Sozialrecht

Kein Nachweis einer besonderen Infektionsgefahr bei der BK 3101

Aktenzeichen  L 17 U 215/16

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 114157
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 44 Abs. 1 S. 1
SGG § 123
SGB VII § 9

 

Leitsatz

1. Zu den beweisrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen einer besonderen Infektionsgefahr i.S.d. Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 3101) – hier: Meningitis
2. Es ist im Vollbeweis nachzuweisen, dass der Versicherte einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt war (Anschluss an BSG BeckRS 2011, 78354). Vorliegend ist weder ein durchseuchter Objektbereich noch ein Kontakt mit einer infizierten Person bewiesen. Die Diagnose “Meningitis, am ehesten viraler Genese” genügt diesen Anforderungen nicht. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Zeitraum von zwei Monaten zwischen Ende der Tätigkeit und Dokumentation erster Symptome spricht zudem gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen Erkrankung und versicherter Tätigkeit. Denn die Inkubationszeit der Poliomyelitis beträgt maximal vierzehn Tage. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 13 U 57/16 2016-05-23 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 23.05.2016 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 01.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2016. Mit dem Bescheid hat die Beklagte einen Antrag der Klägerin nach § 44 SGB X auf Rücknahme des Bescheids vom 20.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2012 und Anerkennung einer Meningitis als BK 3101 und Bewilligung einer Verletztenrente abgelehnt.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt. Der Antrag der Klägerin ist daher durch Auslegung zu ermitteln, § 123 SGG. Das Klagebegehren der Klägerin zielt zunächst auf die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 01.12.2015 und die Rücknahme des Bescheids vom 20.03.2012 nach § 44 SGB X ab. Im Ergebnis möchte die Klägerin entgegen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 20.03.2012 eine – nach ihrer Auffassung – während ihrer Beschäftigung im Kindergarten „L.“ in M-Stadt vom 18.01.1999 bis 13.04.1999 erworbene Meningitiserkrankung als Berufskrankheit anerkannt haben und eine Verletztenrente gewährt bekommen. Hieraus ergibt sich der im Tatbestand formulierte Berufungsantrag.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Im Ergebnis zurecht hat das SG Würzburg die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.05.2016 abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 20.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.05.2012; sie wird durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 01.12.2015 nicht in ihren Rechten verletzt.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die Beklagte ist bei Erlass des Bescheides vom 20.03.2012 weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen noch hat sie das Recht unrichtig angewandt.
Der Senat kann sich nicht im erforderlichen Beweismaß des Vollbeweises davon überzeugen, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit vom 18.01.1999 bis 13.04.1999 als Erzieherin im Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt „L.“ in M-Stadt einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt war, wie sie die BK 3101 voraussetzt (zum Erfordernis einer besonderen Infektionsgefahr bei der BK 3101 BSG v. 28.08.1990 – 2 RU 64/89, juris Rn. 20; zur Erfordernis des Vollbeweises u.a. BSG v. 15.09.2011 – B 2 U 22/10 R, juris Rn. 14, 28; v. 02.04.2009 – B 2 U 7/08 R, juris Rn. 15, 17).
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in einem mit Meningitis verursachenden Krankheitserregern durchseuchten Objektsbereich tätig war. Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin im genannten Zeitraum mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen wäre. Weder der Arbeitgeber noch das bei Meningitiserkrankungen zuständige Landratsamt noch die damalige Leiterin des Kindergartens F. bei ihrer Zeugenbefragung durch des LSG am 22.04.2015 konnten einen Meningitiserkrankungsfall im Zeitraum der Beschäftigung der Klägerin bestätigen. Auch die Klägerin selbst kann nicht ein bestimmtes Kind oder eine bestimmte im Zeitraum 18.01.1999 bis 13.04.1999 im Kindergarten „L.“ beschäftigte Person benennen, die an Meningitis erkrankt gewesen wäre. Vielmehr geht sie allein deshalb, weil bei ihr Ende Juli 1999 eine Meningitis, am ehesten viraler Genese diagnostiziert worden ist, davon aus, dass sie sich während ihrer Tätigkeit im Kindergarten mit einem Meningitis-Virus angesteckt hat.
Im Übrigen könnte, selbst wenn eine solche besondere Infektionsgefahr bestanden hätte, schon im Hinblick auf den abgelaufenen Zeitraum zwischen dem dokumentierten erstmaligen Auftreten von Symptomen Mitte/Ende Juni 1999 (Befundbericht der Neurologischen Klinik des Krankenhauses W., B-Stadt vom 06.09.1999) und der Beendigung der Tätigkeit im Kindergarten am 13.04.1999 nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem möglichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Klägerin und der versicherten Tätigkeit ausgegangen werden. So beträgt gemäß Anhang zum Merkblatt zur BK 3101 (Bek. des BMA vom 01.12.2000, BArbBl. 1/2001, S. 35) die Inkubationszeit bei der – von der Klägerin ins Feld geführten – Poliomyelitis 5-14 Tage, bei einer Meningokokken-Infektion 1-10 Tage. Der vorliegende Zeitraum von mindestens 2 Monaten zwischen Beschäftigungsende und Auftreten der ersten Symptome geht weit über diese Inkubationszeiten hinaus.
Das LSG sieht keine Veranlassung für weitere Ermittlungen von Amts wegen (§ 106 SGG). Auch die vage Angabe der F., sie glaube sich zu erinnern, dass sich irgendwann während ihrer Tätigkeit im Kindergarten „L.“ von 1996 bis April 2009 ein Fall von Meningitis bei einem Kind ereignet habe, bietet hierfür keinen Ansatz. Die Angabe der Zeugin, dass sie sich jedenfalls im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin an keinen Meningitis- Erkrankungsfall erinnern könne, wird vielmehr durch die Auskünfte des damaligen Arbeitgebers der Klägerin und des Landratsamtes bestätigt.
Nachdem somit das Vorliegen eines Versicherungsfalls bzw. einer BK 3101 nicht festgestellt werden kann, besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Bewilligung einer Verletztenrente.
Im Übrigen nimmt das Gericht in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidung des SG Bayreuth vom 30.07.2014 Bezug und weist die Berufung aus den Gründen dieser Entscheidung als unbegründet zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.


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