Sozialrecht

Leistung von Wohngeld wird nicht gewährt

Aktenzeichen  B 8 K 18.253

Datum:
25.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21865
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG § 4, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19, § 15 Abs. 1
SGB X § 20
VwGO § 188

 

Leitsatz

1. Wohngeld wird als Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder zur Belastung (Lastenzuschuss) für den selbstgenutzten Wohnraum geleistet und dient nicht als Hilfe zum Lebensunterhalt. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausgangspunkt der Wohngeldberechnung ist eine Einkommensprognose, nicht das tatsächlich erzielte Einkommen (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 51857). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Liegen die nachgewiesenen Einnahmen unter dem sozialhilferechtlichen Bedarf, sind die Angaben des Antragstellers besonders sorgfältig zu überprüfen und der Wohngeldantrag bei verbleibenden Zweifeln an der Bestreitung des Lebensunterhalts abzulehnen. (Rn. 41 und 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der auf die Bewilligung von Wohngeld in Form des Lastenzuschusses gerichteten Klage handelt es sich um eine Angelegenheit der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO (Änderung der Rechtsprechung, ABweichung zu BayVGH BeckRS 2017, 105230). (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Streitgegenstand ist der Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Wohngeld in Form des Lastenzuschusses für den Zeitraum 1. Mai 2017 bis 30. April 2018.
a) Die Klägerin hat darauf keinen Anspruch. Der ablehnende Wohngeldbescheid der Beklagten vom 30. Mai 2017, in Gestalt der Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 7. Februar 2018, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, zu der die Klägerin trotz Bitte des Gerichts nicht erschienen ist, kommt eine Bewilligung von Wohngeld nicht in Betracht, da die Klägerin mangels Anwesenheit nicht nachvollziehbar darlegen konnte, womit sie im maßgeblichen Zeitraum, im Jahr 2016, ihre Lebenshaltungskosten bestritten hat. Die Beklagte hat den Wohngeldantrag deshalb zu Recht mangels Plausibilität nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast abgelehnt.
b) Wohngeld wird als Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder zur Belastung (Lastenzuschuss) für den selbstgenutzten Wohnraum geleistet und dient nicht als Hilfe zum Lebensunterhalt. Damit wird vorausgesetzt, dass der Lebensunterhalt und die Miete bzw. Belastung unter Hinzurechnung eines fiktiven Wohngeldes selbst finanziert werden kann. Die Ermittlung eines Wohngeldanspruchs für einen bestimmten Bedarfszeitraum ist – neben anderen Faktoren – gemäß § 4 WoGG von der (hier allein streitigen) Höhe des Gesamteinkommens (§ 4 Nr. 3 WoGG), d.h. gem. § 13 Abs. 1 WoGG vom Jahreseinkommen aller zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abhängig. Das Jahreseinkommen eines zu berücksichtigenden Haushaltsmitgliedes ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 WoGG vorbehaltlich des Absatzes 3 die Summe der positiven Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zuzüglich der Einnahmen nach Absatz 2 sowie abzüglich der Abzugsbeträge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nach Maßgabe von § 16 WoGG.
Gemäß § 15 Abs. 1 WoGG i.V.m. § 24 Abs. 2 WoGG ist das bei der Wohngeldberechnung zu berücksichtigende Jahreseinkommen anhand einer Prognose von der Wohngeldbehörde zu ermitteln. Es ist das Einkommen zu Grunde zu legen, das im Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist, wobei hierzu – hilfsweise und nur soweit hierin ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die vorzunehmende Prognose liegt – die Verhältnisse vor dem Zeitpunkt der Antragstellung herangezogen werden können. Ausgangspunkt der Wohngeldberechnung ist daher stets eine Einkommensprognose, nicht das tatsächlich erzielte Einkommen (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2014 – 12 ZB 14.701 – juris Rn. 14).
Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ist in diesem Zusammenhang unter anderem zu prüfen, ob die angegebenen Einnahmen im Verhältnis zu den nach Aktenlage erkennbaren Aufwendungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts plausibel sind. Dabei hat die Wohngeldstelle den relevanten Sachverhalt zwar von Amts wegen zu ermitteln, diese Ermittlungspflicht endet jedoch, wenn nach Ausschöpfen der erreichbaren Erkenntnisquellen erkennbar ist, dass sich bestehende Zweifel nicht beheben lassen. Die Pflicht zur Sachaufklärung setzt einen schlüssigen Vortrag voraus, der insbesondere beinhaltet, dass Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich der Klägerin von dieser hinreichend substantiiert darzulegen und im Zweifel auch nachzuweisen sind. Ergeben sich auf Grund von Plausibilitätsüberlegungen (Diskrepanz zwischen angegebenen Einnahmen unter Hinzurechnung eines fiktiv berechneten Wohngeldes und objektivem Bedarf zum Lebensunterhalt) Zweifel an den Angaben der Wohngeldantragstellerin, d.h. kann deren Angaben trotz der jeweils gebotenen Ermittlungsbemühungen und Mitwirkungspflichten nicht nachvollziehbar entnommen werden, mit welchen Mitteln der Lebensunterhalt im Bezugszeitraum finanziert werde, so fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die im Antragszeitpunkt zu treffende verlässliche Aussage über das im Bewilligungszeitraum zu erwartende Einkommen. Da die Höhe des wohngeldrechtlich anzusetzenden Einkommens zu den Anspruchsvoraussetzungen für den Wohngeldanspruch gehört, kann, wenn sich das Einkommen wegen unzureichender Angaben des Wohngeldantragstellers nicht ermitteln lässt, nach den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast dem Wohngeldantrag grundsätzlich nicht entsprochen werden (BVerwG, U.v. 16.1.1974 – VIII C 117.72 – BVerwGE 44, 265; BayVGH, B.v. 4.10.2005 – 9 ZB 05.1654 – juris).
Insbesondere wenn die nachgewiesenen Einnahmen unter dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegen, sind die Angaben des Antragstellers besonders sorgfältig zu überprüfen und der Wohngeldantrag bei verbleibenden Zweifeln an der Bestreitung des Lebensunterhalts abzulehnen („Plausibilitätskontrolle“). Zweifel an der Glaubhaftigkeit und Vollständigkeit der Angaben können zudem auch dann gegeben sein, wenn Aufwendungen des allgemeinen Lebensunterhalts zuzüglich etwaiger Mehrbedarfe, Aufwendungen für Wohnraum einschließlich der Heizkosten und sonstige Aufwendungen tatsächlich vorliegen bzw. den Umständen nach anzunehmen sind und Einnahmen in entsprechender Höhe nicht nachgewiesen werden (vgl. auch 15.01 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Wohngeldgesetzes – WoGVwV).
Ein solches Vorgehen kommt auch bei nicht glaubhaften, unplausiblen oder widersprüchlichen Angaben in Betracht, wobei aber zu beachten ist, dass es in einem solchen Fall regelmäßig geboten sein wird, dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, die aus Sicht der Behörde gegebenen Mängel zu beheben, indem er etwa dazu aufgefordert wird, als fehlend erscheinende Angaben zu ergänzen (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2007 – 12 C 05.1898 – juris Rn. 3).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin – auch infolge ihrer Nichtanwesenheit in der mündlichen Verhandlung – nicht glaubhaft machen können, wie sie ihre Ausgaben und ihren Lebensunterhalt auf der Grundlage der von ihr angegebenen Einnahmen im maßgeblichen Bewilligungszeitraum bestreiten wollte bzw. in der Vergangenheit bestritten hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth zurückweisenden Beschluss vom 14. November 2017 (BayVGH B.v. 14.11.2017 – 12 CE 17.2012).
aa) Hierbei ist zunächst unstreitig davon auszugehen, dass – nach den für das komplette Jahr 2016 vorgelegten Kontoauszügen (vgl. Aufstellung Bl. 141 der Beiakte III) – die Klägerin über Jahreseinnahmen in Höhe von 10.762,44 € netto (knapp 900,00 € monatlich) verfügt, d.h., dass die Kranken- und Pflegeversicherung bereits abgezogen sind. Die jährlichen Ausgaben betrugen 8.341,96 € (ca. 695,00 € monatlich). Davon gingen ca. 561,00 € monatlich vom Konto der Klägerin ab. Zuzüglich tätigte die Klägerin 2016 Barabhebungen insgesamt in Höhe von 1.600,00 €. Demnach verbrauchte die Klägerin im Jahr 2016 monatlich durchschnittlich 133,33 € für das tägliche Leben für Lebensmittel, Hygieneartikel, Bekleidung, Innenausstattung, Freizeit und für Gaststättenbesuche. Zudem erhielt die Klägerin im Jahr 2016 zusätzlich 1.100,00 € als Geschenk.
Das Vermögen der Klägerin wuchs 2016 um 2.046,20 €.
bb) Bei zur Verfügung stehenden Barmitteln in Höhe von 1.600,00 € muss die Klägerin mit einem Betrag von täglich etwa 4,38 € ausgekommen sein. Dies bestätigte die Klägerin bei ihrer Vorsprache bei der Wohngeldbehörde am 25. April 2017 durch die Mitteilung, dass die Kosten für Lebensmittel, Bekleidung, Körperpflege und Kfz-Kosten durch die ihr zu Verfügung stehenden Barmittel gedeckt würden.
Selbst wenn man vom Regelsatz nach SGB XII die regelbedarfsrelevanten Anteile für Wohnung, Energie und Wohnungsinstandhaltung, Gesundheitspflege, Verkehr und Nachrichtenübermittlung unberücksichtigt lässt, da sie, im Fall von Verkehr zumindest teilweise, über das Konto beglichen werden, verbleibt ein restlicher Regelbedarf in Höhe von 276,62 € (Nahrungsmittel/Getränke/Tabakwaren, Bekleidung/Schuhe, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, laufende Haushaltsführung, Freizeit/Unterhaltung/Kultur, Bildungswesen, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen sowie andere Waren und Dienstleistungen). Dies bedeutet umgerechnet einen täglichen Bedarf in Höhe von 9,09 €. Hiervon 80 Prozent ergeben einen Betrag in Höhe von täglich etwa 7,27 €.
cc) Zwar kann es möglich sein, den täglichen Lebensunterhalt – zumindest vorübergehend – mit weniger als 80 Prozent des Sozialhilfebedarfs zu bestreiten.
Auch wenn die Wohngeldbehörde an Nr. 15.01 Abs. 1 Sätze 2 und 3 WoGVwV gebunden ist, die besagen, dass, wenn sich bei der Ermittlung des Jahreseinkommens unter dem Bedarf nach dem SGB XII liegende Einnahmen ergeben, die Angaben der wohngeldberechtigten Person besonders sorgfältig auf Glaubhaftigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen sind und dass die Angaben glaubhaft sein können, wenn die hiernach zur Verfügung stehenden Einnahmen zuzüglich eines zu leistenden Wohngeldes 80 Prozent des Bedarfs nach dem SGB XII erreichen, ist das Gericht an diese Verwaltungsvorschriften nicht gebunden. Vielmehr findet sich im Gesetz keine entsprechende Regelung.
Der Wohngeldanspruch besteht in Abhängigkeit zum monatlichen Gesamteinkommen (vgl. § 13 Abs. 2 WoGG). Ab einem bestimmten Einkommensbetrag wird in Abhängigkeit von der zu berücksichtigenden Miete oder monatlichen Belastung und von der Zahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder kein Wohngeld mehr gewährt. Das Wohngeldgesetz sieht indes kein „Mindesteinkommen“ für die Gewährung von Wohngeld vor. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Überleben in Deutschland ausgeschlossen ist, wenn ein Einkommen unterhalb von 80 Prozent des Regelsatzes nach dem SGB XII unterschritten wird. Hierzu müsste ein entsprechend jedermann zugänglicher Satz, der nach der allgemeinen Erfahrung unzweifelhaft gilt und durch keine Ausnahme durchbrochen wird, vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 860/82 – BVerwGE 67, 83/84 m.w.N.; VG Dresden, U.v. 24.8.2016 – 1 K 2645/14 – juris Rn. 20). Einen solchen ausnahmslosen Erfahrungssatz gibt es indes nicht (VG Dresden, U.v. 24.8.2016 – 1 K 2645/14 – juris Rn. 20).
Dementsprechend verbietet sich die Bestimmung einer pauschalen Einkommensuntergrenze (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 5 C 21/12 – juris Rn. 14), jenseits derer Einkommensangaben ohne weiteres als unglaubhaft anzusehen wären, wenn gleich der Beklagten darin zuzustimmen ist, dass die Tatsache, dass die bekannten Einnahmen eines Wohngeldantragstellers nach einer entsprechenden Bereinigung nicht einmal 80 Prozent des sozialhilferechtlichen Regelbedarfssatzes decken, regelmäßig zumindest die Vermutung begründet, dass tatsächlich höheres, den Mindestbedarf deckendes Einkommen verschwiegen wird (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 22.1.2015 – W 3 E 14.1264 – juris; VG Bayreuth, U.v. 17.9.2014 – B 4 K 13.826 – juris). Dann ist es Sache des Wohngeldantragstellers, nachvollziehbar und schlüssig darzulegen, wie er mit dem an sich zu geringen Einkommen auskommt. Je deutlicher aber die Einnahmen eines Wohngeldantragstellers den sozialhilferechtlichen Regelbedarfsatz unterschreiten, umso höher sind die Anforderungen an eine nachvollziehbare Erläuterung dafür, wie mit diesem Einkommen der Lebensunterhalt bestritten wird.
dd) Es mag zwar nicht von vornherein unplausibel sein, mit einem solch geringen zur Verfügung stehenden Betrag die Kosten für ihre überwiegend vegetarische Ernährung – insbesondere unter Berücksichtigung des wohl altersbedingt reduzierten Energiebedarfs – bestreiten zu können. Dies wird von der Aussage der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestützt, dass die Klägerin eine zierliche und bescheidene Dame sei, die keine großen Ansprüche habe. Die Klägerin hat aber dennoch nicht nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, wie sie mit den an sich zu geringen Barmitteln auskommt. Dem Gericht blieb es zudem verwehrt, sich ein eigenes Bild von der Klägerin zu machen, da diese zur mündlichen Verhandlung nicht erschien. Auch wurde erst gegen Ende des Gerichtsverfahrens vorgetragen, dass der Eigenbedarf durch Erzeugnisse aus dem eigenen Garten und den Tausch von Lebensmittel gedeckt werde. Zur Konkretisierung dessen wurden jedoch nur verschiedene Obstbäume und Beeren als im Garten der Klägerin wachsend benannt; angeblich im Garten angebautes Gemüse konnte seitens der Klägerbevollmächtigten auch in der mündlichen Verhandlung nicht näher bezeichnet werden. Wie die Klägerin – angesichts der von der Prozessbevollmächtigten fernmündlich mitgeteilten Umständen einer bevorstehenden Hüftoperation – daraus eine derart hohe Ernte erzielt haben und erzielen soll, um daraus einen ganzjährigen Tauschhandel betrieben zu haben und betreiben zu können, wurde weder dargelegt noch wurden Nachweise (z.B. Angaben über Ernteertrag, Tauschpartner, etc.) erbracht. Ebenfalls entbehrt es verlässlicher Angaben, ob und inwiefern die Klägerin ihre Ernte weiter verarbeitet.
Nicht glaubhaft erscheinen die Aussagen zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerbevollmächtigte in ihrer Beschwerdeschrift an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erstmals davon sprach, die Klägerin beziehe preisgünstig Lebensmittel von der Tafel, und diese Aussage in der mündlichen zurückzog, indem sie erklärte, die Klägerin suche die Tafel nicht auf, da sie Essen von der Tafel – insbesondere das in der Warteschlange Stehen – erniedrigend finde. Auch hinsichtlich der Angabe, dass die Klägerin durch die Diakonie Unterstützung erhalte, indem sie zum Kaffeetrinken hingehe und Lebensmittel einpacken dürfe, konnte nicht geklärt werden, wie oft die Klägerin tatsächlich zur KASA (Kirchliche Allgemeine Sozialarbeit) oder ähnlichen caritativen Einrichtungen zum Essen gehe. Die Angaben der Klägerin hierzu wurden zu keinem Zeitpunkt näher beziffert oder konkretisiert, auch fehlen jedwede Nachweise zu Art und Umfang, sodass weder dem Gericht noch der Beklagten eine Aufklärung des Sachverhalts trotz hinreichender Ermittlungsbemühungen möglich war. Lediglich hinsichtlich der von der Klägerin angeführten Besuche des „Frauencafés“, bei denen die Klägerin „Kaffee-Überreste“ des (auf Kuchen und belegte Brote begrenzten) Angebots mitnehmen könne, finden sich dahingehend zeitliche Aussagen, dass dieses ausweislich der vorgelegten Einladung einmal im Monat stattfindet.
Zu beachten ist dabei auch, dass letztere Angaben sich auf die Jahre 2017/ 2018 und 2019, und damit auf einen Zeitraum nach 2016 beziehen, das Grundlage der Prognose und Plausibilitätsermittlung für den Bewilligungszeitraum war.
Darüber hinaus steht dem sozialhilferechtlich anerkannten monatlichen Mindestbedarf für die folgenden Bedarfsarten
Abteilung der Regelbedarfsgruppen
Art des Bedarfs
01
Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke
137,66 €
03
Bekleidung und Schuhe
34,60 €
05
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und – gegenstände
24,34 €
07
Verkehr
32,90 €
09
Freizeit, Unterhaltung, Kultur
37,88 €
10
Bildung
1,01 €
11
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen
9,82 €
12
Andere Waren und Dienstleistungen
31,31 €
Summe
309,52 €
nach wie vor der von der Klägerin angegebene durchschnittliche monatliche Verbrauch von 133,33 € zur Abdeckung dieser Bedarfsarten gegenüber. Dies ist weniger als die Hälfte des hierfür vorgesehen sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs.
Auch wenn die Klägerin nach Angaben der Prozessbevollmächtigten nicht mehr viel an Kleidung benötigt, sie einen etwaigen Bedarf aus Secondhandläden oder durch das Rote Kreuz decken kann und sie keinen großen Anspruch und Bedarf an Nahrungsmitteln und Getränken hat, bleiben ihre Angaben deshalb unschlüssig.
Nicht berücksichtigt wurden dabei folgende Bedarfsarten:
Abteilung der Regelbedarfsgruppen
Art des Bedarfs
04
Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung
35,01 €
06
Gesundheitspflege
15,00 €
08
Nachrichtenübermittlung
35,31 €
Summe
85,32 €
Sie werden bereits durch die nachvollziehbaren Kontoabbuchungen abgedeckt.
Es steht den Betroffenen zwar selbstverständlich frei, innerhalb der Regelbedarfe je nach den eigenen Bedürfnissen frei zu variieren und die freien Mittel, die in einer Bedarfsgruppe im konkreten Fall nicht anfallen, für andere Bedarfsgruppen einzusetzen. Doch mangels Darlegung der durchschnittlichen Zusammensetzung der Ausgaben der Klägerin zumindest in Ansätzen, auch bedingt durch die Nichtanwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, ist eine Einschätzung der tatsächlichen Situation der Klägerin nicht möglich.
Auch hinsichtlich der Kfz-Kosten wurden trotz mehrmaliger Aufforderung keine genaueren Angaben zur durchschnittlichen Fahrleistung gemacht. Daher können allein aufgrund der angeblichen Fahrleistung von 12.910 km im Zeitraum vom 22. April 2013 bis 26. April 2018, durchschnittliche Benzinkosten in Höhe von mindestens 13,00 € im Monat geschätzt werden. Welche Strecken die Klägerin fährt, wann sie wieviel tankt etc. konnte allerdings nicht geklärt werden. Eine genaue Bezifferung oder Präzisierung hierzu fehlen.
Damit ist allenfalls eine sparsame Lebensführung der Klägerin nachzuvollziehen, dies ist jedoch nicht ausreichend, um nachzuweisen, dass und ggf. wie die Klägerin nach Abzug der Kosten für das Haus mit einem Betrag von weniger als 80 Prozent des Sozialhilferegelsatzes ein menschwürdiges Leben führen kann bzw. führt.
Es ist auch nicht ersichtlich oder dargelegt worden, dass die Wohngeldbehörde ihrer Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen ist oder die Grenzen der Mitwirkungspflicht für die Klägerin überschritten worden sind.
Da die Einkommensverhältnisse der Klägerin nicht plausibel dargelegt wurden, hat die Beklagte den Wohngeldantrag unter Hinweis auf die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast zu Recht abgelehnt.
Für eine Rechtswidrigkeit der Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Nach § 188 Satz 2 1. Halbsatz i.V.m. Satz 1 VwGO werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) in Verfahren in Angelegenheiten der Fürsorge nicht erhoben. Bei der auf die Bewilligung von Wohngeld in Form des Lastenzuschusses für den Zeitraum 1. Mai 2017 bis 30. April 2018 gerichteten Klage, handelt es sich – entgegen der früheren Rechtsauffassung des Gerichts und der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH, B.v. 4.4.2011 – 12 CE.10.3176 – juris; B.v. 23.2.2017 – 12 ZB 16.2355 – juris) – um eine Angelegenheit der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO (vgl. BeckOK VwGO/Wolff, 48. Ed. 1.1.2019, § 188 Rn. 3 ff.; Schoch/Schneider/Bier/Clausing/Kimmel, 35. EL September 2018, VwGO § 188 Rn. 8 ff.; Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 188 Rn. 3 ff.; so auch OVG SH, B.v. 9.10.2014 – 3 O 24/14 – juris; Sächs OVG, B.v. 1.6.2018 – 4 E 34/18 – juris).
Zur Überzeugung des Gerichts sind aufgrund eines im umfassenden Sinn zu verstehenden Fürsorgebegriffs Wohngeldstreitigkeiten der hier in Rede stehenden Art als solche der Fürsorge i. S. v. § 188 Satz 1 VwGO zu verstehen, die der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO unterliegen. Nach der Gesetzesbegründung zum 7. SGG ÄndG fallen unter den Begriff der Fürsorge, der z. B. in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG geregelt ist, insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht (BT-Drs. 15/3867, S. 4). Die beispielhafte Beschreibung in der Gesetzesbegründung, die auch durch das Wort „insbesondere“ zum Ausdruck kommt, verdeutlicht, dass nicht nur fürsorgerische Leistungen im engeren Sinne erfasst sind (vgl. OVG SH, B.v. 9.10.2014 – 3 O 24/14 – juris).
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht nicht der Auffassung, wonach Wohngeldstreitigkeiten nicht der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 VwGO unterfallen, weil Wohngeldleistungen einerseits und Sozialhilfeleistungen andererseits völlig verschiedene Leistungen darstellen, die unterschiedlichen Zwecken dienen. Bei der Gewährung von Wohngeld handelt es sich entgegen der Auffassung des BayVGH (B.v. 19.8.2013 – 12 C 13.1519 – juris; B.v. 2.4.2011 – 12 C 10.3176) und des BVerwG (BVerwG, B.v. 18.3.2009 – 5 PKH 1/09 – juris) nicht vordergründig um eine wohnungspolitische Leistung, sondern gemäß § 1 Abs. 1 WoGG wird Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Miet- oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum geleistet (vgl. näher NdsOVG, B.v. 3.8.2007 – 4 OA 12/06 – juris Rn. 13). Sozialhilfe wird nach § 1 SGB XII geleistet, um den Leistungsberechtigten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und um sie so weit wie möglich zu befähigen, unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu leben. Den unterschiedlichen Zweckrichtungen der Leistungen (vgl. BVerfG, B.v. 14.11.1969 – 1 BvL 4/69 – BVerfGE 27, 220) ist allerdings gemeinsam, dass es sich um Sozialleistungen (vgl. § 11 Satz 1, § 26 SGB I) handelt, die dem Ziel der sozialen Sicherung dienen. Die Gewährung von Sozialhilfe dient diesem Ziel, weil der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt u. a. Unterkunft und Heizung umfasst (§ 27a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 35 SGB VII); gleiches gilt im Übrigen auch für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Durch die Gewährung von Wohngeld soll – jenseits der durch die Sozialhilfe oder Leistungen nach dem SGB II zu gewährenden Mindestsicherung – ebenfalls sichergestellt werden, dass jeder in einer angemessenen Wohnung leben kann (vgl. Winkler in BeckOK, SozR, 51. Edition, Stand 1.12.2018, § 1 WoGG Rn. 7 f.).
Der Einbeziehung von Wohngeldstreitigkeiten in den Anwendungsbereich des § 188 VwGO steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Gewährung von Wohngeld jedenfalls keine primär fürsorgerische Intention zugrunde liegt und dass das Wohngeldrecht kompetenzrechtlich nicht von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG sondern von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG erfasst wird, weil es als Teil der Materie „Wohnungswesen“ angesehen wird (vgl. zu diesem Aspekt OVG NW, B.v. 5.10.2017 – 12 A 1453/17 – juris Rn. 7 ff., Rn. 17). Denn aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG ergibt sich, dass der Begriff „öffentliche Fürsorge“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nicht alle Gegenstände der „Fürsorge“ aus § 188 Satz 1 VwGO erfasst. Das auf diesen Kompetenztitel und nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützte Bundesausbildungsförderungsgesetz ist – wie in § 188 Satz 1 VwGO ausdrücklich erwähnt – dennoch eine Angelegenheit der Fürsorge i. S. d § 188 Satz 1 VwGO. Die so gefundene erweiternde Auslegung des § 188 VwGO führt die Kostenfreiheit des Verwaltungsverfahrens (§ 64 Abs. 1 SGB X) im gerichtlichen Verfahren fort (vgl. Sächs OVG, U.v. 5.12.2017 – 4 A 273/17 – juris Rn. 31).
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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