Strafrecht

Vorverauslagung von Portokosten eines Gefangenen

Aktenzeichen  5 Ws 71/18 (R)

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53588
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG VV Nr. 2 S. 2 zu § 28, § 109, § 115 Abs. 5, § 116 Abs. 1, 121
BayStVollzG Art. 31 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Fortbildung des Rechts liegt nur dann vor, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen und des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (BGH, Beschluß vom 12.11.1970 – 1 StR 263/70, BeckRS 9998, 108984). Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde unter diesem Gesichtspunkt soll dem Oberlandesgericht die Möglichkeit gegeben werden, seine Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtunggebenden Weise zum Ausdruck zu bringen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen und fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. In jedem dieser Fälle muss eine Nachprüfung „geboten sein“, d.h. die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung muss sich aufdrängen und darf nicht nur nahe liegen.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Gefangener hat grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch auf die Frankierung seiner Briefe aus Steuermitteln; die Portokosten für seine Briefe sind also regelmäßig von ihm selbst zu tragen. Eine Übernahme der Portokosten durch die Anstalt kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn der Schriftwechsel in einem bestimmten Umfang für die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen erforderlich ist und der Gefangene unverschuldet über die entsprechenden Mittel aus dem Haus- oder Eigengeld nicht verfügt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12.10.2012, 2 Ws 357/12 Vollz, BeckRS 2013, 399). Ein an ein Gericht adressiertes Schreiben stellt nicht per se einen „begründeten Fall“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG für eine Kostenübernahme dar.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Rechtsprechung hat über die positiv geregelten gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 1 StVollzG hinaus Rechtsbeschwerden auch dann zugelassen, wenn die angegriffene Entscheidung auf unzureichenden tatsächlichen Feststellungen beruht oder die rechtlichen Erwägungen so unzureichend sind, dass die angegriffene Entscheidung einer rechtsbeschwerdegerichtlichen Nachprüfung unzugänglich ist.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
5. Schließlich lässt die obergerichtliche Rechtsprechung der Rechtsbeschwerdegerichte in Strafvollzugssachen eine Rechtsbeschwerde wegen der Schwere der Rechtsverletzung auch dann zu, wenn die angegriffene Entscheidung das rechtliche Gehör des Antragstellers nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 Ws 71/18 (R) 2018-09-18 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 18. September 2018 wird kostenfällig als unzulässig verworfen.
II. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 50 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller befindet sich zur Verbüßung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kaisheim.
1. Am 12. Juli 2018 beantragte der Verurteilte, einen dem Antrag beigelegten Brief an die StVK zu frankieren mit der Begründung, dass er zur Zeit keine Briefmarke habe. Am 13. Juli 2018 wurde dem Antragsteller mündlich eröffnet, dass diesem Antrag nicht entsprochen werde, da Briefmarken nur an bedürftige Gefangene während der Zugangsphase ausgegeben würden.
2. Mit Schreiben vom 13. Juli 2018, bei Gericht eingegangen am 18. Juli 2018, stellte der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109 ff StVollzG. Er beantragte, festzustellen, dass die Ablehnung der Brieffrankierung rechtswidrig gewesen sei, hilfsweise, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die JVA zu einer erneuten Verbescheidung zu verpflichten.
2. Mit Schreiben vom 07. August 2018 nahm die JVA zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung Stellung. Sie ist der Auffassung, dass der Feststellungsantrag schon nicht zulässig sei, da kein Feststellungsinteresse ersichtlich sei. Jedenfalls aber sei der Antrag unbegründet, da die Anstalt nach Art. 31 Abs. 3 BayStVollzG in begründeten Fällen die Frankierung von Post übernehmen könne, dazu aber nicht verpflichtet sei, wenn kein besonderer Grund vorliege. Ein solcher Grund, insbesondere eine Eilbedürftigkeit der Sendung, habe nicht vorgelegen.
3. Der Antragsteller äußerte sich zur Stellungnahme der JVA mit Schreiben vom 03. September 2018 u.a. dahingehend, dass auch nicht eilbedürftige Briefe, zumal wenn sie an ein Gericht adressiert seien wie hier, zu frankieren seien.
4. Mit Beschluss vom 18. September 2018, dem Antragsteller am 26. September 2018 zugestellt, wies die Strafvollstreckungskammer (StVK) den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kostenpflichtig zurück. Die StVK führte u.a. aus, dass für den Feststellungsantrag wegen Wiederholungsgefahr zwar möglicherweise ein Feststellungsinteresse bestehe und er damit zulässig sei, jedoch in jedem Falle unbegründet, weil der Antragsteller durch die Maßnahme nicht in seinen Rechten verletzt sei.
5. Zu Niederschrift der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Nördlingen legte der Antragsteller am 10. Oktober 2018 Rechtsbeschwerde ein und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragte die Aufhebung des Beschlusses der StVK und eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts, hilfsweise die Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung. Er ist der Auffassung, die Rechtsbeschwerde sei gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da die Nachprüfung der Entscheidung der StVK der Fortbildung des Rechts diene. Die Frage des Anspruchs auf Postfrankierung durch die JVA auf Kosten eines Gefangenen sei obergerichtlich klärungsbedürftig.
5. Die Generalstaatsanwaltschaft München nahm am 13. November 2018 zum Rechtsbeschwerdevorbringen Stellung und beantragte, die Rechtsbeschwerde als unbegründet kostenfällig zu verwerfen, da der Beschluss der StVK keinen Rechtsfehler erkennen lasse.
II.
Die nach § 116 Abs. 1 StVollzG statthafte Rechtsbeschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt, erweist sich jedoch vor dem Hintergrund der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollz als unzulässig, da die Nachprüfung der Entscheidung der StVK weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist und auch sonst kein Zulassungsgrund vorliegt.
1. Die Fortbildung des Rechts liegt nur dann vor, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen und des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (BGHSt 24, 15, juris Rn. 30). Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde unter diesem Gesichtspunkt soll dem Oberlandesgericht die Möglichkeit gegeben werden, seine Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtunggebenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen und fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (BGH aaO). In jedem dieser Fälle muss eine Nachprüfung „geboten sein“, d.h. die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung muss sich aufdrängen und darf nicht nur nahe liegen. Diese besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
a) Soweit die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Feststellungsantrags in Frage stehen, liegt eine entsprechende Klärung durch obergerichtliche Rechtsprechung vor (vgl. Callies/Müller-Dietz StVollzG, 11. Aufl., § 115 Rn. 13 m.w.N.).
b) Hinsichtlich des Anspruchs eines Gefangenen auf Vorverauslagung von Portokosten durch die JVA findet sich in Art. 31 Abs. 3 BayStVollzG eine abschließende Regelung. Zur inhaltsgleichen Verwaltungsvorschrift VV Nr. 2 Satz 2 zu § 28 StVollzG ist obergerichtlich geklärt, dass ein Gefangener grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch auf die Frankierung seiner Briefe aus Steuermitteln hat, die Portokosten für seine Briefe also regelmäßig von ihm selbst zu tragen sind und eine Übernahme der Portokosten durch die Anstalt nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, wenn der Schriftwechsel in einem bestimmten Umfang für die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen erforderlich ist und der Gefangene unverschuldet über die entsprechenden Mittel aus dem Haus- oder Eigengeld nicht verfügt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. Oktober 2012, 2 Ws 357/12 Vollz, juris Rn. 11). Ein an ein Gericht adressiertes Schreiben stellt danach nicht per se einen „begründeten Fall“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG für eine Kostenübernahme dar.
2. Die Rechtsprechung hat über die positiv geregelten gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 1 StVollzG hinaus Rechtsbeschwerden auch dann zugelassen, wenn die angegriffene Entscheidung auf unzureichenden tatsächlichen Feststellungen beruht oder die rechtlichen Erwägungen so unzureichend sind, dass die angegriffene Entscheidung einer rechtsbeschwerdegerichtlichen Nachprüfung unzugänglich ist (Calliess/Müller-Dietz aaO, § 116 Rn. 3). An solchen schweren tatsächlichen oder rechtlichen Mängeln leidet der angefochtene Beschluss nicht. Bei der Entscheidung der JVA über die Übernahme der Postfrankierung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die wegen des damit verbundenen Beurteilungsspielraums der JVA nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 115 Abs. 5 StVollzG). Fehlerhaft wäre die Ermessensentscheidung insbesondere dann, wenn sie auf unrichtigem Sachverhalt oder auf unvollständigen tatsächlichen Grundlagen beruhen würde. Weiter wäre die Ermessensentscheidung fehlerhaft, wenn sie die gesetzlich gebotene Abwägung aller relevanten Umstände vermissen lassen würde. Die StVK hat in ihrer Entscheidung die Ermessensentscheidung der JVA auf Ermessensfehler überprüft. Die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung hat sich dabei in vollem Umfang auf die Ermittlung und die Feststellung des Sachverhalts, auf dem die Entscheidung der JVA beruht, erstreckt (vgl. dazu Callies/Müller-Dietz aaO, § 115 Rn. 20). Auch die rechtlichen Erwägungen sind nicht unzureichend, insbesondere hat die StVK die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen sich ein Anspruch eines Gefangenen auf Verauslagung der Portokosten ergeben kann, nicht verkannt.
3. Schließlich lässt die obergerichtliche Rechtsprechung der Rechtsbeschwerdegerichte in Strafvollzugssachen eine Rechtsbeschwerde wegen der Schwere der Rechtsverletzung auch dann zu, wenn die angegriffene Entscheidung das rechtliche Gehör des Antragstellers nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (Calliess/Müller-Dietz aaO, § 116 Rn.3). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, da der Antragsteller im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens gemäß §§ 109 ff StVollzG ausreichend Gelegenheit hatte, Stellung zu nehmen.
III.
1. Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 121 StVollzG, 473 Abs. 1 StPO.
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers an der Entscheidung des Senats auf §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.


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