Sozialrecht

Sozialhilfe: Auch nach neuem Recht kein Anspruch auf eine kostenfreie Wertmarke für den öffentlichen Nahverkehr als Leistung der Hilfe zur Pflege

Aktenzeichen  L 18 SB 176/18 NZB

Datum:
29.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1545
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 228 Abs. 4 Nr. 2
SGG § 66 Abs. 2 S. 1, § 144 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 145 S. 10 Nr. 2 SGB IX a.F. findet auch im Rahmen des § 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX n.F. Berücksichtigung. Danach haben Personen, die ausschließlich Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII beziehen, keinen Anspruch auf eine kostenfreie Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr.

Verfahrensgang

S 13 SB 406/17 2018-08-08 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. August 2018, S 13 SB 406/17, wird zurückgewiesen.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind zu erstatten.

Gründe

I.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin für das Jahr 2018 nach § 228 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Anspruch auf eine Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr ohne Eigenbeitrag hat.
Die 1936 geborene Klägerin steht unter gesetzlicher Betreuung des Herrn B., B-Stadt. Der Klägerin sind ein Grad der Behinderung (GdB) i.H.v. 100 sowie die Merkzeichen „G“ und „B“ zuerkannt (Änderungsbescheid des Beklagten vom 21.05.2014).
Wie schon die Jahre zuvor beantragte die Klägerin, vertreten durch ihren Betreuer, am 11.05.2017 beim Beklagten die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr mit einjährigem Gültigkeitszeitraum ab Juli 2017. Zugleich übersandte sie die Kopie eines Bescheids des Bezirks Mittelfranken vom 12.03.2014, wonach sie ab 01.05.2013 bis auf weiteres Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung – K. -Heim, A-Stadt – nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhält. In dem Bescheid wird des Weiteren geregelt, dass der Klägerin ein Betrag in Höhe des Barbetrags zur persönlichen Verfügung aus ihrem Einkommen belassen wird. Zudem wurde ein monatlich zu leistender Aufwendungsersatz aus Einkommen und Vermögen der Klägerin festgesetzt.
Der Beklagte forderte vom Bezirk Mittelfranken ein „Berechnungsblatt SGB XII“ an.
Mit Bescheid vom 16.05.2017 (Widerspruchsbescheid vom 29.05.2017) lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 11.05.2017 auf kostenfreie Ausgabe einer Wertmarke ab. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke nicht. Sie gehören nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten; insbesondere beziehe sie keine laufenden Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII, sondern nur Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel (§§ 61 bis 66 SGB XII).
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 08.08.2018 hat das SG den Bescheid vom 16.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine unentgeltliche Wertmarke für die Freifahrt im Nahverkehr ab 2018 auszustellen.
Hiergegen hat der Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben (Az. L 18 SB 144/18). Nach Hinweis des Senats, dass die Berufung unzulässig sei, weil sie der Zulassung bedurft hätte, das SG die Berufung aber nicht zugelassen habe, nahm der Beklagte die Berufung mit Schriftsatz vom 05.11.2018 (Eingang beim LSG am 13.11.2018) zurück. Zugleich hat er gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 08.08.2018 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Der Beklagte begründet seine Nichtzulassungsbeschwerde zum einen damit, dass das SG eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung behandle. Bislang sei noch nicht abschließend geklärt, ob § 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX analog auf andere Sozialhilfeleistungen, die in der Vorschrift nicht ausdrücklich normiert seien, anzuwenden sei. Zum anderen sei das SG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere vom Urteil vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, abgewichen. Danach habe das BSG eine analoge Anwendung der Anspruchsgrundlage auf Bewilligung einer kostenfreien Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr auf Empfänger anderer Sozialhilfeleistungen, als die in der Anspruchsgrundlage genannten, abgelehnt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 08.08.2018 ist zulässig.
a. Die Beschwerde wurde form- und fristgemäß eingelegt (§ 145 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Beklagten erfolgte am 13.11.2018 und somit fristgemäß. Das SG hatte seinem Urteil vom 08.08.2018 eine Rechtsmittelbelehrungbeigefügt, wonach das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne. Diese unzutreffende Belehrung, dass anstelle des statthaften Rechtsbehelfs der Nichtzulassungsbeschwerde (siehe dazu im Folgenden unter 1. b.) die fristgebundene Berufung gegen das Urteil zulässig sei, entspricht einer Belehrung, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist (so Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 66 Rn. 13c m.w.N.; BSG 14.12.2006 – B 4 R 19/06 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 3). Es war daher dem Beklagten gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGG ohne Bindung an eine Frist, insbesondere die Monatsfrist nach § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG, möglich, die Nichtzulassungsbeschwerde beim LSG einzulegen. Aber auch für den Fall, dass man in der falschen Rechtsbehelfsbelehrung:des SG eine unrichtig erteilte Rechtsbehelfsbelehrung:i.S.d. § 66 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGG sähe, wäre die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Jahresfrist erfolgt und somit die Beschwerdefrist eingehalten.
b. Die Beschwerde ist auch statthaft.
Die Nichtzulassung der Berufung durch ein Sozialgericht kann gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGG durch Beschwerde angefochten werden. Somit ist die Nichtzulassungsbeschwerde in Fällen statthaft, in denen die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung bedarf, eine Zulassung durch das erstinstanzliche Gericht aber nicht erfolgt ist.
Gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 € (Nr. 1) oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 € (Nr. 2) nicht übersteigt.
Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin eine unentgeltliche Wertmarke für die Freifahrt im Nahverkehr ab 2018 auszustellen.
Zwar ist der Tenor des erstinstanzlichen Urteils nicht eindeutig. Er könnte so verstanden werden, dass das SG den Beklagten beginnend ab 2018 für alle zukünftigen Zeiträume zur Ausstellung von unentgeltlichen Wertmarken an die Klägerin für die Freifahrt im Nahverkehr verurteilen wollte. Der Senat legt den Tenor unter Heranziehung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe (s. dazu Keller a.a.O. § 136 Rn. 5c; BSG vom 08.02.2007 – B 9b SO 5/05 R, juris Rn. 14) jedoch dahingehend aus, dass der Beklagte zur Ausgabe einer Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr für das Jahr 2018 verurteilt worden ist, ohne dass die Klägerin hierfür 80 € zu entrichten hätte. Für diese Auslegung spricht zum einen, dass der Beklagte zur Ausstellung „einer“ Wertmarke verurteilt wurde, was darauf schließen lässt, dass die Verurteilung nicht zukunftsoffen erfolgen sollte. Zum anderen findet sich in den einschlägigen Bestimmungen des SGB IX keine gesetzliche Regelung, die die Ausgabe einer Wertmarke für einen längeren Zeitraum als ein Jahr zuließe (vgl. § 228 Abs. 2 S. 1 SGB IX, wonach die Wertmarken für ein halbes oder für ein Jahr ausgegeben werden). Vielmehr ist die Wertmarke für den Ablauf des jährlichen Gültigkeitszeitraums neu zu beantragen. Es ist daher davon auszugehen, dass das SG seine Entscheidung im Rahmen der – von ihm in den Urteilsgründen selbst zitierten – gesetzlichen Bestimmungen treffen wollte.
Somit ist der Beklagte durch das Urteil vom 08.08.2018 lediglich in Höhe der von der Klägerin nicht zu zahlenden Jahresgebühr von 80 € (vgl. § 228 Abs. 2 S. 1 SGB IX) beschwert. Die Verurteilung erfolgte auch nicht im Hinblick auf wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG hätte die Berufung somit der Zulassung bedurft. Das Sozialgericht Nürnberg hat die Berufung aber nicht zugelassen.
Eine Zulassung kann nicht in der an das Urteil vom 08.08.2018 angehängten fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Anfechtung des Urteils mit Berufung gesehen werden. Eine solche fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung stellt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. u.a. BSG v. 28.03.1957 – 7 RAr 103/55, BSGE 5, 92; BSG v. 23.07.1998 – B 1 KR 24/96 R, juris Rn. 12; BSG v. 18.03.2004 – B 11 AL 53/03 R, juris Rn. 11), der sich der Senat anschließt, keine Zulassung der Berufung dar.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
a. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine nach dem aktuellen Stand in Rechtsprechung und Literatur klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse steht, d.h. erwartet werden kann, dass die Klärung zur Sicherung der Rechtseinheit oder zur Rechtsfortbildung beitragen wird. Schließlich muss die Klärung der im Raum stehenden Rechtsfrage nach den Gegebenheiten des Falles für die Entscheidung des Rechtsstreits unumgänglich sein (siehe dazu Cantzler in Bechtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Auflage 2016, § 7 Rn. 70 m.w.N.).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist zu verneinen, da die Rechtssache keine nach dem aktuellen Stand in Rechtsprechung und Literatur klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft.
Das Bundessozialgericht hat in mehreren Entscheidungen (vgl. BSG vom 25.10.2012 – B 9 SB 1/12 R, Breith 2013, 331, und vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr. 3; s. dazu auch BSG v. 12.05.2014 – B 9 SB 81/13 B, juris) über einen Anspruch auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke die Rechtsfrage, welche Personen die tatbestandliche Voraussetzung des Erhalts für den Lebensunterhalt laufender Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches erfüllen, dahingehend beantwortet, dass hierfür – außer Personen im unmittelbaren Bezug solcher Leistungen – nur Personen in Betracht kommen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII Leistungen erhalten und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Diese Entscheidungen erfolgten zwar noch zu § 145 SGB IX in den ab 30.12.2008 gültigen Fassungen. Danach wurde auf Antrag eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach Satz 3 (ab 01.01.2013 zusätzlich eingefügt: „in seiner jeweiligen Höhe“) zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches, dem Achten Buch oder den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten (§ 145 Satz 5 Nr. 2 SGB IX a.F., ab 01.01.2013 § 145 Satz 10 Nr. 2 SGB IX a.F.). Diese Regelung wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, S. 3234) jedoch unverändert in den zum 01.01.2018 in Kraft getretenen § 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX übernommen. Lediglich aufgrund der veränderten Normenstruktur wurde die Bezugnahme auf „Satz 3“ durch „Absatz 2“ ersetzt. Inhaltliche Änderungen waren mit der Transformation aber nicht verbunden. Auch der zu Grunde liegende Gesetzentwurf der Bundesregierung liefert keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber mit der Transformation auch inhaltliche Veränderungen verbinden wollte (vgl. BT-Drucks. 18/9522, S. 312: „Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 145.“). Somit besteht für die im Rahmen der Rechtsprechung des BSG zum früheren § 145 SGB IX geklärte Rechtsfrage kein erneuter Klärungsbedarf.
Nur ergänzend ist auszuführen, dass Personen, die ausschließlich Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII erhalten, nicht nach § 228 Abs. 4 SGB IX, insbesondere auch nicht nach dessen Nr. 2, anspruchsberechtigt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf diese Personen nicht möglich. Sie erhalten schon keine Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII. Sie stehen (solchen) Sozialhilfeempfänger auch nicht im Wesentlichen gleich, da sie keine Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes erhalten, sondern lediglich Hilfeleistungen zur Sicherstellung ihres Pflegebedarfs. Im Übrigen stünde einer entsprechenden Anwendung auch der in der Gesetzesformulierung klar zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers entgegen, nur solchen Leistungsempfängern nach dem SGB XII einen Anspruch auf eine unentgeltliche Wertmarke einzuräumen, die laufende Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel erhalten. Damit hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift bewusst auf Leistungsbezieher nach diesen Kapiteln des SGB XII eingegrenzt.
b. Das Urteil des SG weicht auch nicht im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes- oder des Bundesverfassungsgerichts ab (Zulassungsgrund der Divergenz).
Erforderlich ist hierfür, dass das Sozialgericht einen (abstrakten) Rechtssatz aufstellt, der mit der höhergerichtlichen Rechtsprechung nicht vereinbar ist. Denkbar ist z.B., dass es die Auslegung eines Rechtsbegriffs anders vornimmt, so dass bestimmte typisierte Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich einer Rechtsnorm ausgeschlossen oder aber in diesen einbezogen werden (vgl. Cantzler a.a.O. Rn. 81).
Das SG ist bei seiner Entscheidung nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes- oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen. Insbesondere hat es – entgegen der Auffassung des Beklagten – keinen Rechtssatz aufgestellt, der mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht vereinbar ist. Vielmehr hat das SG in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Ausstellung der unentgeltlichen Wertmarke bereits daraus begründe, dass sie einen Barbetrag nach § 27b Abs. 2 SGB XII erhalte und damit Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Somit war die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung des Erhalts von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches (§ 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX) zur Überzeugung des SG erfüllt. Die weiteren Überlegungen des SG, insbesondere zur Anwendbarkeit der Entscheidung des BSG vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R auf den ihm vorliegenden Sachverhalt, stellen sich somit nur als Hilfsüberlegungen dar, auf die es nicht ankommt.
Ob das SG, wie der Beklagte in der Berufungsschrift vom 17.09.2018 (Az. beim LSG L 18 SB 144/18) vorträgt, zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Klägerin laufende Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem Dritten Kapitel des SGB XII bezieht, ist für die Frage der Zulassung der Berufung ohne Bedeutung. Denn allein eine etwaige fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG, die auf der Zugrundelegung unzutreffender Tatsachen beruht, würde nicht den Zulassungsgrund der Divergenz erfüllen (siehe dazu Cantzler a.a.O. Rn. 81).
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dem Bescheid des Bezirks Mittelfranken vom 12.03.2014 (!) nicht sicher zu entnehmen ist, ob die Klägerin vom Sozialhilfeträger – insbesondere seit dem 01.01.2018 – laufende Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, unter die der Barbetrag nach § 27b Abs. 2 SGB XII fällt, erhält oder nicht. Hierbei kommt es nur auf den tatsächlichen Zufluss der Leistung an, nicht auf einen rechtmäßigen Bezug (vgl. Vogl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 228 SGB IX Rn. 50). So ist im Tenor des Bescheids davon die Rede, dass der Klägerin ein Betrag in Höhe des Barbetrags zur persönlichen Verfügung aus dem eigenen Einkommen belassen werde. Andererseits wird in den Gründen ausgeführt, dass Leistungen nach § 19 Abs. 1 bis 3 i.V.m. § 27b Abs. 2 SGB XII bewilligt würden und der Barbetrag ausgezahlt und erstmals ab 01.03.2014 gewährt werde. Auch dem „Berechnungsblatt SGB XII“ ist nicht sicher zu entnehmen, ob der Klägerin laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erbracht werden. So ist dem Berechnungsblatt einerseits unter „gewährte Leistungen“ ein „Barbetrag“ zu entnehmen, andererseits deutet die Berechnung auf der folgenden Seite darauf hin, dass sich ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. auf Grundsicherung bei der Klägerin nicht errechnet.
Da somit Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG durch den Vortrag des Beklagten nicht belegt und auch sonst nicht ersichtlich sind, ist die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 08.08.2018 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 193 SGG; sie berücksichtigt, dass die Beschwerde des Beklagten ohne Erfolg geblieben ist.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 S. 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.


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