Sozialrecht

Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  L 13 R 610/14

Datum:
30.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 112429
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 109
SGB VI § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 4, § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, § 240 Abs. 1, Abs. 2, § 241 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 11 R 4136/11 2014-06-05 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 5. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 7. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2011 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem Bayerischen Landessozialgericht steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI), teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI) hat.
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 bzw. 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung sind nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung bis spätestens 31. Dezember 1999 eingetreten ist und seitdem ununterbrochen fortdauert. Dies steht nach Auffassung des Senats jedoch nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest.
Die Klägerin hat letztmals von Dezember 1985 bis November 1988 insgesamt 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 SGB VI. Verlängerungstatbestände im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI liegen nur in Form von Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung vom 13. Januar 1988 bis 16. November 1997 vor. Im Anschluss daran war die Klägerin – abgesehen von 8 Monaten mit Pflichtbeitragszeiten erst im Jahr 2013 – nur geringfügig nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Nur bei einem Eintritt des Leistungsfalls bis spätestens 31. Dezember 1999 liegen damit in dem um die Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung verlängerten Fünfjahreszeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung (Dezember 1985 bis November 1999) drei Jahre (= 36 Kalendermonate) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit für die Klägerin vor.
Bei der Klägerin ist auch kein Tatbestand gegeben, durch den die Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI i. V. m. § 53 Abs. 1, 2 SGB VI). Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz als Wehrdienstleistender oder Soldaten auf Zeit, wegen einer Zivildienstbeschädigung nach dem Zivildienstgesetz als Zivildienstleistende oder wegen eines Gewahrsams (§ 1 Häftlingshilfegesetz) vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben sind. Anhaltspunkte für einen dieser Fallgruppen gibt es nicht.
Die Wartezeit ist auch nicht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI vorzeitig erfüllt. Dies ist nach dieser Bestimmung der Fall, wenn Versicherte vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden oder gestorben sind und in den letzten 2 Jahren vorher mindestens 1 Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Ihre Ausbildung hat die Klägerin bereits im Juli 1975 abgeschlossen.
Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI erfüllt. Zwar hat die Klägerin vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 51 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Ab 1. Januar 1984 ist aber selbst bis zu dem von der Klägerin behaupteten frühen Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls im November 1999 nicht jeder Kalendermonat mit sogenannten Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des § 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 SGB VI belegt. Denn im Zeitraum Dezember 1997 bis Oktober 1999 liegen keinerlei versicherungsrechtlichen Zeiten der Klägerin vor.
Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin spätestens seit 31. Dezember 1999 (Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt sind) und darüber hinaus fortdauernd nicht mehr in der Lage war, mindestens 6 Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie in ihrem Beruf als Zahnarzthelferin zu verrichten. Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden Ausführungen von Dr. E … Danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung noch in der Lage war, als Zahnarzthelferin vollschichtig Arbeiten zu erbringen. Auch Dr. S. hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass das Leistungsvermögen der Klägerin bereits zum 31. Dezember 1999 rentenrelevant eingeschränkt war. Der hiervon abweichenden Auffassung von Dr. D. vermag der Senat nicht zu folgen.
Nach den Feststellungen von Dr. E. stehen bei der Klägerin nach deren eigenen Angaben bei der Untersuchung am 27. Februar 2013 seelische Probleme nach zweimaligen Tumorerkrankungen in den Jahren 1999 und 2005 im Vordergrund. Die Klägerin hat nachvollziehbar geschildert, dass ihr diese „im Nacken sitzen würden“. Sie würde sich selbst ständig beobachten, leide unter Antriebsstörungen, habe Zeiten, in denen sie nichts schaffe und die Hilfe ihrer Tochter benötige. Bei ihrer Untersuchung hat sie jedoch auch angegeben, dass die psychischen Probleme nicht unmittelbar im Anschluss an die Tumorerkrankungen aufgetreten seien, sondern erst nach dem Tod der Mutter. Die Mutter der Klägerin ist allerdings erst im Jahr 2009 gestorben.
Diese eigenen Angaben der Klägerin sprechen schon sehr deutlich dagegen, dass bei ihr vor dem Tod der Mutter im Jahr 2009 eine nennenswerte, sich auf die Leistungsfähigkeit auswirkende depressive Störung vorgelegen hat. Diese Einschätzung wird dadurch weiter belegt, dass sich in den Befundberichten aus den Jahren 1989 bis Juli 2010 kein Anhalt für eine seelische Erkrankung der Klägerin findet. Erstmals im hausärztlichen Befund Dr. C. vom 9. Juli 2010 wird von einem psychoreaktiven Syndrom mit depressiven Zügen berichtet. In seinem Befundbericht vom 6. Dezember 2012 berichtet Dr. C., dass sich aufgrund der Zweifach-Tumorerkrankung ein chronifiziertes depressives Syndrom entwickelt habe. Dies belegt allenfalls eine depressive Entwicklung ab dem Jahr 2005, also nach der zweiten Tumorerkrankung. Eine nervenärztliche Behandlung beginnt die Klägerin erst ab November 2010 bei Dr. K., die jedoch auch nur zu einer milden antidepressiven Medikation auf pflanzlicher Basis sowie einer schlafanstoßenden Therapie mit Zopiclon führt.
Soweit dann diese Angaben von der Klägerin später wieder relativiert wurden, ist dies für den Senat nicht überzeugend. Gegenüber Dr. S. hat die Klägerin angegeben, bereits seit der ersten Krebserkrankung im Jahr 1999 leide sie wiederholt unter Angst und depressiven Verstimmungszuständen, zunehmend seit der Totalunterleibs-Operation wegen Ovarialkarzinom links im Winter 2005. Aber selbst diese Angaben der Klägerin konnten auch Dr. S. für den Senat nachvollziehbar nicht zu der Feststellung veranlassen, dass mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass das Leistungsvermögen der Klägerin bereits im Dezember 1999 auf unter 3 Stunden abgesunken ist. Die rentenrelevante Reduzierung des quantitativen Leistungsvermögens hat Dr. S. allein aus der psychiatrischen Erkrankung mit den kognitiven Einschränkungen und der mangelnden Durchhaltefähigkeit abgeleitet. Diese bestehe wahrscheinlich seit Antragstellung am 26. April 2010, sicher sogar erst seit 18. Juli 2013.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Februar 2014 hat Dr. S. dann erklärt, es sei ihm nicht möglich, verbindlich zu sagen, ob seit dem 1. November 1999 durchgehend Erwerbsunfähigkeit bestanden habe. Andererseits bestünden keine vernünftigen Gründe an der Aussagekraft des Attestes des Dr. C. vom 7. Mai 2010 zu zweifeln. Der Befundbericht vom 7. Mai 2010 belegt jedoch eine relevante psychiatrische Erkrankung seit November 1999 gerade nicht. Hierin ist nur ausgeführt, die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei aufgrund eines Zustands nach Mammakarzinom links (ED Oktober 1999) und Granulosazell-Tumor des linken Ovar (ED Februar 2005) stark eingeschränkt. Es bestehe Arbeitsfähigkeit für weniger als 3 Stunden täglich ab dem 1. November 1999. Diese Aussage wird in keiner Weise weiter begründet. Dies wäre aber schon allein deshalb erforderlich gewesen, weil es in keiner Weise nachvollziehbar ist, warum ein Zustand nach Granulosazell-Tumor des linken Ovar, der erst im Jahr 2005 diagnostiziert worden ist, zu einer Reduzierung der Erwerbsfähigkeit bereits im Jahr 1999 führen soll. Auch die bloße Angabe „Zustand nach Mamma-Karzinom links, Erstdiagnose Oktober 1999“ belegt als solche nicht eine Reduzierung der Erwerbsfähigkeit auf unter 3 Stunden. Denn daraus lässt sich in keiner Weise entnehmen, welche funktionellen Einschränkungen mit diesem Zustand verbunden sind. Insoweit hat Dr. E. ausgeführt, dass eine brusterhaltende Operation links durchgeführt worden ist mit anschließender Bestrahlung und Chemotherapie. Ein Rezidiv ist seitdem nicht aufgetreten. Sämtliche durchgeführten Untersuchungen, insbesondere auch eine Mammografie vom 8. Februar 2013, haben hierfür keinen Hinweis ergeben. Vielmehr war die Narbe im Bereich der linken Brust kaum mehr sichtbar. Von Seiten der Klägerin wurden nur Beschwerden im Bereich der linken Achselhöhle bei Erheben des Armes über Kopf angegeben. Die Behandlung des Mamma-Karzinoms ist also erfolgreich verlaufen, verblieben sind geringe Restbeschwerden, die nur eine qualitative Leistungseinschränkung in Form des Ausschlusses von Überkopfarbeiten rechtfertigen können. Bei Mitberücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin bei Dr. E. selbst angegeben hat, ihre psychischen Beschwerden hätten sich erst infolge des Todes der Mutter im Jahr 2009 entwickelt, gibt es daher entgegen der Annahme von Dr. S. erhebliche vernünftige Gründe, an der Aussage von Dr. C. in seinem Attest vom 7. Mai 2010 zu zweifeln. Hinzu kommt, dass Dr. C. in seinem Attest vom 9. Juli 2010 von einem deutlichen Leistungsknick seit etwa einem Jahr berichtet hat. Dies steht in Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin, durch den Tod der Mutter im Jahr 2009 besonders belastet worden zu sein.
Die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. D. ist in keiner Weise überzeugend. Die Sachverständige setzt sich weder mit den abweichenden Vorgutachten noch mit den oben zitierten eigenen Angaben der Klägerin auseinander. Dr. D. hat ausgeführt, die Umstände der Diagnose und Therapie des Mamma-Karzinoms 1990 seien für die Klägerin traumatisierend gewesen, da zunächst von einer gutartigen Diagnose ausgegangen und die Diagnose in den Augen der Klägerin heruntergespielt worden sei. Es sei bereits damals zu einer Angststörung, Vertrauensverlust und Konzentrationsschwächen gekommen. Diese Feststellungen beruhen allein auf den Angaben der Klägerin gegenüber Dr. D. bei deren Untersuchung und sind in keiner Weise belegt. Aus eigenem Ansehen der Klägerin kann Dr. D. diese Behauptung nicht aufgestellt haben, da sie die Klägerin erst seit August 2006 behandelt. Diese Feststellungen stehen auch in deutlichem Widerspruch zu den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber Dr. E., wonach die psychische Problematik gerade nicht im Anschluss an die Krebserkrankungen aufgetreten sei, sondern erst im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter. Auch in ihrer Widerspruchsbegründung hat die Klägerin ausgeführt, dass sie seit August 2005, also nach der zweiten Krebserkrankung in jeder Hinsicht „fertig“ gewesen sei. Seit der Unterleibs-Operation werde sie von Kreuzschmerzen, Schmerzen im rechten Bein und Taubheit im Schenkel geplagt. Für die Zeit bis zum Auftreten der zweiten Krebserkrankung im Oktober 2004 berichtet die Klägerin nur, dass sie bis August 2000 aufgrund der Brustkrebserkrankung bestrahlt worden sei. Im Anschluss daran hätten sich dann vierteljährliche Kontrolluntersuchungen angeschlossen. Diese Angaben der Klägerin belegen ebenfalls nicht den Eintritt einer überdauernden Erwerbsminderung bereits im November 1999.
Die von Dr. D. weiterhin zur Stützung ihrer sozialmedizinischen Beurteilung herangezogenen Gesundheitsstörungen der Klägerin in Form chronischer Lymphödeme der Beine, Pelzigkeit im rechten Bein und Rückenschmerzen sind erst infolge des Ovarial-Tumors und dessen Behandlung mittels Chemotherapie im Jahr 2005 aufgetreten. Diese Gesundheitsstörungen können nicht zur Begründung des Eintritts des Leistungsfalls spätestens im Dezember 1999 herangezogen werden.
In keiner Weise nachvollziehbar sind auch die Ausführungen von Dr. D., die Klägerin werde seit 1999 psychiatrisch fachärztlich und psychotherapeutisch im Intervall mitbetreut. Eine nervenärztliche Behandlung findet erst seit dem Jahr 2010 durch Dr. K. statt. Gegenüber Dr. E. hatte die Klägerin auch angegeben, dass keine Psychotherapie und keine stationäre psychosomatische Maßnahme durchgeführt worden seien.
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei der Klägerin keine überdauernde rentenrelevante quantitative Leistungseinschränkung vorgelegen hat.
Trotz dieses festgestellten quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden könnte, die sich trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten könnte.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (vgl. BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 64/02 R, in juris).
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lag bei der Klägerin bis zum Dezember 1999 jedoch ebenso wenig vor wie eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Bei ihr bestand weder ein besonderer Pausenbedarf noch ist die Beweglichkeit der oberen Extremitäten relevant eingeschränkt. Insoweit ergibt sich nur ein Ausschluss von Überkopfarbeiten als Folge der Brustkrebsoperation. Auch war und ist die Wegefähigkeit der Klägerin erhalten. Damit war zum maßgeblichen Zeitpunkt der allgemeine Arbeitsmarkt für die Klägerin sicher nicht verschlossen.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hierauf haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden verrichten kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung des „vergleichbaren Versicherten“ ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf“. Dieser ergibt sich in der Regel aus der letzten, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (BSG – SozR 2200 § 1246 Nr. 53, 94, 130). Zur Feststellung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs und damit auch zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten hat das BSG ein Stufenschema zunächst für Arbeiter, dann jedoch auch für Angestellte ein Mehrstufenschema entwickelt (BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr. 107; BSGE 57, 291 = SozR 2200 Nr. 126; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 2, 41). Im Bereich der Arbeiter sind die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (Meisters, auch des besonders hochqualifizierten Facharbeiters), des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters. Die Gruppe der angelernten Arbeiter ist in einen unteren Bereich (Anlerndauer mehr als drei Monate bis zu einem Jahr) und in einen oberen Bereich (Anlerndauer mehr als 1 Jahr bis zu 2 Jahren) zu unterteilen. Im Bereich der Angestellten sind die Leitberufe des Angestellten mit hoher beruflicher Qualität, regelmäßig Studium, Angestellte mit längerer Ausbildung, regelmäßig von 3 Jahren (Ausgebildete), Angestellte mit einer Ausbildung bis zu 2 Jahren (Angelernte) und Angestellte ohne Ausbildung (Ungelernte) zu unterscheiden. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der im Rahmen einer Gesamtschau zu ermittelnden Qualität der verrichteten Arbeit. In diese Gesamtschau einzustellende Kriterien sind: Ausbildung, tarifliche Einstufung, Dauer der Berufsausübung, Höhe der Entlohnung und Anforderungen des Berufes.
Letzte Tätigkeit in diesem Sinne war die bis 1987 verrichtete versicherungspflichtige Tätigkeit als Zahnarzthelferin. Seitdem hat die Klägerin bis zur Stellung des Rentenantrags nur geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt, mit denen sie sich nicht von ihrem Hauptberuf als Zahnarzthelferin gelöst hat. Der Senat ist jedoch in Übereinstimmung mit Dr. E. davon überzeugt, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt der Antragstellung am 26. April 2010 als Zahnarzthelferin vollschichtig einsetzbar war. Dr. E. hat diese Feststellung in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. März 2015 in genauer Kenntnis der berufskundlichen Anforderungen an die Tätigkeit als Zahnarzthelferin getroffen, da der gerichtlichen Anfrage ein Auszug aus dem „Berufenet“ beigefügt war, in dem diese beschrieben werden. Sie hat plausibel erklärt, dass sie in ihrem Gutachten vom 5. April 2013, in dem sie die Auffassung vertreten hat, die Tätigkeit als Zahnarzthelferin sei bereits seit 1999 nur mehr 3 bis unter 4 Stunden täglich zumutbar, von einer ausschließlichen Tätigkeit als Stuhlassistenz ausgegangen sei. Denn die Klägerin hatte geschildert, tatsächlich nur solche Tätigkeiten verrichtet zu haben. Tätigkeiten als Stuhlassistenz waren und sind der Klägerin auch nach wie vor nur 3 bis unter 4 Stunden täglich zumutbar. Dies resultiert daraus, dass hiermit länger anhaltende Zwangshaltungen der Arme, insbesondere des Anhebens des Armes über die Waagerechte mit angewinkelten Ellbogengelenk und Armvorhalte verbunden sind. Derartige Tätigkeiten sind wegen des operativen Eingriffs an der linken Brust und der linken Achselhöhle der Klägerin tatsächlich nur in einem derart zeitlich begrenzten Maße möglich. Bei der Prüfung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, ist aber nicht entscheidend, ob die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausprägung noch mindestens 6 Stunden täglich verrichtet werden kann oder nicht. Entscheidend sind vielmehr die üblichen Anforderungen in dem jeweiligen Beruf. Das Berufsbild der Zahnarzthelferin erschöpft sich aber nicht in der reinen Stuhlassistenz. Vielmehr gehören hierzu ausweislich des Auszugs aus dem Berufnet üblicherweise auch Tätigkeiten im Bereich der Verwaltung, Organisation und Labor sowie der Betreuung von Patienten. Derartige Mischtätigkeiten als Zahnarzthelferin sind der Klägerin jedoch nach der für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung von Dr. E. bis zum Zeitpunkt der Antragstellung vollschichtig zumutbar gewesen.
Da auch bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsfähigkeit bei Berufsunfähigkeit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. § 240 Abs. 1 SGB VI), steht nach alledem der Klägerin auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Damit konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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