Sozialrecht

Altersrente für schwerbehinderte Menschen – Berücksichtigung von weiteren Zeiten der Kindererziehung

Aktenzeichen  S 7 R 132/15

Datum:
21.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 119505
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 249 Abs. 8, § 307d

 

Leitsatz

1 Bei der Schaffung von Gesetzestatbeständen, die ausschließlich Vergünstigungen ohne Gegenleistung der Versicherten in Form von Versicherungsbeiträgen zum Gegenstand haben, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besonders weit. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Regelung des § 307d Abs 1 SGB VI über die Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für Bestandsrenten ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Das Gericht konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, die Beteiligten waren hiermit einverstanden.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2015 ist rechtmäßig, damit liegt auch eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht vor. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Zeiten der Kindererziehung.
In einem ersten Schritt verweist das SG auf den streitgegenständlichen Bescheid und Widerspruchsbescheid und sieht von einer weiteren ausführlichen Begründung ab,
§ 136 Abs. 3 SGG.
Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass der bei der Klägerin festgestellte Zuschlag um einen persönlichen Entgeltpunkt nicht aus § 249 SGB VI folgt, sondern aus § 307d SGB VI.
§ 307d SGB VI ist durch Artikel 1 Nummer 15 des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) mit Wirkung ab 01.07.2014 (Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes) wieder in das SGB VI eingefügt worden. Die Vorschrift ist nunmehr Bestandteil der Regelungen zur Ausweitung der anrechenbaren Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder (sogenannte „Mütterrente“). Während bei einem Rentenbeginn ab dem 01.07.2014 die Kindererziehungszeit für vor 1992 geborene Kinder um zwölf Kalendermonate verlängert worden ist, werden bei Renten, auf die bereits am 30.06.2014 ein Anspruch bestand, für die vor 1992 geborenen Kinder ab dem 01.07.2014 Zuschläge an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung berücksichtigt.
Die Beklagte hat § 307 d SGB VI grundsätzlich zutreffend angewendet, wogegen sich die Klägerin soweit ersichtlich auch nicht substantiiert wehrt.
Die Vorschrift des § 307d SGB VI ist auch verfassungskonform. Bei der Schaffung von Gesetzestatbeständen, die ausschließlich Vergünstigungen ohne Gegenleistung der Versicherten in Form von Versicherungsbeiträgen zum Gegenstand haben, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers jedoch besonders weit. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil der neugeschaffene § 307d SGB VI von der gesetzlichen Grundregel des § 306 SGB VI abweicht, nach welcher grundsätzlich Gesetzesänderungen nicht zur Neuberechnung von bereits laufenden Renten führen, vgl. SG Berlin, Urteil vom 29. Juni 2015 – S 17 R 473/15 -, veröffentlicht in juris mwN.
Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass auch § 249 SGB VI offensichtlich verfassungskonform ist. Zur weiteren Begründung verweist das Gericht auf die der Klägerin bekannte Rechtsprechung des LSG Niedersachsen, Urteil vom 04.11.2013, Az L 2 R 352/13, veröffentlicht in juris, das bereits die Berücksichtigung von lediglich 12 Kalendermonaten an Kindererziehungszeiten als verfassungskonform ansah. Eine Berücksichtigung von 24 Kalendermonaten Kindererziehungszeiten, bzw. wie vorliegend die Berücksichtigung eines weiteren persönlichen Entgeltpunktes, ist damit jedenfalls nicht zu beanstanden.
Ebenso verfassungskonform ist die dem Gesetzgeber regelmäßig einzuräumende Möglichkeit der Begründung von Stichtagsregelungen.
Im Übrigen hat sich die Überprüfung einer gesetzlichen Norm durch die Gerichte nicht an möglichen anderen Alternativen zu der vorhandenen Regelung zu orientieren, sondern lediglich an deren Verfassungsgemäßheit. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten nicht die Lebensleistung des Versicherten zu würdigen, sondern der Gesetzgeber hat bei der Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung einen weiten Gestaltungsspielraum. Streitig ist vorliegend auch nicht der Umgang des Gesetzgebers mit älteren Menschen oder sozial Schwachen, sondern – erneut ausgeführt – die Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung. Ob eine andere – weitergehende – Regelung gegebenenfalls unter subjektiven Erwägungen der Versicherten individuell vorzugswürdig wäre, ist zu Recht nicht von einer richterlichen Überprüfung umfasst.
Ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht liegt offensichtlich nicht vor. Soweit der Kläger eine Vereinbarkeit mit Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 rügt, geht dies offensichtlich fehl.
Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 bestimmt Folgendes: Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II der Grundverordnung zuständigen Mitgliedstaats keine Kindererziehungszeit berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser Zeit als Kindererziehungszeit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften, so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden.
Bei der in Deutschland geborenen und lebenden Klägerin bestehen aber keine möglicherweise konkurrierenden sozialen Sicherungen verschiedener Mitgliedsstaaten, einschlägig ist ausschließlich deutsches Recht. Auch im Übrigen geht der rechtliche Hinweis auf Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 fehl. Ausweislich des Wortlauts des Art. 44 respektiert dieser gerade die unterschiedliche Anwendung der Anrechnung und Bewertung von Kindererziehungszeiten in unterschiedlichen Mitgliedsländern. Damit gehen denknotwendig auch unterschiedliche Zahlbeträge der Rente einher.
Nach all dem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der Klägerin.


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