Sozialrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderung wegen rechtsmissbräuchlicher Vermögensübertragung

Aktenzeichen  AN 2 K 16.02262

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45352
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 11, § 26, § 28
SGB X § 44, § 45, § 50 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Übertragung von 11.000 Euro durch einen Auszubildenden (hier: Student) auf seine Eltern drei Wochen vor Beantragung von Ausbildungsförderung ist rechtsmissbräuchlich, wenn sie für den Erwerb eines Kraftfahrzeugs durch seine Mutter und wegen des Ausbaus seines Zimmers im Elternhaus gedacht war, was keine werthaltige Gegenleistung darstellt. (Rn. 31 und 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es stellt eine grob fahrlässig unrichtige Angabe dar, die Vertrauensschutz ausschließt, wenn der Auszubildende trotz eines entsprechenden fettgedruckten Hinweises im Antragsformular die Vermögensübertragung nicht angibt bzw. es jedenfalls unterlässt, diesen Umstand durch Rückfrage abzuklären. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach gebotener Auslegung gemäß § 88 VwGO ist vorliegend von einer Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) auszugehen. Diese ist unbegründet, da der Bescheid des Beklagten vom 3. Mai 2019 – die Ablehnung der Rücknahme des Rückforderungsbescheids – rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Zwar hat der Kläger bei wörtlicher Auslegung des Klageantrags lediglich Aufhebung des ergangene Rückforderungsbescheids vom 14. August 2015 sowie Aufhebung des Bescheids vom 3. Mai 2018 beantragt, mit dem der Beklagte die Rücknahme des Rückforderungsbescheids abgelehnt hatte. Jedoch zeigt die Klagebegründung, dass es dem Kläger in der Sache darum geht, den Beklagten zur Rücknahme des Rückforderungsbescheids zu verpflichten. So führt der Kläger insbesondere zu den Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X aus, also gerade zur Rücknahme rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakte. Darüber hinaus hat er bereits vor Klageerhebung die Rücknahme des Rückforderungsbescheids bei dem Beklagten beantragt. Im Übrigen wird das Auslegungsergebnis dadurch gestützt, dass zwar die – wörtlich beantragte – Aufhebung des Rückforderungsbescheids dem Klagebegehren entspräche, den Rückforderungsbescheid zu beseitigen. Dies ist jedoch – wie der Kläger ausweislich der Klagebegründung auch erkannt hat – mit der Anfechtungsklage nicht mehr möglich, da der Rückforderungsbescheid vom 14. August 2015 im Zeitpunkt der Klageerhebung am 13. Oktober 2016 – auch mangels Widerspruchseinlegung – längst in Bestandskraft erwachsen war. Entsprechend kann der Kläger seinem Klagebegehren alleine mit Hilfe der Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage – bezogen auf die Versagung der Rücknahme des Rückforderungsbescheids – zum Durchbruch verhelfen.
Allerdings scheidet eine Rücknahme des Rückforderungsbescheids vom 14. August 2015 aus, da die Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X hierzu nicht vorliegen.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sieht vor, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X kann im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Danach kann die begehrte Rücknahme des Rückforderungsbescheids nicht erfolgen. Denn der Rückforderungsbescheid vom 14. August 2015 war weder rechtswidrig noch wurde bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Vielmehr war der Rückforderungsbescheid vom 14. August 2015 rechtmäßig und ergab sich nach Rücknahme der Bewilligungsbescheide aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind Leistungen, die bereits aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht wurden, zurückzugewähren, sofern der Verwaltungsakt aufgehoben, zurückgenommen oder widerrufen wird (Heße in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 52. Edition Stand 1.3.2019, § 50 SGB X Rn. 17). Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts kann – auch wenn dieser bereits bestandskräftig geworden ist – grundsätzlich nach § 45 Abs. 1 SGB X erfolgen, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X scheidet eine solche Rücknahme aber aus, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interessen schutzwürdig ist. Letzteres ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X grundsätzlich der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Dagegen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt kausal auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. In diesem Fall kann die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, sofern dies binnen eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen geschieht (§ 45 Abs. 4 SGB X).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die Rückforderung von Ausbildungsförderung hier rechtmäßig.
Zunächst handelt es sich bei den Bewilligungsbescheiden des Studentenwerks Oberfranken jeweils um begünstigende und zunächst bestandskräftige Verwaltungsakte. Diese waren auch rechtswidrig, soweit die bewilligte Ausbildungsförderung über die Neufestsetzungen mit Bescheid vom 14. August 2015 hinausging. Denn insoweit hatte der Kläger wegen zuzurechnenden Vermögens keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung.
Nach § 11 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet. Auf diesen Bedarf anzurechnen ist insbesondere das Vermögen des Auszubildenden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Entsprechend erhalten nur solche Auszubildende Ausbildungsförderung, deren Vermögen nach Maßgabe der Vorschriften über die Vermögensanrechnung nicht zu hoch ist (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 52. Edition Stand 1.3.2019, § 26 BAföG Rn. 1). Von dem gemäß § 26 BAföG grundsätzlich anzurechnendem Vermögen des Auszubildenden bleibt nach § 29 Abs. 1 Satz 1 ein Freibetrag anrechnungsfrei. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (§ 29 Abs. 1 Satz 2 BAföG) sah § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BAföG a.F. hier einen Freibetrag in Höhe von 5.200,00 EUR vor.
Hinsichtlich des Umfangs des Vermögens ist weiter anerkannt, dass dem Auszubildenden fiktiv Vermögen zugerechnet wird, das er – ggf. auch zivilrechtlich wirksam – vor der Beantragung von Ausbildungsförderung unentgeltlich auf Dritte überträgt, sofern die Übertragung dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck widerspricht und daher als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (Humborg in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand Mai 2009, § 27 Rn. 8.3). Der Gesetzeszweck der Vermögensanrechnung liegt darin, den in § 1 BAföG verankerten Nachrang der staatlichen Ausbildungsförderung durchzusetzen (BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 19). Ausbildungsförderung soll als sozialstaatliche Leistung auf solche Auszubildende konzentriert werden, die der Förderung insbesondere mangels eigenen Vermögens auch tatsächlich bedürfen. Diesem Gesetzeszweck widerspricht es, wenn der Auszubildende Vermögen überträgt, um es der Vermögensanrechnung zu entziehen. Von einer solchen Zweckbestimmung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Auszubildende sein Vermögen bzw. Teile hiervon auf einen Dritten überträgt, ohne eine werthaltige Gegenleistung zu erhalten. Ob der Umstand der Unentgeltlichkeit – im Sinne des Fehlens einer angemessenen bzw. werthaltigen Gegenleistung (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 25.3.2010 – 4 ME 38/10 – beckonline) – ausreichend ist, um ohne weiteres rechtsmissbräuchliches Handeln anzunehmen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann etwa das Kriterium der Unentgeltlichkeit mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Antragstellung an Aussagekraft verlieren. Entsprechend ist es gerechtfertigt und im Einzelfall auch geboten, auch auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Antragstellung und Vermögensübertragung abzustellen (zum Ganzen BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 19). Die zeitliche Nähe der Vermögensübertragung zur Beantragung von Ausbildungsförderung spricht gewichtig für die Annahme von Rechtsmissbrauch (BVerwG a.a.O., dort: etwa eineinhalb Monate; OVG Münster, B.v. 10.6.2011 – 12 A 2098/10 – beckonline: 14 Tage). Dagegen ist subjektiv verwerfliches Handeln für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung nicht notwendig (BayVGH, B.v. 30.1.2012 – 12 C 11.114 – beckonline Rn. 7).
Gemessen an diesen Anforderungen war die Bewilligung von Ausbildungsförderung rechtswidrig, soweit sie über die Neufestsetzung mit Bescheid vom 14. August 2015 hinausging. Denn die unstreitige Vermögensübertragung über 11.000,00 EUR am 1. September 2013 stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar. Die Übertragung erfolgte jedenfalls im Sinne des Ausbildungsförderungsrechts unentgeltlich bzw. ohne Gegenleistung. Dies gilt bereits auf Grundlage des Vortrags des Klägers, wonach die Vermögensübertragung wegen eines finanziellen Engpasses der Eltern bzw. für den Erwerb eines Kraftfahrzeuges durch seine Mutter und wegen des Ausbaus eines Zimmers … erfolgt sei, das er zum ungestörten Studieren in seinem Elternhaus habe nutzen dürfen. Eine zivilrechtlich wirksame Abrede behauptet der Kläger selbst allenfalls konkludent. Aber selbst wenn eine solche zivilrechtlich wirksame Abrede mit Blick auf die Vermögensübertragung vorgelegen haben sollte, liegt hier Unentgeltlichkeit im förderungsrechtlichen Sinne vor. Zwar mag der Kläger im Rahmen einer solchen Abrede zivilrechtlich eine Gegenleistung etwa in Gestalt der Mitbenutzung des Fahrzeugs und der Nutzung des ausgebauten Zimmers erlangen. Es fehlt aber an der Werthaltigkeit der Gegenleistung. So belaufen sich auf Grundlage des klägerischen Vortrags die Materialkosten der Renovierung auf 4.050,00 EUR, so dass anzunehmen ist, dass die Gegenleistung für die Übertragung restlicher 6.950,00 EUR in der bloßen Mitbenutzung eines Pkw besteht. Das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung – also fehlende Werthaltigkeit – wird insoweit bereits dadurch deutlich, dass der Kläger für den Betrag von 6.950,00 EUR ohne weiteres nicht nur ein Mitbenutzungsrecht, sondern selbst einen gebrauchten Pkw zu Eigentum hätte erwerben können. Darüber hinaus besteht auch hinsichtlich der Renovierungskomponente keine Werthaltigkeit. Auch insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Eltern des Klägers diesem – und derzeit nicht umgekehrt – zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sind. Diese Verpflichtung kann – soweit Wohnraum in Frage steht – je nach Lage des Falls in Geld etwa durch die Überlassung finanzieller Mittel zur Anmietung einer angemessenen Wohnung am Studienort oder aber in Natur dadurch erfüllt werden, dass im elterlichen Haushalt ein entsprechender Raum unter Mitbenutzung der üblichen Einrichtung wie etwa Küche und Bad zur Verfügung gestellt wird. Danach liegt hier in der Renovierung eine Unterhaltsleistung und keine werthaltige Gegenleistung. Denn der Kläger hat mit der behaupteten Verpflichtung zur Vermögensübertragung eine vermeintliche Gegenleistung erkauft, auf die er ohnehin im Rahmen der Unterhaltspflicht seiner Eltern zumindest dem Grunde nach Anspruch gehabt hätte. Dass die Renovierung außerhalb von Unterhaltsverpflichtungen vorgenommen worden wäre, hat der Kläger zum einen nicht geltend gemacht. Zum anderen hätte es für die Begründung von Werthaltigkeit auch dann gesonderter Abreden bedurft.
Denn der Kläger hat nach eigenem Vortrag eine Leistung erbracht, mit der bereits nach § 946 BGB eine Wertverbesserung fremden Eigentums – das seiner Eltern – einhergeht. Angesichts der – erheblichen – Zahlung für die bloße Mitbenutzung eines von seiner Mutter erworbenen Pkw hätte der Kläger zur Begründung von Werthaltigkeit seiner Zahlung mit Blick auf die Renovierung zumindest Abreden treffen müssen, wie mit seiner Investition in fremdes Eigentum verfahren werden soll, sofern er das fragliche Zimmer im elterlichen Haushalt mittelfristig aufgeben würde (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 25.3.2010 – 4 ME 38/10 – beckonline). Dies gilt umso mehr, als das Zimmer im elterlichen Haushalt in … über 100 km von dem Studienort des Klägers in … entfernt war, ein Umzug zum Studienort aufgrund dieser Entfernung jedenfalls nicht gänzlich abwegig erschien.
Des Weiteren ist hier nicht davon auszugehen, dass das Kriterium der Unentgeltlichkeit aufgrund Zeitablaufs nicht mehr hinreichend geeignet wäre, um auf rechtsmissbräuchliches Verhalten zu schließen. Denn zwischen Ausfüllen des Antragsformulars, unterzeichnet am 22. September 2011, und Vermögensübertragung lagen hier lediglich drei Wochen. Der enge zeitliche Zusammenhang zur Antragstellung spricht vielmehr für Rechtsmissbrauch.
Im Übrigen hat der Kläger zuletzt nicht in Frage gestellt, auch wirtschaftlich betrachtet Inhaber des übertragenen Vermögens im Wert von 11.000,00 EUR gewesen zu sein. Insbesondere hat er zuletzt weder ein Treuhandverhältnis noch eine Darlehensabrede geltend gemacht. Vielmehr hat sein Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, bei dem übertragenen Vermögen habe es sich um die Ersparnisse des Klägers gehandelt.
Danach waren dem Kläger im Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung am 22. September 2011 über sein angegebenes Vermögen hinaus weitere 11.000,00 EUR zuzurechnen. Entsprechend bestand unter Berücksichtigung fiktiven Vermögensverbrauchs kein Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für die Bewilligungszeiträume Oktober 2011 bis einschließlich September 2013 und lediglich in Höhe von monatlich 70,00 EUR für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis einschließlich September 2014. Denn der der Förderbedarf des Klägers von monatlich 377,00 EUR von Oktober 2011 bis Juli 2012, in Höhe von 333,00 EUR jeweils für August und September 2012, in Höhe von 233,00 EUR von Oktober 2012 bis Mai 2013 sowie in Höhe von 361,00 EUR von Juni 2013 bis September 2013, insgesamt also 7.744,00 EUR (377,00 EUR x 10 + 333,00 EUR x 2 + 233,00 EUR x 8 + 361,00 EUR x 4) hätte auch unter Berücksichtigung des Freibetrags ohne Weiteres aus dem klägerischen bzw. des ihm zuzurechnenden Vermögen bestritten werden können. Im Übrigen ergab sich unter Berücksichtigung des von dem Studentenwerk betreffend den Bewilligungszeitraum von Oktober 2013 bis einschließlich September 2014 ermittelten Vermögens in Höhe von insgesamt 15.158,24 EUR, einem fiktiven Vermögensverbrauch in Höhe von 7.744,60 EUR und dem damaligen Freibetrag in Höhe von 5.200,00 EUR anrechenbares Vermögen in Höhe von 2.213,64 EUR, monatlich 184,70 EUR.
Hieraus folgte ab September 2013 ein monatlicher Förderbetrag nicht in Höhe von 254,00 EUR, sondern – gerundet – in Höhe von 70,00 EUR.
Der Rückforderung stand auch Vertrauensschutz nicht entgegen. Zwar mag der Kläger auf die Bewilligung der Ausbildungsförderung tatsächlich vertraut haben. Jedoch war dieses Vertrauen nicht schutzwürdig, da die Bewilligung von Ausbildungsförderung auf Angaben des Klägers beruhte, die in wesentlichen Fragen zumindest grob fahrlässig unrichtig bzw. unvollständig waren (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BVerwG, U.v.14.3 2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 24). Unabhängig von der Frage, ob der Kläger ein gesondertes Hinweisblatt erhalten hatte, enthielt ausweislich der Behördenakte das am 22. September 2011 von dem Kläger unterzeichnete Antragsformular in Fettdruck oberhalb der Datums- und Unterschriftszeile insbesondere den nachfolgenden Hinweis:
Mir ist bekannt,
[…]
– dass Vermögenswerte auch dann meinem Vermögen zuzurechnen sind, wenn ich diese rechtsmissbräuchlich übertragen habe. Dies ist der Fall, wenn ich in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme der förderungsfähigen Ausbildung bzw. der Stellung des Antrags auf Ausbildungsförderung oder während der förderungsfähigen Ausbildung Teile meines Vermögens unentgeltlich oder ohne gleichwertige Gegenleistung an Dritte, insbesondere an meine Eltern oder andere Verwandte, übertragen habe.
[…] Danach musste es sich dem Kläger zumindest ohne weiteres aufdrängen, dass ihm zum einen das weggegebene Vermögen fiktiv zuzurechnen war und er dieses zum anderen hätte angeben müssen. Denn der ausdrückliche Hinweis auf übertragenes Vermögen ergäbe keinen Sinn, sofern dieses nicht anzugeben wäre, zumal das Studentenwerk grundsätzlich alleine durch die Mitwirkung des Antragstellers von solchem Vermögen erfahren kann. Entsprechend wäre entgegen der Ansicht des Klägers auch das weggegebene Vermögen anzugeben gewesen, so dass die Angaben des Klägers zu seinem Vermögen auch im Zeitpunkt der Antragstellung unzutreffend, da unvollständig waren. Aufgrund des amtlichen Hinweises in dem Formular und des Fehlens einer gleichwertigen Gegenleistung, die sich jedenfalls hinsichtlich des Fahrzeugkaufs ohne weiteres aufdrängen musste, musste es sich dem Klägerin aber in jedem Fall aufdrängen, dass das weggegebene Vermögen auch angesichts des erheblichen Werts für die Frage der Bewilligung von Ausbildungsförderung eine maßgebliche Rolle spielen könnte. Entsprechend liegt grobe Fahrlässigkeit zumindest darin, dass der Kläger die Vermögensübertragung bzw. das übrige, nicht angegebene Vermögen weder im Vorfeld der Antragstellung – etwa durch die Frage, ob diese Umstände anzugeben seien – noch im Rahmen der Antragstellung thematisieret hat. Schließlich wird die bloße Angabe des Werts des weggegebenen Vermögens verlangt. In diesem Zusammenhang ist keine Überforderung der Antragsteller wegen komplizierter Berechnungen oder maschineller Verschlüsselungen erkennbar. Im Übrigen waren die ausgebliebenen Angaben zur Vermögenshöhe auch kausal für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung von Ausbildungsförderung.
Demnach war hier im Unterschied zu dem strafrechtlichen Vorwurf des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB rechtlich unerheblich, ob der Kläger vorsätzlich gehandelt hatte. Entsprechend war die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft … mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO) im vorliegenden Verfahren nicht maßgeblich. Denn im dortigen Verfahren kam es gerade auf die Frage des Vorsatzes an.
Auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 SGB X ist eingehalten, so dass die Rückforderung aufgrund fehlerhafter Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen konnte.
Des Weiteren stand auch § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X der Rückforderung nicht entgegen. Zwar bestimmt die Vorschrift, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann. Allerdings folgt aus § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X eine Fristverlängerung auf zehn Jahre ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts, insbesondere wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X vorliegen. So liegt der Fall hier.
Schließlich ist auch die Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden, den Bewilligungsbescheid auch mit Wirkung für die Vergangenheit der Sache nach zurückzunehmen, indem die Ausbildungsförderung auf Null bzw. zuletzt auf monatlich 70,00 EUR herabgesetzt wurde. Zwar besteht insoweit auch mangels einer § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG vergleichbaren Vorschrift kein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NStZ-RR 2013, 689 Rn. 30 ff.). Jedoch war sich das Studentenwerk hier zum einen des eingeräumten Ermessens bewusst. Zum anderen hat es das Interesse des Klägers am Bestand des Bewilligungsbescheids mit dem staatlichen Rücknahmeinteresse auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung abgewogen. Bei der Rückforderung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich schließlich um eine gebundene Entscheidung.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1,154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 ZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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