Sozialrecht

Zu den Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II

Aktenzeichen  L 16 AS 782/16

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31450
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 34 Abs. 1 S. 1
SGB X § 45, § 48
SGB XII § 103 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Voraussetzung für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ist, dass die Leistungen, für die ein Ersatz geltend gemacht wird, rechtmäßig gewährt wurden, d.h. mit dem materiellen Recht in Einklang standen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der Gesetzessystematik, einer historischen Auslegung sowie nach dem Willen des Gesetzgebers. (Rn. 28 – 32)
2. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, wenn die Leistung nicht zu gewähren war, weil der Kläger über verwertbares Vermögen verfügte. Auf die Frage, ob dem Kläger ein sozialwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, kommt es dann nicht an. (Rn. 33)
1.  Voraussetzung für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ist, dass die Leistungen, für die ein Ersatz geltend gemacht wird, rechtmäßig gewährt wurden, dh mit dem materiellen Recht in Einklang standen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der Gesetzessystematik, einer historischen Auslegung sowie nach dem Willen des Gesetzgebers (Rn. 28-32). (redaktioneller Leitsatz)
2.  Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, wenn die Leistung nicht zu gewähren war, weil der Kläger über verwertbares Vermögen verfügte. Auf die Frage, ob dem Kläger ein sozialwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, kommt es dann nicht an (Rn. 33). (Redaktionelle Leitsätze) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 45 AS 2052/14 2016-09-29 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 29. September 2016 und der Bescheid vom 23.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2014 aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts vom 29.09.2016 und der Bescheid vom 23.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2014 sind aufzuheben. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der Kläger verfolgt sein Begehren zu Recht mit einer isolierten Anfechtungsklage, § 54 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011 liegen nicht vor, weil die dem Ersatzanspruch zugrundeliegenden Bewilligungsentscheidungen nicht rechtmäßig waren. Der Kläger war wegen entgegenstehendem Vermögen nicht hilfebedürftig (§§ 7, 9, 12 SGB II).
Nach § 34 Abs. 1 SGB II ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich oder an Personen, die mit in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.
Nach Auffassung des Senats ist Voraussetzung für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II, dass die Leistungen, für die ein Ersatz geltend gemacht wird, rechtmäßig gewährt wurden, d.h. mit dem materiellen Recht in Einklang standen. Nur dann kann die Herbeiführung der Leistungsvoraussetzungen schuldhaft verursacht worden sein. Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dies für die bis 31.03.2011 geltende Fassung offengelassen (vgl. BSG 16.04.2013, B 14 AS 55/12 R, Rn. 26 zitiert nach juris). In neueren Entscheidungen des BSG hat dieses die Sozialwidrigkeit verneint und sich zur Frage der Notwendigkeit einer rechtmäßigen Leistungsgewährung nicht geäußert. Es hat aber stets das „Vorliegen weiterer Voraussetzungen“ neben dem Herbeiführen der Leistungsgewährung betont (vgl. BSG, 08.02.2017, B 14 AS 3/16, Rn. 19, 22).
Die Notwendigkeit einer rechtmäßigen Bewilligungsentscheidung für die Anwendung des § 34 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011 lässt sich bereits dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen. Das Erfordernis einer rechtmäßigen Leistungsgewährung ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, mit der die „sozialwidrige“ Herbeiführung der Leistungsvoraussetzungen sanktioniert wird. Mit dem Anknüpfen an die „Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II selbst bestehen muss. Das vorwerfbare Verhalten, das sanktioniert wird, liegt vor der Leistungsgewährung und muss für die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit kausal sein. Die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung müssen deshalb für einen Ersatzanspruch vorliegen. Verdeutlicht wird dies durch die Gesetzesfassung des § 34 SGB II vom 26.07.2016 mit dem ein neuer Satz 2 in die Vorschrift eingefügt wurde. Danach gilt als Herbeiführen im Sinne des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.
Auch die Gesetzessystematik spricht für dieses Verständnis des § 34 SGB II. Dem Beklagten stehen bei einer rechtswidrigen Leistungsgewährung die §§ 45, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zur Verfügung, mit der Möglichkeit den Bewilligungsbescheid ggf. auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Im Anwendungsbereich des § 34 SGB X ist für das Bestehen eines Ersatzanspruchs keine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung erforderlich. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung dürfen bei einem Ersatzanspruch gerade nicht vorliegen, da die Leistungsvoraussetzungen gegeben sein müssen, mithin die Leistungen in rechtmäßiger Weise gewährt worden sein müssen. Nur dann ist der Anwendungsbereich des § 34 SGB II eröffnet (vgl. Silbermann in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 34 SGB II, Rn. 18f; Schwitzky in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 34 Rn. 3, 6).
Diese Auslegung ist auch historisch begründbar. § 34 SGB II ist mit § 103 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vergleichbar, der § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nachgebildet wurde. Hierzu hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass eine an sich rechtmäßige Leistungsgewährung erforderlich ist. Dies folge laut BVerwG bereits daraus, dass nur die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung schuldhaft herbeigeführt worden sein müssen. Ein Anspruch auf Kostenersatz jedoch nur dann entstehe, wenn dem Leistungsträger nicht vorgeworfen werden kann, er habe die Leistung von vornherein nicht zu gewähren brauchen (BVerwG 14.01.1982, 5 C 70/80; BVerwG 5.5.1983, 5 C 112/81, zu § 92a BSHG, Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII).
Mit der geänderten Normüberschrift („sozialwidrig“) hat dies der Gesetzgeber auch in den Gesetzesmaterialien ab 01.04.2011 zum Ausdruck gebracht (BR-Drs. 661/10, 182 zu § 34). Den Bezug auf die frühere Rechtsprechung des BVerwG kann auch den Urteilen des BSG entnommen werden, in denen es die „Sozialwidrigkeit“ verneint und auf die außerhalb des SGB II und früheren Vorschriften bei der Auslegung der Vorschrift abgestellt hat (vgl. BSG, 08.02.2017, B 14 AS 3/16, Rn. 19, 22; BSG, 16.04.2013, B 14 AS 55/12 R, Rn. 18).
Es kann deshalb dahinstehen, ob dem Kläger ein sozialwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, weil die Gewährung der Leistungen für die ein Ersatz nach § 34 SGB II vom Beklagten verlangt wird, anfänglich rechtswidrig war. Der Kläger verfügte über verwertbares Vermögen nach § 12 SGB II das über dem Freibetrag nach § 12 Abs. 2 SGB II lag; er war nicht hilfebedürftig (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Nach § 12 Abs. 1 SGB II sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände als Vermögen zu berücksichtigen. Das Waldgrundstück des Klägers, das dieser bei Antragstellung angegeben hatte, ist Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II. Es fällt nicht unter § 12 Abs. 3 S. 1 (insbesondere Nr. 4) SGB II, weil es sich nicht um ein selbstgenutztes Hausgrundstück handelt. Das Vermögen war verwertbar im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II. Tatsächliche oder rechtliche Verwertungshindernisse liegen nicht vor. Die Verwertung erfolgte dann auch tatsächlich im Juli 2014. Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II bestehen nicht. Das Waldgrundstück war ausweislich des Grundbuchauszugs nicht belastet.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Antragstellung im Januar 2013 und im Mai 2013 hatte das Waldgrundstück einen Verkehrswert zwischen 12.340 € und 14.191 € (§ 12 Abs. 4 SGB II) von dem nach Abzug des Freibetrages zwischen 4.390 € und 4.240 € anrechenbar waren (§ 12 Abs. 2 SGB II). Der Wert ergibt sich aus der Auskunft des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für den Zeitpunkt 2012/2013. Der Kläger selbst hat im Juli 2014 einen Kaufpreis von 25.000 € erzielt. Dass der Kläger bei Antragstellung im Januar 2013 den Wert mit 100 € angegeben und der Beklagte auf den früheren Vermerk aus dem Jahr 2009 hinsichtlich des Wertes abgehoben hat, ist ohne Auswirkung. Wesentliche Änderungen des Verkehrswertes sind zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 4 S. 2 SGB II). Auch der Beklagte ist verpflichtet den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Er hatte zudem alle notwendigen Angaben, um eine Wertermittlung durchzuführen. Ein etwaiger Irrtum oder eine Fehleinschätzung des Beklagten ist ohne Belang.
Vom Vermögen sind gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II 7.200 bzw. 7.350 € und gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II 750 €, insgesamt 7.950 bzw. 8.100 € als Freibetrag abzusetzen. Das Vermögen des Klägers überschritt den Freibetrag selbst bei Ansatz des konservativsten Wertes von 12.340 € um 4.390 € bzw. 4.240 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 1 und 2 Nr. 1 SGG). Die Rechtsfrage, ob für den Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung vom 13.05.2016, die identisch mit § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 ist, eine rechtmäßige Leistungsgewährung Voraussetzung ist, hat grundsätzliche Bedeutung.


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