Sozialrecht

Keine Anerkennung einer chronifizierten depressiven Symptomatik als Folge eines Dienstunfalls

Aktenzeichen  B 5 K 16.86

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 47 Abs. 1, Abs. 2
BeamtVG BeamtVG § 45 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine chronifizierte depressive Symptomatik kann nicht als Folge eines Dienstunfalls anerkannt werden, wenn zwar körperliche Gesundheitsfolgen innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des § 47 Abs. 1 BayBeamtVG gemeldet werden, nicht aber die psychischen Folgen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit der Möglichkeit eines Körperschadens muss gerechnet werden (Art. 47 Abs. 2 S. 2 BayBeamtVG), wenn nach einem Unfall Beschwerden auftreten, die einem dienstlich veranlassten Ereignis zugeordnet werden können. Nicht erforderlich ist, dass der Verletzte sich die Überzeugung von dem Kausalzusammenhang verschafft (BayVGH BeckRS 2009, 42852). (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei den in § 45 Abs. 2 BeamtVG vorgegebenen Fristen handelt es sich um Ausschlussfristen, für die die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht besteht. Darüber hinaus muss sich der Beamte eine Unkenntnis der rechtlichen Vorschriften zurechnen lassen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Bescheide des Beklagten vom 13. März 2015 sowie vom 16. März 2015 und der Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung einer chronifizierten depressiven Symptomatik als (weitere) Folge des Dienstunfalls vom 7. September 2009 (dazu unten Buchst. a) noch einen Anspruch auf Gewährung eines Unfallruhegeldes (dazu unten Buchst. b) (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Zur Begründung nimmt das Gericht auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer chronifizierten depressiven Symptomatik als Folge des Dienstunfalls vom 7. September 2009.
Ein Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Das ergibt sich gleichermaßen aus dem zum Unfallzeitpunkt (7.9.2009) geltenden (BayVGH B.v. 29.4.2014 – 3 ZB 11.1420 – juris Rn. 1) § 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) wie dem nunmehr für bayerische Beamte maßgeblichen inhaltsgleichen Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG. Es ist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden erforderlich (BVerwG U.v. 22.1.2009 – 2 A 3/08 – BayVBl 2009, 347). Unfallfolgen können nur dann als durch einen Dienstunfall verursacht anerkannt werden, wenn dieser zumindest eine wesentlich mitwirkende Teilursache im Rechtssinn bildet, wofür der Nachweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht werden muss (BayVGH U.v. 23.9.2011 – 3 B 10.288 – juris Rn. 27).
Nach dem zum Zeitpunkt der Meldung weiterer Dienstunfallfolgen (Schreiben vom 26.1.2015) geltenden Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG sind – ebenso wie nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG – Unfälle dem Dienstvorgesetzten innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls schriftlich zu melden. Die Frist nach Satz 1 gilt auch dann als gewahrt, wenn der Unfall bei der Pensionsbehörde gemeldet worden ist. Nach Ablauf der Ausschlussfrist wird Unfallfürsorge gemäß Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit eines Körperschadens oder einer Erkrankung auf Grund des Unfallereignisses nicht habe gerechnet werden können oder dass der Berechtigte durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert war, den Unfall zu melden. Die Meldung muss, nachdem mit der Möglichkeit eines Körperschadens oder einer Erkrankung gerechnet werden konnte oder das Hindernis für die Meldung weggefallen ist, innerhalb von drei Monaten erfolgen.
Gemessen daran kann die Frage der Kausalität zwischen dem Dienstunfallereignis vom 7. September 2009 und dem nunmehr vom Kläger geltend gemachten Körperschaden, den sein Prozessbevollmächtigter im Klageverfahren als chronifizierte depressive Symptomatik präzisiert hat, offenbleiben. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die vom Dienstvorgesetzten des Klägers ergriffenen Personalmaßnahmen – der Kläger stellt vor allem auf das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte und auch in den vorgelegten Behördenakten enthaltene Schreiben des Leiters der JVA … vom 7. Dezember 2010 ab – überhaupt eine äußere Einwirkung im Sinn des Dienstunfallrechts darstellt. Denn selbst wenn dem so wäre, woran allerdings erhebliche Zweifel bestehen, fehlte es insofern an einer entsprechenden Dienstunfallmeldung.
Auf die vorgenannten Fragen kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, weil der Kläger weitere Folgen aus dem Dienstunfall nicht fristgerecht gemeldet hat. Die zweijährige Ausschlussfrist des Art. 47 Abs. 1 BayBeamtVG für die Meldung weiterer Dienstunfallfolgen ist abgelaufen. Anhaltspunkte für einen Fall der zehnjährigen Meldefrist des Art. 47 Abs. 2 BeamtVG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der streitgegenständliche Wegeunfall fand am 7. September 2009 statt. Die auf den 26. September 2009 datierte Dienstunfallmeldung des Klägers ging am 8. Oktober 2009 beim Landesamt für Finanzen – Dienststelle Regensburg – ein und bezog sich ausschließlich auf körperliche Gesundheitsfolgen des Unfalls. Erst mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 26. Januar 2015, beim Landesamt für Finanzen eingegangen am 27. Januar 2015, machte der Kläger erstmals weitere, d.h. psychische Folgen geltend.
Zur Anwendung kommt, weil die Meldung der Erweiterung die Unfallfolgen nach Ablauf der Zweijahresfrist des Art. 47 Abs. 1 BayBeamtVG erfolgte, die Vorschrift des Art. 47 Abs. 2 BayBeamtVG. Die Meldung erfolgte zwar innerhalb der Zehnjahresfrist des Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG; der Kläger hat es jedoch versäumt die weiteren Unfallfolgen innerhalb einer Frist von drei Monaten, nachdem mit der Möglichkeit eines Körperschadens oder einer Erkrankung gerechnet werden konnte (Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG), zu melden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es darauf an, ab wann Verletzungen oder Symptome feststellbar sind, die eine Entwicklung als möglich erscheinen lassen, dass Unfallfürsorgeansprüche bestehen. Das kausale Ereignis muss bemerkbar gewesen sein. Davon ist bei einem Unfall regelmäßig auszugehen, wenn Beschwerden auftreten, die einem dienstlich veranlassten Ereignis zugeordnet werden können, oder wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass ein dienstlich veranlasstes Ereignis zu einem Körperschaden führt. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Verletzte die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs verschafft hat oder verschaffen konnte (BayVGH B.v.12.01.2009 – 3 ZB 08.776 – juris Rn. 5).
Gemessen daran hatte der Kläger nach seinem Vortrag bereits seit Beginn der regelmäßigen ambulanten psychiatrischen Behandlung bei Dipl.-Med. L., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, d.h. seit dem 18. Mai 2012 Kenntnis von seiner psychischen Erkrankung sowie von dem Umstand, dass diese psychische Belastung auf eine berufliche Streitsituation zurückzuführen sei (vgl. Attest vom 29.9.2014). Unabhängig davon, ob die Ursache für diese psychische Erkrankung in dem Dienstunfall vom 7. September 2009 oder in der sich in dem Schreiben vom 7. Dezember 2010 manifestierenden Konfliktsituation mit seinem Dienstvorgesetzten zu sehen wäre, musste der Kläger schon zu diesem Zeitpunkt, d.h. mit Beginn der ambulanten psychiatrischen Behandlung am 18. Mai 2012 mit der Möglichkeit des weiteren Körperschadens rechnen. Selbst wenn man – wofür zur Überzeugung der Kammer keinerlei Anhaltspunkte sprechen – davon ausginge, dass der Kläger erstmals mit der Erstellung des Attestes vom 29. September 2014 Kenntnis von seiner Erkrankung erlangt hätte und mit der Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs mit seiner beruflichen Situation rechnen konnte, führte das zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Kläger hat – wie dargelegt – erst mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 26. Januar 2015, d.h. nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG beim Landesamt für Finanzen – Dienststelle Regensburg – unter Vorlage dieses Attestes die Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen beantragt. Darauf, dass die behandelnde Ärztin die notwendige Kausalität zum Dienstunfall möglicherweise erst später bemerkt haben könnte, kommt es nicht an, da die Vorschrift auf den Beamten abstellt und die Frist nicht erst dann läuft, wenn der Beamte die notwendigen Beweise zur Kausalität beibringt. Es genügt, wenn er nur mit der Möglichkeit des Schadens rechnen musste. Die Frist war somit zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei dem Beklagten (27.1.2015) abgelaufen.
Bei den in § 45 Abs. 2 BeamtVG vorgegebenen Fristen handelt es sich um Ausschlussfristen, für die die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht besteht (vgl. OVG NW, U.v. 24.5.2002 – 1 A 6168.96 – juris Rn. 20 ff.). Darüber hinaus muss sich die Klägerin eine etwaige Unkenntnis der rechtlichen Vorschriften zurechnen lassen (vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2009 – 3 ZB 09.657 – juris Rn. 10).
b) Darüber hinaus hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung eines Unfallruhegeldes gem. Art. 53 BayBeamtVG. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zur Dienstunfähigkeit und somit zur Ruhestandversetzung geführt hätten, bestehe. Die Ruhestandsversetzung beruhe auf dem Gesundheitszeugnis vom 4. November 2014, wonach bei dem Kläger eine Erkrankung auf dem nervenärztlichen Fachgebiet bestehe. Diese Erkrankung hat die Beklagtenseite – wie oben (Buchst. a) dargelegt – jedoch zu Recht nicht als weitere Dienstunfallfolge anerkannt.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
3. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.


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