Sozialrecht

Kein Anspruch auf weiteren Rehasport

Aktenzeichen  L 20 KR 99/15

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 123406
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 15 Abs. 1 S. 4, § 44 Abs. 1 Nr. 3
SGB V § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 13 Abs. 3, § 40, § 43

 

Leitsatz

Ein Sachleistungsanspruch auf Gewährung von Rehasport setzt voraus, dass die medizinische Notwendigkeit besteht, dass der Versicherte gerade den besonderen Rehasport zur Stabilisierung seiner gesundheitlichen Situation benötigt, also insbesondere die besondere Anleitung und Überwachung durch Therapeuten, Übungsleiter oder Ärzte. Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherte generell Krankengymnastik als Heilmittel oder überhaupt sportliche Betätigung benötigt, um positive Auswirkungen auf seine Krankheit zu empfinden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 139/14 2015-01-13 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.01.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist statthaft, weil das SG die Berufung zugelassen hat. Unabhängig vom Vorliegen der hierfür notwendigen Voraussetzungen ist das Landessozialgericht an die Zulassung der Berufung durch das SG gebunden, § 144 Abs. 3 SGG.
Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme für weiteren Reha-Sport abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 11.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2014 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen der KVdR pflichtversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V). Er leidet unter einer im Jahr 2004 aufgetretenen und operativ versorgten Krebserkrankung der Brustwirbelsäule mit entsprechenden Bewegungs- und Funktionseinschränkungen sowie Schmerzzuständen. Nach der Verordnung des behandelnden Orthopäden Dr. K. stellt sich die Situation an der BWS als stabil dar, hinzugekommen seien aber degenerative Veränderungen an der HWS und LWS. Der GdB wurde von 40 auf 50 angehoben. Der Kläger hat auf Kosten der Beklagten bereits in der Zeit vom 01.08.2012 bis 31.01.2014 Reha-Sport beim Rehabilitationssport K. durchgeführt. Die Beklagte hatte die Leistung bewilligt und die Kosten unmittelbar mit dem Rehabilitationssport K. abgewickelt. Streitgegenständlich ist hier ausschließlich die Verordnung von weiteren Einheiten Reha-Sport durch den Orthopäden Dr. K. vom 20.01.2014.
Als Versicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Gewährung der gesetzlich im SGB V vorgesehenen Leistungen bei Krankheit, hier auf Rehasport als ergänzende Leistung zur Rehabilitation gemäß §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 11 Abs. 2, 40, 43 SGB V i.V.m. § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX. Da der Kläger zwischenzeitlich die verordneten 50 Einheiten bereits beim Rehabilitationssport K. absolviert und die hierfür notwendigen Kosten in Höhe von 90,00 € selbst getragen hat, kommt ein Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte aufgrund dieser Verordnung nicht mehr in Betracht, sondern nur noch ein Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V bzw. vorliegend nach § 15 Abs. 1 S. 4 2. Alt SGB IX.
Gemäß § 13 Abs. 3 SGB V bzw. § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX hat die Krankenkasse (als Rehaträger) dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt jedoch voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung einer vergleichbaren Leistung entspricht, die vorliegend zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört (vgl. hierzu Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht (KassKomm), Stand März 2016, § 13 SGB V, Rdnr. 64 ff. m. w. N.; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.09.2014, Az. B 1 KR 11/13 R).
Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 1. Alt SGB V bzw. § 15 Abs. 1 S. 4 1. Alt SGB IX liegt sicherlich nicht vor. Ein Anspruch auf Kostenerstattung wäre deshalb nur denkbar, wenn die Beklagte zu Unrecht die beantragte Leistung abgelehnt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Gemäß § 11 Abs. 2 SGB V haben Versicherte auch Anspruch auf Leistungen zu medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Die Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX gehört zu den ergänzenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation der Reha-Sport, der als ärztlich verordneter Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung, einschließlich Übungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Frauen und Mädchen, die der Stärkung des Selbstbewusstseins dienen, definiert ist.
Die Beklagte hat unter Anwendung der Rahmenvereinbarung Rehasport dem Kläger die dort üblicherweise vorgesehenen 50 Übungseinheiten in einem Zeitraum von 18 Monaten bereits bewilligt. Nach der Rahmenvereinbarung Rehasport vom 01.01.2011 kommt Reha-Sport für Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen in Betracht, um sie unter Beachtung der spezifischen Aufgaben des jeweiligen Rehabilitationsträgers möglichst auf Dauer in die Gesellschaft, in das Arbeitsleben einzugliedern. Ziel des Reha-Sportes ist es, Ausdauer und Kraft zu stärken, Koordination und Flexibilität zu verbessern, das Selbstbewusstsein, insbesondere auch von Behinderten oder von Behinderung bedrohten Frauen und Mädchen zu stärken und Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Hilfe zur Selbsthilfe hat zum Ziel, Selbsthilfepotentiale zu aktivieren, die eigene Verantwortlichkeit des Behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen für seine Gesundheit zu stärken sowie ihn zu motivieren und in die Lage zu versetzen, langfristig selbständig und eigenverantwortlich Bewegungstraining durchzuführen, z. B. durch weiteres Sporttreiben in der bisherigen Gruppe bzw. im Verein auf eigene Kosten (2.2 der Reha-Rahmenvereinbarung). Rehabilitationssport umfasst nach 2.4 der Vereinbarung Übungen, die in der Gruppe im Rahmen regelmäßig abgehaltener Übungsveranstaltungen durchgeführt werden. Das gemeinsame Üben in festen Gruppen ist Voraussetzung, um gruppendynamische Effekte zu fördern, den Erfahrungsaustausch zwischen den Betroffenen zu unterstützen und damit den Selbsthilfecharakter der Leistung zu stärken.
Das BSG hat zu der Rahmenvereinbarung Reha-Sport aus dem Jahr 2004 entschieden, dass diese Regelungen im Verhältnis zum einzelnen Versicherten nichtig sind, weil es an einer entsprechenden gesetzlich vorgesehenen Regelungsbefugnis der an der Rehasport-Rahmenvereinbarung beteiligten Gruppen fehlt. Deshalb können die dort vorgesehenen Regelungen den gesetzlich aus dem SGB V resultierenden Leistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse nicht beschränken oder ausschließen (BSG, Urteil vom 17.06.2008, Az. B 1 KR 31/07 R Rdnr. 31 m.w.N.). Konsequenterweise sieht die seit dem 01.01.2011 nunmehr geltende Rahmenvereinbarung ausdrücklich vor, dass der Leistungsanspruch des einzelnen Versicherten sich ausschließlich an der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall orientiert (4.4.1. der Vereinbarung).
Nach Ziffer 4.1 der Rahmenvereinbarung Reha-Sport ist die Erforderlichkeit für Reha-Sport im Sinne dieser Vereinbarung grundsätzlich solange gegeben, wie der Behinderte oder von Behinderung bedrohte Mensch während der Übungsveranstaltungen auf die fachkundige Leitung des/der Übungsleiter/-in, Therapeuten/-in, angewiesen ist, um die in Ziffer 2.2 und Ziffer 3.2 (für Funktionstraining) genannten Ziele zu erreichen. Die Angaben zur Dauer von Leistungen sind Richtwerte, von denen auf der Grundlage individueller Prüfung nach den Erfordernissen des Einzelfalles abgewichen werden kann. Nach Ziffer 4.4 werden in der gesetzlichen Krankenversicherung Reha-Sport und Funktionstraining so lange erbracht, wie die Leistungen im Einzelfall notwendig, geeignet und wirtschaftlich sind. In der Regel erstreckt sich der Leistungsumfang auf die in den Ziffern 4.4.1 bis 4.4.3 genannten Zeiträume, die ausdrücklich als Richtwerte bezeichnet werden. Nach 4.4.1 beträgt der Leistungsumfang des Reha-Sportes in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel 50 Übungseinheiten, die in einem Zeitraum von 18 Monaten in Anspruch genommen werden können. Bei bestimmten genannten Erkrankungen, die der Kläger unstreitig nicht hat, kann ein erweiterter Leistungsumfang von insgesamt 120 Übungseinheiten in einem Zeitraum von 36 Monaten notwendig sein und bewilligt werden.
Ein Sachleistungsanspruch des Klägers auf Gewährung von weiterem Rehasport – und in der Folge somit auch ein Kostenerstattungsanspruch – setzt also voraus, dass die medizinische Notwendigkeit besteht, dass der Kläger gerade den besonderen Rehasport zur Stabilisierung seiner gesundheitlichen Situation benötigt, also insbesondere die besondere Anleitung und Überwachung durch Therapeuten, Übungsleiter oder Ärzte. Dagegen geht es nicht darum, ob der Kläger generell Krankengymnastik als Heilmittel oder überhaupt sportliche Betätigung benötigt, um positive Auswirkungen auf seine Krankheit zu empfinden.
Die besondere medizinische Notwendigkeit für eine über die bereits gewährte Sachleistung hinausgehende besondere Anleitung wurde vom behandelnden Orthopäden Dr. K. nicht dargelegt und vom Kläger weder behauptet noch nachgewiesen. Allein der Umstand, dass der Kläger muskuläre Verspannungen der HWS und der LWS hat, rechtfertigen nicht die weitere besondere Anleitung und Überwachung, zumal der Kläger selbst vorgetragen hat, die erlernten Übungen zu Hause in Eigenregie ausüben zu können, es fehlen zu Hause nur die Geräte. Anhaltspunkte für eine besondere Beeinträchtigung des Klägers, die ihn außer Stande setzen würden, erlernte Gymnastikübungen zu verrichten, sind nicht ersichtlich. Der Kläger leidet auch nicht an einer Erkrankung psychischer oder physischer Art, die mit Einschränkungen der Koordinationsfähigkeit verbunden wäre, wie etwa bei den in der Rahmenvereinbarung unter 4.4.1. aufgeführten Erkrankungen. Insoweit kommt auch eine vom Kläger geforderte „entsprechende Anwendung der Regelung in 4.4.1.“ nicht in Betracht. Der Kläger hatte vielmehr selbst in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es ihm darum gehe, fitter zu werden. Zielsetzung des Rehasports ist es jedoch nicht, die allgemeine Fitness zu erhalten oder zu bessern, sondern eine Anleitung zur Ausführung von Übungen zu geben, die unter Beachtung der vorliegenden Erkrankungen eines Versicherten geeignet sind, den Gesundheitszustand zu bessern und Einschränkungen zu mindern. Die Anleitungen sind als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen, d.h. der Versicherte soll in die Lage versetzt werden, geeignete Übungen selbst durchführen zu können, ggf. in einem Sportverein, im Fitnessstudio oder sonstigen besonderen Kursen. Der Kläger kann bei Entrichtung eines Kostenbeitrags von 15,00 € pro Quartal als Selbstzahler weiterhin die Geräte und Trainingsräume des Rehabilitationssport K. nutzen und in seiner gewohnten Gruppe üben, wie dies auch anderen Rehasportteilnehmern nach Ablauf der verordneten Übungseinheiten möglich ist. Eine weitere Leistungsverpflichtung der Beklagten kann daraus nicht begründet werden.
Allerdings ist dem SG nicht beizupflichten, soweit es einen Leistungsanspruch des Klägers verneint, weil gegebenenfalls im Rehabilitationssport K. die Anforderungen der ärztlichen oder therapeutischen Überwachung nicht ausreichend erfüllt werden. Zum einen ist eine ärztliche Überwachung nicht zwingend als ärztliche Anwesenheit bei den Übungseinheiten zu verstehen. Üblicherweise ist eine Anwesenheit lediglich bei den Koronarsportgruppen erforderlich. Eine Anleitung und Überwachung durch entsprechend geschulte Therapeuten/Übungsleiter wäre grundsätzlich auch ausreichend. Zu beachten ist jedoch grundlegend, dass zwischen den vertraglichen Beziehungen der Krankenkasse zum Rehabilitationssport K. als Leistungserbringer und dem Anspruch des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse klar zu unterscheiden ist. Verstöße eines Leistungserbringers gegen die vertraglichen Obliegenheiten oder Vereinbarungen lassen den Sachleistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich unberührt und begründen allenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht der Krankenkasse bei der Vergütung dieser Leistungen oder aufsichtsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Entzug der Zulassung zur Leistungserbringung. Es kommt vorliegend deshalb nicht darauf an, wie die konkrete Ausgestaltung der ärztlichen Überwachung im Rehabilitationssport K. gehandhabt wurde.
Nach alledem hat die Beklagte die Gewährung von weiterem Rehasport nicht zu Unrecht abgelehnt. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V bzw. § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX steht dem Kläger nicht zu. Da das SG in seinem Urteil vom 13.01.2015 somit zumindest im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers abgelehnt hatte, war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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