Sozialrecht

Ursächlichkeit der versicherten Tätigkeit

Aktenzeichen  L 17 U 199/16

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 126990
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, VII § 8 Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2, § 193

 

Leitsatz

Ein Arbeitsunfall kann nur dann vorliegen, wenn ein Unfallereignis – hier: Aufschlagen mit dem Kopf am Boden – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist. (Rn. 21 und 22)

Verfahrensgang

S 2 U 52/13 2016-03-14 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.03.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2013, mit dem diese gegenüber der Klägerin eine Anerkennung des Ereignisses vom 15.10.2012 als Arbeitsunfall abgelehnt hat.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Das Ereignis vom 15.10.2012 stellt keinen Arbeitsunfall i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) dar.
Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach S. 2 der Vorschrift sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, vgl. Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 9 m.w.N. der Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. E war zwar zum Zeitpunkt seines Sturzes als Beschäftigter bei der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Er hat auch einen Unfall i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII erlitten (siehe dazu 1.). Dieser Unfall ist jedoch kein Arbeitsunfall, weil das Ereignis, das letztlich zum Tod des E geführt hat, nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (siehe dazu 2.).
1. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben der versicherten Tätigkeit und dem Arbeitsunfall auch der Gesundheitsschaden, müssen im sogenannten Vollbeweis feststehen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG vom 27.03.1958 – 8 RV 387/55, juris Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG vom 27.04.1972 – 2 RU 147/71, juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.).
Für den ursächlichen Zusammenhang – Wirkursächlichkeit – zwischen der versicherten Tätigkeit, dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 4 m.w.N.; vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77, juris Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006 – B 4 R 29/06, juris Rn. 116; vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R, juris Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003 – IX ZB 37/03, juris Rn. 8; vom 15.06.1994 – IV ZB 6/94).
Zur vollen Überzeugung des Senats hat E am 15.10.2012 eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII dadurch erlitten, dass er mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug, sich hierbei eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung zuzog und letztlich an der dadurch verursachten interzerebralen Blutung verstarb (zum Aufschlagen mit dem Kopf am Boden als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis siehe u.a. BSG vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R, juris Rn. 10; BSG vom 29.03.1984 – 2 RU 21/83, juris Rn. 12 m.w.N.). Die Feststellung dieses Ereignisablaufs durch den Senat beruht auf der Auskunft des behandelnden Klinikums E-Stadt vom 19.12.2016 und den damit übereinstimmenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 08.03.2017.
2. Die Einwirkung und der dadurch letztlich verursachte Tod des E sind zwar bei, jedoch entgegen § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht „infolge“ der Verrichtung der versicherten Tätigkeit eingetreten und ihr damit nicht zuzurechnen.
Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung „allgemein“, sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (vgl. BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 18; vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R – BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rn. 32 ff m.w.N.). Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der „conditio-Formel“ eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der „Wesentlichkeit“ der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl. BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 19 f.; vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R, a.a.O., Rn. 33 ff). Ob eine Ursache rechtlich wesentlich ist, ist auch dann zu prüfen, wenn sie als alleinige Ursache festgestellt ist, weil andere (Mit-)Ursachen nicht erwiesen oder nicht in Betracht zu ziehen sind. Denn auch in diesem Fall wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn sich durch den Unfall, der durch die versicherte Verrichtung objektiv verursacht wurde, eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die die Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung (vgl. BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 21; vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R, a.a.O., Rn. 42).
a. Zur vollen Überzeugung des Senats steht folgender Geschehensablauf vor dem unter 1. beschriebenen Unfall am 05.10.2012 fest:
E war vor dem Unfall damit beschäftigt, ca. 20 bis 25 kg schwere Betonsteine aus einer Schubkarre zu nehmen und sie seinem Arbeitskollegen S, der in einer Grube an einer Hauswand stand, zuzureichen. Die Schubkarre stand dabei ca. 1 m von der Grube entfernt. Dies ergibt sich aus den Angaben des S gegenüber der Polizei im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und steht in Übereinstimmung mit der Aussage des G gegenüber der Polizei.
Als E dem S einen weiteren Stein übergeben hatte, erlitt E eine Synkope, fiel aus dem Stand nach hinten um und schlug mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf, so dass eine Platzwunde am Hinterkopf zu sehen war. Diesen weiteren Geschehensablauf stellt der Senat aufgrund der Angaben des G, die dieser nur 4 Tage nach dem Unfall gegenüber der Polizei gemacht hat, sowie aufgrund der Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen M fest.
G hat geschildert, dass er den geschilderten Arbeitsvorgang beobachtet hat und hierbei ausgeführt: „Nachdem er ihm einen Stein übergab, ist er einfach nach hinten umgefallen.“ Diese unmittelbare Wahrnehmung des G wird zusätzlich durch die Angaben des S gegenüber der Polizei gestützt, der das Umfallen des G zwar nicht selbst gesehen hat – da er in diesem Augenblick mit dem Rücken zu ihm beschäftigt war -, aber aufgrund der kurzen Distanz zwischen Grube und Schubkarre von nur 1 m ein Stolpern des E für unwahrscheinlich gehalten hat. Die Einschätzung der Entfernung von der Grube zur Schubkarre hat S anlässlich seiner Zeugeneinvernahme vor dem SG bestätigt. Auch G hat bei seiner Zeugeneinvernahme vor dem SG seine zeitnahe Aussage gegenüber der Polizei bestätigt, dass er gesehen habe, wie E umgefallen sei. Die Entfernung von seinem Standort zum Standort des E hat er auf ca. 10-15 m taxiert. Bei dieser Entfernung war es dem Zeugen G nach Auffassung des Senats möglich, den Vorgang vollumfänglich zu erfassen. Ohne Bedeutung ist es, dass G in Beantwortung einer persönlichen schriftlichen Anfrage der Klägerin während des erstinstanzlichen Verfahrens angegeben hat, unmittelbar vor dem Sturz nicht auf die genaue Fußstellung des E geachtet zu haben. Denn dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass G den gesamten Vorgang als Umfallen des E nach hinten wahrgenommen hat. Insbesondere liefert die Nichterweislichkeit der Fußstellung des E zum Zeitpunkt des Umfallens keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser gestolpert sein könnte. Vielmehr lassen sich den gesamten Angaben des einzigen unmittelbaren Augenzeugen G keine Anzeichen für ein Stolpern, Ausrutschen o.Ä. des E entnehmen.
Die Überzeugung des Senats, dass E im Augenblick vor dem Unfall vom 15.10.2012 eine Synkope erlitten hat und deswegen umgefallen ist, beruht auf den gutachtlichen Äußerungen des ärztlichen Sachverständigen M, die in Übereinstimmung mit den Angaben des G stehen. Der ärztliche Sachverständige M kommt in seiner medizinischen Beurteilung unter Auswertung des geschilderten Geschehensablaufs und der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu der gesicherten Diagnose einer Synkope ungewisser nosologischer Zuordnung. Dieses begründet er nachvollziehbar mit der Wahrnehmung des Zeugen G sowie mit dem Umstand, dass aufgrund der Verletzungsfolgen bei E aus medizinischer Sicht davon ausgegangen werden muss, dass der Sturz ohne jegliche Abstütz- und Abfangreaktionen einhergegangen ist. Als weiteres Indiz tritt hinzu, dass der Zeuge S nach seinen Angaben im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens E, den er schon länger kannte, am Unfalltag als nicht gut beieinander und schwächlich wahrgenommen hat. Er habe auch im Vergleich zu sonst nur sehr wenig gesprochen.
b. Der Senat kann sich im Hinblick auf die gutachtlichen Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen M nicht mit der hierfür notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die der festgestellten Synkope unmittelbar vorausgehende versicherte Tätigkeit des E wirkursächlich für diese geworden ist.
Der ärztliche Sachverständige M kann die von ihm diagnostizierte Synkope nicht ursächlich zuordnen und hat deshalb in seinem Gutachten die Diagnose einer „Synkope ungewisser nosologischer Zuordnung“ gestellt. Aufgrund der medizinischen Sachlage hält er einen epileptischen Anfall des E als Auslöser für möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich, eine kardiozirkulatorische Synkope für möglich, aber nicht positiv belegt und eine orthostatische Synkope für am wahrscheinlichsten. Dem Senat ist es daher schon nicht möglich, die Synkope mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einem bestimmten Umstand oder Verhalten ursächlich zuzuschreiben. Darüber hinaus hält der ärztliche Sachverständige das Zureichen eines einzelnen Betonsteins durch E nicht für geeignet, die Synkope verursacht zu haben. Aber auch im Zurreichen mehrerer Betonsteine über einen längeren Zeitraum durch E sieht der Senat keine Wirkursache im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Zwar benennt der ärztliche Sachverständige M das erwärmende Arbeiten des E am Unfalltag als einen Risikofaktor für eine (mögliche) orthostatische Synkope. Dies allerdings nur im Zusammenhang mit den von ihm bei E als sicher vorliegend angenommenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Hyponatriämie bzw. Exsikkose, Unwohlsein und autonome Polyneuropathie. In diesem Zusammenhang käme dem aufwärmenden Arbeiten des E allenfalls die Bedeutung einer conditio sine qua non, nicht aber die Bedeutung einer Wirkursache, also einer Bedingung, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung – Synkope – ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführt, zu. Vielmehr wäre dieses im Rahmen der bei E vorliegenden gesundheitlichen Gesamtlage als Randbedingung zu sehen. Denn zum einen handelt es sich bei der Körpererwärmung durch Arbeiten um einen Vorgang, der durch alltägliche häusliche, sportliche oder Freizeittätigkeiten ebenso ausgelöst in Gang gesetzt wird. Zum anderen steht das erwärmende Arbeiten in einer Reihe vielfältiger gleichwertiger Risikofaktoren, zu denen der ärztliche Sachverständigen zum Beispiel auch Wärme(einstrahlung) und Herumstehen zählt. Im Falle der Annahme einer orthostatischen Synkope wären also die bei E vorliegenden sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen „Hyponatriämie bzw. Exsikkose, Unwohlsein und autonome Polyneuropathie“ die maßgeblichen Wirkursachen gewesen.
c. Schließlich kann der Senat auch keine besonderen Verhältnisse an der Unfallstelle feststellen, die als betriebliche Umstände die Art und Schwere des Unfalles des E mitverursacht hätten (zur möglichen Mitursächlichkeit betrieblicher Umstände bei einem Arbeitsunfall siehe u.a. BSG vom 27.11.1986 – 2 RU 10/86, juris Rn. 14).
Der Senat hat bereits Bedenken, das Vorhandensein einer Rasenbordsteinkante am Unfallort – auf die E nach dem Vorbringen der Klägerin mit dem Kopf aufgeschlagen sein soll – als besonderes Verhältnis im genannten Sinne zu sehen. Denn das Vorhandensein einer Kante oder sonstigen Erhebung – z.B. auch in Gestalt eines abgestellten Gegenstandes – am Boden stellt keine betriebliche Besonderheit dar, sondern ist ein Umstand, wie er im alltäglichen Leben überall anzutreffen ist (siehe hierzu BSG vom 30.07.1971 – 2 RU 200/69, juris Rn. 20 zum Anschlagen mit dem Kopf an einem Toilettenbecken; Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 09.11.1983 – L 2 Ua 806/83-3, juris zum Sturz gegen eine Tischkante). Letztlich kann der Senat die Frage aber dahingestellt sein lassen, denn ein Aufschlagen des E an einer Rasenbordsteinkante und somit ein Einwirken der Rasenbordsteinkante auf den Kopf des E kann der Senat ohnehin nicht im Vollbeweis feststellen. Zwar hat G im Rahmen der persönlich vorgenommenen schriftlichen Befragung durch die Klägerin am 16.01.2014 angegeben, dass E so unglücklich gefallen sei, „damit er mit seinem Kopf genau auf der Betonkante aufgeschlagen ist.“ Allerdings steht dies im Widerspruch zu seinen Angaben im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens von 19.10.2012, dass E beim Sturz nach hinten „mit dem Hinterkopf auf die Teerdecke aufgeschlagen“ ist. Im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme vor dem SG am 14.03.2016 konnte sich G schließlich nicht mehr genau daran erinnern, ob E auf die Betonkante oder auf den Weg gefallen ist. Auch ansonsten finden sich keine Angaben oder Hinweise, die beim Senat eine an Sicherheit grenzende Gewissheit begründen könnten, dass E mit seinen Kopf auf der Rasenbordsteinkante aufgeschlagen wäre. So hat S im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren angegeben, dass E rücklings auf dem Asphalt des Gehweges gelegen sei, und bei seiner Zeugenaussage vor dem SG, dass er quer über einem asphaltierten Fußweg gelegen sei.
Nach alledem ist es dem Senat nicht möglich, den Unfall vom 15.10.2012 wirkursächlich auf die versicherte Tätigkeit des E oder damit einhergehende betriebliche Umstände zurückzuführen. Schon damit ist die Annahme eines Unfallzusammenhangs und im Weiteren eines Arbeitsunfalls i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen (vgl. dazu BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 18 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.


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