Sozialrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderung, Rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung

Aktenzeichen  AN 2 K 21.00699

Datum:
11.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49185
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 26
SGB X §§ 50, 45

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 23. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 16. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Aufgrund eines Verwaltungsakts erbrachte Leistungen sind nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzugewähren, sofern der Verwaltungsakt aufgehoben, zurückgenommen oder widerrufen wird (Heße in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 63. Edition Stand: 1.12.2021, § 50 SGB X Rn. 16). Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts kann – auch wenn dieser bereits bestandskräftig geworden ist – grundsätzlich nach § 45 Abs. 1 SGB X erfolgen, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X scheidet eine solche Rücknahme aber aus, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Letzteres ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X grundsätzlich der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Dagegen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt kausal auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. In diesem Fall kann die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, sofern dies binnen eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen geschieht (§ 45 Abs. 4 SGB X).
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die angegriffene Neufestsetzung von Ausbildungsförderung mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. September 2016 betreffend die Bewilligungszeiträume Oktober 2011 bis September 2012, Oktober 2012 bis September 2013 und Oktober 2013 bis September 2014 auf monatlich jeweils 0,00 EUR rechtmäßig. Dasselbe gilt für die festgesetzte Rückforderung der danach zu viel geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 17.892,00 EUR.
a) Bei den zuletzt ergangenen Bewilligungsbescheiden des Beklagten vom 8. Februar 2013, 3. Juli 2015 und 20. Januar 2014 betreffend die bezeichneten Bewilligungszeiträume handelt es sich um begünstigende und mittlerweile bestandskräftige Verwaltungsakte.
b) Die Festsetzung von Ausbildungsförderung für die Bewilligungszeiträume Oktober 2011 bis September 2012, Oktober 2012 bis September 2013 und Oktober 2013 bis September 2014 mit Bescheiden vom 8. Februar 2013, 3. Juli 2015 und 20. Januar 2014 war rechtswidrig, da der Klägerin aufgrund zuzurechnenden Vermögens in den bezeichneten Bewilligungszeiträumen kein Anspruch auf Ausbildungsförderung zustand.
(1) Nach § 11 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet. Auf diesen Bedarf anzurechnen ist gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BAföG nach Maßgabe der §§ 27 bis 30 BAföG das Vermögen des Auszubildenden. Nach § 28 Abs. 2 BAföG ist hierbei grundsätzlich der Wert des Vermögens im Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend. Entsprechend erhalten nur solche Auszubildende Ausbildungsförderung, deren Vermögen nach Maßgabe der Vorschriften über die Vermögensanrechnung nicht zu hoch ist (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 63. Edition Stand: 1.12.2021, § 26 BAföG Rn. 1). Von dem gemäß § 26 BAföG grundsätzlich anzurechnenden Vermögen des Auszubildenden bleibt nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BAföG ein Freibetrag anrechnungsfrei. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (§ 29 Abs. 1 Satz 2 BAföG) sah § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG a.F. hier jeweils einen Freibetrag in Höhe von 5.200,00 EUR für den Auszubildenden selbst und einen Freibetrag in Höhe von 1.800,00 EUR für jedes Kind des Auszubildenden vor.
Vor Beginn der Ausbildung und Stellung des Antrags darf der Auszubildende grundsätzlich nach Belieben mit seinem Vermögen verfahren, ohne dass er dadurch einen möglichen Anspruch auf Ausbildungsförderung gefährdet. Abweichendes gilt jedoch in Fällen rechtsmissbräuchlicher Vermögensübertragungen. Durch den Auszubildenden rechtsmissbräuchlich übertragene Vermögensgegenstände werden dem Vermögen des Auszubildenden weiterhin fiktiv zugerechnet, obgleich sie im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vorhanden sind (vgl. hierzu im Ganzen Knoop in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020, § 28 Rn. 10). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein solcher Rechtsmissbrauch vor, wenn die Vermögensübertragung im Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck steht. Die fiktive Vermögensanrechnung bezweckt die Durchsetzung des Nachrangs staatlicher Ausbildungsförderung, der in § 1 BAföG verankert ist. Eine Vermögensübertragung steht dann im Widerspruch zur Nachrangigkeit der Ausbildungsförderung i.S.v. § 1 BAföG, wenn der Auszubildende Vermögen überträgt, um es der Vermögensanrechnung zu entziehen. Von einer solchen Zweckbestimmung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Auszubildende Vermögen auf einen Dritten überträgt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten (vgl. so zum Ganzen BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – juris Rn. 19). Ob der Umstand der Unentgeltlichkeit – im Sinne des Fehlens einer angemessenen bzw. werthaltigen Gegenleistung (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 25.3.2010 – 4 ME 38/10 – beck-online) – ausreichend ist, um ohne weiteres rechtsmissbräuchliches Handeln anzunehmen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann etwa das Kriterium der Unentgeltlichkeit mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Antragstellung an Aussagekraft verlieren. Entsprechend ist es gerechtfertigt und im Einzelfall auch geboten, auch auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Antragstellung und Vermögensübertragung abzustellen. Denn ein solcher Zusammenhang spricht gewichtig für einen Rechtsmissbrauch (so zum Ganzen BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – juris Rn. 19). Ein subjektiv verwerfliches Handeln des Auszubildenden ist hingegen nicht erforderlich (BayVGH, U.v. 28.1.2009 – 12 B 08.824 – juris Rn. 43).
(2) Nach Anwendung dieser Grundsätze ist von einer Rechtsmissbräuchlichkeit der an die Mutter der Klägerin erfolgten Zahlungen i.H.v. insgesamt 16.000,00 EUR am 4. Januar 2011, in Höhe von 5.287,43 EUR am 15. September 2011 und in Höhe von 3.451,49 EUR am 27. August 2012 auszugehen. Dies hat förderungsrechtlich zur Folge, dass das übertragene Vermögen dem Vermögen der Klägerin fiktiv hinzuzurechnen ist.
(a) Die Vermögensübertragungen an die Mutter der Klägerin erfolgten unentgeltlich bzw. ohne Gegenleistung im förderungsrechtlichen Sinn.
Soweit die Klägerin vorgebracht hat, im Laufe des Jahres 2011 von ihrer Mutter monatlich 500,00 EUR erhalten zu haben, stellt dies schon deshalb keine gleichwertige Gegenleistung dar, weil die insoweit darlegungsbelastete Klägerin nicht geltend gemacht hat, im Zeitpunkt der Vermögensübertragung an ihre Mutter eine entsprechende, rechtlich bindende Vereinbarung getroffen zu haben. Eine solche Vereinbarung läge auch fern, da es in diesem Fall schon unter praktischen Gesichtspunkten nähergelegen hätte, dass die Klägerin das fragliche Vermögen unmittelbar selbst eingesetzt hätte. Im Übrigen spricht vieles dafür, dass der Betrag in etwa dem entspricht, worauf die Klägerin nach §§ 1601 ff. Anspruch gehabt haben könnte. Leistungen, die Eltern einem Auszubildenden im Rahmen ihrer Unterhaltsverpflichtung erbringen, bedürfen aber keiner Gegenleistung. Überträgt ein Auszubildender daher Vermögen auf seine Eltern gerade als „Gegenleistung“ für Unterhaltsleistungen, auf die er einen gesetzlichen Anspruch besitzt, erfolgt die Vermögensverfügung im förderungsrechtlichen Sinne unentgeltlich; sie erweist sich im Zusammenhang mit dem Ausbildungsbeginn demnach als rechtsmissbräuchlich (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 2.6.2020 – Az. 12 ZB 19.1378 – juris). Entsprechendes gilt, sofern sich vorliegend ausnahmsweise keine Unterhaltsverpflichtung aus §§ 1601 ff. BGB ergeben sollte. Denn in diesem Fall würden sich die geleisteten Zahlungen mangels rechtlich verbindlicher Vereinbarung einer Gegenleistung im Zeitpunkt der Vermögensübertragung als rechtlich freiwillige Unterhaltszahlungen darstellen.
Die insoweit darlegungsbelastete Klägerin hat auch nicht geltend gemacht, auf eine bestehende Schuld geleistet zu haben. So ist bereits keine rechtliche Verpflichtung zur Übertragung des fraglichen Vermögens vorgetragen. Es fehlt bereits an einem Vortrag dahingehend, dass ein Vertrag zwischen Tochter und Mutter geschlossen worden sei, der eine Zahlungspflicht der Klägerin vorgesehen hätte. Im Übrigen ist eine solche rechtlich bindende Verpflichtung auch nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach Vortrag der Klägerin, der im Übrigen nicht belegt ist, Einrichtungsgegenstände und Geräte für die Wohnung von ihrer Mutter erst nach der ersten Vermögensübertragung am 4. Januar 2011 und zwar mit den übertragenen finanziellen Mitteln erworben und ihr zur Verfügung gestellt worden sein sollen, und auch die behauptete Forderung der Eltern ihres ehemaligen Lebensgefährten von der Mutter nach der Vermögensübertragung beglichen worden sein soll. Im Zeitpunkt der Vermögensübertragung an die Mutter hatte die Klägerin damit über Eigenmittel verfügt und wäre nicht auf eine entsprechende Vereinbarung angewiesen gewesen, um Einrichtungsgegenstände und Geräte für die Wohnung zu erwerben bzw. um die behauptete Schuld gegenüber den Eltern ihres ehemaligen Lebensgefährten zu begleichen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände liegt es vielmehr nahe, dass die Klägerin ihr Bankvermögen auch deshalb reduziert hat, um eine Anrechnung im Rahmen eines zukünftigen Antrags auf Ausbildungsförderung zu vermeiden.
Eine sittliche Verpflichtung der Klägerin, ihrer Mutter in einem wirtschaftlichen Engpass „unter die Arme zu greifen“, kann ausbildungsförderungsrechtlich nicht berücksichtigt werden, da dies dem Grundsatz des Nachrangs der staatlichen Ausbildungsförderung (§ 1 BAföG) widerspräche (so zutreffend VG München, U.v.8.3.2012 – M 15 K 11.466 – BeckRS 2012, 50628). Im Übrigen weist der Einkommensteuerbescheid der Eltern der Klägerin für 2009 Einkünfte der Mutter aus Kapitalvermögen in Höhe von 2.064, 00 EUR aus (Bl. 13 der Behördenakte). Dies entspricht selbst bei Annahme einer nach derzeitigen Maßstäben vergleichsweise hohen Rendite von 5% einem Vermögensstamm in Höhe von über 40.000,00 EUR. Noch höhere Vermögenswerte ergeben sich bei der Annahme geringerer Renditen. Insoweit bestehen erhebliche Zweifel, dass die Mutter der Klägerin auf das übertragene Vermögen für ihren Lebensunterhalt angewiesen war, zumal die Klägerin zu etwaigem Vermögen ihrer Mutter keine Angaben gemacht hat.
(b) Das Kriterium der Unentgeltlichkeit im förderrechtlichen Sinn ist vorliegend auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend aussagekräftig, um rechtsmissbräuchliche Vermögensverfügungen anzunehmen. Zwar liegen zwischen der Vermögensübertragung vom 4. Januar 2011 und der ersten Antragstellung vom 10. Oktober 2011 gut neun Monate, während zur Konkretisierung des Begriffs des zeitlichen Zusammenhangs oftmals ein Zeitraum von bis zu sechs oder sieben Monaten angenommen wird (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.06.2016 – W 3 K 15.139 – BeckRS 2016, 53704). Zwar spricht ein (enger) zeitlicher Zusammenhang zwischen Vermögensübertragung und Antragstellung wie ausgeführt gewichtig für die Annahme von Rechtsmissbrauch (BVerwG U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – juris Rn. 19). Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss aber nicht, dass ein zeitlicher Abstand von hier gut neun Monaten (zwingend) der Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit entgegenstehen würde (vgl. VGH München Urt. v. 23.4.2008 – 12 B 06.1397, BeckRS 2009, 32006, Rn. 32). Entscheidend ist hier aber, dass die Umstände des Einzelfalls auch unter Berücksichtigung des dargestellten zeitlichen Abstands für die Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit sprechen. So liegt im Ausgangspunkt mit dem zeitlichen Abstand von gut neun Monaten noch keine besonders aussagekräftige Abweichung von dem oftmals angenommenen (engen) zeitlichen Zusammenhang von sechs bis sieben Monaten vor. Dies gilt umso mehr, als die fragliche Zeitspanne lediglich die Vermögensverfügungen vom 4. Januar 2011 betreffen, während die übrigen Vermögensverfügungen vom 15. September 2011 bzw. 27. August 2012 einen besonders engen zeitlichen Zusammenhang zur Antragstellung vom 10. Oktober 2011 aufweisen bzw. sogar nach Erstantragsstellung erfolgt sind. Jedenfalls spricht hier aber für die Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit, dass sämtliche Vermögensverfügungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, in dem die Klägerin längst – nämlich seit dem Wintersemester 2009/2010 – ihr Studium aufgenommen hatte. In diesem Zusammenhang ist ein Widerspruch der Vermögensverfügung gegenüber dem gesetzlichen Nachrang von Ausbildungsförderung auch dann indiziert, wenn Vermögen im Zusammenhang mit einer in naher Zukunft aufzunehmenden förderungsfähigen Ausbildung übertragen wird, mag die Aufnahme der Ausbildung auch noch nicht mit letzter Sicherheit feststehen (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 26.9.2018 – 4 LA 367/17 – NJW 2018, 3798 – Rn. 7). Dies gilt erst Recht, wenn die Aufnahme der förderungsfähigen Ausbildung nicht lediglich in naher Zukunft bevorsteht, sondern – wie hier – längst erfolgt ist. Bereits im Zeitpunkt der Vermögensübertragung am 4. Januar 2011 musste es sich der Klägerin zumindest aufdrängen, dass sie für ihr weiteres Studium auf ihre finanziellen Rücklagen angewiesen sein würde. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin sinngemäß vorgebracht hat, Auslöser der Vermögensübertragung sei gewesen, dass sich die finanzielle Situation der Eltern verschlechtert habe. Danach konnte die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Vermögensverfügungen am 4. Januar 2011 nicht davon ausgehen, dass sie von ihren Eltern nachhaltig finanziell unterstützt werden könnte. Dies wird zudem durch das sinngemäße Vorbringen der Klägerin bestätigt, wonach sie ihr Vermögen nicht bei der Mutter „geparkt“ habe, um – ohne vorhandenes Vermögen anzutasten – in den Genuss von Ausbildungsförderung zu kommen. Vielmehr sei das Vermögen bereits innerhalb eines knappen Jahres aufgebraucht und für ihre Lebenshaltung verwendet worden, bevor sie den Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt habe. Danach haben auch die fraglichen Vermögensverfügungen vom 4. Januar 2011 die finanzielle Situation der Eltern nicht nachhaltig verbessert. Nach alledem stellen sich auch die Vermögensübertragungen vom 4. Januar 2011 als rechtsmissbräuchlich dar. Denn die Klägerin hat ohne rechtliche Verpflichtung sowie ohne rechtlich wirksame Vereinbarung einer Gegenleistung eigenes Vermögen auf ihre Mutter übertragen, obwohl sie aus den genannten Gründen davon ausgehen musste, auf das weggegebene Vermögen zur Finanzierung ihres weiteren Studiums angewiesen zu sein.
Auch soweit die Vermögensübertragung vom 15. September 2011 in Frage steht, ergibt sich nichts anderes. Zwar hat die Klägerin insoweit geltend gemacht, die Entscheidung zur Vermögensübertragung sei insoweit bereits zum Jahreswechsel 2009/2010 gefallen. Danach mag in diesem Zeitpunkt bereits eine entsprechende Planung erfolgt sein. Jedoch ist die förderungsrechtlich maßgebliche, tatsächliche Vermögensübertragung auch auf Grundlage des klägerischen Vortrags erst am 15. September 2011 erfolgt, also in einem besonders engen zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung vom 10. Oktober 2011. Auch ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass die etwaige ursprüngliche Planung angesichts des Umstands, dass die Klägerin nunmehr davon ausgehen musste, auf ihr Vermögen zur weiteren Finanzierung ihres Studiums angewiesen zu sein, nicht wieder hätte rückgängig gemacht werden können.
(3) Nach alledem zeigt sich auch rechnerisch die Rechtswidrigkeit der jeweiligen Bewilligungsbescheide.
(a) In diesem Zusammenhang geht das Gericht davon aus, dass am 4. Januar 2011 insgesamt 16.000,00 EUR und nicht nur 15.000,00 EUR an die Mutter der Klägerin übertragen wurden.
Zwar trifft für den Fall der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts grundsätzlich die Behörde die Feststellungslast bzw. materielle Beweislast hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit, so dass die Unerweislichkeit der Rechtswidrigkeit regelmäßig zu ihren Lasten geht. Hingegen trägt allein der Auszubildende die Feststellungslast bzw. materielle Beweislast, sofern er den streitgegenständlichen Bescheid arglistig erwirkt hat oder ohne hinreichende Gründe nicht zur Aufklärung von Vorgängen in seiner Sphäre beiträgt, soweit ihm dies zumutbar ist. Die Alternative der unterlassenen Aufklärung ist nur dann einschlägig, sofern der Auszubildende es unterlässt, bei der Aufklärung eines in seinen Verantwortungsbereich fallenden tatsächlichen Umstands mitzuwirken, obwohl dies für ihn möglich und zumutbar ist (vgl. so zum Ganzen BayVGH B.v. 9.5.2017 – 12 C 17.678 – BeckRS 2017, 114439 Rn. 58).
Nach diesen Maßstäben ist hier davon auszugehen, dass die Klägerin am 4. Januar 2011 insgesamt 16.000,00 EUR auf das Konto ihrer Mutter überwiesen hat. Insoweit erscheint bereits das Vorbringen der Klägerin widersprüchlich. So hat die Klägerin – anwaltlich vertreten – im Verwaltungsverfahren zunächst ausdrücklich sinngemäß vortragen lassen, sie habe am 4. Januar 2011 insgesamt 16.000,00 EUR auf ihre Mutter übertragen, um sodann im Widerspruchs- und Klageverfahren geltend zu machen, ihre Mutter habe 15.000,00 EUR erhalten, während sie sich weitere 1.000,00 EUR selbst überwiesen habe. Jedenfalls aber ist die Klägerin insoweit der ihr obliegenden Feststellungslast bzw. materielle Beweislast nicht ausreichend nachgekommen. Denn zum einen handelt es sich bei den fraglichen Überweisungsbeträgen um einen Umstand in ihrer Sphäre bzw. in ihrem Verantwortungsbereich. Zum anderen wäre es der Klägerin leicht möglich und ohne weiteres zumutbar gewesen, die Frage durch Vorlage des einschlägigen Kontoauszugs oder durch Vorlage einer entsprechenden Bankbestätigung aufzuklären. Entsprechendes ist jedoch nicht geschehen.
(b) Soweit die Klägerseite betreffend der Vermögensübertragung am 15. September 2011 der Auffassung ist, dass vom Betrag in Höhe von 5.287,43 EUR wirtschaftlich betrachtet 2.385,00 EUR abzuziehen seien, da diese zunächst zum Auffüllen des Bausparvertrags eingesetzt werden hätten müssen, ist darauf hinzuweisen, dass auch bei Abzug dieses Betrags das anzurechnende Vermögen den Gesamtbedarf der Klägerin übersteigt, sodass sich selbst bei Berücksichtigung dieses Umstands keine BAföG-Leistungen für sie errechneten.
c) Die Klägerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Zwar mag sie auf die Bewilligung der Ausbildungsförderung vertraut haben. Jedoch war dieses Vertrauen nicht schutzwürdig, da die Bewilligung von Ausbildungsförderung auf Angaben der Klägerin beruhte, die in wesentlichen Fragen zumindest grob fahrlässig unrichtig bzw. unvollständig waren. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BVerwG, U.v.14.3 2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 24). Hier stellt sich der Sachverhalt so dar, dass die Klägerin ohne rechtliche Verpflichtung und ohne rechtlich bindende Vereinbarung einer Gegenleistung während ihrer laufenden Ausbildung Vermögen an ihre Mutter übertragen hat, obwohl es sich ihr hätte aufdrängen müssen, dass sie auf das weggegebene Vermögen zur weiteren Finanzierung ihres Studiums angewiesen sein würde. Entsprechend musste es sich der Klägerin im Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung mindestens aufdrängen, dass auch das der Mutter übertragene Vermögen bei Antragstellung anzugeben war. Jedenfalls musste es sich der Klägerin aber ohne weiteres aufdrängen, dass das übertragene Vermögen auch angesichts des erheblichen Werts für die Frage der Bewilligung von Ausbildungsförderung eine maßgebliche Rolle spielen könnte. Entsprechend liegt grobe Fahrlässigkeit zumindest darin, dass die Klägerin das übertragene Vermögen weder im Vorfeld der Antragstellung – etwa durch die Frage, ob das übertragene Vermögen anzugeben sei – noch im Rahmen der Antragstellung thematisiert hat. Zudem war auf den von ihr unterschriebenen Antragsformularen jeweils in Fettdruck darauf hingewiesen, dass Vermögensübertragungen ohne Gegenleistung in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme der förderungsfähigen Ausbildung bzw. der Stellung des Antrags auf Ausbildungsförderung oder während der förderungsfähigen Ausbildung als rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung gelten können.
d) Auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 SGB X ist eingehalten, so dass die Rückforderung aufgrund fehlerhafter Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen konnte.
e) Schließlich sind auch die Ermessenserwägungen des Beklagten nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO), den Bewilligungsbescheid auch mit Wirkung für die Vergangenheit der Sache nach zurückzunehmen, indem die Ausbildungsförderung auf Null festgesetzt wurde. Zwar besteht insoweit auch mangels einer § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG vergleichbaren Vorschrift kein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NStZ-RR 2013, 689 Rn. 30 ff.). Jedoch war sich der Beklagte hier zum einen des ihm eingeräumten Ermessens bewusst. Zum anderen hat er das Interesse der Klägerin am Bestand des Bewilligungsbescheids mit dem staatlichen Rücknahmeinteresse unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung und fehlendem Verwaltungsverschulden ohne Ermessensfehler abgewogen. Bei der Rückforderung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich schließlich um eine gebundene Entscheidung.
f) Die angegriffene Neufestsetzung von Ausbildungsförderung mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. September 2016 betreffend die Bewilligungszeiträume Oktober 2011 bis September 2012, Oktober 2012 bis September 2013 und Oktober 2013 bis September 2014 auf monatlich jeweils 0,00 EUR erweist sich nach alledem als rechtmäßig. Gleiches gilt für den festgesetzten Rückforderungsbetrag. Auch insoweit sind Berechnungsfehler weder vorgetragen noch ersichtlich.
g) Schließlich kann vorliegend auch nicht von Verwirkung ausgegangen werden. Denn eine solche erfordert das Vorliegen eines Zeit- und eines Umstandsmoments. Bezüglich des Zeitmoments ist erforderlich, dass ein erheblicher Zeitablauf eingetreten ist. Das Umstandsmoment ist insbesondere dann erfüllt, wenn der Auszubildende durch ein bestimmtes, in der Regel aktives Verhalten der Behörde darauf vertrauen durfte, die Leistungen behalten zu dürfen und sich infolge seines Vertrauens so eingerichtet hat, dass eine Rückforderung unzumutbar wäre. Allein das Schweigen bzw. eine Untätigkeit der Behörde führt grundsätzlich nicht zur Verwirkung (vgl. hierzu im Ganzen Steinweg in Ramsauer/Stallbaum/Steinweg, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 20 Rn. 17 f.; VG Augsburg, B.v. 5.2.2015 – Au 3 K 14.933 – juris Rn. 50). Unter Berücksichtigung dieser Umstände scheidet vorliegend eine Verwirkung aus. Der Beklagte hat vorliegend zwar erst im Jahr 2021 den Widerspruchsbescheid erlassen, ist mithin also fast fünf Jahre untätig geblieben. Dagegen hat er keinen Vertrauenstatbestand gesetzt, insbesondere nicht durch aktives Verhalten. Es sind (außer dem bloßen Zeitablauf bzw. dem Zeitmoment) keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, aus denen die Klägerin hätte schließen können, dass der Beklagte auf eine Rückforderung bzw. auf die Verbescheidung ihres Widerspruchs verzichten würde.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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