Schwacke-Mietspiegels im Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln kann (Rechtsprechungsnachweise bei Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Rn. 432)
b) Die Parteien können Einwendungen gegen die Heranziehung des Schwacke-Mietspiegels erheben. Die Eignung der Schwacke-Liste zur Verwendung bei der Schadensschätzung bedarf allerdings nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Die Anwendung der Liste durch den Tatrichter begegnet also nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen; mit einem solchen konkreten Sachvortrag muss sich der Tatrichter näher auseinandersetzen, um die Grenzen des eingeräumten Ermessens nicht zu überschreiten (vgl. Urteils des BGH vom 18.12.2012, VI ZR 361/11).
aa) Den allgemein gehaltenen Argumenten der Beklagten bezüglich des Fraunhofer-Mietpreisspiegels und den strukturellen Schwächen des Schwacke-Mietpreisspiegels war und ist daher nicht näher nachzugehen. Beide Mietpreisspiegel sind grundsätzlich als Schätzgrundlage geeignet.
Ergänzend zu den Ausführungen des Erstgerichts ist hinzuzufügen, dass die Herausgabe der Schwacke-Liste im Internet statt in Papierform der aktuell fortschreitenden Digitalisierung entspricht und hierdurch keine Zweifel an der Geeignetheit als Schätzgrundlage für das Gericht begründet werden.
bb) Das neue Vorbringen der Beklagten im Rahmen der Berufungsinstanz, die Schwackeliste stelle eine untaugliche Schätzgrundlage dar, da sie nur noch gegen ein kostenpflichtiges Abonnement durch die Klagepartei bzw. den Geschädigten eingesehen werden könne, ist neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO. Die Beklagte bringt keine Gründe vor, warum dieser Vortrag erst in der zweiten Instanz erfolgt und warum er zuzulassen wäre.
Letztlich kann die Frage, ob das Vorbringen zuzulassen ist, offen bleiben. Auch der von der Beklagten als vorzugswürdig angeführte Mietpreisspiegel Mietwagen Deutschland des Fraunhofer Instituts muss kostenpflichtig erworben werden. Es steht einem Unfallgeschädigten daher offen, ob er ein kostenpflichtiges Abonnement für die Einsicht in die Schwackeliste abschließt oder eine aktuelle Ausgabe des Fraunhofer-Mietspiegels erwirbt. Alleine die Kostenpflicht in der einen oder anderen Form kann keine Gründe für Zweifel an der Geeignetheit beider Mietpreisspiegel als Schätzgrundlage begründen.
cc) Ausreichend konkrete günstigere Angebote anderer örtlicher Anbieter wurden und werden von der Beklagten schon gar nicht aufgezeigt. Die in den vorgelegten Internetausdrucken aufgezeigten Angebote entsprechen weder zeitlich dem tatsächlichen Anmietzeitraum, noch geben sie ausreichend Aufschluss über die tatsächlich zugrunde liegenden Konditionen und ob die Buchung mit dem aufgezeigten Preis auch tatsächlich hätte vorgenommen werden können. Diese Ausdrucke stellen keine ausreichend konkreten, deutlich günstigeren Angebote dar, die geeignet wären, die Schwacke-Liste in Zweifel zu ziehen.
Die Beklagte hat zum Beweis die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Das Amtsgericht war nicht gehalten, diesem Beweisangebot nachzugehen, da es unbehelflich war. Es geht vorliegend nicht um die Vermittlung von Fachwissen oder Schlussfolgerungen aufgrund besonderer Sachkunde, sondern um die Frage, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum auf Nachfrage bei den beklagtenseits genannten Anbietern ein vergleichbares Fahrzeug zu günstigeren Konditionen hätte anmieten können. Diese Frage ist schlichtweg dem Zeugenbeweis zugänglich. Einen Zeugen hat die Beklagte nicht angeboten.
Nachdem sich die vom Kläger begehrten Mietwagenkosten ohnehin im Rahmen des Normaltarifs bewegen, waren die Normaltarifkosten von der Beklagten zu ersetzen.
2. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Erstgerichts bezüglich des klägerseits ausreichend vorgenommenen Abzuges für ersparte Aufwendungen in Höhe von 4% an. Auch hier obliegt die Schätzung ersparter Aufwendungen gemäß § 287 ZPO dem Erstgericht. Die Erwägungen des Amtsgerichts beruhen auf den Ausführungen obergerichtlicher Rechtsprechung und sind überzeugend.
3. Auch die Ausführungen des Erstgerichts zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Kaskobefreiung begegnen keinerlei Bedenken.
Lediglich ergänzend zu den Urteilsgründen des Erstgerichts ist auszuführen wie folgt:
„Es ist obergerichtlich entschieden, dass die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit Vollkaskoschutz – unabhängig davon, ob das beschädigte Fahrzeug vollkaskoversichert ist – in der Regel eine adäquate Schadensfolge sein dürfte angesichts des während der Mietzeit erhöhten wirtschaftlichen Risikos (BGH, Urteil vom 15. 2. 2005 – VI ZR 74/04; BGH, Urteil vom 25. 10. 2005 – VI ZR 9/05). Unter diesem Gesichtspunkt greift auch der Einwand der Beklagten, der Kläger müsse sich einen geringeren Selbstbehalt der Vollkaskoversicherung für das Mietfahrzeug im Gegensatz zum Selbstbehalt der Versicherung des unfallbeschädigten Fahrzeugs anrechnen lassen, nicht durch.“
Der Einwand der Beklagten zur anteiligen Erstattung für die Selbstbeteiligung für die Vollkaskoversicherung auf Grund eines in der Schwacke-Liste inkludierten Selbstbehalts in Höhe von 500,00 EUR verfängt nicht. Die Höhe der Selbstbeteiligung ist vorliegend unklar. Anhand der als Anlage K 3 vorgelegten Mietwagenrechnung und des Klägervortrags ist von einer Vollkaskoversicherung mit einer Haftungsreduzierung auszugehen. Der vollständige Ausschluss einer Selbstbeteiligung ist ausweislich Anlage K 3 und Anlage K 7 nicht erfolgt.
Der Beklagten ist dahingehend Recht zu geben, dass die Höhe der Selbstbeteiligung entscheidungsrelevant sein kann; dies gilt aber nur, sofern sich die vom Anspruchsteller abgerechnete Schadensposition für die Versicherung mit Haftungsbefreiung bzw. Haftungsreduzierung über den durchschnittlichen Preisen, geschätzt anhand der Schwacke-Liste, liegen würde. Hätte in einem solchen Fall der Anspruchsteller eine höhere Selbstbeteiligung als 500,00 EUR vereinbart, wäre der Tarif als überhöht und nicht mehr durchschnittlich anzusehen.
Selbst unter der Annahme, dass die Versicherung des Klägers für das Mietfahrzeug eine niedrigere oder höhere Selbstbeteiligung als 500,00 EUR ausgewiesen hätte, ändert dies vorliegend nichts daran, dass sich der seitens des Klägers geforderte Betrag unstreitig unterhalb der durchschnittlichen Mietwagenkosten nach Schwacke bewegt. Eine Erstattung bzw. ein Abzug der Haftungsbefreiungskosten ist daher nicht vorzunehmen.
4. Die Kosten für einen Zusatzfahrer sind ebenfalls erstattungsfähig.
Das Amtsgericht hat hierzu keine ausreichenden Feststellungen getroffen, da trotz Bestreitens der Beklagten keine Feststellung dazu getroffen wurde, ob auch das unfallbeschädigte Fahrzeug des Klägers durch einen weiteren Fahrer genutzt wurde.
Im Rahmen des Schadensersatzes können Kosten für einen Zusatzfahrer – unabhängig davon, ob dieser dann tatsächlich mit dem Mietfahrzeug gefahren ist – nur dann geltend gemacht werden, wenn auch das beschädigte Fahrzeug von diesem Zusatzfahrer hätte genutzt werden können und wollen.
Der Kläger hat hierzu im Rahmen der Berufungsinstanz vorgetragen, dass seine Ehefrau sowohl das beschädigte Fahrzeug als auch das Mietfahrzeug regelmäßig als Zusatzfahrerin nutzte.
Der Vortrag des Klägers ist gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da auf die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage in erster Instanz nicht eingegangen wurde. Die Beklagte hat diese Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz unstreitig gestellt.
Darüber hinaus ist nicht relevant, ob die angegebenen Zusatzfahrer das Fahrzeug tatsächlich nutzten. Maßgeblich ist allein, dass das verunfallte Fahrzeug regelmäßig durch einen Zusatzfahrer genutzt und das angemietete Fahrzeug für die Nutzung auch durch einen Zusatzfahrer angemietet wurde. Bereits damit ist das mit der Nutzung des Fahrzeugs durch eine weitere Person verbundene Risiko eines intensiveren Fahrzeuggebrauchs eröffnet, welches mit den Kosten für den Zusatzfahrer abgedeckt werden soll.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 47, 48 GKG, §§ 3ff. ZPO bestimmt.


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