Verwaltungsrecht

Ablehnung des Zulassungsantrags mangels substantiierter Darlegung

Aktenzeichen  15 ZB 18.32354

Datum:
4.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24985
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
AufenthG 60a Abs. 2c S. 2, S. 3

 

Leitsatz

1 Die Berufung ist im Hinblick auf eine im Gerichtsverfahren unberücksichtigt gebliebene Erkrankung des Klägers nicht wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen, wenn sich aus dem unsubstantiierten und den Anforderungen des § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG nicht genügenden Vortrag des Klägers nicht ansatzweise ergibt, dass auch die Anforderungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gem. § 60a Abs. 2c S. 2 und 3 AufenthG erfüllt wären. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht damit auseinander, dass ausweislich der Urteilsbegründung bei Rückkehr des Klägers nach Mali auch deswegen keine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintreten wird, weil es für ihn möglich sein wird, eine eventuelle medizinische Behandlung in Mali zu erhalten, ist der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren, die Erkrankung des Klägers sei im Gerichtsverfahren unberücksichtigt geblieben, unsubstantiiert. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 29 K 16.34410 2018-05-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger, stellte am 2. Juni 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Bei der Anhörung gem. § 25 AsylG gab er gegenüber dem Bundesamt an, er habe erfahren, dass er Hepatitis B habe; ein (z.B. ärztlicher) Nachweis hierzu ist in der Asylverfahrensakte nicht enthalten. Mit Bescheid des Bundesamts vom 7. November 2016 wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, ferner festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Mali oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Hiergegen ließ der Kläger über seinen vormaligen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München Klage erheben mit den Anträgen, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 7. November 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Zur Klagebegründung wurde auf das bisherige Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Mit Urteil vom 17. Mai 2018 wies das Verwaltungsgericht München die Klage ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzinteresse weiter. Die Berufung sei wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen. Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht aufgrund eines Verfahrensfehlers gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die vom Kläger behauptete Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es entscheidungserheblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.). Diese Verfahrensgarantie gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (OVG Saarl., B.v. 16.5.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Entgegen der Antragsbegründung trifft es nicht zu, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO Angaben des Klägers hinsichtlich einer Hepatitis B-Erkrankung für die Entscheidung unberücksichtigt gelassen.
Tatsächlich hat sich das Erstgericht mit dem Vortrag einer Hepatitis B-Infektion befasst. So wird im Tatbestand des angegriffenen Urteils mitgeteilt, dass der Kläger bei der Anhörung gem. § 25 AsylG gegenüber dem Bundesamt angegeben hatte, er habe erfahren, „dass er Hepatitis B habe“. In den Entscheidungsgründen nimmt das Verwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid Bezug. Dort heißt es zur Begründung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen:
„Der Antragsteller trug vor, er habe erfahren, dass er Hepatitis B habe. Weitere Ausführungen werden nicht gemacht.
Die durch den Antragsteller angegebenen Erkrankungen sind somit als nicht lebensbedrohlich und nicht so schwerwiegend zu beurteilen. Er konnte insbesondere nicht konkret darlegen, in welcher Form die angegebenen Krankheiten behandlungsbedürftig sind, ob diese überhaupt weiterhin behandelt werden bzw. in welcher Form eine derartige Behandlung in Zukunft unabdingbar erforderlich sein wird, um eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu verringern. Es ist zu erwarten, dass beim Antragsteller durch eine Abschiebung keine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintreten wird und dass es für ihn möglich sein wird, eine eventuelle medizinische Behandlung in Mali zu erhalten.
Die Versorgung muss zudem nicht mit der medizinischen Versorgung in der Europäischen Union gleichwertig sei. Daneben hat der Antragsteller keinen Anspruch auf eine qualitativ bessere Versorgung in Deutschland durch spezielle Therapieformen.“
Ergänzend wird in den Entscheidungsgründen zur Begründung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG u.a. ausgeführt, der Kläger habe zwar beim Bundesamt angegeben, er habe Hepatitis B, habe hierfür jedoch keine ärztliche Bescheinigung beigebracht (wobei auch auf § 60a Abs. 2c AufenthG rekurriert wird). Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger als gesunder junger Mann seinen Lebensunterhalt im Süden Malis sicherstellen könne.
Soweit mit der Antragsbegründung vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass die Erkrankung mit Blick auf eine Bescheinigung des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 2. Februar 2016 mit dem Befund „Sereologisch Hinweis auf eine chronisch verlaufende Hepatitis B Virus (HBV) – potenziell infektiös“ aktenkundig sei, sodass sich die angegriffene Entscheidung entscheidungserheblich zu Unrecht darauf stütze, dass der Kläger keinen entsprechenden Nachweis vorgelegt habe, ist dem zum einen entgegenzuhalten, dass in der dem Senat vorliegenden (elektronischen) Asylverfahrensakte weder der genannte Laborbefund noch ein ärztlicher Nachweis tatsächlich enthalten ist.
Selbst wenn dem Bundesamt und / oder dem Verwaltungsgericht eine entsprechende Bescheinigung des Landesamts vom 2. Februar 2016 vorgelegt worden wäre, könnte allein aufgrund der Bezugnahme im Zulassungsschriftsatz vom 9. September 2018 auf diesen Befund, der im Übrigen diesem Schriftsatz nicht beigefügt wurde, die Berufung nicht wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zugelassen werden. Denn aus dem insofern zu unsubstantiierten und damit den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht genügenden Vortrag des Klägers ergibt sich nicht ansatzweise, dass hierüber auch die – vom Verwaltungsgericht ausdrücklich in Bezug genommenen – Anforderungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gem. § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG erfüllt wären (zur Anwendung des § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Geltendmachung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 6 ff.). Insbesondere wird der Laborbefund in der Antragsbegründung zitiert als – noch nicht endgültig abgeklärter – sereologischer „H i n w e i s“ auf eine chronologisch verlaufende Hepatitis B-Infektion, ohne dass im Ansatz der Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, als ärztlich beschrieben oder bestätigt dargelegt werden. Zudem ist der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren auch deshalb unsubstantiiert, weil in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, den die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils ausdrücklich zum Gegenstand der gerichtlichen Begründung machen, ergänzend darauf verwiesen wird, dass bei Rückkehr des Klägers nach Mali auch deswegen keine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintreten wird, weil es für ihn möglich sein wird, eine eventuelle medizinische Behandlung in Mali zu erhalten. Hiermit setzt sich die Antragsbegründung aber nicht auseinander.
Aus dem klägerischen Einwand, das Verwaltungsgericht hätte, soweit es eine aktualisierte Bescheinigung als erforderlich angesehen hätte, hierauf vor oder (unter Gewährung einer Frist zur Nachreichung einer ärztlichen Bescheinigung) in der mündlichen Verhandlung hinweisen müssen, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, die Erkrankung zu belegen, ergibt sich nichts anderes. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.9.2018 – 15 ZB 18.32165 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 28; OVG SA, B.v. 22.1.2018 – 3 L 63/17 – juris Rn. 3). Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung hier nicht erfüllt, zumal mit § 60a Abs. 2c AufenthG eine ausdrückliche Regelung existiert und der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertreten war.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen. In der Antragsbegründung wird zwar vorgetragen, die Berufung sei „gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG“ zuzulassen, die Bezugnahme auf die behaupteten Versagung des rechtlichen Gehörs in demselben Satz und die weiteren begründenden Ausführungen im Schriftsatz vom 9. September 2018 lassen aber nur den Schluss zu, dass sich der Kläger in der Sache ausschließlich auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG stützen wollte. Im Übrigen wäre auch die grundsätzliche Bedeutung als Zulassungsgrund nicht dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügend vorgetragen worden. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht gerecht. Insbesondere fehlt es bereits an der Formulierung einer Tatsachen- oder Rechtsfrage.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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