Sozialrecht

Soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, trifft den Kläger die Obliegenheit, zum Zweck der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen

Aktenzeichen  L 6 R 319/15

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 126341
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
SGG § 160 Abs. 1, Abs. 2, § 193

 

Leitsatz

Soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, trifft den Kläger die Obliegenheit, zum Zweck der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen. Das Gericht kann den Kläger nicht zwingen, sich einer Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen. Verweigert er indessen eine Begutachtung, so hat er die prozessrechtlichen Folgen seines Verhaltens zu tragen. Nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Grundsätzen des § 65 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) besteht eine Mitwirkungspflicht des Versicherten nur dann nicht, wenn ihm ihre Erfüllung aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden bzw. bei Untersuchungen im Einzelfall ein Schaden für Leben und Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. (Rn. 20 – 21)

Verfahrensgang

S 11 R 4026/14 2015-04-16 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16. April 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.04.2015 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 16.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, vgl. § 43 Abs. 1 bis 3 SGB VI.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht bei dem Kläger kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger ist zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen erwerbsgemindert in rentenberechtigendem Grade.
Im sozialgerichtlichen Verfahren trägt derjenige die objektive Beweislast, zu dessen Gunsten ein Tatbestandsmerkmal im Prozess wirkt. Danach trägt der Kläger die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbsminderung. Der Grundsatz der objektiven Beweislast greift dann ein, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 118 Rdnr. 6). Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG). Die Beteiligten sind hierzu mit heranzuziehen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG). Sie müssen jedoch ihrer Mitwirkungslast genügen, sonst können sie Nachteile treffen. Soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, trifft den Kläger die Obliegenheit, zum Zweck der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen. Das Gericht kann den Kläger nicht zwingen, sich einer Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen. Verweigert er indessen eine Begutachtung, so hat er die prozessrechtlichen Folgen seines Verhaltens zu tragen.
Der Kläger hat sich zu keinem Zeitpunkt einer Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet unterzogen. Entsprechenden Anordnungen ist er nicht nachgekommen. Die Mitwirkungspflichten sind vorliegend durch die Anordnung einer Begutachtung auch nicht überspannt worden. Nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Grundsätzen des § 65 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) besteht eine Mitwirkungspflicht des Versicherten nur dann nicht, wenn ihm ihre Erfüllung aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden bzw. bei Untersuchungen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht ersichtlich.
Wie im Verfahren erster Instanz und im Verwaltungsverfahren ist der Kläger auch im Berufungsverfahren seinen Mitwirkungspflichten nicht ausreichend nachgekommen, obwohl er mit Schreiben des Senats vom 03.01.2017 auf die Erforderlichkeit der Mitwirkung hingewiesen worden ist und ihm auch aufgrund des Gerichtsbescheides des SG die Folgen mangelnder Mitwirkung bekannt waren.
Auch rechtfertigende Gründe für die fehlende Mitwirkung liegen nicht vor. Der Kläger hat keine relevanten Gesichtspunkte vorgetragen, die darauf hinweisen würden. Es geht daher zu seinen Lasten, dass der Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt werden kann. Nach dem bislang vorliegenden Gutachten des Dr. B. im Verwaltungsverfahren ist eine Erwerbsminderung nicht gegeben. Erforderliche weitere Begutachtungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat der Kläger abgelehnt. Ausweislich der beigezogenen Unterlagen, insbesondere der Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales und auch nach seinen eigenen Angaben befindet sich der Kläger nicht in psychiatrischer, psychologischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Es können mithin keine entsprechenden Befundberichte beigezogen werden, so dass auch eine Begutachtung nach Aktenlage nicht möglich ist. Darüber hinaus ist in der Regel ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens mit persönlicher Untersuchung ein Vollbeweis über ein eingeschränktes Leistungsvermögen aufgrund psychiatrischer Erkrankungen nicht zu führen. Allein die fehlende Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit kann das Vorliegen von Erwerbsminderung ebenfalls nicht begründen. Dabei war im Fall des Klägers nicht nur die gesundheitliche Eignung, sondern auch die fachliche Eignung nicht nachgewiesen. Allein der begründete Verdacht auf das Vorliegen einer Psychose, die der gesundheitlichen Eignung für eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entgegenstand, lässt keinen ausreichenden Schluss auf das Vorliegen einer Erwerbsminderung aufgrund einer Erkrankung in diesem Bereich zu. Es ist daher weder zum damaligen Zeitpunkt noch heute eine Erwerbsminderung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsunfähigkeit bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI), da er nach dem 02.01.1961 geboren ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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