Sozialrecht

Aussetzung der Leistung bis Nachholen der Mitwirkung

Aktenzeichen  L 18 SO 38/18

Datum:
12.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17724
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 96
SGB I § 66

 

Leitsatz

Wird ein Versagungsbescheid nach § 66 SGB I aufgehoben und ergeht ein Ablehnungsbescheid über die beantragte Leistung, so wird der Ablehnungsbescheid nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens. (Rn. 23 ff.)

Verfahrensgang

S 20 SO 239/16 2018-02-14 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.02.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte eine mündliche Verhandlung durchführen und aufgrund dieser ein Urteil verkünden, obwohl zur Verhandlung keiner der Beteiligten erschienen ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 25.01.2018 – L 18 SO 19/17; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 126 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen). Die Beteiligten waren zum Termin vom 12.07.2018 ordnungsgemäß geladen worden; die Ladungen enthielten jeweils den Hinweis, dass auch im Falle des Ausbleibens entschieden werden kann.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Die Berufung wurde fristgemäß und wirksam durch R eingelegt. Zwar hat der Senat R als Bevollmächtigten der Klägerin mit Beschluss vom 03.07.2018 zurückgewiesen. Allerdings sind gemäß § 73 Abs. 3 S. 2 SGG die von ihm als Prozessbevollmächtigter der Klägerin bis zu seiner Zurückweisung vorgenommenen Prozesshandlungen wirksam.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig.
1. Mit Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2016 durch den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2016 hat sich der ursprünglich mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X) und infolgedessen auch die Anfechtungsklage erledigt.
Die von der Klägerin zugleich erhobene Klage auf Verpflichtung der Beklagten, ihren Antrag vom 24.03.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, war von Anfang an unzulässig. Grundsätzlich ist gegen einen Versagungsbescheid nur eine isolierte Anfechtungsklage möglich (vgl. u.a. BSG v. 25.02.2013 – B 14 AS 133/12 B und v. 01.07.2009 – B 4 AS 78/08 R, jeweils veröffentlicht in juris). Nur in besonderen Fällen kommt zusätzlich eine unmittelbare Klage auf Leistungen in Betracht, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versagung wegen fehlender Mitwirkung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde. Eine solche Klage auf Leistungen der Beklagten wurde jedoch – entsprechend dem Antrag ihres Prozessbevollmächtigten in erster Instanz – von der Klägerin nicht erhoben. Im Übrigen besteht für den Antrag der Klägerin auf Neubescheidung durch die Beklagte infolge der am 27.10.2016 zugleich ergangenen ablehnenden Sachentscheidung über den Antrag der Klägerin vom 24.03.2016 auf Leistungen nach dem SGB XII auch kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27.10.2016 ist auch nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn er hat den angefochtenen Verwaltungsakt vom 18.07.2016 (Versagungsbescheid) nicht abgeändert oder ersetzt.
Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt (§ 96 Abs. 1 SGG).
Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden. Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb grundsätzlich bei anderem Streitstoff oder bei veränderten Tatsachen, uU auch nicht bei veränderten Rechtsgrundlagen vor (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 96 Rn. 4a).
Im vorliegenden Fall beruhen der Verwaltungsakt vom 18.07.2016 und der Verwaltungsakt vom 27.10.2016 auf verschiedenen Rechtsgrundlagen. Während die Versagung vom 18.07.2016 auf Grundlage des § 66 SGB I erfolgt ist, erfolgte die Ablehnung vom 27.10.2016, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII nicht gegeben waren. Die Versagungsentscheidung enthält somit anders als die Ablehnungsentscheidung schon keine Entscheidung über den Leistungsanspruch selbst (vgl. dazu BSG vom 24.11.1987 – 3 RK 11/87, juris). Während im Falle der Versagungsentscheidung vom 18.07.2016 streitgegenständlich ist, ob die Beklagte wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin berechtigt war, ihr Leistungen nach dem SGB XII bis zur Nachholung der Mitwirkung zu versagen, liegt der Entscheidung vom 27.10.2016 die Frage zu Grunde, ob beim vorliegenden Sachverhalt ein Anspruch der Klägerin nach dem SGB XII infolge vorhandenen, anrechenbaren Einkommens ihres Mitbewohners R nicht besteht. Somit sind weder die Regelungsgegenstände der Verwaltungsakte vom 18.07.2016 und vom 27.10.2016 – auch nicht teilweise – identisch noch ist der Streitstoff der gleiche. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten über den Leistungsantrag der Klägerin in der Sache, die auf den fehlenden Leistungsvoraussetzungen beruht, ersetzt somit die vorangegangene Versagungsentscheidung nach § 66 SGB I nicht und ändert diese auch nicht ab (so auch SG München vom 12.10.2017 – S 46 AS 899/17, juris; im Ergebnis ebenso Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 11.11.2015 – L 9 SO 58/12, juris).
Da die Klage somit unzulässig ist, ist die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.


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