Sozialrecht

Rentenversicherung: Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  S 2 R 106/14

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 138238
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43, § 240

 

Leitsatz

Die Ausführungen in der Begründung eines Bescheides sind im Unterschied zum Verfügungssatz nicht bindend. Bei ablehnenden Rentenbescheiden gehört der Eintritt des Versicherungsfalles nicht zum Verfügungssatz, eine inhaltlich getroffene Feststellung eines Versicherungsfalls wird daher von der Bindungswirkung des Bescheides nicht umfasst. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage im Sinne des § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt keine Rechte der Klägerin, weil diese keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat. Die Beklagte hat das Begehren der Klägerin zu Recht verneint.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil sie nicht erwerbsgemindert im Sinne des Rentenrechts ist. Versicherte haben dann Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen die medizinischen erfüllen, also teilweise oder voll erwerbsgemindert sind.
Versicherte haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3 SGB VI.
Die Klägerin kann nach der durchgeführten Beweisaufnahme noch im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Das Gericht stützt sich bei dieser Bewertung auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten der Frau Dr. H.. In dem genannten Gutachten sind die Gesundheitsstörungen der Klägerin vollständig erfasst und die aus den Gesundheitsstörungen abgeleitete Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist zutretend und rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Fähigkeit der Klägerin, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, wird im Wesentlichen durch die Auswirkungen folgender Gesundheitsstörungen beeinträchtigt:
HWS-/LWS-Syndrom mit leichtgradiger funktioneller Einschränkung, Osteoporose unter Cortisoneinnahme, allergisches Asthma, Lipödem, Übergewicht bei Schlauchmagen, Kniegelenksbeschwerden beidseits ohne wesentliche funktionelle Einschränkung, chronische Sinusitis, Schilddrüsenerkrankung mit Medikamenten behandelt, Bluthockdruck medikamentös eingestellt.
Weitere die Erwerbsfähigkeit signifikant einschränkende Krankheiten oder Behinderungen liegen nicht vor. Mit den hieraus von der gerichtlichen Sachverständigen abgeleiteten funktionellen Auswirkungen dieser Krankheiten und Behinderungen kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend in sitzender Körperhaltung, zeitweilig auch im Stehen und Gehen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden sind dabei Arbeiten im Akkord, unter Zeitdruck, Nässe Kälte Zugluft, Temperaturschwankungen, hautbelastenden Stoffen, Tätigkeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr, mit Absturzgefahr, in andauernder Zwangshaltung, Überkopfarbeiten, häufiges Bücken. Tätigkeiten mit hoher geistiger Beanspruchung können ebenfalls nicht abverlangt werden.
Trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht so erheblich eingeschränkt, dass sie nicht körperlich leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten. Bei der Untersuchung durch Frau Dr. H. war die Beweglichkeit im Bereich der BWS und der LWS nur leichtgradig eingeschränkt, der Finger-Boden-Abstand betrug 12 cm, der Lasègue war beidseits negativ, die Reflexe seitengleich auslösbar. Es fanden sich keine eindeutigen Paresen, keine Koordinations- oder Sensibilitätsstörungen, der Romberg war negativ. Das bestehende mäßige Lipödem an beiden Oberarmen führte zu keinen bedeutsamen Einschränkungen der oberen Extremitäten. Die Beweglichkeit in beiden Schultergelenken war nicht signifikant eingeschränkt, der Überkopf-, Nacken- und Schürzengriff war frei. Die Ellbogengelenksbeweglichkeit, die Unterarmdrehung und die Handgelenksbeweglichkeit waren unauffällig, die differenzierten Griffarten konnten von der Klägerin gezeigt werden. Die unteren Extremitäten zeigen trotz eines Lipödems eine ausreichend gut erhaltene Beweglichkeit, die erschwerten Gang- und Standprüfungen waren der Klägerin möglich, lediglich die tiefe Hocke wurde nicht gezeigt.
Die Ursache der massiven Adipositas der Klägerin ist für die Einschätzung ihrer Leistungsfähigkeit unerheblich. Bei der Begutachtung im Rentenrecht handelt es sich um eine Funktionsbegutachtung. Insoweit kommt dem Einwand der Klägerin, die Sachverständige habe die Gewichtszunahme fälschlicherweise auf eine Cortisontherapie zurückgeführt, keine Bedeutung zu. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin selbst die Einnahme von Glucocorticoiden angibt, nämlich Dexamethason 0,5 mg und zuvor Prednisolon. Bei letzteren handelt es sich um ein synthetisches Glucocorticoid, wohingegen Cortison zu den natürlichen Glucocorticoiden zählt. In ihrer Wirkweise unterscheiden sie sich nicht und auch die Glucocorticoide werden häufig unter dem Namen „Cortison“ zusammengefasst.
Die genannten Gesundheitsstörungen heben die tägliche Einsatzfähigkeit von sechs Stunden nicht auf. Weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit führen sie zu quantitativen Leistungseinbußen, sondern bedingen nur die oben bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen.
Damit besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, § 240 SGB VI, weil sie nicht berufsunfähig ist.
Berufsunfähig ist, wessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als sechs Stunden eines vergleichbaren körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zur Eingrenzung der sozialen Zumutbarkeit hat die Rechtsprechung die soziale Wertigkeit der Arbeiterberufe als sogenannte Leitberufe in einem Vierstufenschema erfasst und mutet dem Versicherten den Abstieg um eine Stufe zu.
Ausgehend davon sind die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht erfüllt.
Die Klägerin bezeichnet ihre letzte Tätigkeit selbst als Sekretärin bzw. Büroangestellte. Eine Ausbildung hierfür hat sie nicht durchlaufen. Wie bereits das LSG Chemnitz ausgeführt hat, kommt die Tätigkeit einer Kauffrau für Bürokommunikation dem am nächsten. Eine solche Tätigkeit kann die Klägerin jedoch noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten, da das bei ihr festgestellte Leistungsbild dem Anforderungsprofil entspricht. Die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen werden bei einer Tätigkeit als Kauffrau für Bürokommunikation nicht abverlangt.
Der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedarf es daher nicht.
Eine Erwerbsminderung der Klägerin ist auch nicht unstreitig beziehungsweise von der Beklagten für das vorliegende Verfahren bereits anerkannt. Bei den Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 19.07.2010 auf die sich die Klägerin hierfür stützt, handelt es sich nicht um eine rechtliche bedeutsame Teilfeststellung der Erwerbsminderung. Die Ausführungen in der Begründung eines Bescheides sind im Unterschied zum Verfügungssatz nicht bindend (Mayer-Ladewig Kommentar zum SGG, 10. Auflage § 77 Rd.-Nr. 5b) Bei ablehnenden Rentenbescheiden gehört der Eintritt des Versicherungsfalles nicht zum Verfügungssatz (BSG B 5 RJ 33/88). Eine inhaltlich getroffene Feststellung eines Versicherungsfalls wird von der Bindungswirkung des Bescheides nicht umfasst.
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die erneute Antragstellung sei unzulässig, kann dies dahinstehen, nachdem diese den dagegen gerichteten Rechtsbehelf im Widerspruchsbescheid vom 08.01.2014 auch als unbegründet zurückgewiesen hat. Klagegegenständlich ist immer der Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, § 95 SGG. Zudem war zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides kein Klageverfahren mehr anhängig.
Nach alldem ist hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.


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