Sozialrecht

Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente

Aktenzeichen  L 19 R 208/12

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 123233
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
2 Zur Würdigung von Wertungswidersprüchen zwischen verschiedenen Gutachten (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 12 R 229/10 2012-02-16 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 43 SGB VI sind bei der Klägerin ausweislich des von der Beklagten übersandten Versicherungsverlaufs nur bis Juni 2012 gegeben. Weitere versicherungsrechtlich relevante Zeiten wurden von der Klägerin nicht benannt.
Der Klägerin ist es jedoch nicht gelungen, den Eintritt eines Leistungsfalles einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung bis spätestens Juni 2012 nachzuweisen.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass ein Nachweis nicht geführt werden konnte, dass das Leistungsvermögen der Klägerin dauerhaft auf unter sechs Stunden abgesunken ist. Die bei der Klägerin bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen stehen einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, sofern gewisse qualitative Leistungseinschränkungen beachtet würden. Es muss sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung handeln. Zudem bestehen Behandlungsoptionen der psychosomatischen Erkrankung.
Im laufenden Verfahren ist die Klägerin mehrfach untersucht und begutachtet worden. Dabei ist bei den internistisch-allergologischen Gutachten jeweils ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen für den allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt worden. Dies gilt für das internistische Gutachten von Dr. S. vom 07.09.2009 und auch das umweltmedizinische Gutachten von Dr. L. vom 25.03.2011. Beide Sachverständige weisen darauf hin, dass wesentliche körperliche Einschränkungen bei der Klägerin auf internistisch-allergologischem Fachgebiet definitiv nicht vorliegen. Einschränkungen der Lungenfunktion konnten nicht festgestellt werden. Eine Fibromyalgie oder sonstige rheumatische Erkrankung konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Die Laborwerte der Klägerin waren unauffällig mit Ausnahme eines leicht erhöhten Wertes einer Leukozytose. Anhaltspunkte für eine das quantitative Leistungsvermögen beeinträchtigende Erkrankung der Wirbelsäule bestehen bei der Klägerin ebenfalls nicht. Diese Beurteilung wird durch die vom Senat eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin nicht in Frage gestellt. Neue Erkenntnisse, die die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens von Amts wegen notwendig gemacht hätten, hatten sich hieraus nicht ergeben.
Problematisch ist vorliegend, dass das SG tatsächlich im Hinblick auf die psychische Erkrankung der Klägerin lediglich pauschal darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin noch mindestens sechsstündig tätig sein könne, weil die Sachverständigengutachten zu dem gleichen Ergebnis gelangt seien. Auf den Wertungswiderspruch zwischen dem Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie K. und des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. ist das SG nicht eingegangen. Während Herr K. zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Klägerin trotz der bei ihr bestehenden somatoformen autonomen Funktionsstörung, eines Spannungskopfschmerzes und eines Analgetika induzierten Kopfschmerzes noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich tätig zu werden und ausreichende Behandlungsoptionen bestünden, hat Dr. H. ein Leistungsvermögen der Klägerin für den allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, weil die Klägerin in ihrem organmedizinischen pseudowissenschaftlichen Bereich fixiert und einer Behandlung deshalb wohl nicht zugänglich sei.
Herr K. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21.12.2011 darauf hingewiesen, dass er vergleichbare Untersuchungsbefunde festgestellt habe wie Dr. H. und dass er sich die von Dr. H. getroffenen Einschätzungen des Leistungsvermögens der Klägerin nicht erklären könne.
Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 20.07.2009 tatsächlich keinerlei körperliche Einschränkungen der Klägerin finden können, weder auf internistischem noch auf orthopädischem Fachgebiet. Hinweise auf neurologische Beeinträchtigungen waren ebenfalls nicht zu finden. Der Reflexstatus war unauffällig. Es fand sich eine symmetrische Muskulatur, keine Atrophien, keine Faszikulationen, keine Paresen, keine Spastik. Arm- und Beinvorhalteversuch seien ohne Absinktendenz gewesen, allerdings ein deutlicher Haltetremor. Die Sensibilität war ungestört. Die Koordination unauffällig. Als psychischer Befund ist festgehalten, dass die Klägerin insgesamt unbefangen, sicher und dynamisch wirke, das Ausdrucksverhalten sei natürlich, Psychomotorik und Gestik seien lebhaft. Das äußere Erscheinungsbild sei gepflegt und angepasst. Es bestehe Bewusstseinsklarheit, Orientierung zur Person, Ort und Zeit regelrecht. Aufmerksamkeit sei gerichtet und ohne Abschweifungstendenzen, sichere Auffassung, gute Einstellungs- und Umstellungsfähigkeit. Der Gedankengang wird als geordnet und flüssig beschrieben. Intelligenz und Allgemeinbildung erscheinen durchschnittlich. Hörwerkzeugstörungen waren nicht zu finden. Des Weiteren wird aber berichtet, dass die Exploration der Klägerin immer wieder unterbrochen wurde, wenn die Klägerin signalisiert hatte, dass es ihr schwindlig werde. Sie hat dann darauf hingewiesen, dass sie sich nicht konzentrieren könne. Sie bitte, den Raum verlassen zu dürfen und komme dann nach wenigen Minuten wieder zurück. Ein zweites Mal mit gleichen Beschwerden habe sie gemeint, dass es besser würde, wenn sie eine Kleinigkeit esse und habe gebeten, während der Exploration essen zu dürfen. Sie signalisiere dann ein Abschotten, blicke zur Seite, atme schneller, kommentiere dies damit, dass sie hier wohl Strömungen ausgesetzt sei. Dabei wirke die Stimmung ausgeglichen, sie selbst berichte sachlich von ihren Beschwerden ohne große innere Beteiligung, ebenso über den Insult ihres Mannes oder das Ereignis, als sie ihren Sohn ins Internat geschickt habe. Dieses Ereignis berichtet sie, als sie nach einem Trauma in ihrem Leben gefragt wurde. Sie habe dies mit der Psychologin besprochen, auch hier vom Tonfall, von der Mimik wenig Beteiligung. Daneben wirke die Klägerin bei der Untersuchung sehr nervös, zittrig, schwitze und berichte selbst von Aufgeregtheit. Die durchgeführten Zusatzuntersuchungen EEG, einkanaliges Rhythmus-EKG und Tibialis SSEP haben normale Befunde ergeben, insbesondere die elektrophysiologische Untersuchung hat keine Hinweise für eine Störung der Leitfähigkeit, wie sie beispielsweise im Rahmen einer Polyneuropathie bei chronischen Intoxikationen auftreten könnten, ergeben.
Dr. H. kommt in seinem Gutachten zu der Feststellung, dass keine organischen gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, die neurologische inkl. elektrophysiologische Untersuchung keinerlei Anhaltspunkt für ein toxisch-neurologisches Syndrom ergeben habe. Subjektiv empfinde die Klägerin allerdings die Exploration als belastend, registrierte inneres Schwindelgefühl und Kopfdruck. Die Klägerin leide somit an einer Fülle sehr vielgestaltiger, zeitlich sehr wechselnder Körpersymptome ohne fassbares klinisches Korrelat. Diese Beschwerden würden von der Klägerin als Folge vermehrter Elektrosensibilität bzw. diverse Intoxikationen gedeutet. Sie sei in dieser Haltung fixiert durch den Befund der Allgemeinärztin/Umweltärztin (B. D.), auch durch den Befund des sozialmedizinischen Gutachtens (MDK-Gutachten Dr. P.), der ebenfalls die Diagnose einer ausgeprägten Elektrosensibilität gestellt habe. Die Symptomatik stehe im Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsplatzes Anfang 2008, den frustranen Bewerbungen einer leistungsorientierten Frau, der schweren Erkrankung des Ehemannes mit Hirnstamminsult Mitte 2008. Es bestehe eine vermehrte Neigung zur Introspektion und vermehrtem Erklärungsbedürfnis für Befindlichkeitsstörungen schon seit dem Jahr 2000. Die Klägerin sei voll auf der organmedizinischen, pseudowissenschaftlichen Schiene und sehe keine Angriffspunkte zu ihrer eigenen Biografie, die gefühlsmäßig stark abgewehrt würden. Die Klägerin lebe in dieser einseitig fixierten Überzeugung entsprechend seit einem halben Jahr mit ihrem Mann überwiegend in einem Wochenendhaus im Wald ohne Strom- und Wasserversorgung, habe sich hier auf minimalste Bedürfnisse eingerichtet, obwohl sie den früher gewohnten Sozialkontakt vermisse. Es ergäben sich keine Hinweise für eine endogene Psychose oder eine depressive Störung, stattdessen müsse man eine somatoforme Störung diagnostizieren, teilweise mit Paniksymptomatik (nächtlicher Notarzteinsatz), die im Sinne einer überwertigen Idee fixiert und nicht mehr hinterfragt würden. Deshalb bestehe kein Therapieansatz im Sinne einer Psychotherapie. Denkbar wäre, dass über einen längeren stationären Aufenthalt unter vorsichtiger Führung der Patientin auf der psychosomatischen Ebene eine Modifizierung des Lebensentwurfes gelänge, wobei es immer schwieriger sei, da die Umweltsensibilität sich naturwissenschaftlich bis heute nicht beweisen lasse und vorwiegend im ideologisch fixierten Rahmen stattfinde.
Dr. H. kommt dann aufgrund dieser Zusammenfassung zu dem Ergebnis, dass eine berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht bestehe. Das SG hat im Nachgang zu der ergänzenden Stellungnahme von Herrn K. die Auffassung vertreten, dass das Leistungsbild von Dr. H. im Endeffekt nicht nachzuvollziehen sei, weil er dieses im Einzelnen nicht begründet habe.
Der Facharzt K. gelangte in seinem Gutachten vom 12.11.2011 zu der Feststellung, dass bei der Klägerin keinerlei körperliche Befunde vorliegen, auch nicht auf neurologisch/psychiatrischer Ebene. Seine Feststellungen hinsichtlich des psychischen Befundes sind vergleichbar mit denen von Dr. H.. Inhaltliche Denkstörungen konnten nicht nachgewiesen werden, wenngleich sich die Klägerin auf die Beeinflussung durch elektromagnetische Felder und Funkwellen fixiert. Das Verhalten in der Untersuchungssituation sei sehr lebhaft ausgestaltet mit szenischen Elementen und Verdeutlichungstendenzen gewesen. Fragen zu psychosozialen Zusammenhängen seien zurückgewiesen worden. Während der eineinhalbstündigen Anamnese habe der gedankliche Faden aber gut gehalten werden können, es hätten sich keine Konzentrationsstörungen ergeben, die kognitiven und anamnestischen Funktionen hätten sich regelrecht dargestellt. Auch beim Facharzt K. zeigte die Klägerin inmitten des Anamnesegesprächs bzw. bei der Untersuchung Anfälle ihrer Symptome – wie Herr K. ausdrücklich festhält – inmitten ihrer Lebensschilderung. Fragen nach ihrer psychosozialen Situation, des Erlebens der Hirninfarkterkrankung des Ehemannes bzw. des Verlustes des Arbeitsplatzes würden als psychogene Erklärungsversuche abgelehnt. Sie möchte psychosoziale Zusammenhänge nicht betrachten, sondern wehrt diese Faktoren ab. Ihr Verhalten in der Untersuchungssituation zeigte Verdeutlichungstendenzen sowie Aggravationen. Es habe streckenweise hysterieform ausgestaltet gewirkt. Formalgedanklich war die Klägerin darauf fixiert, dass ihre sämtlichen Beschwerden durch elektromagnetische Felder bedingt sein müssten. Die von der Klägerin geschilderten Symptome ließen sich überwiegend dem vegetativen Nervensystem bis auf den festgestellten Spannungskopfschmerz bzw. einem Analgetika induziertem Kopfschmerz zuordnen. Da bis dahin eine primäre Erkrankung nicht habe gefunden werden können, müsse von einer somatoformen autonomen Funktionsstörung ausgegangen werden.
Hinsichtlich des Ausmaßes der Leistungseinschränkung ist festzuhalten, dass die von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen bei den Sachverständigen in erster Linie dann gezeigt wurden, als die Klägerin über ihren eigenen Lebensablauf Auskunft erteilt. Dabei sind die gezeigten Verhaltensmuster durchaus als bizarr zu umschreiben.
Aus den vorliegenden Akten ergeben sich durchaus relevante Anknüpfungspunkte einer psychosomatischen Leistungseinschränkung der Klägerin. So war die Klägerin nach ihrer Ausbildung nicht berufstätig, sondern hat ihren Sohn zur Welt gebracht, von dessen Vater sie sich nach kurzer Zeit hat scheiden lassen. Um für den Unterhalt des Kindes sorgen zu können, hat sie den Sohn in ein Internat „geben müssen“. Sie sei stets die Leistungsbewusste gewesen. Ihre Erwerbsbiografie ist mit Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Im Jahr 1993 hat sie offenbar ihren jetzigen Ehemann geheiratet, der bereits seit dem Jahr 2000 erwerbsgemindert ist und Rente bezieht und im Juni 2008 einen Hirnstamminfarkt erlitten hat. Infolge dessen und aufgrund einer schweren Augenerkrankung ist ihr Mann in großem Umfang auf ihre Hilfe und ihre Unterstützung angewiesen. Kurz vor dem Hirnstamminsult des Ehemannes hatte die Klägerin ihre Beschäftigung als Sekretärin infolge einer Standortschließung und dadurch bedingten betriebsbedingten Kündigung verloren, eine Tätigkeit, die sie offenbar sehr gerne und erfolgreich ausgeübt hatte. Hiervon berichtete sie mit Begeisterung, um dann relativ bald anschließend einen ihrer Anfälle zu bekommen. Im Jahr 2002 hatte die Klägerin sämtliche Amalgamfüllungen entfernen lassen, weil sie hier schon gesundheitliche Beeinträchtigungen empfunden hat. Im Jahr 2004 ist eine Ernährungsumstellung auf Trenn- und Biokost vorgenommen worden. Ihre gesundheitlichen Beschwerden, die ihrer Ansicht nach für den gestellten Rentenantrag relevant sind, ordnet sie „den nach Verlust der Arbeitsstelle vermehrten Aufhalten in der eigenen Wohnung“ zu. Ihre Beschwerden hätten sich im Frühjahr 2008 verstärkt und hier habe sie auch erkannt, dass sie auf elektromagnetische Strahlung reagiert. Zuerst durch das Anschaffen eines schnurlosen Telefons, später durch Handys, beeinflusst ihrer Meinung nach durch die fünf Nachbarn, die ebenfalls schnurlose Telefone gehabt hätten. Ihre lange Tätigkeit am Computer hätte zur Dekompensation geführt.
Ausgehend von dem Umstand, dass bei der Klägerin keine körperlichen oder nervlichen Symptome vorliegen, das Blutbild völlig unauffällig ist, sonstige Laborwerte unauffällig sind, kann davon ausgegangen werden, dass objektiv betrachtet eine gesundheitliche Einschränkung der Klägerin nicht vorliegt. Hinsichtlich der durch ihre vermeintliche Elektrosmogallergie ausgelösten Beschwerden zeigt die Klägerin durchaus erhebliche Inkonsistenzen. Herr K. spricht von Verdeutlichungstendenzen und Aggravationen, die sich so auch in den Gutachten der übrigen Sachverständigen wiederfinden. Die Inkonsistenzen im Sachvortrag der Klägerin bestehen bereits darin, dass sie sich selbst als leistungsbewusst und aktiv beschreibt, sie sich aber zu einer beruflichen Tätigkeit überhaupt nicht mehr in der Lage sieht, egal in welcher Art von Tätigkeit und in welchem zeitlichen Umfang. Gleichzeitig ist die Klägerin aber in der Lage, sich um die Pflege und Betreuung ihres hilfebedürftigen Ehemannes kümmern, obwohl sie sich mit ihm nach ihren eigenen Angaben ca. 20 Tage im Monat in einem einsamen Gartenhaus im Wald aufhält. Sie ist in der Lage, eine Fülle von notwendigen Arztterminen in einem engen zeitlichen Korridor zu organisieren, um sich so kurz wie möglich in ihrer „verstrahlten Wohnung“ in A-Stadt aufhalten zu müssen, in die sie wegen der Arzttermine ihres Mannes zurückkehren muss. Sie kann die notwendige Organisation ihres Alltags in dem Gartenhaus organisieren, obwohl dort kein Strom- und Wasseranschluss vorhanden ist. Wasservorräte werden mit Kanistern aus der Wohnung in A-Stadt in das Gartenhaus transportiert, obwohl ihr Mann ihr dabei nicht helfen kann. Trotz Elektrosensibilität verfügt die Klägerin im Gartenhaus über einen CD-Player, um Hörbücher zu hören. Sie empfindet Entlastung bei einem Ferienaufenthalt in Italien, weil sich der Ferienort in einer Talsenke befunden habe. Wie sie den Weg dorthin zurücklegen konnte, trotz allgegenwärtigen Elektroleitungen und Sendemasten, beschreibt sie nicht. Die Klägerin hat angegeben, in ihrem Haus in A-Stadt im Fahrradkeller zu nächtigen, schließlich in einem Kellerabteil und schließlich musste dieses Kellerabteil sogar mit entsprechenden Abschirmmaßnahmen wie einem Stoffbaldachin abgeschirmt werden. Trotz dieses massiven Vermeidungsverhaltens wird der Zustand der Klägerin nach ihrer eigenen Einschätzung aber nicht besser.
Aus den vom Senat beigezogenen Befundberichten geht im Übrigen auch eine Besserung durch Behandlungsmaßnahmen hervor. So hat Dr. D. angegeben, dass die Beschwerden der Klägerin sich unter Corticoideinnahme und Vitamin B 12 deutlich gebessert hätten. Dr. E. hat in seinem Befundbericht von Schmerzen der Klägerin berichtet und kam zu einem Verdacht auf rheumatoide Polyarthritis, die aber mit NSRR, selbstständigen Bewegungsbädern und Krankengymnastik durchaus behandelbar sei. Behandlungsoptionen werden durch die Klägerin jedoch nicht wahrgenommen.
Dr. H. hatte in seinem Gutachten zwar aufgrund der massiven Fixierung der Klägerin auf ihre Elektrosensibilität als Krankheitsursache keine Behandlungsmöglichkeiten mehr gesehen. Diese Einschätzung wird von den anderen Sachverständigen aber grundsätzlich nicht geteilt, allenfalls wird der Wille der Klägerin bezweifelt, sich einer Behandlung gegenüber aufgeschlossen zu zeigen. Trotz ihrer Fixierung und trotz ihrer vermeintlich jahrelangen Leidensgeschichte zeigt die Klägerin – zumindest bis Juni 2012, dem letztmaligen Vorliegen der notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbminderungsrente – keine körperlichen Krankheitssymptome und ist zu einer Organisation ihres Tages- und Lebensablaufs und zu einer Versorgung und Pflege ihres kranken Ehemannes in der Lage. Nachdem auch entsprechende Hinweise auf psychodynamische Geschehnisse gegeben sind, die grundsätzlich durchaus einer psychotherapeutischen oder auch psychiatrischen Behandlung zugänglich wären, kann nach Ansicht des Senats erst dann von einer Unüberwindbarkeit der psychischen Störung ausgegangen werden, wenn Behandlungsoptionen erfolglos ausgeschöpft wurden. Ein solcher Nachweis, dass die psychische Erkrankung der Klägerin bereits seit spätestens Juni 2012 unüberwindbar gewesen ist, konnte bislang nicht erbracht werden.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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