Sozialrecht

Bemessungszeitraum für Elterngeld bei Einkommensausfall wegen der Erkrankung eines älteren Kindes

Aktenzeichen  L 9 EG 7/19

Datum:
23.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23268
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BEEG § 2, § 2b Abs. 1 S. 2
SGB V § 11 Abs. 3, § 45

 

Leitsatz

Es verstößt nicht gegen die Verfassung, dass der Wegfall von Arbeitsentgelt aufgrund der Erkrankung eines älteren Kindes nicht zu einer Verschiebung des Bemessungszeitraums wie bei einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung führt und zugleich Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 11 Abs. 3 SGB V und § 45 SGB V nicht bemessungsrelevant sind.
1. Der Bemessungszeitraum des Elterngelds ist nicht analog § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG zu verschieben, wenn Eltern wegen der krankheitsbedingten Betreuung eines weiteren Kindes einen Verdienstausfall erlitten haben. (Rn. 30 und 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Krankengeld nach § 45 SGB V und Leistungen nach § 11 Abs. 3 SGB V stellen kein bemessungsrelevantes Entgelt für das Elterngeld dar. (Rn. 32 und 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 9 EG 23/17 2019-01-29 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Ergebnis des Rechtsstreits erscheint klar und die Klägerin hatte in einem Erörterungstermin Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Zudem hat das Sozialgericht durch Urteil entschieden; es liegt also kein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG vor (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Dass es sich bei der erstinstanzlichen Entscheidung um ein Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG handelt, steht einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG nicht entgegen (vgl. Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 153 Rn. 62; Keller in Meyer-Ladewig/ ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 153 Rn. 14). Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 SGG). Einwände gegen eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG hat die Klägerin nicht erhoben.
Streitgegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist die Höhe des Elterngelds für den dritten bis zwölften Lebensmonat von E.. Die Anfechtungsklage richtet sich gegen den Bewilligungsbescheid vom 06.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2017. Bei dem hier vorliegenden Höhenstreit ist der Streitgegenstand grundsätzlich nicht auf ein einzelnes Berechnungselement beschränkt. Vielmehr prüft der Senat innerhalb der Grenzen des klägerischen Antrags unter allen tatsächlichen und rechtlichen Facetten, ob der Klägerin höhere Leistungen zustehen. So ist unerheblich, dass die Klägerin mit ihrem Vorbringen stets nur am Bemessungszeitraum angesetzt, nie aber gefordert hat, die Entgeltersatzleistungen ihrer Krankenkasse müssten wie Erwerbseinkommen bemessungsrelevant sein. Andererseits berücksichtigt der Senat auch solche Aspekte, die das von der Klägerin begehrte Optimum auf anderem Weg wieder reduzieren.
Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs dem Grunde nach liegen unzweifelhaft vor. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG in der seit 01.01.2015 geltenden Fassung. Danach hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin. Sie hatte während des gesamten Bezugszeitraums ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit E. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte entsprechend ihrer Ankündigung im Elterngeldantrag während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt unter 500.000 EUR blieb.
Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Beklagte die Höhe des Elterngelds zutreffend festgesetzt. Die Basisnorm für die Bemessung des Elterngelds ist § 2 Abs. 1 und 2 BEEG. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, lauten diese Regelungen wie folgt:
„(1) 1Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. 2Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. 3Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus
1. nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Einkommensteuergesetzes sowie
2 …,
die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b … hat.
(2) … 2In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent.“
Eine zeitliche Spezifizierung des Normteils „vor der Geburt des Kindes“ erfolgt in § 2b Abs. 1 Satz 1 BEEG. Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich. Eine Verschiebung des Bemessungszeitraums erfolgt hinsichtlich der Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit unter den Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG:
Bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums nach Satz 1 bleiben Kalendermonate unberücksichtigt, in denen die berechtigte Person
1.im Zeitraum nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Elterngeld für ein älteres Kind bezogen hat,
2.während der Schutzfristen nach § 3 Absatz 2 oder § 6 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes nicht beschäftigt werden durfte oder Mutterschaftsgeld nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch oder nach dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte bezogen hat,
3.eine Krankheit hatte, die maßgeblich durch eine Schwangerschaft bedingt war, oder
4.Wehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz in der bis zum 31. Mai 2011 geltenden Fassung oder nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes oder Zivildienst nach dem Zivildienstgesetz geleistet hat und in den Fällen der Nummern 3 und 4 dadurch ein geringeres Einkommen aus Erwerbstätigkeit hatte.
Die Klägerin verlangt, dass bei ihr diejenigen Kalendermonate, in denen sie wegen der krankheitsbedingten Betreuung von B. einen Verdienstausfall hinnehmen musste, nicht zum Bemessungszeitraum zählen und stattdessen eine entsprechende Rückverlagerung des Referenzzeitraums erfolgt. Dafür existiert keine Rechtsgrundlage. § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG stellt, wie das Sozialgericht zutreffend bemerkt hat, eine abschließende Regelung dar und sieht keinen den Fall der Klägerin erfassenden Tatbestand für eine Verschiebung des Bemessungszeitraums vor. Nach allen Regeln juristischer Auslegung ist es unmöglich, die Krankheit eines älteren Kindes unter einen der vier Tatbestände zu subsumieren, welche de lege lata eine Verlagerung des Bemessungszeitraums bewirken.
Das bedeutet für die Klägerin, dass lediglich die Zeit des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots vor der Geburt – also die Zeit ab 28.06.2017 – gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BEEG zu einer entsprechenden Verschiebung des Bemessungszeitraums führt. Der Beklagte hat demnach zutreffend die Phase Juni 2016 bis Mai 2017 als Bemessungszeitraum herangezogen.
Und er hat richtiger Weise davon abgesehen, die währenddessen von der Krankenkasse gewährten Entgeltersatzleistungen – einerseits Ersatz von Verdienstausfall auf der Grundlage von § 11 Abs. 3 SGB V, andererseits so genanntes Kinderkrankengeld nach § 45 SGB V – bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen. Denn diese Entgeltersatzleistungen gehören nicht zu den nach § 2 Abs. 1 Satz 3 BEEG bemessungsrelevanten Einkünften. Auf der Basis der BSG-Rechtsprechung zum Krankengeld, Arbeitslosengeld und Verletztengeld (Urteile vom 17.02.2011 – B 10 EG 20/09 R, Rn. 24 ff. des juris-Dokuments; vom 17.02.2011 – B 10 EG 21/09 R, Rn. 23 ff. des juris-Dokuments; vom 18.08.2011 – B 10 EG 8/10 R, Rn. 19 ff. des juris-Dokuments) können auch die Entgeltersatzleistungen nach § 11 Abs. 3 und § 45 SGB V nicht zum Arbeitslohn im Sinn von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gezählt werden. Überdies wären sie gemäß § 3 Nr. 1 Buchstabe a EStG steuerfrei, weswegen sie wiederum nicht der Summe der positiven Einkünfte im Sinn von § 2 Abs. 1 Satz 3 BEEG zugerechnet werden können (vgl. nur BSG, Urteil vom 25.06.2009 – B 10 EG 9/08 R, Rn. 22 ff. des juris-Dokuments).
Das gesetzte Recht bietet somit keine Handhabe, bezüglich des Elterngelds den Nachteil der Klägerin, der mit dem Verdienstausfall im Zeitraum Juni 2016 bis Mai 2017 einhergeht, abzuwenden. Dieser Effekt kann auch nicht über eine analoge Anwendung gesetzlicher Vorschriften erzielt werden. Entsprechend den rechtlichen Ursachen dieses eltern-geldrechtlichen Nachteils sind für eine analoge Gesetzesanwendung zwei Modelle denkbar: einmal die analoge Anwendung einer der Tatbestände des § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG, zum andern die analoge Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 3 BEEG, um die Krankengeldleistungen quasi als Erwerbseinkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit zu fingieren. Beide Ansatzpunkte gehen ins Leere.
Die analoge Anwendung von Gesetzen stellt ein anerkanntes und grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässiges Instrument der Rechtsfindung dar (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973 – 1 BvR 112/65). Das gilt in erster Linie für das Zivilrecht. Aber auch im Sozialrecht sind Gesetzesanalogien nicht ausgeschlossen, sofern die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sowie der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gesetzesvorbehalt gewahrt bleiben. Während mit Hilfe der Auslegung von Gesetzen der Inhalt des positiv Geregelten ermittelt wird, betrifft die Gesetzesanalogie Rechtsbereiche, in denen es an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Unter bestimmten Voraussetzungen können und müssen Regelungslücken dadurch geschlossen werden, dass vergleichbare positive Regelungen entsprechend herangezogen werden (vgl. Senatsurteil vom 04.12.2018, L 9 EG 12/17, Rn. 53 des juris-Dokuments). Die analoge Anwendung von Gesetzen hat ein wesentliches Anwendungsfeld dort, wo es darum geht, mit Hilfe dieser juristischen Methode das Verdikt der Verfassungswidrigkeit einer unvollständigen Regelung zu vermeiden; sie tritt aber keineswegs ausschließlich im Kontext verfassungsrechtlicher Probleme auf. Um die Gefahr zu minimieren, dass Gerichte bei der Schaffung von „Richterrecht“ die durch Art. 20 Abs. 3 GG definierten Grenzen ihrer Kompetenz zum Nachteil der legislativen Gewalt überschreiten, sind Gesetzesanalogien nicht ohne weiteres zulässig. Das gilt schon für das Zivilrecht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, Rn. 40 des juris-Dokuments) und erst recht im öffentlichen Recht. Die Voraussetzungen für eine Gesetzesanalogie liegen vor, wenn eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.1989 – 11/7 RAr 87/87; stRspr).
Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der ersten Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Analogie im Sinn der Klägerin, nämlich an einer Gesetzeslücke. Eine relevante Gesetzeslücke liegt nicht schon bei jeglichem Regelungsdefizit vor. Vielmehr muss es sich um eine „planwidrige“ Regelungslücke handeln (vgl. BSG, Urteil vom 28.07.1999 – B 9 V 18/98 R). Das ist dann der Fall, wenn das betreffende Gesetz etwas nicht regelt, was es nach seinem Regelungskonzept und seiner Entstehungsgeschichte „eigentlich“ hätte regeln sollen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007 – B 4 R 19/07 R). Eine solche planwidrige Regelungslücke des BEEG vermag der Senat nicht zu erkennen.
– Dass die streitigen Leistungen der Krankenkasse an die Klägerin nicht in analoger Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 3 BEEG bemessungsrelevant gestaltet werden können, erschließt sich schon auf den ersten Blick. Denn mit einer solchen Analogie würde keine planwidrige Regelungslücke geschlossen, sondern die ausdrückliche, positive und bewusste Regelung des Gesetzgebers, eben ausschließlich Erwerbseinkommen und nur bestimmte steuerrechtliche Einkunftsarten zu berücksichtigen, schlichtweg ignoriert.
– Anders als die Klägerin meint, liegt auch im Hinblick auf die Verschiebetatbestände des § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG keine planwidrige Regelungslücke vor (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 10 EG 1/08 R, Rn. 20 des juris-Dokuments). Das Sozialgericht hat überzeugend begründet, dass es Ansicht des Gesetzgebers war und ist, weiterer Ausklammerungstatbestände bedürfe es nicht. Sämtliche Gesetzgebungsmaterialien, die den Bemessungszeitraum betreffen, belegen, dass die Frage der Ausklammerungstatbestände oder Verschiebetatbestände ständig Thema gewesen ist und den Gesetzgeber permanent und in ihrer gesamten Bandbreite beschäftigt hat. Allein die vom Sozialgericht zitierte Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes vom 01.09.2008 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BT-Drucksache 16/9415) belegt eindrucksvoll, wie frühzeitig und wie detailliert und facettenreich die Gesetzgebungsverfahren mit entsprechenden Problemen „belastet“ waren. Vor diesem Hintergrund mutet es lebensfremd und allzu sehr am Klageerfolg orientiert an, dass die Klägerin weiterhin behauptet, der Gesetzgeber habe die bei ihr gegebene Problemkonstellation schlichtweg vergessen.
Das am Maßstab des einfachen Gesetzesrechts gewonnene eindeutige Ergebnis wird nicht durch Verfassungsrecht in Frage gestellt. Dass das Gesetz keine Regelung enthält, wonach Kalendermonate, die mit Verdienstausfall belegt sind, der aufgrund der Krankheit eines älteren Kindes entstanden ist, nicht zum Bemessungszeitraum zählen, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung bezieht sich der Senat voll und ganz auf die vorhandene ausführliche BSG-Rechtsprechung zu sozialrechtlichen Entgeltersatzleistungen: Urteil vom 17.02.2011 – B 10 EG 20/09 R, Rn. 34 ff. des juris-Dokuments (Krankengeld); Urteil vom 17.02.2011 – B 10 EG 21/09 R, Rn. 33 ff. des juris-Dokuments (Arbeitslosengeld); Urteil vom 18.08.2011 – B 10 EG 8/10 R, Rn. 26 ff. des juris-Dokuments (Verletztengeld); Urteil vom 21.02.2013 – B 10 EG 12/12 R, Rn. 71 ff. des juris-Dokuments (Insolvenzgeld). Die dortigen Ausführungen des BSG zur verfassungsrechtlichen Problematik passen voll auch auf die hier streitigen Entgeltersatzleistungen gemäß § 11 Abs. 3 und § 45 SGB V.
An der verfassungsrechtlichen Beurteilung ändert nichts, dass der Klägerin Verdienstausfall gerade aus der „Aufopferung für ein Kind“ – wie sie es in der Widerspruchsbegründung formuliert hat – entstanden ist.
(a) Der Regelungsspielraum des Gesetzgebers ist in sozialleistungsrechtlichen Sektoren wie dem Elterngeldrecht, das – außerhalb eines Versicherungsmodells – allein auf staatlicher Gewährleistung beruht und keineswegs als letztes soziales Auffangnetz dient, denkbar weit. Das Elterngeld ist geschaffen worden, um für erwerbstätige Eltern – auch Besserverdiener – einen finanziellen Anreiz zu schaffen, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten von Betreuung und Erziehung eines Kleinkindes zu unterbrechen. Es handelt sich um eine besondere staatliche Vergünstigung, um das Elternsein „attraktiver“ zu machen. Zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bestehen keinerlei rechtliche Assoziationen, was die Gesetzgebung – wie etwa im Grundsicherungsrecht – in der Tat stark determinieren und lenken würde. Im Gegenteil: Nutznießer des Elterngelds sind sehr häufig Personen, die nicht wirklich bedürftig im engeren Sinn sind. Es handelt sich um eine Sonderzuwendung, zu der der Staat nicht gezwungen ist. Angesichts seines großen Spielraums darf der Gesetzgeber selbstredend auch typisierende und pauschalierende Regelungen treffen. Ausnahmslose Einzelfallgerechtigkeit muss und kann er nicht herstellen. Von daher kann auch nicht gefordert werden, das Elterngeldrecht müsse eine allgemeine Härteregelung vorsehen, über die die Verwaltung im Einzelfall zu befinden habe; der damit verbundene Verwaltungsaufwand wäre unvertretbar, die damit verbundenen Probleme in Bezug auf die Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes wären immens. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch Art. 6 Abs. 1 GG in keiner Weise das sozialrechtliche Institut Elterngeld gebietet und auf diese Weise den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers limitiert. Art. 6 Abs. 1 GG verlangt lediglich, dass überhaupt ein Lastenausgleich stattfindet. Die konkrete Ausgestaltung – zum Beispiel die Art der Leistungen oder deren Höhe – beeinflusst er dagegen nahezu nicht.
Nach alldem könnte die Klägerin mit ihrer Argumentation auf der Ebene des Verfassungsrechts nur dann durchdringen, wenn der Gesetzgeber willkürlich entweder den Verdienstausfall aufgrund der Erkrankung eines älteren Kindes nicht als Tatbestand für die Verschiebung des Bemessungszeitraums normiert oder willkürlich die im vorliegenden Fall betroffenen Leistungen nach dem SGB V nicht als bemessungsrelevant ausgestaltet hat. Keinesfalls – diesen Fehler begeht die Klägerin – darf das BEEG daraufhin untersucht werden, ob es die gerechteste oder zweckmäßigste Lösung gewählt hat. Die Gerichte dürfen lediglich die Einhaltung eines rechtlichen Rahmens prüfen. Und dieser Rahmen ist bei einer Willkürprüfung, wie sie hier vorzunehmen ist, außerordentlich weit gezogen.
(b) Von Willkür kann im vorliegenden Fall nicht ansatzweise die Rede sein. Mit dem Elterngeld hat der Gesetzgeber, wie oben bereits erwähnt, eine Sozialleistung eingeführt, die den Entgeltausfall aufgrund der Betreuung und Erziehung eines Kleinkindes zum Teil kompensieren soll. Er wollte damit auch für besserverdienende Personen einen Anreiz setzen, sich für ein Kind zu entscheiden und die Erwerbstätigkeit vorübergehend zugunsten von Betreuung und Erziehung des Kindes zu unterbrechen. Dieses Leitmotiv ist verfassungsrechtlich in keiner Weise zu beanstanden. Wenn also gerade der Einkommensverlust Erwerbstätiger partiell aufgefangen werden soll, dann erscheint es nur konsequent und in sich schlüssig, dass bemessungsrelevant ausschließlich das Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist, wie es § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG regelt. Darauf aufbauend hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 3 BEEG zur Ausfüllung und Konkretisierung des Begriffs „Einkommen aus Erwerbstätigkeit“ verfassungsrechtlich unbedenklich auf diejenigen Einkunftskategorien des Einkommensteuerrechts Bezug genommen, die typischer Weise mit persönlichem Einsatz verbunden sind; darin liegt eine zulässige Typisierung. Dieses Modell ist in sich widerspruchsfrei und gut geeignet, das Leitmotiv des Gesetzgebers umzusetzen.
Der Gesetzgeber durfte hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Einkünfte eine Trennlinie setzen, die sich ganz strikt am Vorliegen einer der relevanten einkommensteuerrechtlichen Einkunftsarten ausrichtet (vgl. nur BSG, Urteil vom 17.02.2011 – B 10 EG 17/09 R, Rn. 82 ff. des juris-Dokuments). Es war ihm unbenommen, die Linie zu verfolgen, keinerlei Ausnahmen davon zuzulassen. Insbesondere war er nicht gehalten, irgendwelche Entgeltersatzleistungen von Sozialleistungsträgern ebenfalls als Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Allein schon das Leitmotiv des Gesetzgebers, Kompensation für eine unterbrochene Berufstätigkeit zu leisten, hätte ihn zu einer solchen Vorgehensweise berechtigt, ohne sich im Entferntesten dem Vorwurf der Willkür aussetzen zu müssen. Dabei spielt keine Rolle, aus welchen Gründen der Entgeltausfall entstanden ist. Das gilt umso mehr, als die Einbeziehung von Entgeltersatzleistungen in das Bemessungsentgelt das Bewilligungsverfahren unvertretbar erschweren und aufblähen würde. Denn es wäre nicht mehr damit getan, lediglich Erkundigungen beim Arbeitgeber der betroffenen Person einzuholen; auch Sozialleistungsträger müssten kontaktiert werden.
Des Weiteren durfte der Gesetzgeber als Referenzzeitraum die letzten zwölf Kalendermonate vor der Geburt bestimmen. Zweifellos ist es sinnvoll und plausibel, gerade die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Person für die Höhe der Entgeltersatzleistung Elterngeld maßgebend sein zu lassen und nicht einen längst vergangenen Zustand zu „reanimieren“. Nach der Überzeugung des Senats wäre der Gesetzgeber vor dem Hintergrund seines großen Gestaltungsspielraums auch insoweit nicht gehalten gewesen, überhaupt irgendwelche Tatbestände zur Verschiebung des Bemessungszeitraums vorzusehen. Hätte er darauf verzichtet, hätte dies wiederum dazu beigetragen, das Elterngeldrecht in der Praxis besser handhabbar zu machen.
(c) Nichtsdestotrotz hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, überobligatorisch an einige wenige Fallgestaltungen rechtlich eine Verschiebung des Bemessungszeitraums zu knüpfen. Wenn der Gesetzgeber hier aber höchst limitiert Ausnahmen vorsieht, wo er von Verfassungs wegen eigentlich keine Ausnahmen statuieren müsste, dann ist die auf Extension ausgelegte Denkweise der Klägerin – „Wenn schon …, dann aber auch …“ – unangebracht. Nur weil der Gesetzgeber singuläre Ausnahmen zugelassen hat, trifft ihn nicht die Pflicht, auch andere Fallgestaltungen zu begünstigen. Eine derartige Ingerenz oder gar Zwangsläufigkeit existiert nicht; dafür ist die Materie zu sehr für den Gesetzgeber disponibel.
Die Klägerin hingegen konstruiert in Bezug auf den Verschiebetatbestand des § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BEEG (schwangerschaftsbedingte Erkrankung) ein eigenes, zum gegenteiligen Ergebnis führendes Begründungsmodell, das allerdings mit den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmt. Sie hat es unternommen, einen gemeinsamen Oberbegriff für ihre Situation und den vom Gesetz aufgegriffenen Fall der schwangerschaftsbedingten Erkrankung zu bilden, nämlich den unfreiwilligen Einkommensverlust als Mutter sowie die Aufopferung für das Kind. Dieses Gedankenspiel hat jedoch keinen juristischen Wert. Denn es lassen sich für die meisten in der Lebenswirklichkeit vorkommenden Vergleichsobjekte irgendwelche gemeinsamen Oberbegriffe finden, ohne dass damit eine Vergleichbarkeit von der Qualität festgestellt wäre, die auch eine gleiche Behandlung durch den Staat gebietet. In Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz hat die Klägerin mit dem Kreieren des gemeinsamen Oberbegriffs lediglich begrifflich dargelegt, dass überhaupt eine Gemeinsamkeit besteht. Dass daraus aber auch eine staatliche Pflicht zur Gleichbehandlung erwächst, hat sie bei weitem nicht plausibel machen können.
Eine solche Pflicht zur Gleichbehandlung ist auch nicht im Ansatz zu erkennen. Trotz der von der Klägerin gefundenen Oberbegriffe unterscheiden sich die bei dieser vorliegende Konstellation und die von den gesetzlich normierten Tatbeständen erfassten Sachverhalte ganz erheblich. Im vorliegenden Fall geht es um eine Erkrankung eines anderen Kindes, in den Tatbeständen nach § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 BEEG stehen hingegen gesundheitliche Beeinträchtigungen des Elternteils inmitten; so betrachtet läge eine Parallele zum Bezug von regulärem Krankengeld eigentlich näher. Die de lege lata in den Ausklammerungstatbeständen aufgegriffenen gesundheitlichen Unzuträglichkeiten stehen allesamt in engem Zusammenhang mit der Schwangerschaft mit demjenigen Kind, für das Elterngeld gewährt wird. Die von der Klägerin ins Feld geführten Erkrankungen von B. haben dagegen nichts mit der Schwangerschaft mit E. zu tun. Auch wenn das BSG entschieden hat, dass der Tatbestand des § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BEEG nicht nur hinsichtlich desjenigen Kindes zur Anwendung kommen kann, welches den Elterngeldbezug auslöst, so darf doch nicht verkannt werden, dass er ganz primär auf die aktuelle Schwangerschaft abzielt. Somit erscheint es unangebracht zu argumentieren, jeglicher altruistische Einsatz für ein Kind – die Klägerin spricht von „Aufopferung“ – müsse zu einer Verschiebung des Bemessungszeitraums führen. Das wird insbesondere durch § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BEEG bekräftigt. Auffallender Weise wird dort nicht die Kindesbetreuung als solche, sondern nur der Bezug von Elterngeld privilegiert (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 10 EG 1/08 R). Den altruistisch motivierten Verdienstausfall wegen der Betreuung eines Kindes hat der Gesetzgeber also gerade nicht samt und sonders als privilegierungswürdig angesehen.
Die Tatbestände nach § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BEEG dienen offenkundig dazu, die Leistung Elterngeld nicht gerade durch denjenigen Sachverhalt, der die Leistung eigentlich auslöst, oder durch das Institut Elterngeld als solches zu unterminieren. Daher erscheint es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber in § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BEEG den Bezug von Elterngeld für ein älteres Kind nicht hat leistungsschädlich sein lassen wollen. Die Sozialleistung Elterngeld soll nicht ihre eigene Effektivität untergraben. Und § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BEEG verhindert die Perplexität, dass die geförderte Schwangerschaft als solche sich nachteilig auf das Elterngeld auswirkt. Alle diese Motivationslagen bestehen im Fall der Klägerin nicht. Zwar mag diese einwenden, die Handhabung der Beklagten, Verdienstausfälle für die Betreuung eines älteren kranken Kindes nicht auf die Höhe des Elterngelds durchschlagen zu lassen, wirke generell abschreckend, sich für eine Familie mit Kindern zu entscheiden. Erstens aber dürfte davon nicht wirklich eine abschreckende Wirkung ausgehen und zweitens erweist sich die Benachteiligung der Klägerin als weitaus mittelbarer mit der Geburt eines Kindes zusammenhängend als bei den Tatbeständen des § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BEEG, aber auch Nr. 3 BEEG. Zu dem Tatbestand des § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 BEEG vermag der Senat von vornherein keine Parallelen zu erkennen.
Der Senat hat zwar Verständnis dafür, dass die Klägerin sich dafür bestraft sieht, dass sie sich um ein sehr schwer behindertes Kind kümmern muss. Falsch ist aber, für dessen Betreuung generell eine „Tür öffnende“ Wirkung zu reklamieren. Die Kriterien, nach denen sich die „Privilegierungswürdigkeit“ beurteilt, sind vielmehr andere. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, für die Klägerin in Rechnung zu stellen, dass sie vielleicht zeitlebens durch die Betreuung des behinderten Kindes gebunden sein wird. Der Senat hat zwar größten Respekt vor deren Lebensleistung. Würde man aber auf die Lebensleistung abstellen, wählte man eine falsche zeitliche Bezugsgröße. Maßgebend für die Frage, ob und inwieweit Entgeltausfälle im Rahmen der Bemessung des Elterngelds zu korrigieren sind, ist vielmehr das Kriterium, die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse innerhalb eines eng begrenzten Referenzzeitraums möglichst authentisch abzubilden. Insoweit sieht der Senat im Fall der Klägerin keinen drängenderen Anlass für eine Ausnahmeregelung als beim regulären Krankengeld.
(d) Der Senat bekräftigt seine Bekundung im Erörterungstermin, würde der Gesetzgeber den Fall der Klägerin privilegieren, sähe er sich mit weiteren Forderungen konfrontiert, dies in anderen Fällen ebenso zu handhaben. Allein schon deshalb, so die Aussage im Erörterungstermin, könne ihm nicht abverlangt werden, sich auf das Petitum der Klägerin einzulassen. Entgegen den Vorwürfen der Klägerin im Erörterungstermin betreibt der Senat damit keine Sozialpolitik, sondern bewegt sich lediglich im Rahmen einer umfassenden verfassungsrechtlichen Prüfung. Dass dabei mitunter Gesichtspunkte zum Tragen kommen, die politisch anmuten, liegt in der Natur der Sache.
Von der Fixierung des Bemessungszeitraums auf die letzten 12 Kalendermonate vor der Geburt werden andere Personengruppen viel härter getroffen als die Klägerin. Dieser war es immerhin möglich, trotz B.s schwerer Behinderung im Bemessungszeitraum einer abhängigen Beschäftigung im Umfang von 30 Wochenstunden nachzugehen. Die bei ihr zu verzeichnenden Entgeltausfälle während des Bemessungszeitraums halten sich zudem ausgesprochen in Grenzen. Ungleich härter ist zweifellos tangiert, wer im Bemessungszeitraum einen Arbeitsunfall erleidet und deshalb über viele Monate hinweg Verletztengeld bezieht (vgl. BSG, Urteil vom 18.08.2011 – B 10 EG 8/10 R) – solche Fälle waren beim Senat auch anhängig. Jene Person muss monetär sehr empfindliche Einbußen hinnehmen, die das Maß, das bei der Klägerin gegeben ist, um ein Vielfaches übersteigen. Außerdem ist bei der von einem Arbeitsunfall betroffenen Person die Unmöglichkeit, weiterhin bemessungsrelevantes Erwerbseinkommen erzielen, ja gerade im Zuge des Bemühens entstanden, selbiges zu tun; die Unmöglichkeit ist unmittelbar durch die Erwerbstätigkeit bedingt und nicht, wie bei der Klägerin oder allgemein bei Beziehern von Krankengeld, durch Umstände, die der allgemeinen Lebenssphäre zuzurechnen sind. Solche Personenkreise hätten ungleich mehr als die Klägerin Anlass, eine Begünstigung bei der Festlegung des Bemessungszeitraums zu verlangen. Schließlich geschieht ein Arbeitsunfall stets zur Gänze unerwartet und unkalkulierbar; das Arbeitsentgelt fällt weg, ohne dass dies vorher in irgendeiner Weise abzusehen war. Der Klägerin hingegen musste, als sie sich nach B.s Geburt wieder in das Arbeitsleben begab, klar sein, dass es immer wieder zu Unterbrechungen mit Verdienstausfällen kommen würde. Denn wie die von der Klägerin in erster Instanz vorgelegten medizinischen Unterlagen eindrucksvoll belegen, erlitt B. von 2010 an in vergleichsweise kurzen Abständen immer wieder Knochenfrakturen, welche die Klägerin dazu zwangen, den Jungen im Rahmen des Genesungsprozesses intensiv zu betreuen. Von Anfang an war klar, dass eine erhebliche Gefahr dafür auch im hier maßgebenden Bemessungszeitraum bestehen würde. Vor diesem Hintergrund sind die Erwerbseinkünfte, die der Klägerin aufgrund B.s Krankheitsphasen entgangen sind, wesentlich weniger prägend als diejenigen, die einer Person deswegen entgehen, weil sie einen Arbeitsunfall erleidet.
Der Gesetzgeber könnte sich auch schwer Forderungen erwehren, die Erziehung von Kindern müsse allgemein zu einer Verschiebung des Bemessungszeitraums führen. Insoweit sieht die Klägerin eine klare Zäsur dergestalt, dass sie sich gerade für eine Berufstätigkeit entschieden hat, während Elternteile, die auf eine Berufstätigkeit verzichtet hätten, um sich ganz um ihre Kinder zu kümmern, sich freiwillig und bewusst auf die Einkommenslosigkeit eingelassen hätten. Die Klägerin sieht dies allzu sehr „durch die eigene Brille“. Wenn der Staat auch nur kleinste Verdienstausfälle von berufstätigen Elternteilen kompensieren würde, bei denjenigen aber, die ganz für ihre Kinder da sein wollen, sich zu keinerlei Kompensation veranlasst sähe, würde damit ein Erziehungsmodell offen diskriminiert, welches unbestreitbar zumindest bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs die größten Vorteile für das Kindeswohl bietet. Für solche Eltern wäre dies „ein Schlag ins Gesicht“. Nach Ansicht des Senats hätte eine derartige Bevorzugung berufstätiger Eltern sogar das Potenzial, in gewissem Umfang den sozialen Frieden zu gefährden. Das gilt umso mehr, als die Fälle, dass Leistungen nach § 11 Abs. 3 oder § 45 SGB V ausgekehrt werden, ja keineswegs nur bei so schwer beeinträchtigten Kindern wie B. auftreten.
Es mutet als wenig durchdachte Vereinfachung an, wenn die Klägerin lapidar meint, Eltern, die zugunsten der Betreuung von Kindern auf eine Berufstätigkeit verzichteten, würden dies ja freiwillig tun. Typischer Weise handelt es sich bei deren Entscheidungen vielmehr um Ergebnisse verantwortungsvoller, sorgfältiger Abwägungsprozesse unter Einbeziehung sowohl des Kindeswohls als auch des eigenen Interesses an einer Fortsetzung der Erwerbstätigkeit einschließlich der Konsequenzen drohender finanzieller Einbußen. Es kann keine Rede davon sein, dass die Motivlage solcher Eltern mit dem Adverb „freiwillig“ zutreffend beschrieben ist. Geradezu leichtfertig mutet die Sichtweise der Klägerin an, wenn man solche Konstellationen in die Überlegungen einbezieht, wo mindestens ein Elternteil keiner Berufstätigkeit nachgeht beziehungsweise nachgehen kann, weil in der Familie ein auf das Schwerste behindertes Kind lebt. Der Senat verfügt aus dem Versorgungsrecht über umfangreiche Erfahrungen mit Familien, in denen ein Elternteil komplett an das Haus gebunden ist, weil das behinderte Kind, anders als B., nicht ohne elterliche Begleitung aus dem Haus gehen geschweige denn eine Schule besuchen kann. Solchen Eltern vorzuhalten, sie hätten sich ja freiwillig gegen eine Berufstätigkeit entschieden, wäre komplett deplatziert. Der von der Klägerin selbst bemühte Tatbestand der „Aufopferung für das Kind“ liegt dort noch deutlich ausgeprägter vor als bei der Klägerin selbst.
Zusammenfassend bleibt zu konstatieren, dass die Lebenswirklichkeit zahlreiche Fallkonstellationen hervorbringt, die noch weitaus härter als die der Klägerin anmuten. Vor diesem Hintergrund könnte der Gesetzgeber eine Erweiterung von § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG nicht auf solche Sachverhalte beschränken, wie sie bei der Klägerin vorliegen. Einen damit zusammenhängenden „Dammbruch“ muss der Gesetzgeber nicht riskieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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