Sozialrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderung, rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung, Darlehen

Aktenzeichen  AN 2 K 21.01652

Datum:
18.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12635
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 28
SGB X § 50, § 44, § 45

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Soweit die Klägerin beantragt hat, die Forderung der Beklagten möge abgewiesen werden, geht dies nach Auslegung gemäß § 88 VwGO bereits in dem gestellten Anfechtungsantrag zu Ziff. 1 auf. Des Weiteren ist die Kammer auch örtlich zuständig nach § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO, jedenfalls aber gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 i.V.m. Nr. 5 VwGO. So bestimmt § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Da der streitgegenständliche Verwaltungsakt seitens des Beklagten im Regierungsbezirk … erlassen wurde, ist insoweit die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts begründet. Auch spricht vieles dafür, dass dieses Ergebnis nicht durch § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO modifiziert wird, wonach grundsätzlich der Sitz bzw. Wohnsitz des Beschwerten zuständigkeitsbegründend ist, sofern sich die Zuständigkeit einer Behörde auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt. Denn letzteres wird ein örtlich bestimmbares Zuständigkeitsgebiet der Behörde voraussetzen (in diesem Sinne Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 27). Zwar bestimmt § 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über die bayerischen Studentenwerke (StudWV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1990 (GVBl. S. 42, BayRS 2210-1-1-7-1-WK), dass das Studentenwerk … und das bei ihm eingerichtete Amt für Ausbildungsförderung auch für die … zuständig ist, an der die Klägerin ihr Masterstudium absolvierte. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen örtlich definierten Zuständigkeitsbereich, da Studierende der genannten Hochschule gerade mit Blick auf § 5 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG letztlich ihren Wohnsitz im gesamten Bundesgebiet haben können. Hochschulen bzw. für einzelne Hochschulen zuständige Ämter für Ausbildungsförderung besitzen danach keinen räumlich definierten Zuständigkeitsbereich (so auch Ziekow a.a.O.), sondern sind allein personell über die Immatrikulation mit ihren Studierenden verbunden. Aber auch sofern im Rahmen von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO für Hochschulen bzw. Ämter für Ausbildungsförderung angenommen wird, die Immatrikulation vermittle einen räumlichen Zuständigkeitsbereich (so BVerwG, U.v. 16.11.1978 – 5 C 28/77 – BeckRS 2010, 53224), verbleibt es hier im Ergebnis bei der örtlichen Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Denn bei einer solchen Betrachtungsweise wäre nicht allein § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO, sondern auch Satz 3 der genannten Vorschrift einschlägig, wonach sich die Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO richtet, sofern ein Wohnsitz des Beschwerten innerhalb des Zuständigkeitsbereich der Behörde fehlt. Wird nämlich die Eröffnung eines örtlichen Zuständigkeitsbereichs durch Immatrikulation bejaht, wäre dieser zumindest auf den Sitz der Hochschule beschränkt (so BVerwG a.a.O.; a.A. BayVGH, B.v. 10.11.2012 – 12 C 11.1450 – BeckRS 2012, 51242). Da die Klägerin hier im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz nicht am Hochschulsitz in …, sondern vielmehr in … hatte, ergäbe sich auch nach § 52 Nr. 3 Satz 2 und 3, Nr. 5 VwGO – aufgrund des Sitzes des Beklagten in … – die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts.
2. Die Klage ist unbegründet. Der Rückforderungsbescheid vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind Leistungen, die bereits aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht wurden, zurückzugewähren, sofern der Verwaltungsakt aufgehoben, zurückgenommen oder widerrufen wird (Heße in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 64. Edition Stand 1.3.2022, § 50 SGB X Rn. 16). Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts kann – auch wenn dieser bereits bestandskräftig geworden ist – grundsätzlich nach § 45 Abs. 1 SGB X erfolgen, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X scheidet eine solche Rücknahme aber aus, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Letzteres ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X grundsätzlich der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Dagegen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt kausal auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. In diesem Fall kann die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, sofern dies binnen eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen geschieht (§ 45 Abs. 4 SGB X).
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war hier die Rückforderung von Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 11.890,00 EUR rechtmäßig.
aa) Bei den Bewilligungsbescheiden des Beklagten vom 26. August 2011 und 17. Oktober 2011 handelt es sich jeweils um begünstigende und bestandskräftige Verwaltungsakte.
bb) Die bezeichneten Verwaltungsakte waren jeweils im vollem Umfang der Bewilligung rechtswidrig, da die Klägerin in beiden Bewilligungszeiträumen wegen anrechenbaren Vermögens keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung hatte.
(1) Nach § 11 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet. Auf diesen Bedarf anzurechnen ist insbesondere das Vermögen des Auszubildenden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Entsprechend wird nur solchen Auszubildenden Ausbildungsförderung gewährt, deren Vermögen nach Maßgabe der Vorschriften über die Vermögensanrechnung nicht zu hoch ist (so noch in der Altauflage Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 52. Edition Stand 1.3.2019, § 26 BAföG Rn. 1). Von dem gemäß § 26 BAföG grundsätzlich anzurechnenden Vermögen des Auszubildenden bleibt nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BAföG ein Freibetrag anrechnungsfrei. Nach der vom 1. Juli 2002 bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG belief sich der Freibetrag auf 5.200,00 EUR.
Hinsichtlich des Umfangs des Vermögens ist weiter anerkannt, dass Auszubildenden fiktiv Vermögen zugerechnet wird, das sie – ggf. auch zivilrechtlich wirksam – vor der Beantragung von Ausbildungsförderung unentgeltlich auf Dritte übertragen haben, sofern die Übertragung dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck widerspricht und daher als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (Humborg in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand Mai 2009, § 27 Rn. 8.3). Der Gesetzeszweck der Vermögensanrechnung liegt darin, den in § 1 BAföG verankerten Nachrang der staatlichen Ausbildungsförderung durchzusetzen (BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 19). Ausbildungsförderung soll als sozialstaatliche Leistung auf solche Auszubildende konzentriert werden, die der Förderung insbesondere mangels eigenen Vermögens auch tatsächlich bedürfen. Diesem Gesetzeszweck widerspricht es, wenn Auszubildende Vermögen übertragen, um es der Vermögensanrechnung zu entziehen. Von einer solchen Zweckbestimmung ist grundsätzlich auszugehen, wenn Auszubildende Vermögen bzw. Teile hiervon auf Dritte übertragen, ohne eine werthaltige Gegenleistung zu erhalten. Ob der Umstand der Unentgeltlichkeit – im Sinne des Fehlens einer angemessenen bzw. werthaltigen Gegenleistung (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 25.3.2010 – 4 ME 38/10 – BeckRS 2010, 48047) – ausreichend ist, um ohne weiteres rechtsmissbräuchliches Handeln anzunehmen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann etwa das Kriterium der Unentgeltlichkeit mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Antragstellung an Aussagekraft verlieren. Entsprechend ist es gerechtfertigt und im Einzelfall auch geboten, auch auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Antragstellung und Vermögensübertragung abzustellen (vgl. so zum Ganzen BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 19). Die zeitliche Nähe der Vermögensübertragung zur Beantragung von Ausbildungsförderung spricht gewichtig für die Annahme von Rechtsmissbrauch (BVerwG a.a.O., dort: etwa eineinhalb Monate; OVG Münster, B.v. 10.6.2011 – 12 A 2098/10 – BeckRS 2012, 45176: 14 Tage). Dagegen ist subjektiv verwerfliches Handeln für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung nicht notwendig (BayVGH, B.v. 30.1.2012 – 12 C 11.114 – BeckRS 2012, 51842 Rn. 7).
Allerdings wird Auszubildenden im Ergebnis solches Vermögen nicht zugerechnet, bei dem es sich – zivilrechtlich wirksam – lediglich um ausgezahlte Darlehenssummen handelt. Denn in diesen Fällen steht dem Vermögen im Sinne von § 27 Abs. 1 BAföG deckungsgleich ein Rückübertragungsanspruch als absetzbare Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG gegenüber (Hartmann in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand Mai 2014, § 28 Rn. 10.1). Entsprechend liegt auch in der Erfüllung zivilrechtlich wirksamer Rückzahlungsverpflichtungen aus Darlehen keine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung. Hinsichtlich der Voraussetzung der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Darlehensvertrags trifft Auszubildende eine gesteigerte Mitwirkungspflicht (Hartmann in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand Mai 2014, § 28 Rn. 10.1). Sie sind insoweit darlegungs- und beweispflichtig, wobei an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. Hartmann a.a.O.). Zwar muss der Darlehensvertrag nach entsprechender Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr zwingend einem strengen Fremdvergleich im dem Sinne standhalten, dass das Darlehen wie sonst üblich schriftlich, gegen Zinsen und unter Gewährung von Sicherheiten vereinbart wird (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – NVwZ 2009, 392 Rn. 25 f.). Denn solche Voraussetzungen lassen sich weder § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG entnehmen noch werden sie den tatsächlichen Verhältnissen unter Angehörigen oder der grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Respektierung familiärer Vertrauensbeziehungen gerecht (so BVerwG a.a.O. Rn. 26). Allerdings bleibt der Rückgriff auf Merkmale des Fremdvergleichs bei der Prüfung geboten, ob im Rahmen der Würdigung aller relevanten Umstände ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen wurde (BVerwG a.a.O. Rn. 27). Weiter ist für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens hinsichtlich der Wirksamkeit einer Darlehensabrede insbesondere zu berücksichtigen, ob der Inhalt der jeweiligen Abrede und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses substantiiert dargelegt sind, ob ein plausibler Grund für den Abschluss des Rechtsgeschäfts genannt ist und ob von den dargelegten Vereinbarungen in der tatsächlichen Durchführung abgewichen wurde (Hartmann in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand Mai 2014, § 28 Rn. 10.1 mit Verweis auf Hartmann a.a.O. § 27 Rn. 8.2).
(2) Gemessen an diesen Anforderungen stellt sich die gesamte Bewilligung von Ausbildungsförderung als rechtswidrig dar. Denn die unstreitige Vermögensübertragung in Höhe von 10.995,09 EUR stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar (a), ohne dass davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin mit der Vermögensübertragung eine zivilrechtlich wirksame Darlehensschuld getilgt hätte (b). Darüber hinaus ist der Klägerin – im Unterschied zu der Berechnung des Beklagten – im Zeitpunkt ihrer Antragsstellung vom 16. September 2011 betreffend den Bewilligungszeitraum Oktober 2011 bis Juli 2012 Kontoguthaben in Höhe weiterer 7.320,00 EUR zuzurechnen (c). Hieraus ergibt sich, dass die erfolgte Bewilligung von Ausbildungsförderung mit Bescheiden vom 26. August 2011 und 17. Oktober 2011 jeweils in voller Höhe rechtswidrig war, ohne dass es auf eine Vermögensanrechnung wegen beklagtenseits geltend gemachten, nicht nachgewiesenen Vermögensverbrauchs ankäme (d).
(a) Die Vermögensübertragung in Höhe von 10.995,09 EUR Ende Juli 2010 mit entsprechender Gutschrift beim Vater der Klägerin am 31. Juli 2010 erfolgte im Sinne des Ausbildungsförderungsrechts rechtsmissbräuchlich. Zunächst wurde das Vermögen unentgeltlich bzw. ohne (werthaltige) Gegenleistung übertragen. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin, die nicht geltend gemacht hat, mit der Übertragung des Vermögens auf ihren Vater eine Gegenleistung erlangt oder (rechtsverbindlich) vereinbart zu haben. Auch stellt vorliegend der zeitliche Zusammenhang zwischen Vermögensübertragung und Antragstellung die grundsätzlich aus dem Umstand der Unentgeltlichkeit folgende Annahme der Rechtsmissbräuchlichkeit nicht in Frage. Vielmehr sprechen die zeitlichen Zusammenhänge hier gewichtig für die Annahme von Rechtsmissbrauch. So hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, sie habe am 13. August 2010 die Zulassung für ihr Masterstudium erhalten. Die Bewerbung für das Studium sei vielleicht zwei Wochen zuvor erfolgt. Damit fallen der Zeitpunkt der Vermögensübertragung mit Gutschrift am 31. Juli 2010 und die die Bewerbung der Klägerin auf ihr Masterstudium als weiteres, grundsätzlich förderungsfähiges Studium im Großen und Ganzen zusammen. Hinzu kommt, dass die förmliche Bewerbung auf den Studienplatz nach der Lebenserfahrung mit einem zeitlichen Vorlauf verbunden gewesen sein wird, während dessen sich die erste Idee bzw. Anregung durch einen Vorgesetzten, das Masterstudium zu absolvieren, zu einer entsprechenden Entscheidung für das Studium verfestigt hat, mag die Entscheidung mit dem Vortrag der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auch kurzfristig gefallen sein. Auch datiert der Erstantrag der Klägerin vom 7. September 2010, also auf einen Zeitpunkt lediglich einen guten Monat nach der Vermögensübertragung. Bis zum Eingang des Antrags bei dem Beklagten am 29. September 2010 waren seit der Vermögensübertragung lediglich zwei Monate vergangen. Danach spricht alles dafür, dass die Klägerin in dem Wissen, dass die Aufnahme ihres förderfähigen Masterstudiums zumindest ernstlich in Betracht kam, Vermögen in beträchtlichem Umfang auf ihren Vater übertragen hat. Dem steht auch nicht entgegen, soweit die Klägerin geltend gemacht hat, das übertragene Vermögen gehöre bis heute ihrem Vater. Denn eine ggf. ausgebliebene Rückübertragung des Vermögens auf die Klägerin ändert nichts an dem Umstand der ursprünglichen Weggabe des Vermögens, welches zur Finanzierung des klägerischen Masterstudiums hätte eingesetzt werden können. Bereits die hieraus resultierende Verletzung des Nachrangs von Ausbildungsförderung in dem Wissen, dass die Aufnahme eines förderungsfähigen Studiums zumindest ernsthaft in Betracht kommt, ist Kern der Wertung als rechtsmissbräuchlich. Dagegen ist ein „Parken von Vermögen“ mit anschließender Rückübertragung nicht notwendig Voraussetzung einer rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie habe ursprünglich gedacht, ihr Studium ohne Ausbildungsförderung mit Hilfe ihrer Beschäftigung finanzieren zu können, erscheint dies nicht hinreichend tragfähig. Denn unklar ist, aufgrund welcher Umstände die Klägerin hiervon ausgegangen ist und wann und aus welchen Gründen sie später angenommen hat, doch Ausbildungsförderung zu benötigen. Im Übrigen ist im Rahmen der Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände – vor allem des zeitlichen Zusammenfallens von Vermögensübertragung und Bewerbung auf das Studium – vorliegend davon auszugehen, dass mit der Vermögensübertragung (rechtsmissbräuchlich) zumindest die staatliche Förderungsoption gesichert werden sollte (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 26.9.2018 – 4 LA 367/17 – NJW 2018, 3798 Rn. 7). In diesem Zusammenhang ist es noch nicht einmal erforderlich, dass im Zeitpunkt der Vermögensübertragung konkrete Vorstellungen über die Aufnahme einer bestimmten Ausbildung und deren Förderungsfähigkeit bestehen. Entscheidend ist vielmehr der Widerspruch der Vermögensübertragung zum Nachrang von Ausbildungsförderung (so zum Ganzen OVG Lüneburg a.a.O.). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Klägerin zur Überzeugung der Kammer im Zeitpunkt der Vermögensübertragung jedenfalls eine konkrete Vorstellung besaß, ihr Masterstudium aufzunehmen.
(b) Die Rechtsmissbräuchlichkeit der Vermögensübertragung entfällt auch nicht deswegen, weil davon auszugehen wäre, dass die Klägerin mit der Übertragung eine zivilrechtlich wirksame Darlehensschuld gegenüber ihrem Vater erfüllt hätte. Unabhängig von der Frage eines zivilrechtlichen wirksamen Darlehensvertrags kann zunächst der Rechtsansicht der Klägerseite nicht gefolgt werden, wonach Vermögen der Klägerin ab 2006 sukzessive auf den Vater der Klägerin übergegangen sei. Denn hierzu hätte es – auch im Fall eines wirksamen Darlehensvertrags – zivilrechtlich wirksamer Verfügungsgeschäfte etwa in Gestalt von Abtretungen oder Übereignungen bedurft. Hierzu ist es aber bis zu der streitgegenständlichen Vermögensübertragung Ende Juli 2010 auch auf Grundlage des klägerischen Vortrags nicht gekommen, so dass eine sukzessive Vermögensübertragung ausscheidet. Darüber hinaus hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin einen wirksamen Darlehensvertrag weder hinreichend substantiiert dargelegt noch ist ein solcher nachgewiesen. Zwar hat die Klägerin grundsätzlich plausibel als Grund des Darlehens sinngemäß angeführt, sie habe von ihrer Mutter – rechtswidrig – keinen Unterhalt erhalten, sodass sie auf Unterstützung ihres Vaters angewiesen gewesen sei, auch um nicht gerichtlich gegen ihre Mutter vorgehen zu müssen. Allerdings fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung des Inhalts der Darlehensabrede. So ist die Höhe der Darlehenssumme auf Grundlage des klägerischen Vortrags weder bestimmt noch bestimmbar, obwohl es sich hierbei um einen wesentlichen Vertragsinhalt handelt (vgl. Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 488 Rn. 32). Vielmehr hat die Klägerin vorgetragen, es sei eine Unterstützung mit „weiteren Beiträgen“ vereinbart gewesen, „solange sie mit ihren Jobs nicht genügend“ verdiene. Insoweit bleibt unklar, ggf. welcher monatliche Darlehensbetrag geschuldet und was unter einem genügenden Verdienst zu verstehen gewesen sein soll. Dem steht auch nicht der sinngemäße Vortrag der Klägerin entgegen, ihr Vater und sie hätten 2006 „genau vereinbart“, dass die anfallenden, im Schriftsatz vorgerechneten Beträge zurückzuzahlen seien. Denn unmittelbar in diesem Zusammenhang hat die Klägerin ausführen lassen, natürlich hätten die Beträge monatlich geschwankt, viel mehr als monatlich 250,00 EUR habe ihr Vater nicht leisten können. Dies widerlegt aber den Vortrag einer genauen Vereinbarung hinsichtlich der Höhe der Darlehenssumme im Zeitpunkt der geltend gemachten Darlehensabrede 2006. Auch sind keine Umstände ersichtlich, die eine (einklagbare) Darlehensforderung hinreichend bestimmbar machen könnten. Auch hat die Klägerin keine belastbaren Rückzahlungsmodalitäten oder tragfähig deren Fehlen im Sinne eines unbefristeten Darlehens geltend gemacht. Stattdessen hat sie vorgebracht, Anfang 2010 sei vereinbart worden, dass sie ihrem Vater demnächst die aufgelaufene Unterstützung zurückzahle. Im Fall eines wirksamen Darlehensvertrags im Jahr 2006 mit entsprechend vereinbarten Rückzahlungsmodalitäten hätte es aber einer solchen, etwaigen Zusatzvereinbarung gar nicht bedurft. Darüber hinaus ist auch unklar, wann, wo und unter welchen Umständen genau die (mündliche) Darlehensabrede getroffen worden sein soll. Ferner spricht gegen die Annahme eines zivilrechtlich wirksamen Darlehensvertrags, dass die Klägerin in ihrer ersten Stellungnahme nach Bekanntwerden der freigestellten Kapitalerträge ausgeführt hat, sie habe einen Großteil des Sparguthabens – ca. 11.000,00 EUR – ihrem Vater für die Unterstützung der Jahre zuvor, u.a. während ihres Studiums zurückgezahlt. Insoweit hat die Klägerin gerade keine rechtlich verbindliche Vereinbarung geltend gemacht oder dies ggf. rechtlich laienhaft zum Ausdruck gebracht. Entsprechendes wäre aber im Fall eines zivilrechtlich wirksamen Darlehensvertrags zu erwarten gewesen, da auch juristische Laien sinngemäß ausdrücken können, etwa zu einer Rückzahlung verpflichtet gewesen zu sein. Dies gilt umso mehr für die Klägerin, die in anderem Zusammenhang für die Zeit ab Oktober 2011 mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 gegenüber dem Beklagten ausgeführt hat, „nur darlehensweise gewährte monatliches Unterstützung“ durch ihren Vater erhalten zu haben. Hinzu kommt, dass auch … der Klägerin unter dem 3. Mai 2015 bestätigt hat, das fragliche Vermögen „als Wiedergutmachung früherer Unterstützungen“ erhalten zu haben. Hätte es sich insoweit um einen zivilrechtlich wirksamen Darlehensvertrag gehandelt, wäre zu erwarten gewesen, dass der Vater der Klägerin dies entsprechend zum Ausdruck gebracht hätte. Dagegen ist unter der Annahme eines rechtlich bindenden Darlehensvertrags nicht ersichtlich, warum der … Vater der Klägerin von der Wiedergutmachung früherer Unterstützungsleistungen sprechen sollte, zumal die fragliche Bestätigung erkennbar rechtserheblich in einem Verwaltungsverfahren vorgelegt werden sollte. Nach alledem ist ein rechtlich wirksamer Darlehensvertrag in der fraglichen Höhe weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen. Auf den Umstand, dass die geltend gemachte Darlehensabrede nicht die Anforderungen des Fremdvergleichs erfüllt, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
(c) Im Unterschied zu den Berechnungen des Beklagten ist der Klägerin bezogen auf den Antrag vom 16. September 2011 (Bewilligungszeitraum Oktober 2011 bis Juli 2012) weiteres Kontoguthaben in Höhe von 7.320,00 EUR zuzurechnen. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 BAföG gelten als Vermögen alle Forderungen und sonstigen Rechte. Hierunter fallen etwa Forderungen gegen Banken aus Kontoguthaben. Weiter ist anerkannt, dass der Entstehungsgrund für das Vermögen irrelevant ist. Dies hat zur Folge, dass auch größere BAföG-Nachzahlungen als Vermögen anrechenbar sind und der Bewilligung weiterer Ausbildungsförderung entgegenstehen können (vgl. so zum Ganzen m.w.N. Schepers, BAföG, 3. Aufl. 2016, § 27 Rn. 1). Danach ist der Klägerin hier – da auch keine Ausnahmen der Vermögensanrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BAföG ersichtlich sind – im Zeitpunkt der Antragstellung (§ 28 Abs. 2 BAföG) unstreitig bestehendes Kontoguthaben in Höhe von weiteren 7.320,00 EUR als Vermögen zuzurechnen. Zwar ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass das fragliche Kontoguthaben allein aus einer Nachzahlung von Ausbildungsförderung betreffend den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 mit Bescheid vom 26. August 2011 herrührt. Da der Grund für das entstandene Vermögen aber unerheblich ist, handelt es sich auch insoweit um Vermögen der Klägerin. Dieses Ergebnis stellt sich im Übrigen auch nicht als systemfremd dar. Zwar ist zu berücksichtigen, dass zunächst ausbleibende Ausbildungsförderung – auf die Anspruch besteht – Auszubildende regelmäßig in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen wird. Sofern Studierende in einer solchen wirtschaftlichen Notsituation Schulden aufnehmen, führt dies dazu, dass diese gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG das anrechenbare Vermögen aus einer späteren (erheblichen) Nachzahlung von Ausbildungsförderung mindern. Wer beispielsweise den zwölffachen monatlichen Bedarf als Darlehen aufgenommen hat und mit Ablauf des zwölfmonatigen Bewilligungszeitraums eine Nachzahlung in derselben Höhe erhält, kann für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung erhalten, ohne dass anrechenbares Vermögen aus der Nachzahlung entgegenstünde. Denn Nachzahlung und Schulden heben sich in dem gewählten Beispiel gegenseitig auf.
(d) Unter Anrechnung des rechtsmissbräuchlich übertragenen Vermögens in Höhe von 10.995,09 EUR betreffend beide Bewilligungszeitraum sowie unter Anrechnung von Kontoguthaben in Höhe von 7.320,00 EUR betreffend den Bewilligungszeitraum Oktober 2011 bis Juli 2012 ergibt sich, dass die Bewilligung von Ausbildungsförderung in beiden Bewilligungszeiträumen jeweils in voller Höhe rechtswidrig war. Dies gilt auch, sofern beklagtenseits angerechnete 2.650.00 EUR wegen nicht nachgewiesenen Vermögensverbrauchs außer Betracht bleiben.
Im Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 verfügte die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung unstreitig über Kontoguthaben in Höhe von 2.629,14 EUR sowie weiterer 2.018,09 EUR. Hinzuzusetzen ist sodann fiktives Vermögen in Höhe von 10.995,09 EUR aufgrund rechtsmissbräuchlicher Vermögensübertragung, sodass sich unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Leistung mietrechtlicher Sicherheit in Höhe von 495,00 EUR und des Freibetrags in Höhe von 5.200,00 EUR – gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 1. Juli 2002 bis 31. Juli 2016 – anrechenbares Vermögen in Höhe von insgesamt 9.947,32 EUR ergibt. Dies übersteigt den unstreitigen Bedarf der Klägerin in Höhe von 8.040,00 (12 x 670,00 EUR), so dass im Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 kein Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung bestand.
Im Ergebnis dasselbe gilt für den Bewilligungszeitraum Oktober 2011 bis Juli 2012. Insoweit verfügte die Klägerin einschließlich der Nachzahlung von Ausbildungsförderung in Höhe von 7.320,00 EUR über Kontoguthaben in Höhe von 10.393,42 EUR sowie weiteren 2.030,20 EUR. Hinzuzusetzen sind erneut 10.995,09 EUR aufgrund rechtsmissbräuchlicher Vermögensübertragung. In Abzug zu bringen ist sodann fiktiver Vermögensverbrauch für den vorangegangenen Bewilligungszeitraum in Höhe von 8.040,00 EUR (12 x 670,00 EUR). Dagegen hatte die Klägerin im Zeitpunkt des Antrags am 16. September 2011 die Mietsicherheit in Höhe von 495,00 EUR gestellt, sodass die entsprechende mietrechtliche Forderung gemäß § 362 Abs. 2 BGB aufgrund Erfüllung erloschen, also nicht mehr als Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG abzusetzen war. Unter Berücksichtigung des Freibetrags in Höhe von 5.200,00 EUR ergibt sich danach anrechenbares Vermögen in Höhe von 10.178,71 EUR. Dieses übersteigt wiederum den unstreitigen Bedarf der Klägerin in Höhe von 3.850,00 (10 x 385,00 EUR). Nichts anderes ergibt sich, sofern – wie von der Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 geltend gemacht – Schulden im Zeitpunkt der Antragstellung in Höhe von 4.000,00 EUR wegen ausgebliebener Ausbildungsförderung berücksichtigt würden. Dann ergäbe sich anrechenbares Vermögen in Höhe von 6.178,71 EUR, welches den Bedarf der Klägerin im Bewilligungszeitraum ebenfalls übersteigen würde.
cc) Der Rückforderung stand auch Vertrauensschutz nicht entgegen. Zwar mag die Klägerin auf die Bewilligung der Ausbildungsförderung tatsächlich vertraut haben. Jedoch war dieses Vertrauen jedenfalls nicht schutzwürdig, da die Bewilligung auf Angaben der Klägerin beruhte, die in wesentlichen Fragen zumindest grob fahrlässig unrichtig bzw. unvollständig waren (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BVerwG, U.v.14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 24). Vorliegend enthielten die von der Klägerin ausgefüllten Antragsformulare wie ausgeführt jeweils oberhalb der Unterschriftszeile in Fettdruck sinngemäß den Hinweis, dass insbesondere solche Vermögenswerte auch dann dem Vermögen des Auszubildenden zuzurechnen seien, wenn sie in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme der förderungsfähigen Ausbildung ohne gleichwertige Gegenleistung an Dritte, insbesondere an Eltern übertragen worden seien. Danach musste es sich der Klägerin zumindest ohne weiteres aufdrängen, dass ihr zum einen das weggegebene Vermögen fiktiv zuzurechnen war und sie dieses zum anderen hätte angeben müssen. In jedem Fall musste es sich der Klägerin aber aufdrängen, dass das weggegebene Vermögen auch angesichts des erheblichen Werts für die Frage der Bewilligung von Ausbildungsförderung eine maßgebliche Rolle spielen könnte. Entsprechend liegt grobe Fahrlässigkeit zumindest darin, dass die Klägerin die Vermögensübertragung weder im Vorfeld der Antragstellung – etwa durch die Frage, ob diese Umstände anzugeben seien – noch im Rahmen der Antragstellung thematisieret hat. Im Übrigen waren die ausgebliebenen Angaben zur Vermögenshöhe auch kausal für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung von Ausbildungsförderung.
dd) Auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten, so dass die Rückforderung aufgrund fehlerhafter Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen konnte. Zwar datiert der Datenabgleich des Bundeszentralamts für Steuern vom 26. Januar 2015, während der angegriffene Ausgangsbescheid unter dem 19. April 2016 erging. Jedoch ist anerkannt, dass die Ausschluss- bzw. Entscheidungsfrist von einem Jahr gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erst beginnt, wenn die Behörde Kenntnis aller für die Rücknahmeentscheidung mit Vergangenheitswirkung relevanten Tatsachen erlangt hat und aus ihrer Sicht keine weiteren Ermittlungen mehr erforderlich sind (Heße in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 64. Edition Stand 1.3.2022, § 45 SGB X Rn. 47). Danach ist die Jahresfrist hier eingehalten. Denn die Beklagte hatte die Klägerin noch mit Schreiben vom 18. November 2015 – nach Vorlage entsprechender Kontounterlagen durch die Klägerin – aufgefordert, zu der Frage etwaigen Vermögensverbrauchs Stellung zu nehmen, hatte also entsprechende Ermittlungen für notwendig gehalten. Damit begann der Fristlauf jedenfalls nicht vor dem 18. November 2015, sodass die Jahresfrist aufgrund Rückforderung mit Bescheid vom 19. April 2016 in jedem Fall gewahrt ist.
ee) Des Weiteren stand auch § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X der Rückforderung nicht entgegen. Jedenfalls folgt aus § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X eine Fristverlängerung auf zehn Jahre ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts, insbesondere wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X vorliegen.
ff) Schließlich ist auch die Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden, den Bewilligungsbescheid auch mit Wirkung für die Vergangenheit der Sache nach zurückzunehmen, indem die Ausbildungsförderung auf null herabgesetzt wurde. Zwar besteht insoweit auch mangels einer § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG vergleichbaren Vorschrift kein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NStZ-RR 2013, 689 Rn. 30 ff.). Jedoch war sich das Studentenwerk hier zum einen des eingeräumten Ermessens bewusst. Zum anderen hat es das Interesse der Klägerin am Bestand des Bewilligungsbescheids mit dem staatlichen Rücknahmeinteresse auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung abgewogen. Bei der Rückforderung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich schließlich um eine gebundene Entscheidung.
gg) Auch gegen die Höhe der festgesetzten Rückforderung bestehen keine Bedenken.
Mit dem Vortrag der Klägerin ist in dem Bewilligungsbescheid vom 29. Mai 2012 eine bisherige Auszahlung von Ausbildungsförderung in Höhe von 13.620,00 EUR festgehalten. Des Weiteren ist in dem Bescheid für den Monat Juli 2012 – nach Aufrechnung in Höhe von 67,00 EUR – eine Auszahlung in Höhe von lediglich 318,00 EUR (385,00 EUR – 67,00 EUR) angekündigt. Danach ergibt sich bis einschließlich Juli 2012 eine Summe ausgezahlter Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 13.938,00 EUR (13.620,00 EUR + 318,00 EUR). Hiervon abzuziehen ist die unstreitig geleistete Rückzahlung der Klägerin in Höhe von 2.048,00 EUR, so dass sich der mit dem angegriffenen Bescheid festgesetzte, verbleibende Rückzahlungsbetrag in Höhe von 11.890,00 EUR ergibt (13.938,00 EUR – 2.048,00 EUR).
Außer Betracht bleiben müssen dagegen Leistungen der Klägerin mit Blick auf Darlehensrückzahlungen gegenüber dem Bundesverwaltungsamt. Denn das öffentlich-rechtliche Darlehensschuldverhältnis entsteht kraft Gesetzes auf Grundlage des Bewilligungsbescheids. Es folgt der Bescheidslage, sodass etwaige Änderungen des Bewilligungsbescheids auch das Darlehensschuldverhältnis entsprechend abändern. Umgekehrt entfalten Leistungen im Rahmen des Darlehensschuldverhältnisses keine Sperrwirkung für das Amt für Ausbildungsförderung mit Blick auf die etwaige Aufhebung und Neuregelung von Ausbildungsförderung. Dies gilt auch hinsichtlich der Rückforderungsansprüche aus § 50 SGB X. Denn auch die darlehensweise Bewilligung von Ausbildungsförderung ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG Ausbildungsförderung im Sinne von § 1 BAföG. Über diese – und damit auch über den Darlehensanteil – wird gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BAföG durch Bescheid entschieden. Da das Darlehensschuldverhältnis im Fall der Bewilligung von Ausbildungsförderung kraft Gesetzes entsteht, entfällt dieses im Fall der Neuregelung entsprechend dem ergangenen Bescheid ebenfalls kraft Gesetzes und mit Rückwirkung. Dabei erstreckt sich der Rückforderungsanspruch auf die gesamte, zu viel geleistete Ausbildungsförderung einschließlich des Darlehensanteils. Das Darlehensschuldverhältnis zwischen Auszubildenden und Bundesverwaltungsamt folgt der Bescheidslage, sodass etwaige bereits an das Bundesverwaltungsamt geleistete Rückzahlungen angepasst bzw. rückabgewickelt werden müssen (vgl. so zum Ganzen ausführlich HessVGH, U.v. 20.2.2018 – 10 A 807/17 – BeckRS 2018, 3502 R. 25 ff.). Entsprechend sind die klägerseits im Darlehensschuldverhältnis geleisteten Zahlungen keineswegs „verloren“. Sie unterliegen vielmehr der Rückabwicklung.
hh) Der festgesetzten Rückforderung steht auch kein öffentlich-rechtlicher Erlass- bzw. Verzichtsvertrag entgegen. Zwar sind solche Verträge auch im öffentlichen Recht grundsätzlich denkbar (vgl. Fehling in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 54 VwVfG, Rn. 66). Allerdings ergibt jedenfalls die Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB (vgl. Bonk/Neumann/Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 54 Rn. 29), dass die Beteiligten einen solchen Vertrag nicht geschlossen haben. Denn vor dem objektiven Empfängerhorizont muss das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 30. Juli 2012, wonach bei Begleichung der Überzahlung in Höhe von 2.048,00 EUR keine weiteren Ansprüche aus BAföG-Überzahlungen mehr bestünden, so verstanden werden, dass sich dies allein auf die damalige Neuberechnung von Ausbildungsförderung bezog. Denn zum einen erfolgte die wiedergegebene Äußerung allein in diesem Zusammenhang. Zum anderen bestand für einen Empfänger des Schreibens in der Lage der Klägerin kein Anhaltspunkt, der Beklagte wolle etwa auch auf künftige Rückzahlungen wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtiger Angaben verzichten. In Übrigen hat der Beklagte gerade keine in entsprechenden Vergleichen übliche Formulierung verwendet, wonach auf gegenwärtige und künftige Forderungen gleich aus welchem Rechtsgrund verzichtet werde. Schließlich konnte auch das Bundesverwaltungsamts mangels Zuständigkeit (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 BAföG) keinen Erlass- oder Verzichtsvertrag abschließen. Im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, dass das Bundesverwaltungsamt hier im Namen oder gar mit Vollmacht des Beklagten – auch nicht im Rahmen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht – gehandelt hätte. Auch sonst sind keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die dafür sprechen könnten, dass sich der Beklagte Handlungen des Bundesverwaltungsamts zurechnen lassen müsste.
ii) Die angegriffene Rückforderung ist hier auch nicht aufgrund Verwirkung untergegangen.
(1) Verwirkung setzt ein Zeit- und Umstandsmoment voraus. Bezüglich des Zeitmoments ist der Eintritt erheblichen Zeitablaufs erforderlich. Das Umstandsmoment ist insbesondere dann erfüllt, wenn der Auszubildende wegen eines bestimmten, in der Regel aktiven Verhaltens der Behörde darauf vertrauen darf, Leistungen behalten zu dürfen und sich infolge seines Vertrauens so eingerichtet hat, dass eine Rückforderung unzumutbar wäre. Allein das Schweigen bzw. eine Untätigkeit der Behörde führt grundsätzlich nicht zur Verwirkung (vgl. hierzu im Ganzen S.weg in Ramsauer/Stallbaum/S.weg, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 20 Rn. 17 f.).
(2) Unter Berücksichtigung dieser Umstände scheidet vorliegend die Annahme von Verwirkung aus. Zwar hat der Beklagte über den Widerspruch mit dortigem Eingang am 17. Mai 2016 erst nach über fünf Jahren mit Bescheid vom 5. August 2021 entschieden. Damit spricht alles dafür, dass das Zeitmoment als Verwirkungsvoraussetzung vorliegt. Jedoch fehlt es an einem Umstandselement. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Beklagte – nicht das Bundesverwaltungsamt – einen Vertrauenstatbestand gesetzt oder sonst in einer Weise gehandelt hätte, dass die Klägerin davon hätte ausgehen können, der Widerspruch werde nicht mehr verbeschieden bzw. der Beklagte verzichte auf eine Rückforderung. Im Übrigen müssen Handlungen des Bundesverwaltungsamts außer Betracht bleiben. Denn zum einen ist für die Rücknahme von Bewilligungsbescheiden bzw. für die Neuregelung und Rückforderung von Ausbildungsförderung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 BAföG allein das Amt für Ausbildungsförderung zuständig. Zum anderen ist bereits ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, dass das Bundesverwaltungsamt zurechenbar für den Beklagten gehandelt hätte.
jj) Schließlich greift auch die klägerseits erhobene Einrede der Verjährung nicht durch. Denn nach § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjährt der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung der zu erstattenden Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Danach hat die Verjährungsfrist mangels Unanfechtbarkeit des angegriffenen Rückforderungsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids hier noch nicht zu laufen begonnen, sodass entsprechend noch keine Verjährung eingetreten sein kann.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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