Strafrecht

Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Aktenzeichen  10 CS 20.1850

Datum:
8.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24606
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 81b Alt. 2

 

Leitsatz

Aufgrund des präventiven Charakters einer erkennungsdienstlichen Behandlung kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, BeckRS 2006, 21480 Rdnr. 20). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 S 20.1609 2020-06-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragssteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. April 2020, mit dem die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angeordnet wurde, weiter.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof noch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.
Soweit der Antragssteller rügt, die Sofortvollzugsanordnung sei entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO überhaupt nicht begründet worden, greift dies nicht durch. Diese offensichtlich unzutreffende Behauptung hatte der Bevollmächtigte des Antragstellers bereits erstinstanzlich aufgegeben (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 22. Juni 2020). Mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Begründung auf Seite 6 des angegriffenen Bescheids genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.
Im Übrigen beschränkt sich das Beschwerdevorbringen auf die Rüge, das Verwaltungsgericht habe bei der nach § 81b Alt. 2 StPO erforderlichen Prüfung der Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung insofern zu Unrecht auch auf die angebliche „Vortat“ vom 23. Juni 2018 abgestellt, als der Kläger von dem entsprechenden Tatvorwurf mit Urteil des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 7. Oktober 2019 rechtskräftig freigesprochen worden sei. Damit kann die Beschwerde nicht durchdringen.
Die Notwendigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen beurteilt sich grundsätzlich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 6 C 2.05 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die für diese Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich insbesondere aus Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, aus seiner Persönlichkeit sowie seinem bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbild (stRspr des Senats; vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2009 – 10 CS 09.1854 – juris Rn. 12; B.v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 8). Aufgrund des präventiven Charakters dieser Maßnahme kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005, a.a.O.). Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrundeliegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2016 – 10 CS 16.2069 – juris Rn. 10). Dasselbe gilt, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen wurde, der Freispruch aber den Restverdacht nicht vollständig ausgeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2002 – 24 C 02.2268 – juris Rn. 10 zur erkennungsdienstlichen Behandlung; B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 17 für die weitere Speicherung von im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen).
Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht die „Vortat“ vom 23. Juni 2018 trotz des erfolgten Freispruchs zu Recht in seine Gefahrenprognose einbezogen. Der Antragsteller wurde vom Amtsgericht freigesprochen, weil ein Tatnachweis „nicht mit einer zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit“ zu erbringen war (vgl. S. 2 des UA). Der Restverdacht gegen den Kläger, dessen Anwesenheit am Tatort zur Tatzeit das Amtsgericht – trotz anderslautender Angaben des Antragstellers – festgestellt hat (vgl. S. 6 des UA), ist damit nicht vollständig entfallen. Eine erwiesene Unschuld hat das Amtsgericht gerade nicht festgestellt.
Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht seine Gefahrenprognose nicht lediglich auf die „Vortat“, sondern vor allem („v.a.“, vgl. S. 9 des BA) auf die Anlasstat vom 22. September 2019 gestützt, hinsichtlich derer der Antragsteller soweit ersichtlich nach wie vor als Beschuldigter einer gemeinschaftlich begangenen und damit gefährlichen Körperverletzung geführt wird und dabei auf die augenfälligen Parallelen von „Vortat“ und Anlasstat hinsichtlich Tatort, Deliktsart und Begehungsweise verwiesen. Diesen zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts tritt die Beschwerde nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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