Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – “Chromatographische Trennung von Plasmaproteinen, insbesondere von Faktor VIII, von Willebrand Faktor, von Fibronectin und von Fibrinogen (europäisches Patent)” – zur unzulässigen Erweiterung – zu Patentfähigkeit – Patent zur Gewinnung von Proteinkonzentraten

Aktenzeichen  3 Ni 32/10 (EP)

Datum:
27.3.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG
Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Art 54 Abs 1 EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

nachgehend BGH, 18. März 2014, Az: X ZR 77/12, Urteilnachgehend BGH, 17. Juni 2014, Az: X ZR 77/12, Beschluss

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 0 359 593
(DE 689 22 358)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm sowie der Richter Dr. Gerster und Schell sowie der Richterinnen Dipl.-Chem. Zettler und Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klage richtet sich gegen das am 8. Februar 1989 beim Europäischen Patentamt angemeldete, die Priorität der französischen Patentanmeldung 8807530 vom 7. Juni 1988 in Anspruch nehmende und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in französischer Sprache erteilte europäische Patent 0 359 593 (Streitpatent). Vom Deutschen Patent- und Markenamt wird das Streitpatent unter der Nummer 689 22 358 geführt. Es trägt in der deutschen Übersetzung die Bezeichnung „Chromatographische Trennung von Plasmaproteinen, insbesondere von Faktor VIII, von Willebrand Faktor, von Fibronectin und von Fibrinogen“. In einem früheren Nichtigkeitsverfahren, an dem die jetzigen Klageparteien nicht beteiligt waren, hatte der Bundesgerichtshof das Streitpatent mit Urteil vom 13. Juli 2010 beschränkt aufrechterhalten (Az. Xa ZR 10/07). Das Streitpatent ist durch Zeitablauf am 8. Februar 2009 erloschen.
2
In der vom BGH aufrecht erhaltenen Fassung umfasst das Streitpatent 12 Patentansprüche, von denen der Patentanspruch 1 in der deutschen Übersetzung folgendermaßen lautet:
3
„1. Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte umfasst:
4
– Man verwendet als Ausgangsmaterial die Kryopräzipitatfraktion des Plasmas, die im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII besteht;
5
– man unterzieht das wieder in wässrige Lösung gebrachte Kryopräzipitat einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischem Charakter, dessen Matrix ein Gel vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers ist, das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten;
6
– man gewinnt die verschiedenen Proteine selektiv durch sukzessive Erhöhung der Ionenstärke des Elutionspuffers
7
– und eine erhaltene Faktor VIII-Lösung wird gefriergetrocknet.“
8
Die Patentansprüche 2 bis 12 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
9
Die Klageparteien machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Ferner nehme das Streitpatent zu Unrecht das Prioritätsdatum vom 7. Juni 1988 in Anspruch, da die französische Prioritätsanmeldung von einem nicht rechtsfähigen Anmelder, nämlich der Firma „C…“ angemeldet worden sei und damit bis zur Erteilung des Patents keine rechtswirksame Anmeldung vorgelegen habe. Im Laufe des Verfahrens haben die Klageparteien zusätzlich vorgebracht, der geltende Patentanspruch 1 sei unzulässig erweitert worden, da das Merkmal betreffend die „Gefriertrocknung des Faktor VIII-Konzentrats“ ursprünglich nicht als erfindungswesentlich und damit nicht als zur vermeintlichen Erfindung gehörig offenbart sei. Hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Klage verweisen die Klageparteien auf ein eigenes Rechtschutzbedürfnis, das sich aus der gegen sie erhobenen Verletzungsklage durch die Beklagte ergebe.
10
In ihrem Vorbringen stützen sich die Klageparteien u.a. auf folgende Druckschriften:
11
K1 EP 0 359 593 B2 (Streitpatent)
12
K1a DE 689 22 358 T3 (deutscher Teil des Streitpatents)
13
K2 Urteil BPatG vom 09.11.2006 – Az 3 Ni 5/04
14
K3 Urteil BGH vom 13.07.2010 – Az Xa ZR 10/07
15
K6 EP 0 343 275 B1
16
K9a.1 Auszug aus dem Deutschen Arzneibuch, 9. Ausgabe, 1986, S. 1 und 3 bis 13
17
K10 EP 0 238 701 B1
18
K15 DE 34 32 083 A1
19
K16 Y. Kato et al., J. of Chromatography, 1982, 245, 193 bis 211
20
K17 Y. Kato et al., J. of Chromatography, 1982, 253, 219 bis 225
21
K18 H.J. Weiss et al., J. of Clinical Investigation, 1977, 60, 390 bis 404
22
K20 H.E. Hynes et al., Blood, 1969, 34, 601 bis 609
23
K21 J.-J. Morgenthaler, Thromb Haemostas, 1982, 47, 124 bis 127
24
K32 US 4 508 709
25
K35 F.E. Regnier, Methods in Enzymology, 1984, (104), S. 170 bis 189
26
Der Klageparteien beantragen,
27
das europäische Patent 0 359 593 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
28
Die Beklagte beantragt,
29
die Klage abzuweisen,
30
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 7 gemäß Schriftsatz vom 14. März 2011, weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 8 bis 10 gemäß Schriftsatz vom 14. März 2012, und weiter hilfsweise die Fassung des Hilfsantrags 11 gemäß Schriftsatz vom 26. März 2012 erhält.
31
Sie hält die Klage bereits für unzulässig. Bei der Klägerin zu 1 handle es sich um eine 100%ige Tochter und bei der Klägerin zu 2 um eine 98%ige Tochter der früheren Nichtigkeitsklägerin. Der Kläger zu 3 sei der einzige Geschäftsführer der Klägerin zu 1. Aufgrund dieser engen Konzernverbindungen müssten die Klageparteien die Rechtskraft des in dem früheren Nichtigkeitsverfahren ergangenen Urteils gegen sich gelten lassen, zumal die neue Nichtigkeitsklage weitgehend auf dasselbe Material gestützt werde. Bei den neu eingeführten Schriften handle es sich lediglich um ergänzende Dokumente, deren Offenbarung nicht über die Angaben in den Druckschriften des ersten Nichtigkeitsverfahrens hinausginge. Die jetzigen Klageparteien versuchten in unzulässiger Weise, die Konzernstruktur der früheren Nichtigkeitsklägerin auszunutzen, um ein weiteres Rechtsmittel gegen die rechtskräftige Entscheidung im ersten Nichtigkeitsverfahren zur Verfügung zu haben. Den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen tritt die Beklagte entgegen. Bezüglich der Prioritätsanmeldung FR 8807530 nehme das Streitpatent deren Prioritätsdatum zu Recht in Anspruch, da es sich bei der „C…“ um keine andere Firma, sondern lediglich um eine andere Bezeichnung für die rechtsfähige Nichtigkeitsbeklagte handle. Sowohl die französische als auch die europäische Patentanmeldung seien deshalb wirksam gewesen.
32
Zur Stützung ihres Vorbringens verweist die Beklagte auf folgende Dokumente:
33
HL1 BPatG-Entscheidung vom 22. August 2006 – Az 5 W (pat) 421/04
34
HL2 Liste der Gesellschafter der Octapharma GmbH
35
HL3 Auszug aus der Firmenbuchdatenbank der Republik Österreich, vom 28. Dezember 2009 betreffend die Octapharma Pharmazeutika Produktionsgesellschaft mbH
36
HL4 Auszug aus dem Handelsregister B des Amtsgerichts Düsseldorf vom 19. August 2009 betreffend die Octapharma Vertrieb von Plasmaderivaten GmbH
37
HL5 Annual Report der Octapharma aus dem Jahr 2009, S. 8, 9 und 52 bis 54
38
HL6 EP 0 343 275 A1
39
HL7 R. K. Scopes, „Protein Purification – Principles and Practice“, 1982, Springer Verlag, New York, Series Preface, Preface
40
HL8 Hilfsanträge 1 bis 7
41
HL9 BPatG-Urteil vom 14. Dezember 2010 – Az. 4 Ni 24/09
42
HL10 Auszug aus dem Handelsregister des Kantons Schwyz vom 10. August 2011 betreffend die Firma Biogamma AG, Firmennummer CH-160.3.003.749-9
43
HL11 Auszug aus dem Handelsregister des Kantons Schwyz vom 18. August 2011 betreffend die Firma Octapharma AG, Firmennummer CH-160.3.001.141-6
44
HL12 Eintrag bei der Präfektur des Departement Nord betreffend die Association pour l`essor de la transfusion sanguine de la région du Nord vom 11. Mai 1972
45
HL13 Urteil Nr. 207 des Berufungsgerichtshofs Toulouse vom 28. April 2010
46
HL14 Urteil des Landgerichts Lille vom 6. März 2003 Az I – BM/JB – 92/6857
47
HL15 Urteil des Pariser Berufungsgerichts für Verwaltungssachen vom 23. Februar 1999, Az. 98PA00377
48
HL16 Beschluss des BGH vom 20. Dezember 2011, Az. X ZR 13/11
49
HL17 Produktinformation der Tosoh Bioscience bzg. Toyopearl Resins for Ion Exchange Chromatography, S. 16 bis 18
50
HL18 NichTzulassungsbeschwerde- und Revisionsbegründung der Rechtsanwälte Jordan & Hall vom 26. Mai 2011 im Rechtsstreit – X ZR 13/11
51
HL19 Vereinbarung der CRTS Lille mit Octapharma vom 16. Januar 1989
52
HL20 Auszug aus dem öffentlichen Teil der DIMDI-Datenbank vom 26. März 2012 betreffend Octaliquid 250 Faktor-VIII-Konzentrat human; Injektionslösung der Octapharma GmbH.
53
Wegen des Wortlauts der hilfsweise geltend gemachten Patentansprüche wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 27. März 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
54
Die Klage ist zulässig.
55
Dem steht nicht entgegen, dass das Streitpatent vor Klageerhebung durch Zeitablauf erloschen ist, da die Klageparteien aufgrund der Inanspruchnahme seitens der Beklagten wegen angeblicher Verletzung des Streitpatents ein rechtliches Interesse an der rückwirkenden Vernichtung des Streitpatents besitzen (vgl. BGH, GRUR 2005, 749 – Aufzeichnungsträger; GRUR 2008, 90 – Verpackungsmaschine).
56
Soweit die Beklagte darauf verweist, die Klageparteien hätten sich der zu Beginn des Verletzungsprozesses noch anhängigen Nichtigkeitsklage der früheren Klägerin anschließen müssen, folgt der Senat dieser Ansicht nicht. Eine Pflicht zur Nebenintervention, wie sie der Argumentation der Beklagten zugrunde liegt, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Vielmehr durften die Klageparteien den Ausgang des damals anhängigen Nichtigkeitsverfahrens abwarten, um sich dann selbst mit einer eigenen Nichtigkeitsklage gegen ihre Inanspruchnahme aus dem Streitpatent zu wehren (Busse, PatG, 6. Aufl., § 81 Rdn. 65; Benkard, PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 34).
57
Die Zulässigkeit der Klage wird auch nicht durch die Rechtskraft des BGH-Urteils vom 13. Juli 2010 (Az. Xa ZR 10/07) in Frage gestellt, da die jetzigen Klageparteien an dem damaligen Verfahren nicht beteiligt waren. Zudem sind sie ungeachtet ihrer – unterschiedlich ausgeprägten – konzernmäßigen Beziehungen zur früheren Nichtigkeitsklägerin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als rechtlich eigenständig und nicht als dieselbe Partei i. S. d. § 325 ZPO anzusehen. Die bloße Konzernverbundenheit allein bewirkt keine Rechtskrafterstreckung für oder gegen an dem fraglichen Rechtsstreit nicht beteiligte Unternehmen (vgl. BPatGE 27, 55; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl., Rdn. 284; van Hees/Braitmayer, Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rdn. 429; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 619). Es sind auch keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die jetzigen Klageparteien im Auftrag und im ausschließlichen Interesse der früheren Klägerin handeln würden, um die Rechtskraft des damaligen Urteils zu umgehen (vgl. BGH, GRUR 2010, 992 – Ziehmaschinenzugeinheit II; BGH, GRUR 1998, 904 – Bürstenstromabnehmer). Vielmehr ist den jetzigen Klageparteien aufgrund der gegen sie gerichteten Verletzungsklage ein anerkennenswertes Eigeninteresse am Wegfall des Streitpatents zu unterstellen.
II.
58
Die Klage, mit der die in Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a und c EPÜ i. V. m. Art. 54 Abs. 1, 2 und Art. 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht werden, erweist sich jedoch als unbegründet.
59
1. Das Streitpatent betrifft ein chromatographisches Verfahren zur Trennung der Plasmaproteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor.
60
Wie einleitend in der Streitpatentschrift ausgeführt wird, sind Fibronectin, Fibrinogen, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII Proteine des Blutplasmas, die für die Blutgerinnung von Bedeutung sind. Bei der als Hämophilie A bekannten Erbkrankheit steht der Faktor VIII nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung, so dass es zu einer Störung der Blutgerinnung kommt. Bei Patienten, die an Hämophilie A leiden, gerinnt daher Blut aus Wunden nicht oder nur langsam. Häufig kommt es auch zu spontanen Blutungen, die ohne sichtbare Wunden auftreten. Zur Behandlung der Krankheit muss das als Faktor VIII bezeichnete Protein verabreicht werden. Da die Patienten zahlreiche und wiederholte Injektionen von Faktor VIII-Konzentraten erhalten, müssen zur Vermeidung der üblichen Transfusionszwischenfälle hochreine Faktor VIII-Konzentrate eingesetzt werden.
61
Üblicherweise werden die Faktor VIII-Konzentrate aus einer bei niedriger Temperatur gefällten Fraktion des menschlichen Plasmas hergestellt. Zu den bekannten Techniken gehören ferner die sterische Ausschlusschromatographie oder molekulare Filtration, der Einsatz von porösen Siliciumdioxid zur Bindung von Protein-Verunreinigungen mit niedrigem Molekulargewicht sowie Ausfällungen durch die Zugabe von Fällungsmitteln, die teilweise mit Ausfällungen bei niedriger Temperatur kombiniert werden. Nachteilig an diesen Techniken ist jedoch, dass sie den Zusatz von Stabilisatoren erfordern, so dass nur Konzentrate mit niedriger Aktivität erhalten werden und die Techniken z. T. für den industriellen Maßstab nicht geeignet sind. Neue Techniken basieren z. B. auf den Methoden der Immunaffinitätschromatographie, die zwar leistungsfähig ist, aber drastische Lösungen erfordert und daher ebenfalls nur Produkte mit niedriger spezifischer Aktivität liefert. Größter Nachteil dieser Reinigung ist jedoch die Anwesenheit von zurückbleibenden Antikörpern tierischen Ursprungs, die beim Patienten immunologische Reaktionen auslösen können. Benutzt werden auch Techniken der Ionenaustauschchromatographie, die sich aufgrund ihrer komplizierten Arbeitsvorgänge sowie den niedrigen Ausbeuten allerdings für den industriellen Einsatz nicht eignen (vgl. K1a, Abs. [0002] bis [0009], [0011] und [0012]).
62
2. Ausgehend davon ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, eine Methode zur Gewinnung von Proteinkonzentraten, insbesondere von Faktor VIII-Konzentraten, zu entwickeln, die im industriellen Maßstab anwendbar ist und hochreine, insbesondere von Antikörpern tierischen Ursprungs freie Produkte mit hoher Aktivität liefert und weitere Behandlungen, wie die Ultrafiltration, die die Kompliziertheit des Verfahrens erhöhen und die Aktivität des gereinigten Proteins verringern, überflüssig macht (vgl. K1a, Abs. [0010] und [0013]).
63
3. Gelöst wird die Aufgabe mit einem Verfahren, das gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag folgende Merkmale aufweist:
64
1a) Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und
65
1b) zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch.
66
2a) Als Ausgangsmaterial wird dabei die Kryopräzipitatfraktion des Plasmas verwendet,
67
2b) die im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII besteht, die
68
2c) wieder in wässrige Lösung gebracht wird.
69
3) Das Kryopräzipitat wird einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischen Charakter unterzogen,
70
3a) wobei dessen Matrix ein Gel vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers ist,
71
3b) das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten.
72
4) Die verschiedenen Proteine werden selektiv durch sukzessive  Erhöhung der Ionenstärke des Elutionspuffers gewonnen.
73
5) Eine erhaltene Faktor VIII-Lösung wird gefriergetrocknet.
74
4. Zuständiger Fachmann ist ein promovierter Chemiker oder Biochemiker mit mehrjähriger beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Isolierung von Plasmaproteinen und einschlägigen Kenntnissen der bei der Proteintrennung verwendeten Techniken.
III.
75
Das Streitpatent in der vom BGH mit Urteil vom 13. Juli 2010 aufrecht erhaltenen Fassung (vgl. K3, S. 2 und 3) erweist sich als bestandsfähig.
76
1. Die Klageparteien haben mit Schriftsatz vom 3. November 2010 ihre Klage zusätzlich auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gestützt. Dieser Klageänderung hat die Beklagte zugestimmt, indem sie sich schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung rügelos auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 267 ZPO). Im Übrigen ist die Klageerweiterung auch sachdienlich, weil sie eine endgültige Klärung des Streits zwischen den Parteien fördert und so eine neue Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent vermieden werden kann (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO; vgl. hierzu auch Schulte, PatG, 8. Aufl., § 81 Rdn. 72).
77
Das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag weist entgegen der Rechtsansicht der Nichtigkeitskläger allerdings keine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung auf, weil im beanspruchten Verfahren eine allgemeine „Gefriertrocknung“ vorgesehen ist.
78
In der Beschreibung der ursprünglich eingereichten europäischen Patentanmeldung EP 0 359 593 A1 wird ausgeführt, dass mit dem darin genannten Verfahren ein Faktor VIII-Konzentrat sehr hoher Reinheit und Stabilität erhältlich ist, ohne dass hierfür auf einen Schritt der Ultrafiltration oder die Zugabe eine Stabilisators mit Proteincharakter zurückgegriffen werden muss ( vgl. EP 0 359 593 A1, Sp. 4, Z. 10 bis 21). An anderer Stelle findet sich der Hinweis, dass in diesem Verfahren mit einem Puffer, dessen Ionenstärke in zwei Stufen erhöht wird, Faktor VIII in Gegenwart geringer Mengen von von-Willebrand-Faktor eluiert und direkt gefriergetrocknet wird, ohne einen Stabilisator zugeben oder eine Ultrafiltration durchführen zu müssen (vgl. EP 0 359 593 A1, Sp. 4, Z. 45 bis 50). Aufgrund dieser Formulierungen schließt die patentgemäße Lehre zwei Verfahrensvarianten ein: eine erste Variante, bei der eine Ultrafiltration und/oder die Zugabe eines Stabilisators vor der Gefriertrocknung erfolgt, sowie eine zweite bevorzugte Variante, bei der auf diese zusätzlichen Verfahrensschritte vor der Gefriertrocknung verzichtet wird. Die in den Erstunterlagen offenbarten Verfahren erfordern daher nicht zwangsläufig eine Ultrafiltration und/oder die Zugabe eines Stabilisators, sondern eröffnen vielmehr die Möglichkeit, auf diese Verfahrensschritte verzichten zu können. Die Offenbarung der Erstunterlagen ist – entgegen der Auffassung der Klageparteien – damit nicht auf ein Verfahren beschränkt, bei dem das Protein-Konzentrat nach dessen Elution direkt einer Gefriertrocknung unterzogen werden muss, wie in den Beispielen 2 bis 5 der ursprünglichen Anmeldung angegeben (vgl. EP 0 359 593 A1, Sp. 6, Z. 59 bis 61, Sp. 7, Z. 62/63 und Sp. 8, Z. 35/36 und 54/55).
79
Angesichts dessen ist die offenbarte Lehre der ursprünglichen Anmeldung nicht auf solche Verfahren beschränkt, wie sie in den Ausführungsbeispielen angewendet werden. Sie umfasst vielmehr all diejenigen Verfahren, bei denen im letzten Verfahrensschritt eine Gefriertrocknung stattfindet. Aus diesem Grund kann sich der Senat der Sichtweise der Klageparteien, die Gefriertrocknung sei in den Ursprungsunterlagen nicht als erfindungswesentliches, also als nicht zu der vermeintlichen Erfindung gehöriges Merkmal offenbart, nicht anschließen (vgl. Schriftsatz vom 3. November 2010, S. 1 und 2, seitenübergreifender Abs.). Im Übrigen hat auch der BGH in seinem Urteil vom 13. Juli 2010 (vgl. K3, Rdn. 58) die Gefriertrocknung als einen in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbarten und zur Erfindung gehörenden Verfahrensschritt anerkannt.
80
2. Die Beklagte hat mit den von ihr vorgelegten Dokumenten HL12 bis HL15 belegt, dass das Centre Regional De Transfusion Sanguine De Lille (C…) – bei dem es sich um die Anmelderin der europäischen Patentanmeldung EP 0 359 593 A1 sowie der französischen Prioritätsanmeldung FR 8807530 handelt – aus juristischer Sicht eine einzige juristische Person mit der Nichtigkeitsbeklagten bildet. Demzufolge ist, wie schon im Urteil des BPatG vom 9. November 2006 (vgl. K2, S. 13, letzter Abs.) als auch im Urteil des BGH vom 13. Juli 2010 festgestellt wurde (vgl. K3, S. 1, Rubrum), davon auszugehen, dass sowohl die französische als auch die europäische Patentanmeldung wirksam waren. Das Streitpatent nimmt die Priorität der französischen Patentanmeldung FR 8807530 vom 7. Juni 1988 somit zu Recht in Anspruch.
81
3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu.
82
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag betrifft ein Verfahren zur chromatographischen Trennung von Plasmaproteinen, mit dem insbesondere ein Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor hergestellt werden soll. Dem patentgemäßen Merkmal 5 zur Folge wird im letzten Schritt dieses Verfahrens die erhaltene Faktor VIII-Lösung gefriergetrocknet.
83
Nach Ansicht der Klageparteien werde ein solches Verfahren mit abschließender Gefriertrocknung durch die Entgegenhaltung K6 neuheitsschädlich vorweggenommen, da dem Fachmann die Gefriertrocknung als das Mittel der Wahl zur Haltbarmachung von Proteinen bekannt sei und er deshalb einen solchen Verfahrensschritt in K6 mitlese, auch wenn dieser darin nicht explizit erwähnt werde. Da das Verfahren der K6 jedoch der Herstellung eines therapeutischen Endprodukts diene, orientiere sich der Fachmann bei der Durchführung des Verfahrens an den im Deutschen Arzneibuch vorgegebenen rechtlichen Standards für arzneiliche Fertigprodukte, in dem für Faktor VIII-Konzentrate eine Gefriertrocknung vorgeschrieben sei. Demzufolge handle es sich bei der Gefriertrocknung weder im patentgemäßen Verfahren noch im Verfahren der K6 um ein ergänzendes technisches Merkmal, sondern vielmehr um eine bei der Herstellung von Faktor VIII-Konzentraten obligate Vorgehensweise.
84
Der BGH hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2010 in Übereinstimmung mit den Ausführungen des BPatG in Urteil vom 9. November 2006 angenommen, dass eine Gefriertrocknung weder in K6 noch in der darin mehrfach zitierten Entgegenhaltung K10 offenbart sei. Selbst wenn die Gefriertrocknung in den meisten Fällen das Mittel der Wahl zur Haltbarmachung von therapeutischen Proteinpräparaten sei, genüge dies dennoch nicht, um diesen Verfahrensschritt zu dem Informationsgehalt der K6 zu rechnen, den der Fachmann aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis in K6 mitlese. Dem Fachmann sei zwar bewusst, dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf, um ein nach dem Verfahren der K6 hergestelltes Faktor VIII-Konzentrat therapeutisch einsetzen zu können. Da es aus technischer Sicht hierfür jedoch mehrere Möglichkeiten gebe, aus denen der Fachmann aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis auswähle, könne nach Ansicht des BGH daraus nicht gefolgert werden, dass er die Gefriertrocknung in K6 als selbstverständlich mitlese und alle in Betracht kommenden Alternativen von vornherein verwerfe (vgl. K2, S. 21/22, seitenübergreifender Abs. und K3, Rdn. 59 bis 62).
85
Der dagegen von den Klageparteien im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren erhobene Einwand, die vom Fachmann zu treffende Auswahl eines geeigneten Verfahrensschrittes zur Stabilisierung eines Faktor VIII-Konzentrates sei im Lichte der Bereitstellung eines therapeutischen Endproduktes und der dafür geltenden rechtlichen Bestimmungen zu sehen, führt zu keiner anderen Beurteilung der in K6 unmittelbar und eindeutig offenbarten technischen Lehre.
86
Den Klageparteien ist zwar insoweit zuzustimmen, dass Arzneimittel in Deutschland nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn diese den Anforderungen des Deutschen Arzneibuchs genügen und nach dessen Vorschriften hergestellt oder geprüft sind, weshalb sich der Fachmann auch bei der Herstellung eines therapeutischen Faktor VIII-Konzentrats an den Standards des Deutschen Arzneibuchs orientieren wird. Aus der Arzneibuchverordnung ist dem Fachmann jedoch bekannt, dass bei der Herstellung therapeutischer Substanzen auch andere als die darin beschriebenen Methoden angewendet werden können, sofern damit die gleichen Ergebnisse wie mit den Standardverfahren erzielt werden. Demzufolge gibt das Deutsche Arzneibuch für therapeutische Präparate zwar bestimmte Standardverfahren für deren Herstellung vor, ermöglicht aber dennoch ein Abweichen von den darin aufgezeigten Herstellungswegen, solange die Qualität der Endprodukte die Vorschriften des Deutschen Arzneibuchs erfüllt (vgl. K9a1, S. 1, § 2 und K9, S. 580). In Anbetracht dessen, wird der Fachmann bei der Herstellung eines therapeutisch einsetzbaren Faktor VIII-Konzentrats nicht davon ausgehen, dass es aus technischer Sicht keine Alternative zu der im Deutschen Arzneibuch genannten Gefriertrocknung gibt.
87
Nachdem in K6 lediglich die Herstellung eines hochreinen virusfreien Faktor VIII-Konzentrats gefordert wird, ohne weitere Angaben dazu zu machen, was mit dem Präparat nach dessen Sterilfiltration geschehen soll, wird der Fachmann selbst in Kenntnis der für therapeutische Endprodukte geltenden rechtlichen Standards in K6 eine Gefriertrocknung aus den im Urteil des BGH vom 13. Juli 2010 genannten Gründen nicht unmittelbar und eindeutig mitlesen (vgl. K6, Sp. 1, Z. 36 bis 44 und Sp. 3, Z. 8 bis 10) (vgl. K3, Rdn. 59 bis 62). Die Gefriertrocknung eines Faktor VIII-Konzentrates erschließt sich dem Fachmann auch unter Berücksichtigung der in K6 zitierten EP 0 238 701 (vgl. K10) nicht ohne weiteres, da das erhaltene Faktor VIII-Konzentrat darin ebenfalls nur durch einen Ultrafilter gereinigt und dann in Ampullen gefüllt und therapeutisch eingesetzt wird, ohne auf einen abschließenden Schritt zur Haltbarmachung des Protein-Konzentrates hinzuweisen (vgl. K10, Sp. 2, Z. 36 bis 39).
88
Nachdem der BGH in seinem Urteil vom 13. Juli 2010 die in K6 offenbarte technische Lehre bereits unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorschriften des Deutschen Arzneibuchs bewertet hat, besteht nach Ansicht des Senats folglich keine Veranlassung dazu, die in diesem Urteil festgestellte Neuheit des patentgemäßen Verfahrens, wie es auch im geltenden Patentanspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags formuliert ist, gegenüber der Entgegenhaltung K6 zu verneinen (vgl. K3, Rdn. 62).
89
4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
90
In seinem Urteil vom 13. Juli 2010 hat der BGH angenommen, dass ein Verfahren, wie es im vorliegenden Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag formuliert ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, da die Entgegenhaltung K15 (dort K8) dem Fachmann zwar einen Anlass dafür gebe, an Stelle der darin genannten Harze auf Kohlenhydratbasis auch andere ihm aus dem Dokument K16 (dort K7) bzw. K17 (dort K9) bekannte Austauscherharze auf ihre Eignung zur Gewinnung von Faktor VIII im Wege der Anionenaustauscherchromatographie zu untersuchen (vgl. K3, Rdn. 68 bis 70). Eine Zusammenschau der Dokumente K15 und K18 (dort Jo19) liefere ihm zudem eine Veranlassung dafür, Faktor VIII nicht isoliert zu gewinnen, sondern den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor bestehen zu lassen (vgl. K3, Rdn. 71 und 72). Konkrete Hinweise dafür, diese Änderungen mit einer Gradientenelution zu kombinieren, bei der die Ionenstärke des Elutionspuffers schrittweise erhöht und dabei nicht nur ein einziges Protein sondern mehrere Proteine sowie ein Proteinkomplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor gewonnen werden, hat der BGH dagegen weder in der Entgegenhaltung K15 noch in einer der anderen genannten Druckschriften gesehen (vgl. K3, Rdn. 73 und 74). Soweit sich die Klageparteien bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit weiterhin auf die Dokumente K15 bis K18 stützen, sieht der Senat daher keine Veranlassung, von dieser Annahme abzuweichen.
91
Im hiesigen Nichtigkeitsverfahren führen die Klageparteien zur Stützung der von ihnen nach wie vor vertretenen Auffassung, das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ergänzend die Druckschriften K20 und K32 in das Verfahren ein, die weder im ersten Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG noch im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof als Stand der Technik zitiert worden waren. Die zusätzliche Vorlage dieser Entgegenhaltungen führt entgegen der Auffassung der Klageparteien jedoch zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage.
92
In K32 wird von einem Verfahren berichtet, mit dem aus humanem Plasma oder Kryopräzipitat Faktor VIII für therapeutische Zwecke aufgereinigt wird (vgl. K32, Sp. 1, Z. 5 bis 9, Sp. 2, Z. 53 bis 64 und Sp. 4, Z. 37 bis 39). Für dessen chromatographische Reinigung wird Aminohexyl-Agarose als Matrix verwendet (vgl. K32, Sp. 2, Z. 37 bis 49 und Sp. 3, Z. 26 bis 33). Dabei wird in zwei Wasch-Schritten zuerst nicht-adsorbiertes Material von der Säule entfernt und anschließend Fibrinogen, Fibronektin sowie unerwünschte Proteine von der Säule gewaschen (vgl. K32, Sp. 3, Z. 67 bis Sp. 4, Z. 12). Im nächsten Verfahrensschritt erfolgt eine zweistufige Elution unter Verwendung von Elutionspuffern mit steigender Ionenstärke. Bei der ersten Elution desorbiert der größte Teil des von-Willebrand-Faktors, während mit der zweiten Elution der Faktor VIII erhalten wird (vgl. K32, Sp. 4, Z. 13 bis 37). Die K32 offenbart damit ein Verfahren im Sinne des Streitpatents, welches die patentgemäßen Merkmale 1), 2) und 4) aufweist.
93
Im Unterschied zum streitpatentgemäßen Verfahren findet sich dort allerdings kein eindeutiger Hinweis auf den Einsatz eines Anionenaustauschers, wie im patentgemäßen Merkmal 3) vorgesehen. Fraglich erscheint nämlich, ob es sich bei der in K32 verwendeten Aminohexyl-Agarose um einen reinen Anionenaustauscher handelt, da nicht deren ionische Eigenschaften, sondern vielmehr deren Zahl an hydrophoben Amino-seitenketten als entscheidendes Kriterium für ihre Eignung zur chromatographischen Reinigung von Faktor VIII in K32 angesehen wird (vgl. K32, Sp. 3, Z. 26 bis 33). Dies legt die Vermutung nahe, dass die Aminohexyl-Agarose in K32 deshalb verwendet wird, weil bei diesem Adsorbens in erster Linie die Vorteile einer Affinitätschromatographie zum Tragen kommen. Überlegungen in diese Richtung stellt auch J.-J. Morgenthaler in seinem als Dokument K21 vorgelegten Artikel aus dem Jahr 1982 über die Chromatographie des Faktors VIII mit Sepharosen (Handelsname für quervernetzte Agarose) an, deren Oberfläche mit Diamino- oder Aminoalkanen modifiziert ist. Morgenthaler geht in diesem Artikel der Frage nach, welche Kräfte für die Bindung des Faktors VIII an Aminoalkan- und Alkan-Sepharosen verantwortlich sind und zieht hierfür sowohl ionische als auch hydrophobe oder sterische Wechselwirkungen in Betracht (vgl. K21, S. 124, „Summary“ und S. 127, li. Sp., zweiter und dritter Abs.).
94
Unklar ist des Weiteren, ob die Aminohexyl-Agarose bei dem in K32 angegebenen pH von 6,0 bis 8,0 tatsächlich ein schwacher Anionenaustauscher ist (vgl. K32, Anspruch 1). Eine Klärung dieser Frage ist allerdings selbst unter Berücksichtigung der Angaben in dem Übersichtsartikel von F.E. Regnier (= K35), der mit der Hochleistungschromatographie auf Basis von Ionenaustauscherharzen befasst ist, nicht möglich. Denn aus K35 geht lediglich hervor, dass schwache Anionenaustauscher primäre und sekundäre Amine als funktionelle Gruppen auf ihrer Oberfläche tragen, während starke Anionenaustauscher quartäre Aminogruppen besitzen (vgl. K35, S. 175, zweiter Abs.). Ob die Aminohexylgruppen bei den in K32 als geeignet erachteten pH-Werten allerdings als primäre Amine vorliegen oder aber dabei in quartäre Amine übergehen, geht weder aus den Angaben der K32 noch der K35 hervor. Demzufolge liefert die K32 keine konkreten Hinweise dafür, zur Lösung der dem Streitpatent zu Grunde liegenden Aufgabe einen schwachen Anionenaustauscher einzusetzen.
95
Die Ausführungen in K32 bietet dem Fachmann zudem keine Veranlassung dafür, bei der Isolierung von Plasmaproteinen ein makroretikuläres Vinylpolymer als Austauscherharz einzusetzen, das zur Retention von Proteinkomplexen mit hohem Molekulargewicht wie Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor geeignet ist. Anders als das Verfahren des strittigen Patentanspruchs 1, ist das Verfahren der K32 nämlich darauf ausgerichtet, Faktor VIII isoliert aufzureinigen (vgl. K32, Titel i. V. m. Abstract und Sp. 2, Z. 37 bis 39). Gegen die gezielte Isolierung eines Komplexes aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor spricht in K32 zum einen, dass die Anwesenheit einer geringen Menge von von-Willebrand-Faktor in Faktor VIII-haltigen Eluaten nur dann als tolerierbar erachtet wird, wenn sehr hohe Ausbeuten an Faktor VIII angestrebt und die Zahl der Reinigungsschritte zur Vermeidung von Ausbeuteverlusten daher verringert werden muss (vgl. K32, Sp. 4, Z. 22 bis 30). Zum anderen bestätigen die Daten des Beispiels 2, dass mit dem Verfahren der K32 Faktor VIII von den übrigen Plasmaproteinen weitestgehend isoliert aufgereinigt werden soll, da diese belegen, dass die Menge an gleichzeitig eluiertem von-Willebrand-Faktor von 23 % im ersten Elutionsschritt auf 3 % im zweiten Elutionsschritt reduziert wird (vgl. K32, Sp. 6, Z. 24 bis 49). Als vorteilhaft wird der Fachmann dabei ferner erkennen, dass gleichzeitig mit der Abnahme der Menge des von-Willebrand-Faktors die Aktivität des Faktors VIII von 2,0 im ersten Eluat auf 9,1 im zweiten Eluat ansteigt. Zudem wird dem von-Willebrand-Faktor in K32 keine Bedeutung hinsichtlich der Stabilisierung des Faktors VIII beigemessen, da den Wasch- und Elutionspuffern zu diesem Zweck CaCl2 zugesetzt wird (vgl. K32, Sp. 4, Z. 7 bis 10). Ausgehend von K32 erhält der Fachmann somit keine Anregung dafür, einen Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor wie im patentgemäßen Merkmal 3b) zu isolieren, weshalb er sich in Kenntnis der K32 auch nicht veranlasst sehen wird, an Stelle der darin verwendeten Aminohexyl-Agarose ein Austauscherharz vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 3a) zu verwenden, zumal sich in K32 kein Hinweis dafür findet, dass die darin beschriebene Isolierung von Faktor VIII auch mit anderen Austauscherharzen als der hierfür verwendeten Aminohexyl-Agarose möglich ist.
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Nicht überzeugend ist für den Senat daher der in diesem Zusammenhang von den Klageparteien vorgebrachte Einwand, die Daten des Beispiels 2 würden eine gemeinsame Isolierung von Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor in K32 nahelegen und damit auch den Einsatz eines Austauscherharzes, wie es in den patentgemäßen Merkmalen 3) und 3a) definiert werde, ins Blickfeld des Fachmanns rücken.
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Denn wie bereits ausgeführt, basiert das Verfahren der K32 auf der Trennung von Faktor VIII (Faktor VIII: C) und von-Willebrand-Faktor (Faktor VIII:R); anderenfalls würde in K32 nicht die Empfehlung ausgesprochen, die Reste des von-Willebrand-Faktors, die sich nach den Waschschritten in komplexierter Form mit Faktor VIII noch auf der Säule befinden, mit Hilfe eines geeigneten Elutionsmittels zu entfernen (vgl. K32, Sp. 4, Z. 13 bis 17). Gegen die Isolierung eines Komplexes aus Faktor VIII und von Willebrand-Faktor spricht auch die Tatsache, dass im Verfahren der K32 der von-Willebrand-Faktor in einem ersten Elutionsschritt und Faktor VIII in einem zweiten Elutionsschritt getrennt voneinander von der Säule eluiert werden (vgl. K32, Anspruch 1, Schritte d und e i. V. m. Sp. 4, Z. 22 bis 39). Die Lehre der K32 liefert dem Fachmann daher weder Anregungen noch ein Vorbild dafür, Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor in komplexierter Form zu gewinnen.
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Im Bezug auf die Weiterverarbeitung des Faktor VIII-haltigen Eluats erhält der Fachmann in K32 lediglich die Information, dass dieses entweder direkt als Faktor VIII-haltiges Präparat für therapeutische Zwecke verwendet oder weiter verarbeitet werden kann, wobei die Art der Weiterverarbeitung in K32 nicht näher definiert wird (vgl. K32, Sp. 4, Z. 37 bis 39). Wie der BGH in seinem Urteil vom 13. Juli 2010 festgestellt hat, erschließt sich dem Fachmann eine Gefriertrocknung aus derart allgemeinen Angaben allerdings nicht ohne weiteres, so dass auch das patentgemäße Merkmal 5) durch die Offenbarung der K32 nicht nahegelegt wird (vgl. K3, Rdn. 62).
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Anregungen dahingehend, einen Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor unter Einsatz eines schwachen Anionenaustauschers auf der Basis eines makroretikulären Vinylpolymers zu isolieren und diesen abschließend einer Gefriertrocknung zu unterziehen, werden dem Fachmann in K32 somit jedenfalls nicht gegeben.
100
Eine entsprechende Lehre wird dem Fachmann auch nicht in einer Zusammenschau der K32 mit der von den Klageparteien in der mündlichen Verhandlung ebenfalls diskutierten Druckschrift K20 vermittelt.
101
Der Artikel der Autoren H.E. Hynes et al in Blood aus dem Jahr 1969 (= K20) betrifft zwar ein Verfahren zur chromatographischen Aufreinigung von Faktor VIII, bei dem als letzter Schritt eine Gefriertrocknung des Faktor VIII-haltigen Eluats durchgeführt wird (vgl. K20, S. 601, Einleitung, letzter Satz und S. 602, letzter Satz). Damit wird die Gefriertrocknung des patentgemäßen Merkmals 5) ins Blickfeld des Fachmanns gerückt. Anregungen, die in Richtung der patentgemäßen Merkmale 3a) und 3b) weisen würden, finden sich allerdings auch in diesem Dokument nicht. In K20 wird die Reinigung des Faktors VIII mit DEAE-Cellulose durchgeführt, bei der es sich zwar um einen schwachen Anionenaustauscher entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 3) handelt, die aber kein Austauscherharz vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers – wie im patentgemäßen Merkmal 3a) gefordert – besitzt, sondern ein Harz auf Kohlenhydratbasis. (vgl. K20, S. 601, Einleitung, letzter Satz und S. 608, „Comment“, erster Abs.). Außer der Cellulose beziehen die Autoren der K20 keine weiteren Matrizes in ihre Überlegungen mit ein, da das Ziel ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit die Überprüfung der Eignung von DEAE-Cellulose bei der Isolierung von Faktor VIII ist. Die wissenschaftlichen Daten der K20 lassen zudem keinen Zweifel daran erkennen, dass mit dem darin gezeigten Verfahren ein Fibrinogen-freies Faktor VIII-Konzentrat erhalten und dessen Stabilität durch die Zugabe von 0,4 % Citrat gewährleistet wird (vgl. K20, S. 601, Einleitung, letzter Abs. mit Tabelle 4 sowie S. 603, letzter Satz bis S. 605, Fig. 2C und S. 607, letzter Abs. oberhalb der Tab. 4 und S. 608, „Summary“, letzter Satz). Hinweise auf die Isolierung eines Komplexes aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor, in welchem der von-Willebrand-Faktor die Funktion eines Stabilisators wie im streitpatentgemäßen Verfahren übernimmt, enthält die K20 demzufolge nicht (vgl. K1a, Abs. [0024]).
102
In Kenntnis der K20 wird der Fachmann auch eine sukzessive Erhöhung der Ionenstärke des Elutionspuffers nicht ohne weiteres in Betracht ziehen. Denn aus ihr geht hervor, dass sich für die Gewinnung eines Fibrinogen-freien Faktor VIII-Konzentrats ein System aus 2-Puffern mit zunehmender Ionenstärke gegenüber einem entsprechenden System aus 4-Puffern als vorteilhaft erweist, was allenfalls eine zweistufige aber keinesfalls eine sukzessive und damit schrittweise Erhöhung der Ionenstärke entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 4) nahelegt (vgl. K20, Fig. 2A bis 2C i. V. m. Tab. 1 und S. 608, „Summary“, vorletzter Abs.).
103
Angesichts dieses Standes der Technik musste der Fachmann somit erfinderisch tätig werden, um ein Verfahren zur Trennung der Plasmaproteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronektin und von-Willebrand-Faktor bereitzustellen, bei dem wie im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unter Verwendung eines Anionenaustauscherharzes von vergleichsweise gemäßigtem ionischen Charakter mit einer Matrix vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers durch sukzessive Erhöhung der Ionenstärke des Elutionspuffers außer Fibrinogen und Fibronektion auch ein Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor erhalten und die Faktor VIII-Lösung abschließend gefriergetrocknet wird.
104
Die auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 haben mit diesem Bestand.
IV.
105
Als Unterlegene haben die Klageparteien die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


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