Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Fakten statt Akten” – keine Unterscheidungskraft – zum Beurteilungszeitpunkt für die Prüfung der Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  30 W (pat) 42/11

Datum:
7.11.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 307 62 792.6
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 7. November 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, der Richterin Winter und des Richters Jacobi
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. August 2009 und vom 31. Januar 2011 aufgehoben.

Gründe

I.
1
Am 25. September 2007 ist die Wortfolge
2
Fakten statt Akten
3
als Marke für die Waren und Dienstleistungen:
4
„Computersoftware (gespeichert), insbesondere für das Vertragsmanagement; Unternehmensberatung (Beratung bei Einführung, Konfiguration, Betrieb); EDV-Beratung (Beratung bei technischen Problemen rund um Einführung und Betrieb); Programmierung von Software für das Vertragsmanagement“
5
zur Eintragung angemeldet worden.
6
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Erstbeschluss vom 17. August 2009 gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen, weil dem Zeichen jegliche Unterscheidungskraft fehle. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Erinnerung ist mit Beschluss vom 31. Januar 2011 zurückgewiesen worden.
7
Die gegen diese Beschlüsse eingelegte Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 29. Oktober 2012 wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.
8
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde der Anmelderin hat der Bundesgerichtshof diesen Beschluss durch Beschluss vom 18. April 2013 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen (I ZB 72/12; die Parallelsache I ZB 71/12 – Aus Akten werden Fakten – veröffentlicht in GRUR 2013, 1143).
9
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
10
die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. August 2009 und vom 31. Januar 2011 aufzuheben.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
12
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin erweist sich als begründet.
13
Der Senat hat in dem vom Bundesgerichtshof aufgehobenen Beschluss ausgeführt, dass der Wortfolge zwar nicht schon von Haus aus jede Unterscheidungskraft gefehlt habe, die angemeldete Marke vielmehr einen gewissen Interpretationsaufwand erfordere, um zu ihrem beschreibenden Aussagegehalt vorzudringen, und daher geeignet sei, bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen Denkprozess auszulösen, sowie darüber hinaus eine gewisse Originalität und Prägnanz aufweise. Wegen der nach dem Zeitpunkt der Anmeldung nachgewiesenen umfangreichen Verwendung als Werbespruch im betroffenen Bereich des IT-gestützten Vertragsmanagements werde das angesprochene Publikum im Zusammenhang mit den maßgeblichen Waren und Dienstleistungen hieran jedoch zum nach deutschem Recht maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung keine individuelle betriebliche Herkunftsvorstellung mehr knüpfen.
14
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsbeschwerdeentscheidung mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, dass es sowohl im Eintragungs- als auch im Löschungsverfahren bei der Prüfung, ob einem Zeichen für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt oder gefehlt hat, auf das Verkehrsverständnis im Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung als Marke abzustellen ist. Es ist ausgeführt:
15
„4. Der Senat hält im Blick auf diese Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Für die im Eintragungsverfahren (§ 37 Abs. 1, § 41 Satz 1 MarkenG) und im Nichtigkeitsverfahren (§ 50 Abs. 1 MarkenG) vorzunehmende Prüfung, ob einem Zeichen für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt oder gefehlt hat und es daher von der Eintragung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ausgeschlossen oder entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden ist, ist auf das Verkehrsverständnis im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens abzustellen. Dafür spricht nicht nur das Interesse des Anmelders, durch die Dauer des Eintragungsverfahrens keine Nachteile zu erleiden. Hinzu kommt das Interesse der Allgemeinheit an einer grundsätzlich einheitlichen Auslegung dieser miteinander übereinstimmenden Regelungen der Gemeinschaftsmarkenverordnung einerseits und des Markengesetzes andererseits (vgl. Bölling, GRUR 2011, 472, 477). Diese Interessen des Anmelders und der Allgemeinheit sind – jedenfalls in ihrer Gesamtheit – höher zu bewerten als das Interesse an einer schnellen Erledigung einer Vielzahl von Anmeldungen.“
16
Hieraus folgt, dass der nachträgliche Verlust der einer angemeldeten Bezeichnung von Haus aus zukommenden Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG im Verlauf des Eintragungsverfahrens bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft außer Betracht zu bleiben hat. Der Anmelder muss danach eine später eintretende nachteilige Veränderung nicht gegen sich gelten lassen.
17
Der Senat hat in seiner vorausgegangenen Entscheidung bereits festgestellt, dass sich nicht nachweisen lässt, dass die beanspruchte Wortfolge schon im Zeitpunkt der Anmeldung als bloßes Werbemittel verbreitet war. Neue Erkenntnisse dazu haben sich nicht ergeben.
18
Die Beschwerde hat somit Erfolg.


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