Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zurverfügungstellung einer Wohnung

Aktenzeichen  M 22 K 16.122

Datum:
19.10.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153533
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
BayWoBindG Art. 5 S. 2
SGB XII §§ 35 u. 36

 

Leitsatz

1. Die Unterbringung in einer mit der bisherigen Mietwohnung vergleichbaren Unterkunft kann obdachlosenrechtlich nicht verlangt werden, weil die Obdachlosenfürsorge nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern als bloße Notlösung nur der Verschaffung einer vorübergehenden menschenwürdigen Unterkunft einfacher Art dient; ein Auswahlrecht oder gar ein Anspruch auf eine bestimmte Unterkunft bestehen grundsätzlich nicht (ebenso BayVGH BeckRS 2010, 22580 Rn. 3 mwN). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die hoheitliche Zuweisung einer Sozialwohnung ist nicht möglich, weil sebst bei einem Benennungsrecht die Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrages den Verfügungsberechtigten vorbehalten bleibt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch setzt einen Eingriff in Freiheit und Eigentum des Bürgers voraus, die Beeinträchtigung bloß relativer Rechte gegen die öffentliche Gewalt, also insbesondere eine öffentlich-rechtliche Vertrags- oder sonstige Pflichtverletzung, vermag einen Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu begründen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist inhaltlich ein auf die Zukunft gerichteter Anspruch der Naturalrestitution, mit dem eine im Gesetz vorgesehene, dem Betroffenen durch behördliches Fehlverhalten entgangene Sozialleistung lediglich mit anderer Begründung gewährt wird, er umfasst dagegen nicht den Ausgleich sonstiger (mittelbarer) Nachteile. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Mietschuldenübernahme nach § 36 SGB XII kommt regelhaft nur dann in Betracht, wenn es sich um eine angemessene Unterkunft im Rahmen der geltenden Höchstwerte für die Kosten der Unterkunft gem. § 35 SGB XII handelt, die Begleichung der weiteren laufenden Zahlungsverpflichtungen sichergestellt ist und der Verlust der aktuell genutzten Unterkunft tatsächlich (und nicht nur vorübergehend) verhindert werden kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zurverfügungstellung einer mit seiner ehemaligen Mietwohnung vergleichbaren Wohnung.
Ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger Mieter einer 1-Zimmer-Wohnung war, nunmehr von der Beklagten aber eine 2-Zimmer-Wohnung als vergleichbare Wohnung begehrt, lässt sich ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer 2-Zimmer-Wohnung – wie auch ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer 1-Zimmer-Wohnung – weder auf Obdachlosenrecht (vgl. 1.), noch auf das Bayerische Wohnraumförderungsgesetz (vgl. 2.), einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. 3.) oder aber einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (vgl. 4.) stützen.
1. Obdachlosenrechtlich kann der Kläger – auch wenn man mit der Beklagten zugunsten des Klägers vom grundsätzlichen Bestehen eines Unterbringungsanspruchs ausgeht – nicht die Unterbringung in einer mit seiner bisherigen Mietwohnung vergleichbaren Unterkunft verlangen. Die Obdachlosenfürsorge, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG findet, dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es daher – bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten – ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vor-übergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Ein Auswahlrecht unter mehreren diesen Voraussetzungen genügenden Unterkünften oder gar ein Anspruch der Obdach suchenden Person auf eine nach Lage, Größe oder sonstigen Kriterien bestimmte Unterkunft besteht grundsätzlich nicht. Es liegt vielmehr im sehr weiten Ermessen der Antragsgegnerin, wie sie den durch Obdachlosigkeit bewirkten Gefahren begegnen will (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Sept. 2015, Art. 7 Rn. 190). Die zugewiesene Unterkunft muss insbesondere nicht allen Unterbringungs- und Sorgebedürfnissen, die eine Person hat, gerecht werden. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2010 – 4 C 09.3073 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 m.w.N.; VG Würzburg; B.v. 5.3.2009 – W5 K 09.2289; VG München, B.v. 24.4.2008 – M 22 K 07.5316).
Gemessen an diesem Maßstab sind die dem Kläger gegenüber bisher ergangenen Zuweisungsentscheidungen durch die Beklagte nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte, aufgrund derer das weite Unterbringungsermessen der Beklagten vorliegend auf eine Unterbringung des Klägers (und von Frau …) in einer seiner ehemaligen Mietwohnung vergleichbaren 1- oder auch 2-Zimmer-Wohnung reduziert wäre, sind unter keinem in Betracht kommenden Aspekt ersichtlich und wurden vom Kläger bezüglich seiner aktuellen Unterkunft auch nicht vorgetragen. Auf die Ausführungen im Verfahren M 22 E 15.56 und M 22 E 16.291 wird zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend verwiesen.
2. Ein Anspruch des Klägers auf Zuweisung einer sozial geförderten 1- oder 2- Zimmer-Wohnung lässt sich offenkundig auch nicht auf das Bayerische Wohnungsbindungsgesetz stützen, denn hiernach ist die unmittelbare Zuteilung einer Sozialwohnung durch die Antragsgegnerin nicht möglich. Da es sich bei dem Gebiet der Beklagten um ein Gebiet mit erhöhtem Wohnungsbedarf im Sinne von Art. 5 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in Bayern handelt, hat die Beklagte in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten zwar ein Benennungsrecht. Die Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrages mit den zur Auswahl vorgeschlagenen Wohnungssuchenden bleibt aber den Verfügungsberechtigten vorbehalten. Eine hoheitliche Zuweisung einer Sozialwohnung durch die Beklagte ist nicht möglich (vgl. auch BayVGH v. 21.8.1990 – 7 CE 90.1139).
3. Ein Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigung (über den das Verwaltungsgericht aufgrund der bindenden Beschwerdeentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu entscheiden hat, auch soweit ein sozialrechtliches Verfahren – Mietschuldenübernahme – durchgeführt wurde) kommt als Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Zurverfügungstellung einer Wohnung gleichfalls nicht in Betracht.
Insoweit fehlt es – unabhängig vom Vorliegen einer etwaigen Pflichtverletzung im Rahmen der Mietschuldenübernahme – schon an der Tatbestandsvoraussetzung der Beeinträchtigung eines absoluten Rechts des Klägers: Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch verlangt einen Eingriff in Freiheit und Eigentum des Bürgers. Es müssen Freiheitsrechte als absolute Rechte des öffentlichen Rechts verletzt sein. Die Beeinträchtigung bloß relativer Rechte gegen die öffentliche Gewalt, also insbesondere die öffentlich-rechtliche Vertrags- oder sonstige Pflichtverletzung, vermag einen Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu begründen. Ein Bürger, dem zu Unrecht eine Erlaubnis oder eine sonstige Gewährung oder Leistung der öffentlichen Gewalt verweigert worden ist – wofür vorliegend in Bezug auf das Mietschuldenübernahmeverfahren nach Ansicht des Gerichts aber gleichfalls nichts ersichtlich ist (s.u.), – kann aus dieser Anspruchs- oder Rechtsverletzung keine Folgenbeseitigungspflicht der öffentlichen Gewalt herleiten (vgl. auch MüKoBGB/Papier/Shirvani, 7. Aufl. 2017, BGB § 839 Rn. 84).
Zudem wäre eine etwaige – vorliegend jedoch nicht ersichtliche – Restitutionspflicht auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gerichtet, also auf Zurverfügungstellung der ehemaligen Wohnung des Klägers in der C.-str. … in M. Die Beklagte hat jedoch kein Zugriffsrecht auf die Wohnung eines privaten Vermieters, der zudem eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Kläger strikt ablehnt. Eine etwaige Naturalrestitutionspflicht entfiele daher selbst bei Vorliegen der (hier nicht gegebenen) Tatbestandsvoraussetzungen, weil die Wiederherstellung des Status quo ante unmöglich ist, und zwar ohne dass an ihre Stelle ein Anspruch auf Geldrestitution träte (vgl. auch MüKoBGB/Papier/Shirvani, 7. Aufl. 2017, BGB § 839 Rn. 86).
4. Das Anspruchsziel des Klägers ist auch vom sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (über den in diesem Verfahren gleichfalls – wie auch über den Folgenbeseitigungsanspruch – mitzuentscheiden ist) nicht umfasst.
Der Herstellungsanspruch ist inhaltlich ein auf die Zukunft gerichteter Anspruch der Naturalrestitution, der einen Zustand herstellen soll, der bei rechtmäßigem Handeln jetzt bestünde. Praktisch wird damit eine im Gesetz vorgesehene, dem Betroffenen durch behördliches Fehlverhalten entgangene Sozialleistung lediglich mit anderer Begründung gewährt. Deshalb ist der Herstellungsanspruch nur auf die Erbringung der gesetzlich vorgesehen Leistungen gerichtet und umfasst nicht den Ausgleich sonstiger (mittelbarer) Nachteile (BSG, U.v. 24.04.1980 – 1 RA 33/79), wie sie der Kläger mit der Zurverfügungstellung einer seiner Mietwohnung vergleichbaren Wohnung vorliegend aber anstrebt.
Unabhängig hiervon dürften auch die Tatbestandsvoraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fallbezogen nicht vorliegen. Es ist keine Auskunfts- und Beratungspflichtverletzung im Rahmen des auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 SGB XII eingeleiteten Mietschuldenübernahmeverfahrens erkennbar. Die Beklagte hat den Kläger vielmehr noch am … Dezember 2013, nachdem sie vom anstehenden Räumungsverfahren erfahren hat, angeschrieben und ihn bei dieser Gelegenheit wie auch anlässlich weiterer Gespräche und Schreiben vom … Dezember 2013, … und … Januar 2014, … Februar und … März 2014 über die Voraussetzungen einer Mietschuldenübernahme und die vom Kläger vorzulegenden Unterlagen unterrichtet und benötigte Nachweise eingefordert.
Die Mietschuldenübernahme kam soweit ersichtlich nur deshalb nicht zustande, weil der Kläger der Beklagten, was Voraussetzung für eine Mietschuldenübernahme ist, nicht nachweisen konnte, dass bei einer Schuldenübernahme durch die Beklagte Mietsicherheit für die Zukunft besteht. Eine Mietschuldenübernahme nach § 36 SGB XII kommt regelhaft nämlich nur dann in Betracht, wenn es sich um eine angemessene Unterkunft im Rahmen der geltenden Höchstwerte für die Kosten der Unterkunft gem. § 35 SGB XII handelt, die Begleichung der weiteren laufenden Zahlungsverpflichtungen sichergestellt ist und der Verlust der aktuell genutzten Unterkunft tatsächlich (und nicht nur vorübergehend) verhindert werden kann. Dies war vorliegend aber bei einer Beurteilung des Sachverhalts nach Aktenlage nicht der Fall. Weder konnte der Kläger die laufende Miete begleichen, noch hätte eine Mietschuldenübernahme innerhalb der Zweimonatsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die zugleich mit der fristlosen Kündigung ausgesprochene ordentliche Kündigung ohne Weiteres entfallen lassen (vgl. BGH, U.v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04). Eine Schuldenübernahme durch die Beklagte war daher nicht im Sinne von § 36 SGB XII zur Sicherung der Unterkunft geeignet.
Der Klageantrag auf Zurverfügungstellung einer der letzten Mietwohnung des Klägers vergleichbaren Wohnung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich abzulehnen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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