Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Minderung und Anpassung des Mietzinses bei staatlich angeordneter Betriebsuntersagung wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  23 O 753/20

Datum:
7.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37736
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 313 Abs. 1, § 536 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.262,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.04.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 50% und die Beklagte 50% zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu.
5. vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
6. Beschluss.
7. Der Streitwert wird auf 56.525,00 € festgesetzt.
1. Die Schließung des Einzelhandels des gewerblichen Mieters aufgrund des staatlich angeordneten Covid-19-Lockdowns stellt einen Mangel der Mietsache gemäß § 536 Abs. 1 BGB dar, der den Mieter nach Abwägung der Risikoverteilung zu einer Minderung des Mietzinses um 50 Prozent berechtigt.  (Rn. 21 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da sich in der Corona-Pandemie ein Risiko verwirklicht hat, das weder dem Mieter noch dem Vermieter vollständig aufzubürden ist, erscheint auch unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. BGB wegen einer staatlich angeordneten Betriebsuntersagung eine Vertragsanpassung auf die Hälfte der Miete angemessen. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.262,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.04.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 50 % und die Beklagte 50 % zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Mietzins in Höhe von 28.262,50 € zu.
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sachlich zuständig gemäß §§ 23 Nr.1, 71 Abs. 1 GVG. Mangels Wohnraummiete ist kein Fall des § 23 Nr.2, a GVG gegeben. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 29a Abs. 1 ZPO, nachdem die Gewerberäumlichkeiten sich in Sonthofen und damit im Bezirk des Landgerichts Kempten (Allgäu) befinden.
2. Die Klageerweiterung hinsichtlich der Zinshöhe ist zulässig, da sie eine stets zulässige Klageänderung gem. § 264 Nr.2 ZPO darstellt.
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Mietzinszahlungen für den Zeitraum April 2020 und Mai 2020 aus §§ 579, 535 Abs. 2, 556b Abs. 1 BGB zu.
1. Zwischen den Parteien besteht ein Gewerberaummietvertrag. Die Beklagte hat im März noch einen Mietzins in Höhe von 28.262, 50 € € erbracht. Für die Monate April 2020 und Mai 2020 hat die Beklagte keinen Mietzins gezahlt. Auf Seiten der Beklagten liegt damit ein Mietrückstand in Höhe von 56.525,00 € vor.
2. Der Mietzinsanspruch des Klägers ist jedoch infolge Minderung gemäß § 536 Abs. 1 BGB teilweise erloschen. Die Schließung des Einzelhandels der Beklagten aufgrund des staatlich angeordneten Covid-19-Lockdowns stellt einen Mangel der Mietsache gemäß § 536 Abs. 1 BGB dar.
a) Mangels anderweitiger Bestimmungen der Parteien richten sich die Folgen der Schließung des Einzelhandels durch den staatlich angeordneten Covid-19-Lockdown nach den allgemeinen mietrechtlichen Vorschriften gemäß §§ 536 ff. BGB.
b) Ein Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB liegt danach vor wenn die Tauglichkeit der Mietsache für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist.
Öffentlich-rechtliche Beschränkungen und Gebrauchshindernisse können einen Mangel darstellen, wenn sie sich auf die Beschaffenheit oder Lage der Mietsache beziehen und ihre Ursache nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters haben (vgl. Palandt/ Weidenkaff, 79. Auflage 2020, § 536 Rn.18, Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1171).
Vorliegend wurden gemäß Ziffer I Nr. 3 des Mietvertrags die Räumlichkeiten zum Zwecke des Betriebs eines Einzelhandels mit Bekleidung und Textilien aller Art vermietet. Dieser Mietzweck konnte in der streitgegenständlichen Zeit während des Bestehens der Corona-Beschränkungen, also aufgrund öffentlich-rechtlicher Beschränkungen, nicht erfüllt werden.
c) Der Kläger war nach Abwägung der Risikoverteilung berechtigt die Miete zu 50% zu mindern.
Die Gewährleistung der Öffnung an den Publikumsverkehr fällt im Rahmen der Risikoverteilung nicht pauschal in das Verwendbarkeitsrisiko des Gewerberaumvermieters.
Nach der gesetzlichen Konzeption und im Sinn des § 537 BGB trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko der Mietsache (vgl. Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1171). Der Vermieter ist nach § 535 Abs. 1 S.2 BGB nur verpflichtet die Mietsache in einem Zustand zu überlassen, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Dagegen fallen Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters betreffen in dessen Risikobereich (vgl. Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1171).
Die auf dem Lockdown beruhende staatliche Betriebsuntersagung stellt eine öffentlich-rechtliche Beschränkung dar. Der Beklagte konnte die Gewerberaumflächen für einen bestimmten Zeitraum überhaupt nicht für den Publikumsverkehr öffnen. Die Mietsache ist auch nach der staatlichen Schließungsanordnung zum Zweck der Nutzung als Einzelhandelsfläche geeignet, sie kann nur aufgrund der behördlichen Untersagung nicht zweckentsprechend verwendet werden. (vgl. Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1171).
Zusammenfassend kann somit weder dem Mieter noch dem Vermieter das Risiko, das sich in den staatlich angeordneten Lockdown-Maßnahmen verwirklicht hat, zugeschrieben werden. Da weder der Kläger noch die Beklagte ein gegenüber der anderen Partei erhöhtes Risiko zugeschrieben werden kann, geht das Gericht von einer Minderung in Höhe von 50% aus.
d) Darüber hinaus ergibt sich auch aus Art.240 § 2 Abs. 4 Nr.1 EGBGB kein anderes Ergebnis, da der Gesetzgeber hierin nur eine Kündigungsbeschränkung vorgesehen hat. Der Mietzins ist aber nach wie vor fällig (vgl. Streyl, Pandemiebedingte Risikoübertragung im Mietverhältis, NZM 2020, 823).
3. Ein Wegfall der Verpflichtung zur Mietzinszahlung ergibt sich hingegen nicht aus § 326 Abs. 1 BGB. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 326 BGB neben § 536 BGB Anwendung findet, denn jedenfalls ist der Kläger seiner Leistungspflicht, der Gebrauchsüberlassung der Mietsache, nachgekommen, sodass keine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB vorliegt (vgl. Häublein/Müller: Wer trägt das Pandemierisiko in der Geschäftsraummiete?, NZM 2020, 486).
4. a) Die Beklagte könnte zudem Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB verlangen. Grundsätzlich gehen die mietvertraglichen Regelungen § 313 BGB vor (Palandt § 313 BGB Rn.13). Aus Art. 240 § 2 Abs. 4 Nr.1 EGBGB sowie dem FAQ zum Schutz für Mieterinnen und Mieter ergibt sich, dass der Mietzins grundsätzlich weiter fällig bleibt. Etwaige Minderungen und Anpassungen richten sich weiterhin nach den vertraglichen Vereinbarungen und gesetzlichen Regelungen (vgl. Streyl, Pandemiebedingte Risikoübertragung im Mietverhältis, NZM 2020, 823, https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Miete/Corona_Miete_node.html).
b) § 313 BGB ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen, wobei auch hier die Risikoverteilung bei einem Gewerberaummietvertrag entscheidend ist, bei dem grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko trägt (vgl. Palandt § 313 BGB Rn. 13, vgl. Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1171).
aa) Die Störung der Geschäftsgrundlage liegt darin, dass die Parteien bei Vertragsschluss nicht bedacht haben, dass es während des Vertrags zu einer Pandemie mit staatlich angeordneten Geschäftsschließungen kommen würde (vgl. Häublein/Müller: Wer trägt das Pandemierisiko in der Geschäftsraummiete, NZM 2020, 487).
bb) Weiter kann § 313 BGB nur dann eingreifen, wenn einer Partei das Festhalten am Vertrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Zum einen trägt im Rahmen des Mietvertrags der Mieter grundsätzlich das Verwendungsrisiko der Mietsache. Der Vermieter hat hier mit der Gebrauchsüberlassung seine Leistungspflicht bereits erfüllt. Allerdings trifft das Risiko für die Betriebsuntersagung die Gewerbebetreibenden schwer. Die Zugangsbeschränkung für den Kundenverkehr hätte der Gesetzgeber auch an den Grundstückseigentümer, in vielen Fällen den Vermieter, richten können, sodass das Verwendbarkeitsrisiko des Vermieters betroffen wäre (vgl. Streyl, Pandemiebedingte Risikoübertragung im Mietverhältnis, NZM 2020, 823). Da weder ein vollständiges Entfallen der Miete noch eine Verlagerung des Risikos der Betriebsuntersagung auf den Vermieter angemessen sind, erscheint nach Auffassung des Gerichts eine Anpassung auf die Hälfte der Miete angemessen. In der Corona-Pandemie hat sich ein Risiko verwirklicht, das weder dem Mieter noch dem Vermieter vollständig aufzubürden ist (vgl. Streyl, Pandemiebedingte Risikoübertragung im Mietverhältnis, NZM 2020, 824, vgl. Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, NJW 2020, 1172). Die Zinspflicht ergibt sich aus § 288 Abs. 1, 288 Abs. 3, 286 Abs. 2 Nr.1 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
V.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1, S.2 ZPO.
Verkündet am 07.12.2020


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