Sozialrecht

Landwirtschaftliche Unfallversicherung – Damwildzucht – Sturz vom Hochsitz

Aktenzeichen  S 4 U 5004/16 L

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1, § 123

 

Leitsatz

Ein landwirtschaftlicher Unternehmer, der eine Damwildzucht betreibt, steht unter dem Schutz der Unfallverischerung, wenn er ein in das Wildgehege eingedrungenes Wildschwein erlegen will und beim Besteigen des Hochsitzes abstürzt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2015 den Unfall vom 28. Dezember 2014 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen und entsprechende Leistungen zu erbringen.
II.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht die Anerkennung des Unfalles des Klägers vom 28.12.2014 abgelehnt.
Das Gericht ist nach den Angaben des Klägers sowie der Zeugen A. und C. davon überzeugt, dass der Kläger einen versicherten Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat. Denn das Gericht ist überzeugt, dass die Beklagte – veranlasst durch die missverständlichen und daher irreführenden Angaben des Klägers und seines Bruders A. – zunächst fälschlicherweise von einem unzutreffenden Unfallort ausgegangen ist. Zutreffend ist jedoch, dass sich der Unfall an einem Hochsitz im Wildgehege ereignet hat. Für dieses Gebiet war der Kläger nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) als Unternehmer des landwirtschaftlichen Unternehmens (u. a. Dammwildzucht) mit versichert. Nach der Überzeugung des Gerichts übte der Kläger im Unfallzeitpunkt auch eine Tätigkeit aus, die mit der Hege des Wildgeheges im Zusammenhang stand. Insofern geht das Gericht davon aus, dass die tatsächliche Tätigkeit im Unfallzeitpunkt (Besteigen des Hochsitzes zum Zweck, ein in das Wildgehege eingedrungenes Wildschwein zu schießen) unter den Versicherungsschutz fiel.
Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Handlung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. u. a. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – BSGE 96, 196-209 m. w. N.). Der Gesundheitserstschaden (Primärschaden, Gesundheitsbeeinträchtigung) ist eine den Versicherungsfall begründende Tatbestandsvoraussetzung und daher keine Folge des Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 05.07. 2011 – B 2 U 17/10 R -, BSGE 108, 274-289). Voraussetzung für weitergehende Leistungsansprüche wie die Gewährung einer Verletztenrente ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen (weiteren Gesundheitsschäden auch Sekundärschäden oder Dauerschäden) aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) (vgl. BSG, Urteil vom 18.11. 2008 – B 2 U 27/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 30, SozR 4-2700 § 2 Nr. 12 m. w. N.).
Beweismaßstab für das Unfallereignis, den Gesundheitserstschaden und die weiteren Gesundheitsschäden ist nach ständiger Rechtsprechung der Vollbeweis, also die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis, dem Gesundheitserstschaden und den weiteren Gesundheitsschäden genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, also die überwiegende Wahrscheinlichkeit, wenn nach der medizinisch-naturwissenschaftlichen Auffassung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht (vgl. BSG vom 02.04.2009, B 2 U 29/07; vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R).
Ausgehend von diesen Maßgaben und nach Würdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen und ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen ist das Gericht überzeugt, dass die Voraussetzungen für einen Versicherungsfall gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII erfüllt sind.
Kernfrage des Verfahrens war, ob der Kläger zum Unfallzeitpunkt bei seiner konkreten Tätigkeit als Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens zum versicherten Personenkreis gehörte.
Versicherter Personenkreis Nach § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII war der Kläger selbst als Unternehmer des landwirtschaftlichen Unternehmens in Form des vom Vater geerbten Waldgrundstücks, auf dem die Dammwildzucht betrieben wird, versichert. Nach der Überzeugung des Gerichts geschah der Unfall auf dem versicherten Gebiet nördlich von N., konkret an dem Hochsitz, der dort steht, wo die Flurstücke 921, 922 und 907 aneinandergrenzen. Das Gericht ist folglich auch überzeugt, dass sich der Unfall nicht auf dem Flurstück im Süden von N. mit der Flurnummer 68 bzw. 129/2 ereignet hat.
Zu dieser Überzeugung ist das Gericht gelangt durch die Angaben des Klägers und der Zeugen A. und C … Die vom Beklagtenvertreter vorgelegten telefonischen Angaben von J. S. vom 26.4.2016 konnten dagegen nicht überzeugen. Dabei ist es dem Gericht ein Anliegen, deutlich zu machen, dass es dem Beklagtenvertreter zugesteht, das Telefonat in der Gesprächsnotiz völlig korrekt und vollständig wiedergegeben zu haben. Auch ist das Gericht davon überzeugt, dass J. S. gegenüber dem Beklagtenvertreter nach bestem Wissen und Gewissen nach seiner Erinnerung korrekte Angaben gemacht hat. Das Gericht ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass es hier zu einem nicht mehr aufklärbaren Missverständnis zwischen Herrn S. und A. gekommen ist. Insbesondere bei dem Zeugen C. konnte das Gericht keine Anhaltspunkte für eine Falschaussage finden. Vielmehr war dieser Zeuge wiederholt bemüht, deutlich zu machen, was er aus eigener Wahrnehmung wusste und wozu er keine sicheren Angaben machen konnte. Auffällig war dabei, dass der Zeuge C. auf Nachfrage angab, dass ihm der konkrete Unfallort unbekannt sei und er lediglich den Kläger aus dem Jagdhaus abgeholt habe. Der Zeuge gab zu verstehen, dass ihn die ganze Hintergrundgeschichte zu dem Unfall nicht interessiere und interessiert habe. Diese Angaben und die Einstellung des Zeugen sind deshalb so bemerkenswert, weil es dem Zeugen ein leichtes gewesen wäre auszusagen, dass der Kläger ihm erzählt habe, wo er konkret verunglückt sei. Auch gewann das Gericht bei der Aussage des Zeugen C. den Eindruck, dass zwischen ihm und dem Kläger kein besonderes Näheverhältnis bestand oder besteht. Zwischen beiden schien vielmehr nur eine für eine weitere Verwandtschaft nicht untypische lockere Bekanntschaft zu bestehen. Zu keiner Zeit entstand für das Gericht der Eindruck, dass der Kläger mit dem Zeugen C. eine gemeinsame Geschichte abgesprochen habe.
Die Angaben des Zeugen A., dass er das Gewehr am Hochsitz im Dammwildgehege abgeholt habe, stützen die Aussage des Klägers.
Für das Gericht ist v.a. nach den Angaben des Zeugen C. mit Vollbeweis nachgewiesen, dass dieser den Kläger im Jagdhaus nördlich von N. abholte. Wegen der übereinstimmenden Angaben des Klägers, des Zeugen A. und des Zeugen C. steht für das Gericht fest, dass sich der Unfallort an dem Hochsitz auf dem Dammwildgehege, wo die Flurstücke 921, 922 und 907 aneinandergrenzen, im Norden von N. befand. Denn bei den geographischen Gegebenheiten, den winterlichen Witterungsverhältnissen und der erlittenen offenen Unterschenkelmehrfragmentfrakur wäre es gänzlich lebensfremd, wenn sich der im Süden von N. verunfallte Kläger nicht nur den etwa einen Kilometer bis zum südlichen Ortsbeginn von N. sondern darüber hinaus bis zum Jagdhaus geschleppt haben sollte.
Für dieses Unfallgebiet war der Kläger wie dargestellt nach § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII selbst als Unternehmer des landwirtschaftlichen Unternehmens in Form des vom Vater geerbten Waldgrundstücks, auf dem die Dammwildzucht betrieben wird, versichert.
Versicherte Tätigkeit § 123 SGB VII bestimmt den Umfang des landwirtschaftlichen Unternehmens, welches von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst werden kann. Versicherte Unternehmer sind dabei u. a. diejenigen, die Land- und Forstwirtschaft, die Aufzucht von Nutz- oder Zuchttieren sowie Jagden betreiben (vgl. auch Riebel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/14, § 2 SGB VII, Rn. 56).
Die Brüder A. und der Kläger waren bezüglich des vom Vater geerbten Grundstücks (mit nach den letzten Angaben 2,99 ha Forst, 1,18 ha Grünland und 20 Stück Wildtierhaltung), auf dem sich nach Überzeugung des Gerichts der Unfall ereignete, wie der Vater zuvor als Grundstückseigentümer einer Grundstücksgemeinschaft versichert. Die Beklagte teilte ihnen mit Bescheid vom 23.09.2015 die Zuständigkeit für das neue Unternehmen mit.
Der Kläger selbst hat angegeben, dass er am Unfallabend kein Damwild sondern ein Wildschwein, ggf. auch einen Fuchs, schießen wollte. Nach seiner Aussage wollte er dies tun, um das Dammwildgehege frei von diesen beiden anderen Wildtierarten zu halten, die er als Schädlinge und Krankheitsüberträger betrachtete.
Das Gericht ist nach den Angaben des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger in der Unfallnacht mit dem Vorhaben, in das Dammwildgehege eingedrungene Schädlinge zu erlegen, den Hochsitz erklimmen wollte. Nach der Auffassung des Gerichts handelt es sich dabei nicht um eine Tätigkeit aus reiner Jagdfreude, sondern diese sollte dem Erhalt des Wildgeheges als solchem dienen, Fremdwildschäden zu verhindern und damit dem Erhalt eines gesunden Dammwildbestandes dienen. Damit stand die beabsichtigte Tätigkeit des Klägers unmittelbar mit dem versicherten Unternehmen im Zusammenhang. Aus diesem Grund sieht das Gericht die konkrete Tätigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt als versicherte Tätigkeit im Rahmen des § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII an.
Nach alledem war der Kläger bei seinem Unfall am 28.12.2014 versichert nach § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII. Der Unfall des Klägers vom 28.12.2014 ist somit als Arbeitsunfall anzuerkennen und es sind entsprechend Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen.
Dem Antrag des Klägers war folglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).


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