Sozialrecht

Klageerweiterung im Berufungsverfahren auf weitere Bewilligungszeiträume

Aktenzeichen  L 7 AS 85/16

Datum:
19.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141484
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 31
SGB VI § 3 S. 1 Nr. 3a,§ 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 6
SGB I § 16

 

Leitsatz

Eine Klageerweiterung im Berufungsverfahren auf weitere Bewilligungszeiträume ist nicht sachdienlich. (Rn. 40)

Verfahrensgang

S 14 AS 335/15 2016-01-27 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufungen wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Januar 2016 abgeändert und der Beklagte verpflichtet, den Antrag vom 6.2.2015 auf Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit von 2000 bis 2008 zu verbescheiden.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Klagen auf Bewilligung von höheren Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum März 2014 bis August 2014 und März 2015 bis August 2015 werden abgewiesen.
IV. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Berufungen (§§ 143,144, 151 SGG) sind nur im tenorierten Umfang begründet.
Die im Berufungsverfahren erstmals erhobenen Klagen, gerichtet auf höhere Grundsicherungsleistungen für die Zeiträume 3/14 bis 8/14 und von 3/15 bis 8/15 sind als unzulässig abzuweisen.
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden. Die Beteiligten haben einer solchen Entscheidung schriftlich zugestimmt.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 16.3.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2015. Der Bescheid vom 16.3.2015 enthält Informationen über die Art und Weise der Meldung von Bezugszeiten, lehnt darüber hinaus aber den Antrag auf eine weitere Meldung für 2014 inzident ab. Auch formal wurde ein Bescheid erlassen im Sinne von § 31 SGB X. Darauf weisen der Betreff „Vollzug des SGB II“ und die Überschrift auf der PZU „Bescheid vom 16.3.2015“ hin, auch wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung:fehlte. Die Kläger haben dieses Schreiben als ablehnenden Bescheid aufgefasst und dagegen Widerspruch eingelegt. Wie sich insbesondere aus dem Widerspruchsbescheid ergibt, werden dagegen für die Zeit vor dem 9.1.2009 ausdrücklich keinerlei Entscheidungen getroffen.
Ihr Klageziel geht aber ausgehend von den Anträgen Nr. 11 und 13 vom 6.2.2015 und vom 8.2.2015 über die im Bescheid getroffene Ablehnung einer weiteren Meldung von Bezugszeiten an den Rentenversicherungsträger für 2014, hinaus. Zu Recht hat das Sozialgericht diese Anträge über den Wortlaut der Klageschrift hinaus in seiner Entscheidung berücksichtigt. Gleichwohl sind die Anträge ihrem Wortlaut nach nicht ohne weiteres zu verstehen und bedürfen der Auslegung nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung. In zeitlicher Hinsicht begehren sie vom Beklagten für 2000 bis 2008 Arbeitslosengeld II unter Anerkennung ihrer schriftlichen Arbeitslosmeldungen und die Meldung weiterer rentenrechtlicher Zeiten bzw. Abführung von Beiträgen an den Rentenversicherungsträger. Die Forderung beläuft sich nach ihren Berechnungen auf insgesamt 136.725,39 €. Außerdem begehren sie vom Beklagten für 2014 die Meldung von SGB II-Bezugszeiten an den Rentenversicherungsträger für April, Mai und Juli 2014. Schließlich machen sie erstmals im Berufungsverfahren höhere Grundsicherungsleistungen für 3/14 bis 8/14 und für 3/15 bis 8/15 geltend. Zuletzt verlangen sie sinngemäß die Weiterleitung ihrer Anträge betreffend 2000 bis 2008 an die zuständigen Stellen.
Zeitraum 2000 bis 2008:
Soweit die Kläger für 2000 bis 2008 gegenüber dem Beklagten Arbeitslosengeld II-Ansprüche unter Anerkennung ihrer schriftlichen Arbeitslosmeldungen geltend machen, sind die erhobenen allgemeinen Leistungsklagen nach § 54 Abs. 5 SGG unzulässig und die Berufungen unbegründet. Über einen geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat zwingend ein Bescheid zu ergehen. Daran fehlt es hier. Ausdrücklich hat der Beklagte es abgelehnt, Entscheidungen zum Zeitraum 2000 bis 8.1.2009 zu treffen.
Auch eine Feststellungsklage nach § 55 Nr. 1 SGG, gerichtet hier auf Anerkennung von Zeiten der Arbeitslosigkeit, ist gegenüber den Anfechtungs- und Gestaltungsklagen subsidiär und aus diesem Grund unzulässig.
Vorliegend kann die unzulässige Leistungsklage in eine zulässige Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG, gerichtet auf Verbescheidung des klägerischen Antrags vom 6.2.2015, umgedeutet werden. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht verbeschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig.
Der Antrag auf Bewilligung von SGB II-Leistungen unter Anerkennung von Zeiten der Arbeitslosigkeit für die Zeit von 2000 bis 2008 datiert vom 6.2.2015 und ist bislang nicht verbeschieden. Für die Zulässigkeit der Klage kommt es nicht darauf an, ob die Kläger einen Anspruch in der Sache selbst haben oder nicht. Vielmehr kann grundsätzlich ein Anspruch auf Verbescheidung geltend gemacht werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 12. Auflage 2017, § 88 Rn 4a). Desweiteren ist die erforderliche Sperrzeit von 6 Monaten abgelaufen. Die Untätigkeitsklage ist auch begründet. Ein wichtiger Grund für die Nichtverbescheidung ist nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte rechtsirrig annimmt, dass es eines Bescheides nicht bedarf, wenn ein Anspruch in der Sache offensichtlich nicht gegeben ist, kann dies als zureichender Grund nicht anerkannt werden. Die Erhebung der Untätigkeitsklage ist vorliegend nicht rechtsmissbräuchlich. Dies kann nur angenommen werden, wenn materiell-rechtliche Ansprüche unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt offensichtlich ausscheiden. Da Ansprüche nicht ausschließlich für die Zeit vor Inkrafttreten des SGB II geltend gemacht werden, kann ein Fall von Rechtsmissbrauch noch nicht bejaht werden.
Für eine weitere, isolierte Klage auf Meldung weiterer rentenrechtlicher Zeiten bzw. Abführung von Pflichtbeiträgen an den Rentenversicherungsträger besteht, ungeachtet der Frage, welche Klageart hierfür einschlägig wäre nach §§ 54, 88 SGG, kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Meldung von rentenrechtlichen Zeiten bzw. Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen ist unmittelbare Folge eines positiven Bewilligungsbescheides. Darauf hat der Beklagte auch im Bescheid vom 16.3.2015 hingewiesen, wonach die Meldung von Zeiten automatisch erfolgen würde.
Soweit die Kläger zuletzt vom Beklagten die Weiterleitung ihrer Anträge bzw. Arbeitslosmeldungen an den zuständigen Leistungsträger verlangen, ist ungeachtet der statthaften Klageart als Leistungs-, Feststellungs- oder Untätigkeitsklage ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennbar. Vielmehr können die Kläger ihre vermeintlichen Ansprüchen im Verwaltungsverfahren unmittelbar gegen die Bundesagentur für Arbeit richten, welche die von den Klägern beim unzuständigen Leistungsträger gestellten Anträge gegen sich gelten lassen muss, § 16 SGB I. Eine Klage gegen den Beklagten auf Weiterleitung der gestellten Anträge ist objektiv nicht geeignet, die Rechtsposition der Kläger gegenüber der Bundesagentur für Arbeit insoweit zu verbessern.
2014
Soweit die Kläger vom Beklagten die Meldung von weiteren SGB II-Bezugszeiten für die Monate April, Mai und Juli 2014 an den Rentenversicherungsträger begehren, hat der Beklagte den Antrag im Ergebnis zu Recht mit Bescheid vom 16.3.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2015 abgelehnt. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Berufungen sind insoweit unbegründet.
Die Versicherungspflicht der Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 3 Satz 1 Nr. 3a SGB VI wurde durch Art. 19 Nr. 2b des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 vom 9.12.2012 (BGBl. I S. 1885) mit Wirkung zum 1.1.2011 aufgehoben. Für Leistungszeiträume ab dem 1.1.2011 sind für SGB II-Leistungsbezieher keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung zu entrichten. Stattdessen sind nunmehr für Bezieher von SGB II-Leistungen sog. Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI zu berücksichtigen. Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte nach dem 31.12.2010 Arbeitslosengeld II bezogen haben. Die Meldung der Anrechnungszeiten ist in § 193 SGB VI geregelt. Zur Meldung von Anrechnungszeiten verpflichtet ist die Bundesagentur für Arbeit und nicht der Beklagte. Ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte nicht passivlegitimiert ist, liegen aber für die Monate April, Juni und Juli 2014 keine Anrechnungszeiten vor. Mit bestandskräftigem endgültigem Bewilligungsbescheid vom 18.12.2014 wurde für die Beteiligten nach § 77 SGG bindend festgestellt, dass in diesen Monaten kein Leistungsanspruch besteht, dementsprechend hat keine Meldung an den Rentenversicherungsträger zu erfolgen, da in diesen Monaten keine Leistungen bezogen werden. Das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens bleibt abzuwarten.
Soweit die Kläger nunmehr im Berufungsverfahren ihre Klage erweitert haben und weitere Grundsicherungsleistungen für die Zeiträume 3/14 bis 8/14 und 3/15 bis 8/15 begehren, ist diese Klageänderung nach § 99 SGG unzulässig. Der Beklagte hat der Klageänderung ausdrücklich widersprochen. Sie ist auch nicht sachdienlich, da die geltend gemachten Ansprüche auf völlig neue Sachverhalte gestützt werden. Der Bewilligungszeitraum 3/15 bis 8/15 ist zudem Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens L 7 AS 724/16 und eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage in Bezug auf den Bewilligungszeitraum 3/14 bis 8/14 ist unzulässig, da mit der Erhebung dieser Klage am 8.2.2016 im Rahmen des Berufungsverfahrens die Klagefrist nach § 87 Abs. 1 SGG nicht gewahrt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kläger hatten nur in Bezug auf die Untätigkeitsklage Erfolg, was aber im Vergleich zur geltend gemachten Forderung von über 136.000 € nicht wesentlich ins Gewicht fällt.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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