Strafrecht

Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (abgelehnt), Ausländerrecht, Herkunftsland Türkei, Verurteilung wegen Vergewaltigung

Aktenzeichen  M 4 S 21.2371

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51199
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 53 Abs. 1
AufenthG § 53 Abs. 3
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. c
AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 1 Nr. 4
Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80)
ARB 1/80 Art. 14

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
II. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine Ausweisung, die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und die Abschiebungsandrohung in die Türkei.
Der am … … … geborene, 45-jährige, verheiratete Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist in …Türkei geboren, in der Türkei aufgewachsen und besuchte dort fünf Jahre die Schule. Im Mai 1994 reiste er zum Zweck der Arbeitsaufnahme ohne das erforderliche Visum nach Deutschland (Bl. 187, 278 Behördenakte (im Folgenden: BA)).
Der Antragsteller heiratete am … … 1994 eine deutsche Staatsangehörige und erhielt in der Folge am 10. November 1994 eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Seit dem 8. Dezember 1998 befindet sich der Antragsteller im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nach einer zu einem unbekannten Zeitpunkt erfolgten Scheidung heiratete der Antragsteller am … … 2001 seine jetzige Ehefrau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, eine Tochter, geboren am … … 2003, und ein Sohn, geboren am … … 2005, die deutsche Staatsangehörige sind (Bl. 187, 278 BA).
Nach Hilfstätigkeiten im Straßenbau und in einer Bäckerei arbeitete der Antragsteller zuletzt nach eigenen Angaben in Vollzeit im Straßenbau und hatte einen monatlichen Nettoverdienst von 2.2000 bis 3.000 Euro (Bl. 187, 278 BA). Der Antragsteller gab im Rahmen der mündlichen Verhandlungen gegenüber dem Amtsgericht … an, Schulden infolge von Kreditverträgen in unbekannter Höhe zu haben (Bl. 187 BA).
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … August 2016, im Rechtsfolgenausspruch mit Beschluss des Amtsgerichts … vom … Oktober 2016 geändert, wurde der Antragsteller wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen à 25 Euro verurteilt. Dem Strafbefehl lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Am … Juli 2016 gegen 13:30 Uhr verletzte der Antragsteller die Geschädigte, indem er ihr mit dem linken Handrücken ins Gesicht schlug, während er in der Hand noch einen Schlüsselbund hielt. Hierdurch erlitt die Geschädigte einen Kratzer an der Unterlippe und nicht unerhebliche Schmerzen. Zudem beschimpfte der Antragsteller die Geschädigte mit Worten wie „Schlampe“ und „Arschloch“ und äußerte ihr gegenüber, sie solle sich den Schlüssel „in den Arsch schieben“. Vorausgegangen war ein Streit mit der Geschädigten, die als Vorgesetzte des Antragstellers in dessen Nebenjob, von diesem verlangte, andere Stockwerke als üblich zu reinigen. In der Beschuldigtenvernehmung bestritt der Antragsteller die Vorwürfe und gab an, dass die Geschädigte gelogen habe. Zu Gunsten der Geschädigten sagten zwei Zeugen, die den Schlag beobachtet hatten, aus (Strafakte zum Verfahren … … … … …16).
Der Antragsteller trat weiter am *. April 2017 strafrechtlich in Erscheinung: Am *. April 2017 ab ca. 21:00 Uhr feierten die Zeugin und die Geschädigte erheblich alkoholisiert zunächst bei der Zeugin und später in der Diskothek „…“ in M* … Dort konsumierte die Geschädigte weiterhin eine erhebliche Menge Alkohol, so dass sie sich in einem sehr schlechten körperlichen Zustand befand. Die Geschädigte verließ zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt am *. April 2017 vor 4:48 Uhr die obige Diskothek und begab sich zum Taxistand in die G* … Straße. Dort wartete der Antragsteller in seinem Pkw, um Personenbeförderungen gegen Bezahlung vorzunehmen, obwohl er die dafür erforderliche Personenbeförderungserlaubnis nicht besaß. Die Geschädigte stieg in den Pkw des Antragstellers. Auf der Fahrt musste sich die Geschädigte aufgrund ihres übermäßigen Alkoholkonsums übergeben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte der Antragsteller, dass sich die Geschädigte in einem körperlichen Zustand befand, in dem sie zumindest in der Bildung oder Äußerung ihres Willens erheblich eingeschränkt war. Zudem fasste er spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluss, diesen Zustand der Geschädigten auszunutzen und sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Der Antragsteller setzte seine Fahrt fort. Die Geschädigte, die sich auf dem Beifahrersitz befand, schlief dabei aufgrund ihres erheblich alkoholisierten Zustands immer wieder ein. Der Angeklagte griff daraufhin zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 4:48 Uhr und 6:59 Uhr mit seiner rechten Hand unter die Leggins und die Unterhose der Geschädigten und drang zumindest mit einem Finger vaginal ein. Die Geschädigte konnte sich aufgrund ihres sehr schlechten körperlichen Zustands nicht dagegen wehren. Sie versuchte lediglich den Arm des Angeklagten wegzudrücken, was jedoch misslang. In der Folge fuhr der Angeklagte zu einer nicht näher bekannten Örtlichkeit in … und hielt dort den Pkw an. Er begab sich über die Mittelkonsole zur Geschädigten in den Beifahrerbereich, so dass er sich zum Teil zwischen ihren Beinen und zum Teil auf der Geschädigten befand. Er zog daraufhin die Leggins und die Unterhose der Geschädigten zumindest bis zu deren Knien herunter und holte seinen erigierten Penis hervor. Im Anschluss drang der Angeklagte ohne Kondom vaginal bei der Geschädigten ein und vollzog so den ungeschützten Geschlechtsverkehr. Die Geschädigte konnte sich aufgrund ihres weiterhin bestehenden sehr schlechten körperlichen Zustandes nicht dagegen wehren, was der Angeklagte erkannte und ausnutzte. Nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs ließ er von der Geschädigten ab, fuhr sie an die Zieladresse und ließ sie aussteigen.
Der Kläger wurde aufgrund der Zuordnung von DNA-Materials mit Haftbefehl vom 9. Februar 2018 ab 13. Februar 2018 in Untersuchungshaft genommen (Strafakte … … …18, Band I, Bl. 94 ff.). Mit Beschluss vom 24. Mai 2018 setzte das Amtsgericht … den Haftbefehl vom 9. Februar 2018 unter Auflagen außer Vollzug (Strafakte … … …18, Band I, Bl. 212). Der Antragsteller wurde am 25. Mai 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen (Strafakte /18, Band I, Bl. 225).
Gegen den Antragsteller wurde erneut ab Oktober 2017 wegen des dringenden Verdachts der Vergewaltigung, später geändert in den Verdacht eines sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung ermittelt (Strafakte … … …20/18, Bl. 1, 48). Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Am *. Oktober 2017 fuhr die Geschädigte stark alkoholisiert zwischen 1:15 und 1:45 Uhr mit einem Zivilfahrzeug, das in einer Taxischlange eingereiht war, nach Hause. Aufgrund ihrer Alkoholisierung schlief die Geschädigte ein. Sie erwachte, als der Taxifahrer mit seinen Fingern in ihre Scheide eingedrungen war. Panikartig stieß die Geschädigte den Taxifahrer zurück und flüchtete aus dem Taxi. Wegen der Ähnlichkeit der Vorgehensweise beider Taten, der Angaben der Zeugen sowie der Spurengutachten des Instituts für Rechtmedizin erließ das Amtsgericht … am 13. Dezember 2018 einen Haftbefehl gegen den Antragsteller wegen des dringenden Tatverdachts der Vergewaltigung (Strafakte … … …20/18, Bl. 51 ff.).
Mit Beschluss des Amtsgericht … vom … Dezember 2018 wurde der Haftbefehl vom 9. Februar 2018 aufgrund wiederholten Verstoßes gegen die Meldeauflagen wieder in Vollzug gesetzt (Strafakte … … …18, Band II, Bl. 301). Der Antragsteller wurde am 19. Dezember 2018 erneut in Untersuchungshaft genommen (Strafakte … … …18, Band II, Bl. 323).
Mit Urteil vom … November 2018 verurteilte das Amtsgericht … den Antragsteller wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten, § 177 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 1 StGB (814 Ls … … …18). Der Verurteilung lag der Sachverhalt vom *. April 2017 zu Grunde. Der Kläger erklärte im Rahmen eines Haftprüfungstermins, dass einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen ihm und der Geschädigten mit einem Kondom stattgefunden habe. Die Initiative sei von der Antragstellerin ausgegangen; sie habe anschließend Geld von ihm verlangt (Strafakte … … …18, Band I, Bl. 287 ff.). Eine Einlassung zur Tat während der gerichtlichen Verhandlungen fand nicht statt.
Mit Urteil des Landgerichts München I vom … April 2019 (26 Ns … … …18) wurden die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts … vom … November 2018 als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass der Angeklagte zur Freiheitsstrafe von 2 Jahren acht Monaten verurteilt wird. In der mündlichen Verhandlung beschränkte der Antragsteller nach Rücksprache mit seinem Rechtsbeistand die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch. Laut der Urteilsbegründung sei der Antragsteller im Zusammenhang mit seiner Berufungsbeschränkung nunmehr wie ein geständiger Täter zu behandeln. Dies, eine gewisse alkoholische Enthemmung sowie dass die Tatzeit schon länger zurückliege, führe daher zum Ausspruch der Rechtsfolge (Strafakte … … …18, Band II, Bl. 351 ff.).
Mit Beschluss vom *. September 2019 verwarf das Bayerische Oberlandesgericht die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom … April 2019, mit der ebenfalls die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben werden sollten, als unbegründet (Strafakte … … …18, Band II, Bl.378 ff.). Das Urteil des Landgerichts München I wurde am 9. September 2019 rechtkräftig (Strafakte … … …18, Band II, Bl.351). Ab dem 10. September 2019 verbüßte der Kläger seine Freiheitsstrafe (Bl. 267 BA). Er wurde am 19. September 2019 in die Justizvollzugsanstalt … … … verlegt (Strafakte … … …20/18, Bl.96).
Mit Beschluss der Staatsanwaltschaft München I vom *. Dezember 2019 wurde ein Verfahren gegen den Antragsteller wegen Sozialhilfebetrugs (* … … …7/19) nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt und gemäß § 43 OWiG zur Verfolgung an die Verwaltungsbehörde abgegeben (Bl. 195 BA). Grund hierfür war die Verurteilung des Antragstellers mit Urteil des Landgericht München I vom … April 2019. Der Antragsteller bezog ausweislich der Ermittlungen vom 1. Juni 2018 bis 24. Juni 2018 und vom 2. November 2018 bis 27. Januar 2019 Arbeitslosengeld und gab hierbei nicht an, dass er eine geringfügige Nebenbeschäftigung in demselben Zeitraum ausübte.
Die Staatsanwaltschaft München I stellte das weitere Verfahren wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung (* … … …20/18) nach § 154 Abs. 1 StPO mit Beschluss vom *. April 2020 ein (Bl. 218 BA). Grund hierfür war zum einen die Verurteilung mit Urteil des Landgericht München I vom … April 2019. Dass der Antragsteller der Täter war, war zum Zeitpunkt der Einstellung wegen der schlechten Qualität der entnommenen DNA-Proben nicht ausgeschlossen, aber auch nicht zweifelsfrei feststellbar. Das Ergebnis des Gutachtens sei nach fernmündlicher Aussage des Gutachters zwar als deutlicher Hinweis auf den Antragsteller als Spurenverursacher zu werten. Allein anhand des Gutachtens werde ein Tatnachweis jedoch nur schwer zu führen sein. Aufgrund fehlender weiterer Ermittlungsergebnisse und der durch Alkoholisierung stark eingeschränkten Aussagen der Geschädigten und des Zeugens zur Person des Täters, könne die Täterschaft wohl nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden (Strafakte … … …20/18 Bl. 45, 48, 115).
Mit jeweils an den Antragsteller und dessen Ehefrau gerichteten Schreiben vom 12. Dezember 2019 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller und dessen Ehefrau zur beabsichtigten Ausweisung an (Bl. 221, 225 BA).
Ausweislich eines Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt … … … vom 6. Februar 2020 führt sich der Antragsteller gut. Er erhält regelmäßig Besuch von seiner Familie. Über seine Einstellung zur Strafe sei nichts bekannt. Er habe Schulden in Höhe von ca. 60.000 Euro, wobei es sich teilweise um Schulden aus Glückspiel handele. Ob eine Glücksspielproblematik vorliege, müsse noch geklärt werden. Alkohol sei er gewohnt, ob suchttherapeutische Maßnahmen in Betracht kommen, müsse noch geklärt werden. Eine sozialtherapeutische Maßnahme für Sexualstraftäter sei indiziert. Aktuell erscheine er jedoch nicht geeignet, weil der verbleibende Strafrest nicht für die Teilnahme an einer Sozialtherapie ausreiche (Bl. 258 BA).
Mit Schreiben vom … Januar 2020 trug die Bevollmächtigte zur Anhörung vor, dass der Kläger seit dem Jahr 1994 durchgehend erwerbstätig gewesen sei. Er habe unzweifelhaft eine Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr nach Art. 14 ARB 1/80 sei nicht ersichtlich. Der Antragsteller sei erst einmal wegen eines Sexualdelikts in Erscheinung getreten und habe sich jahrzehntelang straffrei im Bundesgebiet aufgehalten. Für eine negative Prognose gebe es keine Anhaltspunkte. Er könne wegen seiner Ehefrau und seiner Kinder besondere Bleibeinteressen geltend machen. Die Familie halte trotz der Verurteilung zusammen, was sich an den regelmäßigen Besuchen der Familienmitglieder ergebe. Die Kinder seien hier geboren und aufgewachsen, die familiäre Lebensgemeinschaft könne daher in der Türkei nicht fortbestehen. In der Türkei habe der Antragsteller sich seit Jahrzehnten nur noch zu Urlaubs- und Besuchszwecken aufgehalten. Seit seiner Jugend sei er im Bundesgebiet wohnhaft und sozial, familiär und wirtschaftlich stark verwurzelt. Sozialleistungen habe er nie bezogen außer zur Überbrückung von Wintermonaten (Bl. 263 ff. BA).
Mit Bescheid vom 22. April 2020 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an und befristete es unter der Bedingung, dass Straf- und Drogenfreiheit nachgewiesen wird, auf die Dauer von fünf Jahren ab der Ausreise, bei Nichteintritt der Bedingung auf sieben Jahre (Nr. 2). Dem Antragsteller wurde angekündigt, dass er nach erfülltem Strafanspruch des Staates und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Haft in die Türkei abschoben werde. Sollte er aus der Haft entlassen werden, bevor die Abschiebung durchgeführt werden könne, sei der Antragsteller verpflichtet, das Bundesgebiet bis spätestens vier Wochen nach Entlassung und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Nr. 3). Zur Begründung des auf § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG gestützten Bescheids wurde angeführt, die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Die zum 1. Januar 2016 und 21. August 2019 in Kraft getretenen Neuerungen des Ausweisungsrechts stellten nach ständiger Rechtsprechung keine relevante Verschlechterung i.S.d. Art. 13 ARB 1/80 dar, da sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden könne, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Das persönliches Verhalten des Antragstellers stelle gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Schon vor der aktuellen Verurteilung sei der Antragsteller mit einem Körperverletzungsdelikt aufgefallen, das zum einen durchaus auf eine gewisse Geringachtung des weiblichen Geschlechts, zum anderen auch auf eine durchaus vorhandene kriminelle Energie schließen lasse. Die psychische und physische Gesundheit des Opfers sei durch den Übergriff des Antragstellers erheblich beeinträchtigt worden. Die Straftat habe das Landgericht veranlasst, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten zu verhängen. In die Strafzumessung flössen auch spezialpräventive Überlegungen zur Gefährlichkeit des Antragstellers ein. Seit der Einreise habe der Antragsteller bestenfalls eine halbherzige Rechtstreue an den Tag gelegt. Die Antragsgegnerin führt hierzu die zweimalige Einreise ohne Visum sowie die Verletzung der Mitteilungspflichten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit an. In der Gesamtschau handele es sich um vergleichsweise geringe Vergehen, die jedoch belegen, dass die Hemmschwelle zur Begehung von Gesetzesverstößen eher gering sei. Die Vorverurteilung habe den Antragsteller zudem offensichtlich in keiner Weise beeindruckt. Die geschilderte Schläfrigkeit und behauptete eingeschränkte Erinnerung an den Tathergang werte die Ausländerbehörde als Schutzbehauptung. Bis zum heutigen Tag habe der Antragsteller die Tat nicht eingeräumt, zeige keine aufrichtige Reue oder Einsicht. Es sei von einem fehlenden Unrechtsbewusstsein und fehlendem reflektierenden Denken auszugehen. Insbesondere bei Sexualdelikten bleibe ohne eine tiefgehende Straftataufarbeitung das Risiko für erneute Straftaten bestehen. Die indizierte sozialtherapeutische Therapie könne aufgrund der Haftdauer jedoch nicht durchgeführt werden. Der Umstand der erstmaligen Verurteilung könne ihm bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr nur bedingt zu Gute gehalten werden. Zum einen sei zwischenzeitlich ein weiteres Verfahren wegen eines Sexualdelikts anhängig, das nach § 154 StPO eingestellt worden sei. Zum anderen handele es sich nicht ausschließbar um ein „Gelegenheitsdelikt“ mit der Gefahr, dass eine sich bietende Gelegenheit in Zukunft erneut genutzt werde könnte. Bei Verurteilungen wegen Sexualdelikten sei es gerechtfertigt, an die Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten nur geringe Anforderungen zu stellen und in der Regel einen genügenden spezialpräventiven Anlass für die Ausweisung auch dann anzuerkennen, wenn lediglich die entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten bestehe. Ausweisungsinteressen bestünden nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a) AufenthG. Die Bleibeinteressen wögen ebenfalls besonders schwer (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG). In der Abwägung wird festgestellt, dass die Folgen einer Ausweisung den Antragsteller selbst unter Würdigung des langen Aufenthalts sowie der hier bestehenden familiären Bindungen gegenüber einer womöglich ungesicherten Situation in der Türkei zwar schwer träfen, aber nicht unverhältnismäßig seien. Trotz des vermeintlich stabilen familiären Umfelds sei die massive Straftat begangen worden. Der Kontakt der Familie könne auch in der Türkei mittels moderner Medien oder Heimatbesuchen aufrecht erhalten bleiben. Eine nachträgliche Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bleibe vorbehalten. Auf die Begründung des Bescheids im Übrigen wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Mit Schriftsatz vom … Mai 2020, eingegangen bei Gericht per Telefax am selben Tag, erhob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen diesen Bescheid und beantragte, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. April 2020 aufzuheben (M 4 K 20.2121).
Die Antragsgegnerin übermittelte am 24. Juni 2020 die Behördenakte und beantragte mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020, die Klage abzuweisen.
Auf gerichtliche Anforderung im Klageverfahren vom 25. Februar 2021 wurden dem Gericht von der Staatsanwaltschaft München I die Strafakten zu den Aktenzeichen … … …20/18, … … …7/19, … … …18, … … … … …16 übersandt.
Mit Änderungsbescheid vom 16. April 2021 ergänzte die Antragsgegnerin den Ausgangsbescheid vom 22. April 2020 und ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids vom 22. April 2020 an. Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 22. April 2020 ausgeführt, dass das Ende der Strafhaft des Antragstellers aktuell für den 4. Juni 2021 vorgesehen sei, eine Abschiebung aus der Haft heraus jedoch geplant werde. Überwiegende öffentliche Belange, die es rechtfertigten, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen lägen vor. Der Sofortvollzug müsse als Präventivmaßgenahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahr erforderlich sein und über jenes Interesse hinausgehen, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertige. Es müsse die begründete Besorgnis bestehen, die vom Ausländer ausgehende, mit der Aufenthaltsbeendigung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor dem rechtskräftigen Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens realisieren. Ein solches besonderes Vollzugsinteresse liege vor. Es sei konkret damit zu rechnen, dass der Antragsteller im Fall eines Zuwartens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Streitverfahrens gegen die Ausweisung weiterhin die öffentliche Sicherheit durch Straftaten, namentlich in Gestalt von Sexualstraftaten, in schwerwiegender Weise beeinträchtige. Zum Bestehen einer konkreten Wiederholungsgefahr werde auf den Bescheid vom 22. April 2020 verwiesen. Die Höhe der Freiheitsstrafe des Antragstellers übersteige das Minimum des Tatbestands des § 54 Abs. 1 Nr. 1a. c) AufenthG bei weitem. Der Antragsteller habe sich dazu hinreißen lassen, eine schwer alkoholisierte Frau zu vergewaltigen. Er habe den sehr schlechten Zustand der Geschädigten bewusst ausgenutzt, um sexuelle Handlungen zu begehen. Es sei zweimal in den Körper der Geschädigten eingedrungen worden und der Geschlechtsverkehr sei vollständig ohne Kondom vollzogen worden. Beachtenswert erscheine hierbei, dass der Antragsteller am frühen Morgen an einem Taxistand wartete, um Personenbeförderung ohne Bezahlung vorzunehmen, obwohl hierfür keine Erlaubnis bestand. Es bestehe vor dem Hintergrund der erheblichen Schulden die Gefahr, dass der Antragsteller erneut versuchen werde, durch Personenbeförderung seine Einkommenssituation aufzubessern und erneut in ähnliche Situationen zu geraten. Das konkrete Vorgehen, am Taxistand vor Diskotheken mit dem Privatfahrzeug zu warten, erhöhe die Gefahr für potentielle Opfer, da nachts viele Frauen Taxis benutzen, um vor (sexuellen) Übergriffen sicher zu sein. Es bestehe ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den weiblichen Fahrgästen und dem Beförderer, dass der Antragsteller durch sein Verhalten schwer missbraucht habe. Diese Täuschung der Geschädigten lasse auf planmäßiges Vorgehen schließen und erhöhe die Gefahr weiterer ähnlich gelagerter Straftaten. Berücksichtigt werden müsse, dass kein Geständnis abgelegt worden sei bzw. der Antragsteller sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen habe. Nach dem Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 6. Februar 2020 habe eine Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung nicht erfolgen können. Es sei keinerlei Aufarbeitung der deliktsursächlichen Defizite und der Sexualdelinquenz erfolgt. Daher sei der Antragsteller als Risikoproband einzustufen. Ohne tiefgreifende Aufarbeitung bestehe das erhöhte Risiko weiterer Straftaten fort. An der Risikoeinschätzung ändere die Tatsache einer geplanten Führungsaufsicht nach Haftentlassung nichts. Die Gefahr weiterer ähnlich gelagerter Sexualdelikte bestehe jedoch mindestens bis zum erfolgreichen Abschluss einer derartigen Therapie, die sich auch über einen langen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken könne. Da eine solche noch nicht einmal begonnen worden sei, sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, wie diese verlaufen und ob sie erfolgreich sein werde. Auch zum Zeitpunkt der Vergewaltigung habe der Antragsteller bei seiner Familie gelebt und sei einer geregelten Arbeit nachgegangen, so dass sich diese Umstände nach der Entlassung nicht positiv auswirken könnten. Auch unter Berücksichtigung, dass sich der Antragsteller in der Haft gut geführt habe, von seiner ersten Inhaftierung wohl anzunehmender Weise beeindruckt sei und während des anhängigen Streitverfahrens rechtstreues Verhalten in seinem eigenen Interesse sei, läge nach vorgesagtem die konkrete Gefahr weiterer schwerer Sexualdelikte vor rechtskräftigem Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens vor. Bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen im Rahmen der Ermessensentscheidung überwögen die öffentlichen Interessen. Auf die Begründung der Sofortvollzugsanordnung im Übrigen wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Mit Schriftsatz vom … April 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag per Fax, beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage (M 4 K 20.2121) gegen den Bescheid vom 22.04.2020 wiederherzustellen.
Mit Schriftsatz vom *. Mai 2021 begründete die Bevollmächtigte den Eilantrag dahin gehend, dass der rechtlichen Würdigung im angefochtenen Bescheid vom 22. April 2020 nicht gefolgt werden könne. Es liege schon keine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor. Der Antragsteller habe sich bereits frühzeitig um eine Therapiemöglichkeit bemüht, die ihm wegen des geringen Strafrests verwehrt worden sei. Es könne nicht zu Lasten des Antragstellers gehen, dass das Strafverfahren so lange gedauert habe. Der Antragsteller sei therapiewillig und -geeignet. Ihm sei im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegt worden, eine Therapie durchzuführen. Es wäre paradox, denjenigen zu begünstigen, der wegen einer schweren Tat eine längere Haftzeit abzusitzen habe und deshalb eine Therapie absolvieren könne. Es erschließe sich nicht, inwieweit es dem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen solle, den Antragsteller untherapiert abzuschieben. Eine Therapie sei unzweifelhaft erforderlich. Die Familie des Antragstellers werde unzweifelhaft im Bundesgebiet verbleiben, so dass dieser nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Wege des Familiennachzugs die Wiedereinreise in das Bundesgebiet beantragen und untherapiert einreisen werde. Eine Führungsaufsicht in Kombination mit der auferlegten Therapie sei zum Schutz der Öffentlichkeit daher wirkungsvoller und zielorientierter. Die Ausweisung sei daher nicht unerlässlich. Weiterhin sei festzustellen, dass das Landgericht München I den Antragsteller zu einer Freiheitsstrafe im unteren Bereich des Strafrahmens verurteilt habe. Die Rückschlüsse der Antragsgegnerin auf eine fehlende Einsicht und Reue aufgrund des anfänglichen Bestreitens und des fehlenden Geständnisses im Strafverfahren seien mit dem Gesetz nicht vereinbar. Jeder Angeklagte habe das Recht zu schweigen, was – auch bei Ausländern – nicht zu seinem Nachteil gewertet werden dürfe. Zudem habe das Strafgericht zu Recht die Geständnisfiktion der Berufungsbeschränkung angenommen und zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt, da dem Opfer hierdurch die überaus belastende Aussage und eine Glaubwürdigkeitsprüfung erspart bleibe. Letztendlich komme dies der ausdrücklichen Erklärung, dass es richtig sei, was in der Antragsschrift stehe, gleich, was selbstverständlich ein von Reue und Einsicht geprägtes Verhalten darstelle. Es könne nicht im Sinne der Rechtsordnung sein, dass bei fehlendem Geständnis und damit einhergehend höherer Belastung des Opfers eine längere Haftzeit vom Landgericht festgesetzt worden wäre, dadurch dem Antragsteller die Haftzeit für eine Therapie gereicht hätte. Eine klauselkonforme Anwendung der Standstillklausel liege nicht vor. Nach der alten Gesetzeslage seien die Ausweisungsvorschriften auf Assoziationsberechtigte nicht anwendbar gewesen, jedoch die Höhe der Verurteilung bei den Ermessenserwägungen als Entscheidungskriterium herangezogen worden. In jedem Fall seien die Grundsätze des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (a.F.) berücksichtigt und als Mindestmaßstab angesetzt worden, wonach schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53, 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG (a.F.) vorgelegen hätten. Verurteilungen unter drei Jahren begründeten demnach in der Regel keine schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Selbst im Falle des (subsidiären) besonderen Ausweisungsschutzes wäre lediglich eine Ermessensausweisung in Betracht gekommen. Eine Ausweisung eines Assoziationsberechtigten wegen einer einzigen Verurteilung unter drei Jahren wäre daher nach der alten Rechtslage nicht möglich gewesen. Weiter sei von wesentlicher Bedeutung, dass das AufenthG als Reaktion auf die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht gerade im Hinblick auf Sexualstraftaten aus generalpräventiven Gründen erheblich verschärft worden sei, ein Assoziationsberechtigter jedoch nur aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden könne. Die Gesetzesänderung könne daher nicht zu Lasten des Klägers angewandt werden und verstoße bei einer Verurteilung wegen einer Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe unter drei Jahren gegen die StandstillKlausel. Die Gefahrprognose der Antragsgegnerin könne nicht geteilt werden. Der Antragsteller sei kein mehrfach vorbestrafter Triebtäter. Unmittelbar nach Haftentlassung werde er sich in Therapie begeben. Nach dem bisherigen Leben und Verhalten spreche nichts für eine Wiederholungsgefahr. Die Entscheidung sei weiter ermessensfehlerhaft, da die Bleibeinteressen die Ausweisungsinteressen erheblich überwögen und die Interessen der Ehefrau und Kinder nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Betretenserlaubnisse seien in Zeiten der Pandemie wenig sinnvoll, da das Reisegeschehen möglichst geringgehalten werden sollte. Weiter sei die Rechtsmittelbelehrungdes Änderungsbescheids vom 22. April 2021 fehlerhaft, so dass der Bescheid aufzuheben sei.
Auf gerichtliche Anforderung übersandte die Justizvollzugsanstalt … … … dem Gericht einen Entwurf eines Vollzugsplans vom 7. Mai 2021 für den Antragsteller. Auf den Inhalt wird Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 teilte die Antragsgegner mit, dass beabsichtigt sei, den Antragsteller am 18. Mai 2021 abzuschieben.
Auf telefonische Anforderung des Gerichts vom 12. Mai 2021 legte die Antragsgegnerin am selben Tag eine elektronische Akte vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, auch im Klageverfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie die im Klageverfahren beigezogenen Strafakten.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
I. Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. April 2020 ist zulässig.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung in Ziffer 1 des Bescheids vom 22. April 2020 ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft, weil in Nr. 1 des so benannten Änderungsbescheids vom 16. April 2021 die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wird. Eine Sofortvollzugsanordnung stellt selbst keinen Verwaltungsakt dar (BVerwG, U.v. 12.05.1966 – II C 197.62 – BeckRS 1966, 512 Rn. 38; Eyermann/Hoppe, VwGO-Kommentar, § 80 Rn. 42).
II. Der Antrag ist aber unbegründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzgl. der Ausweisung in Nr. 1 des Bescheids vom 22. April 2020 ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht in formaler Hinsicht dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO.
Die Ausführungen genügen den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Begründung einer Anordnung des Sofortvollzugs durch die Behörde im Falle einer Ausweisung (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 – juris Rn. 42 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Ausweisung eine schwerwiegende Maßnahme dar, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers und seiner Angehörigen eingreift. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erheblich verschärft. Für die Anordnung des Sofortvollzugs muss daher ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Es muss die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren.
Die Antragsgegnerin hat mit dem Hinweis auf die konkrete Gefahr der Begehung neuer Straftaten im Bereich der Sexualdelikte durch den Antragsteller zu erkennen gegeben, dass sie ein Abwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr zum Schutz höchster Rechtsgüter nicht für vertretbar hält. Vom Antragsteller gehe gegenwärtig eine konkrete, hohe Wiederholungsgefahr aus. Es sei wegen der ungeklärten finanziellen Situation zu erwarten, dass der Antragsteller nach Haftentlassung wieder unerlaubte Personenbeförderungen vornehmen werde und daher wieder in Situationen kommen werde, die der Tatbegehung zu Grunde gelegen habe. Eine Therapie des Antragstellers und eine Aufarbeitung der Tat habe trotz Indikation nicht stattgefunden. Hohe Rechtsgüter stünden in der erheblichen Gefahr durch die konkrete Tatbegehung in der Vergangenheit erneut verletzt zu werden. Die beförderten alkoholisierten Frauen seien nicht in der Lage, sich selbst zu schützen. Die Rückkehr in die Familie könne nicht für den Antragsteller sprechen, da er auch zum Zeitpunkt der Anlasstat dort lebte. Eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles falle trotz der gewichtigen Interessen des Antragstellers zu seinen Lasten aus. Damit sind die Gründe für die Anordnung des Sofortvollzuges unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und im Bewusstsein von dessen Ausnahmecharakter hinreichend dargetan.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 22. April 2020 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Es überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.
I. Der Bescheid der Antraggegnerin ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht verweist auf die zutreffenden Ausführungen im ausführlich begründeten Bescheid, sowie des Schreibens vom 16. April 2021 und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Darüber hinaus gilt folgendes:
Die Ausweisung des Antragstellers ist unter Berücksichtigung des im Klageverfahren anzulegenden Maßstabs (1.) voraussichtlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum aktuellen Zeitpunkt rechtmäßig, weil die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung verhältnismäßig und für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (3.).
1. Der Antragsteller darf trotz seines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 ausgewiesen werden Stehen dem Ausländer – wie hier dem Antragsteller als türkischem Staatsangehörigen – Rechte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation – ARB 1/80 – zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen; denn der Ausländer darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
2. Gegenwärtig geht vom persönlichen Verhalten des Antragstellers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U. v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Der Rang des bedrohten Rechtsguts bestimmt dabei die mögliche Schadenshöhe, wobei jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden dürfen (BVerwG, U. v. 10.7.2012, a.a.O.).
Wegen des hohen Rangs des bedrohten Rechtsguts, der zu befürchteten schwerwiegenden Folgen einer weiteren Straftat und dem Vorliegen eines Grundinteresses der Gesellschaft sind geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen (2.1.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage fest, dass das persönliche Verhalten des Antragstellers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (2.2.).
2.1. Der Kläger wurde wegen Vergewaltigung einer stark alkoholisierten Frau verurteilt.
Die Straftat des Klägers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit dar und bildet einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung deutlich hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 1.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 15).
Die psychischen Folgen sexueller Übergriffe sind oft erheblich und nur durch professionelle Hilfe von den Opfern zu überwinden. Dies trifft umso mehr zu, als der Antragsteller sich an einer wegen starker Alkoholisierung wehr- und hilflosen Frau vergriffen hat. Die psychischen Schäden des Opfers der Anlasstat waren daher auch erheblich. Das Opfer konnte mehrere Wochen das Haus nicht alleine verlassen, benötigte eine zwölfwöchige Psychotherapie wegen Depression und Angstzuständen und erlebte Beeinträchtigungen ihres eigenen Sexuallebens (Strafakte … … …18 Band I Bl.204, 206, 266 ff.).
Die Grundinteressen der Gesellschaft sind durch die vom Antragsteller ausgehende Gefahr berührt. Besonders sind neben dem hohen Rang des beeinträchtigten Schutzgutes und der Folgen der Beeinträchtigung vorliegend die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Der Antragsteller vergewaltigte eine Frau, die aufgrund ihrer starken Alkoholisierung wehrlos war, und gerade deswegen spätnachts einen Fahrdienst in Anspruch nahm, um sicher und wohlbehalten nach Hause zu kommen. Der Antragsteller war sich der Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst und drang zunächst mit den Fingern in die Scheide der Frau ein, um nach Feststellung der fehlenden Gegenwehr anschließend den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss auszuüben. Wegen der starken Alkoholisierung rechnete der Antragsteller mutmaßlich auch mit einer fehlenden oder erschwerten Strafverfolgung der Tat. Das Gericht sieht in der Tat einen besonders verwerflichen Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses.
2.3. Eine durch das persönliche Verhalten des Antragstellers hervorgerufene gegenwärtige Gefahr von weiteren Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Integrität von Frauen ist mit dem hinreichenden Wahrscheinlichkeitsgrad an2019 geahndete zunehmen. Das mit Urteil des Landgericht München I vom persönliche Verhalten des Antragstellers begründet unter Berücksichtigung des Verhaltens des Antragstellers nach der Tat eine gegenwärtig vorliegende, hinreichend schwere Gefahr für die Gesellschaft.
2.3.1. Entgegen der vom Gericht als Schutzbehauptung des Antragstellers gewerteten Einlassung des Antragstellers im Rahmen des vorangegangenen Strafverfahrens geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller bewusst in der Nähe der Diskothek mit seinem Fahrzeug parkte, um unerlaubt Personenbeförderungen gegen Entgelt vorzunehmen. Dies ergibt sich daraus, dass der Antragsteller bereits mehrfach wegen unerlaubter Personenbeförderung bei der Polizei auffällig war (Strafakte … … …18 Band I Bl. 59) und sich in erheblichen Umfang durch unerlaubte Personenbeförderung Einnahmen verschaffte. Er gab selbst am ersten Verhandlungstag vor dem Amtsgericht … I am … Mai 2018 zu Protokoll, als Chauffeur zu arbeiten (Strafakte … … …18 Band I Bl. 200). Der Antragsteller wird nach der Prognose des Gerichts nach seiner Haftentlassung erneut unerlaubte Personenbeförderungen vornehmen. Dies schließt das Gericht aus der finanziellen Situation des Antragstellers, der trotz seiner Vollzeiterwerbstätigkeit und einer Nebentätigkeit unerlaubte Personenbeförderungen vornahm und dennoch Schulden in Höhe von 60.000 Euro wegen u.a. Spielschulden anhäufte (Bl. 258 BA). Es ist nicht ersichtlich, dass sich die finanzielle Situation des Antragstellers während seiner Inhaftierung zum Besseren verändert hat bzw. die Probleme, die zu den hohen Schulden trotz ausreichendem Einkommen aus zwei bis drei Tätigkeiten führten, bearbeitet worden sind. Aus dem Vollzugsplanentwurf vom 7. Mai 2021 ergibt sich, dass dem Antragsteller geraten wurde, sich an die Suchtberatung zu wenden. Ein diesbezüglicher, zu Gunsten des Antragstellers zu wertender Vortrag der Antragstellerseite liegt nicht vor. Daher besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung erneut stark alkoholisierte Frauen alleine nach Hause fahren wird, um seine hohen Schulden begleichen zu können. 2.3.2. Weitere wesentliche Faktoren für die Annahme einer Wiederholungsgefahr sind die fehlende Aufarbeitung der Straftat und die nach Aktenlage zu beurteilende Einstellung des Antragstellers zur Straftat:
Der Antragsteller ist bereits vor der Anlassstraftat mit einer Körperverletzung strafrechtlich in Erscheinung getreten. Hierbei wurde der Antragsteller bereits wegen der Anweisung einer ihm hierarchisch übergeordneten Frau dieser gegenüber körperlich und verbal übergriffig, was neben der Anlassstraftat darauf schließen lässt, dass es dem Antragsteller trotz seiner langen Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Deutschland an Grundrespekt gegenüber dem weiblichen Geschlecht fehlt. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Antragsteller im Ermittlungsverfahren den Schlag und die Beleidigungen gegen das dortige Opfer durchgängig leugnete, obwohl zwei Zeugen während der Tat anwesend waren und dass er das Opfer selbst als aggressiv und Lügnerin darstellt (Strafakte … … …95/16, Bl. 15 ff., 22 ff., 27).
Im Rahmen der Ermittlungen wegen Vergewaltigung leugnete der Antragsteller gegenüber der Ermittlungsrichterin seine Tat nicht nur, sondern gab weiter an, dass sein Opfer eigeninitiativ auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihm drängte und anschließend Geld von ihm verlangt habe (Strafakte … … …18 Band I, Bl. 116 ff.). Diese Schutzbehauptung geht deutlich über das strafrechtlich nicht negativ zu bewertende Schweigerecht des Antragstellers im Strafverfahren hinaus und diente taktisch der Herabsetzung der Glaubwürdigkeit seines Opfers. Der Antragsteller beschränkte zwar unter dem Eindruck des Hauptverhandlungstermins am Landgericht München I nach Beratung mit der Verteidigung seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (Strafakte … … …18 Band II, Bl. 347). In der Revision wurde jedoch auch die Aufhebung aller Feststellungen mit dem Ziel beantragt, die Einstufung der Tat als minder schweren Fall und eine Bewährungsstrafe zu erreichen (Strafakte … … …39/18 Band II Bl. 358, 366 f.). Dieses Verhalten des Antragstellers kann ihm – wie die Bevollmächtigte zu Recht ausführt – zwar strafrechtlich nicht zum Nachteil gereichen. Allerdings ist aus der gewählten Verteidigungsstrategie die Tatsache ersichtlich, dass eine reflektierende Aufarbeitung der Straftat sowie eine Entschuldigung beim Opfer für die strafgerichtlich durch das Urteil des Amtsgericht … I bereits teilrechtskräftig festgestellte Vergewaltigung im Rahmen der weiteren Instanzen nicht stattgefunden hat. Der Antragsteller entschuldigte sich (trotz seiner Berufungsbeschränkung) nicht bei seinem Opfer oder nahm seine taktische Gegendarstellung vor der Ermittlungsrichterin zurück. Auch zeigte er sich nach Aktenlage nicht reuig.
2.3.3. Der Antragsteller bedarf nach Einschätzung des Gerichts einer Tataufarbeitung durch eine Therapie für Sexualstraftäter. Die Einschätzung, dass eine therapeutische Aufarbeitung der Tat nötig ist, wird weiter durch die Justizvollzugsanstalt bestätigt (Bl. 258 BA, S. 3 des Vollzugsplans). Solange die notwendige therapeutisch begleitete Aufarbeitung der Tat in einer Therapie für Sexualstraftäter nicht beendet ist und der Antragsteller sich für eine gewisse Zeit in Freiheit bewährt hat, geht vom zu erwartenden persönlichen Verhalten des Antragstellers eine Gefahr weiterer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2020 – 10 ZB 20.138 – BeckRS 2020, 9465 Rn. 10; (vgl. BayVGH, B. v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 17; B. v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris Rn. 7 m. w. N.; VG München, Urt. v. 21.4.2016 – M 12 K 16.649 – juris Rn. 41). Insofern ist auch unerheblich, dass der Antragsteller nicht bereits vor der Anlasstat wegen Sexualdelikten aufgefallen ist.
Unerheblich ist hierbei, dass dem Antragsteller während seiner Haftzeit der Zugang zu einer Therapie verwehrt blieb. Beim Ausweisungsrecht handelt es sich um präventives Gefahrenabwehrrecht. Anders als im Strafvollstreckungsrecht ist daher nicht auf eine möglichst gute Wiedereingliederung des Antragstellers in die Gesellschaft abzustellen. Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin erst dann eine Entscheidung über seine Ausweisung trifft, wenn ihm zuvor die Gelegenheit zu einer Therapie eingeräumt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 17.226 – juris Rn. 10; OVG Saarlouis, B.v. 1.4.2021 – 2 A 279/20 – juris Rn. 14; OVG Bremen, B.v. 27.10.2020 – 2 B 105/20 – juris Rn. 19). Weiter ist beachtlich, dass die Bevollmächtigte vorträgt, dass der Antragsteller nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots untherapiert wieder einreisen werde, was gegen einen aufrichtigen Therapiewillen des Antragstellers spricht. Der Antragsteller kann eine solche Therapie auch in der Türkei durchführen.
2.3.4. Dass der Antragsteller nach seiner Entlassung bis zur mündlichen Verhandlung unter Führungsaufsicht stehen wird, vermindert die Wiederholungsgefahr nicht ausreichend: Das familiäre Umfeld des Antragstellers, in das er zurückkehren wird, hielt ihn weder von der Begehung der Anlassstraftat, noch von der Begehung der Körperverletzung ab. Zudem hielt sich der Antragsteller auch in der Vergangenheit nicht an ihm schriftlich auferlegte Mitwirkungspflichten. Das Gericht verweist hierzu zum einen auf die verletzten Mitteilungspflichten im Sozialhilfeverfahren als auch auf die unentschuldigten, mehrfachen Verstöße gegen die Meldeauflage aus dem Haftbefehl vom 24. Mai 2020 (Strafakte … … …39/18 Band II Bl. 293 ff., 301). Der Antragsteller schaffte es nicht, die Meldeauflage einzuhalten, um dadurch einer erneuten Inhaftierung – einer aus Sicht des Antragstellers einschneidenden Maßnahme – zu entgehen. Auch hat sich der Antragsteller seine vorhergehende Verurteilung wegen Körperverletzung nicht zur Warnung dienen lassen, so dass trotz der grundsätzlichen Annahme, dass eine erstmalig verhängte Freiheitsstrafe Eindruck hinterlässt, und trotz der wohl geplanten Führungsaufsicht nicht von einer dauerhaften Straffreiheit prognostisch auszugehen ist. Aus dem beanstandungsfreien Verhalten im Strafvollzug kann mangels Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs von Frauen während der Haftzeit keine positive Prognose für die einschlägigen Delikte für die Zeit nach der Haftentlassung gezogen werden.
3. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt, die Ausweisung nicht unverhältnismäßig, sondern für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft auch unerlässlich ist, § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG.
Der Begriff der Unerlässlichkeit bringt zum Ausdruck, dass der Ausweisungsentscheidung eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit zugrunde liegen muss (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 27.09.2019 – 10 ZB 19.1781 -, juris Rn. 7). Die Ausweisung muss geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Bei der Beurteilung, ob der beabsichtigte Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel der Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft steht, sind die Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet, das Alter der betreffenden Person, die Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen und die Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (EuGH, Urt v. 11.06.2020 – C 448/19 -, beckonline Rn. 25, und v. 08.12.2011 – C-371/08 -, Rn. 82, juris; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 – 1 C 19.11 -, juris Rn. 20). Ferner sind die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Privat- und Familienlebens in den Blick zu nehmen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 18 f.; VGH Mannheim, B. v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 51). Auch die Gefahrenprognose kann im Rahmen der Gesamtabwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung sein (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 18 f.; VGH Mannheim., B.v. 21.01.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 51).
3.1. Für eine Ausweisung des Antragstellers sprechen besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen.
Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist beim Kläger durch die Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten der Fall.
Ohne dass es darauf ankäme ist auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a, Buchstabe c AufenthG anzunehmen, da der Antragsteller rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach § 177 Abs. 2 StGB von mindestens einem Jahr verurteilt wurde.
Die Anwendung des § 54 Abs. 1 Nr. 1a) AufenthG verstößt entgegen des Vortrags der Bevollmächtigten des Antragstellers nicht gegen Art. 13 ARB 1/80 (sog. Stillhalteklausel). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 und 1. März 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch mit Blick auf die Stillhalteklausel keine Bedenken bestehen, weil sich die materiellen Anforderungen, unter denen diese Personen ausgewiesen werden dürfen, nicht zu ihren Lasten geändert haben und jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 28; B. v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 14; B. v. 11.7.2016 – 10 ZB 15.837 – Rn. 11; VGH Mannheim, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – BeckRS 2016, 41711, Rn.149 ff.; jeweils m.w.N.). Die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG gibt exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (EuGH, U. v. 8.12.2011 – C-371/08 Ziebell – juris Rn. 80; BayVGH, U. v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten (vgl. BayVGH, B. v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11 m.w.N.). Im Fall der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen führt § 53 Abs. 3 AufenthG nicht zu einer Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen nach §§ 53 Abs. 1, 54, 55 AufenthG; ihnen kommt auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller Interessen mit dem jeweiligen Gewicht zu (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 9-11). Eine schematische und allein den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich im Rahmen der Ausweisungsentscheidungen ebenso wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (VGH Mannheim, U.v. 29.3.2017 – 11 S 2029/16 – juris Rn. 57). Die oben benannten gerichtlichen Entscheidungen sind zu einem Zeitpunkt ergangen, als § 54 Abs. 1a AufenthG in der Fassung vom 31. März 2016 die Berücksichtigung von bestimmten Straftaten, insbesondere gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bereits als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorsahen. Durch die Veränderung der Regelungssystematik der §§ 54 und 55 AufenthG ist unter der Berücksichtigung des Maßstabes von § 53 Abs. 3 AufenthG keine Verschlechterung des Ausweisungsrechts für einen ARBberechtigten türkischen Staatsangehörigen ersichtlich. Auch vor der Systemänderung im Ausweisungsrecht zum 1. Januar 2016 mussten die Behörden bzw. das Gericht alle Umstände des Einzelfalles, darunter den Rang des verletzten Rechtsgutes, die Modalitäten der Tatbegehung und die Schwere der Tat im Rahmen einer möglichen Ermessensausweisung für die Entscheidung, ob ein ausreichend schwerwiegender Grund für eine Ausweisung vorliegt, angemessen berücksichtigen.
3.2. Dem öffentlichen Ausweisungsinteressen stehen auf Seiten des Antragstellers be sonders schwerwiegende Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, sowie nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, da er mit seiner Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und diese eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Weiter übt der Antragsteller die Personensorge für ein deutsches, minderjähriges Kind, aus mit dem er in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, aus, § 55 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG.
3.3. Die aus spezialpräventiven Gründen für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses sprechenden Gesichtspunkte sind jedoch so gewichtig, dass die von der Antragsgegnerin vorgenommene Entscheidung nicht zu beanstanden ist. Die Antragsgegnerin hat die privaten Belange des Klägers zutreffend dargestellt und mit sehr ausführlicher Begründung, der sich das Gericht anschließt, gegen die für die Ausreise sprechenden Gründe abgewogen (S. 3, 4, 10 – 13 des Bescheids, II.2.3.3). Die Ausweisung ist auch insbesondere unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland, der hier niederlassungsberechtigten Ehefrau des Antragstellers und seiner beiden Kinder, wovon eines 16-jährig ist, nicht unverhältnismäßig. Die seit der Tatbegehung nicht aufgearbeitete Delinquenz des Täters, die verwerfliche Tatbegehung, der hohe Rang des betroffenen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung sowie das Bestehen hoher Schulden, die absehbar zu einer Wiederholung einer potentiellen Tatsituation führen, sind für das Gericht ausschlaggebend für die im Rahmen des Eilverfahrens zu prüfende Annahme, dass das Ausweisungsinteresse vorliegend die Bleibeinteressen des Antragstellers überwiegt. Entgegen des Vortrags der Bevollmächtigten führte sich der Antragsteller auch nicht vollkommen straffrei, was sich aus den beigezogenen Strafakten ergibt. Vor diesem Hintergrund ist es dem Antragsteller deshalb zuzumuten, sich eine eigene Existenz in der Türkei aufzubauen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Kläger bereits seit 1994 in der Bundesrepublik Deutschland lebt und größtenteils hier arbeitete. Auch verkennt das Gericht nicht, dass sich nach eigener Aussage des Klägers ein Großteil der Familie in Deutschland befinde.
Die Ausweisung des Klägers berührt seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet insbesondere zu seiner Ehefrau und seinem minderjährigen ledigen Kind. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass Art. 6 Abs. 1 GG die Behörden verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Klägers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen bei der Entscheidung zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn 16; BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn 14). Dies ist vorliegend beachtet worden. Grundsätzlich wäre es der Ehefrau, die ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, möglich, mit dem Antragsteller in die Türkei zurückzukehren. Unterstellt die Ehefrau des Antragstellers würde in Deutschland bleiben, erscheint es auch möglich, dass der Antragsteller und seine Ehefrau ihre Ehe auf Entfernung führen, zumindest für die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zusammen mit der Möglichkeit der Erteilung von Betretenserlaubnissen für den Antragsteller nach § 11 Abs. 8 AufenthG erscheinen gegenseitige Besuche in Deutschland und der Türkei möglich. Dementsprechend ist die Ausweisung des Antragstellers trotz der bestehenden Ehe gleichwohl mit Art. 6 GG vereinbar. Auch in Bezug auf die weiteren familiären Beziehungen im Bundesgebiet – seine Kinder sowie Geschwister leben in Deutschland – ist es dem Antragsteller und seinen Angehörigen zumutbar, den Kontakt über Telekommunikationsmittel und Besuchsaufenthalte aufrechterhalten. Insbesondere ist der minderjährige Sohn des Antragstellers bereits 16 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem Verständnis für rechtliche Vorgänge beim Jugendlichen vorliegt, die Erziehung zusammen mit der Ehefrau – wie seit der Inhaftierung Anfang 2018 – über fernmündliche Absprachen geregelt werden kann und auch mehrwöchige Auslandsaufenthalte in der Türkei beim Antragsteller sich während der Schulferien problemlos gestalten lassen.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Erwägungen der Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 22. April 2020 sowie im Schreiben vom 16. April 2021 Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO (analog). Eine fehlerhafte Gewichtung der Belange des Antragstellers ist entgegen der Darstellung der Bevollmächtigten im Schriftsatz vom *. Mai 2021 nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Antragstellers zu beachtender Belange, insbesondere der Schwere der vom Antragsteller begangenen Tat, der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr und den hochrangigen Schutzgütern, die gefährdet sind, fällt die nach § 53 Abs. 1 bis 3 AufenthG zu treffende Gesamtabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
IV. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 i.V.m. den Nrn. 1.5 und 8.2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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