Sozialrecht

wegen Gerichtskosten

Aktenzeichen  L 14 R 470/17 B

Datum:
26.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30485
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 12, § 172, § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2,
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Sofern in einem Urteil Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG verhängt werden, muss auch in dem Urteil eine Entscheidung über die Höhe der Verschuldenskosten getroffen werden.
Eine Aufsplittung der Entscheidung über die Verhängung von Missbrauchskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG in eine Kostengrundentscheidung mittels Urteil (mit Beisitzern), und die Festsetzung der Höhe der Kosten durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung (ohne Beisitzer) ist bei der einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung, auch im Hinblick auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz, nicht zulässig.

Verfahrensgang

S 4 R 945/15 2017-06-14 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Juni 2017, mit dem dem Kläger wegen rechtsmissbräuchlicher Prozessführung Gerichtskosten in Höhe von 600,00 Euro auferlegt wurden, aufgehoben.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeververfahren trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten.
Im Rahmen eines Klageverfahrens auf die Gewährung von Erwerbsminderungsrente vor dem Sozialgericht Augsburg fand am 14.06.2017 eine mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht in der Streitsache statt. Der Kläger war mit seinem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung anwesend. In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger von der Vorsitzenden darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Sozialgerichts Augsburg die Fortsetzung des Klageverfahrens rechtsmissbräuchlich sei und vom Gericht beabsichtigt sei, von der Möglichkeit der Kostenauferlegung nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Gebrauch zu machen. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung noch näher begründet (vgl. Niederschrift zur öffentlichen Sitzung am 14.06.2017).
Nachdem der Kläger trotz des gerichtlichen Hinweises sein Klagebegehren weiter verfolgte, verkündete das Gericht ein klageabweisendes Urteil unter dessen Ziffer III des Tenors ausgeführt wurde:
„Der Kläger trägt die Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG wegen der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung in noch festzusetzender Höhe“.
Mit Beschluss vom 22.06.2017 setzte das Sozialgericht Augsburg die vom Kläger wegen rechtsmissbräuchlicher Prozessführung zu tragenden Gerichtskosten auf 600,00 Euro fest. In dem Beschluss wurde darauf verwiesen, dass mit Urteil vom 14.06.2017 das Gericht dem Grunde nach darüber entschieden habe, dass der Kläger die Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG wegen der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung in noch festzusetzender Höhe zu tragen habe. Der Kläger habe ohne nachvollziehbare Gründe den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl das Gericht ihm die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt hätte und auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung der Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen habe. Der Kostenbetrag von 600,00 Euro bestimme sich nach einer überschlägigen Schätzung nach § 202 SGG i.V.m. § 287 ZPO. Bei der Schätzung der Höhe der Gerichtskosten seien neben der Abfassung der schriftlichen Entscheidung entstehende Kosten des Richters und der Mitarbeiter auch allgemeine Gerichtshaltungskosten miteingeflossen.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.06.2017 wurde am 27.07.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Az.: L 14 R 468/17).
Unter dem gleichen Datum wurde gegen den Beschluss vom 22.06.2017 bezüglich der Festsetzung der Höhe der Verschuldens- und Missbrauchskosten Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Die Auferlegung der Kosten wegen Rechtsmissbräuchlichkeit sei aufzuheben, da dieser Beschluss rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze.
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Die Beschwerde ist statthaft.
Die Beschwerde an das Bayer. Landessozialgericht findet nach § 172 Abs. 1 SGG gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statt, so weit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Zwar hätte vorliegend die Entscheidung über die Höhe der Mutwillenskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG mit der verfahrensbeendenden Entscheidung (hier: Urteil, vgl. dazu die Ausführungen weiter unten) getroffen werden müssen. Nachdem das Sozialgericht Augsburg jedoch mittels Beschluss vom 22.06.2017 die Höhe der Mutwillenskosten festgesetzt hat, handelt es sich um eine Entscheidung im Sinne des § 172 Abs. 1 SGG.
Die Beschwerde ist auch nicht ausgeschlossen. Die Auferlegung von Verschuldenskosten ist eine Entscheidung des Gerichts und unterfällt damit nicht dem Ausschluss von Beschwerden gegen Verfügungen des Vorsitzenden nach § 172 Abs. 2 SGG. Die weiteren Ausschlusstatbestände des § 172 Abs. 3 Nr. 3 und 4 SGG beschränken sich auf Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG und Entscheidungen nach § 192 Abs. 4 SGG. Beschwerden gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 1 SGG, wie vorliegend, sind infolge dessen nicht ausgeschlossen.
Die Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte nicht mittels Beschluss über die Höhe der Mutwillenskosten entscheiden dürfen.
Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil, oder wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist.
Inwieweit diese Voraussetzung für das Verhängen von Missbrauchskosten vorliegend vorlagen, kann offen bleiben.
Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG hat nämlich bei Abschluss eines Verfahrens durch Urteil (oder Gerichtsbescheids, oder Beschlusses nach § 153 Abs. 4, § 158, § 169 SGG) die Entscheidung über die Verhängung von Missbrauchskosten sowie deren Höhe in der verfahrensbeendenden Entscheidung zu ergehen. Der Ausspruch erfolgt im Tenor. Die Kosten sind dabei genau zu beziffern (vgl. jurisPK zum SGG, § 192 Rn. 72 zitiert nach juris, Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., Rn. 19 zu § 192 SGG).
Diese gesetzliche Vorgabe hat das Sozialgericht Augsburg mit der angegriffenen Entscheidung nicht beachtet. Das Verfahren hinsichtlich der begehrten Erwerbsminderungsrente des Klägers wurde mit Urteil vom 14.06.2017 in der ersten Instanz beendet. Infolge dessen hätte nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG auch die umfassende Entscheidung über die Verhängung von Missbrauchskosten (einschließlich deren Höhe) im Urteil mit tenoriert werden müssen.
Vorliegend hat das Sozialgericht Augsburg in Ziffer III des Tenors dem Kläger dagegen nur dem Grunde nach Kosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auferlegt, nicht jedoch der Höhe nach. Dies erfolgte erst mit hier angegriffenem Beschluss vom 22.06.2017. Dies verstößt gegen Wortlaut und Sinn und Zweck des § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Zum einen bezieht sich das „kann“ im Wortlaut des § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG nur auf das Ermessen ob Missbrauchskosten zu verhängen sind, nicht jedoch auf die zu ergehende Entscheidungsform.
Zum anderen handelt es sich bei der Entscheidung des Gerichts im Falle der Verhängung von Missbrauchskosten um eine einheitliche Ermessensentscheidung anhand der Umstände des Einzelfalles. Dabei sind Grad der Missbräuchlichkeit, Schwere des Verschuldens, Höhe der entstandenen Kosten, wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen sowie die Frage, ob diese beigetrieben werden können, mit zu berücksichtigen (vgl. u.a. Urteil des BSG vom 12.02.2015, Az.: B 10 ÜG 8/14 B). Für eine Aufteilung der Kostenentscheidung in eine Kostengrundentscheidung und ein Kostenfestsetzungsverfahren in dem über die Höhe der Kosten entschieden wird (ähnlich wie bei § 193 SGG i.V.m. § 197 SGG), ist bei einer einheitlichen Ermessensentscheidung kein Raum.
Schließlich verstößt eine solche Vorgehensweise auch gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz.
Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG kann „das Gericht“ Missbrauchskosten verhängen. Sofern ein Urteil das Verfahren beendet, ist hierüber im Urteil zu befinden. Durch Urteil nach § 125 SGG hat das Sozialgericht nach §§ 125, 129, 9 und 12 Abs. 1 SGG besetzt mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern als „Gericht“ zu entscheiden. Nur bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Eine Aufsplittung der Entscheidung über die Verhängung von Missbrauchskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG in eine Kostengrundentscheidung mittels Urteil (mit Beisitzern), und die Festsetzung der Höhe der Kosten durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung (ohne Beisitzer) bei der einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung, ist daher auch im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz nicht zulässig.
Die Beschwerde des Klägers ist daher erfolgreich. Die außergerichtlichen Kosten des erfolgreichen Klägers hat die Staatskasse zu erstatten. Wie bei Beschwerden von Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen gegen Ordnungsgeldbeschlüsse ist nur der jeweilige Beschwerdeführer beteiligt, mithin nicht die Beklagte, da sie auch nicht als Kostenschuldner in Betracht kommt. In entsprechender Anwendung des § 46 Gesetz über Ordnungswidrigkeit i.V.m. § 467 Strafprozessordnung ist Kostenschuldner infolge dessen die Staatskasse (vgl. Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 30.11.2017, Az.: L 4 P 4479/17 B).
Diese Entscheidung kann nicht mehr angefochten werden, § 177 SGG.


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