Verwaltungsrecht

Ableitung der Freizügigkeit eines Drittstaatsangehörigen von einem minderjährigen Unionsbürger

Aktenzeichen  Au 6 K 17.1538

Datum:
20.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157394
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 3 Abs. 1 und Abs. 2, § 5 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 11
AEUV Art. 20 Abs. 1 S. 3, Art. 21
AufenthG § 81 Abs. 1
RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 2

 

Leitsatz

1. § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU eröffnet nur die Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes nach dem Meistbegünstigungsprinzip, befreit aber nicht vom dort geltenden Antragsprinzip (§ 7 Abs. 1 S. 2, § 8 Abs. 1 iVm § 81 Abs. 1 AufenthG). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger kommt es auf sämtliche Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls an, insbesondere das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, den Grad seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre, auch darauf, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, willens und in der Lage ist, die Personensorge allein auszuüben. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird eine Freizügigkeitsberechtigung eines Drittstaatsangehörigen beansprucht, um einem Unionsbürger – hier: dem Kind – dessen Freizügigkeit erst materiell zu sichern, stellt dies einen Zirkelschluss dar. Die angenommene Freizügigkeitsberechtigung des Drittstaatsangehörigen diente nicht der Sicherung einer bereits vorhandenen Freizügigkeit des materiell abhängigen Unionsbürgers, sondern erst der Herstellung von dessen Freizügigkeit. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auszustellen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU durch den Beklagten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
Klagegegenstand ist lediglich die Ausstellung einer Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, nicht auch eine im Wege der Klageerweiterung hilfsweise beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 oder § 36 AufenthG.
Die Klageerweiterung ist unzulässig, da der Beklagte ihr widersprochen hat und sie nicht sachdienlich ist. Es handelt sich der Sache nach um eine Klageerweiterung im Sinne von § 91 i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO, da die Klage erweitert wird auf die Prüfung der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 oder § 36 AufenthG.
Die Klageerweiterung ist nicht sachdienlich, da sie sonst zu einer wesentlichen Erweiterung des Streitstoffes führte, aber nicht zur endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits: Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 oder § 36 AufenthG war zuvor bei dem Beklagten nicht beantragt und daher auch von diesem nicht geprüft worden; frühere Anträge auf Aufenthaltserlaubnis hatte dieser umfassend abgelehnt und die entsprechende Klage war eingestellt worden (VG Augsburg, B.v. 20.11.2017 – Au 6 K 17.432). Im vorliegenden Verfahren hatte der Kläger ausdrücklich keine Aufenthaltserlaubnis wegen einer familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind – Verwendung eines entsprechenden Formblatts (Behördenakte des Beklagten Bl. 1145) – entgegen des ausdrücklichen Widerspruchs seines Bevollmächtigten gegen die Formblattverwendung (Schreiben vom 9.8.2017, ebenda Bl. 1137) – beantragt. Ihm analog über § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU eine Rechtsstellung zu gewähren, der er ausdrücklich widersprochen hat, findet keine Rechtsgrundlage im geltenden Recht. § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU verweist für eine etwa günstigere Rechtsstellung nicht nur auf die materiellen Normen, sondern auch auf das Antragserfordernis des § 81 Abs. 1 AufenthG. Für den Begünstigten werden die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des nationalen Aufenthaltsrechts nicht modifiziert, sondern lediglich ihre Anwendbarkeit überhaupt eröffnet (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 11 FreizügG/EU Rn. 36). Dies gilt daher auch für den Kläger.
Der Beklagte war auch nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU verpflichtet, gleichsam automatisch in Anträgen auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorsorglich und ohne nähere Antragskonkretisierung im Verwaltungsverfahren mitzuprüfen, denn § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/ EU eröffnet nur die Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes nach dem Meistbegünstigungsprinzip, befreit aber nicht vom dort geltenden Antragsprinzip (§ 7 Abs. 1 Satz 2, § 8 Abs. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 AufenthG). Ohne vorherigen entsprechenden Antrag im Verwaltungsverfahren fehlt der erweiterten Klage auch das Rechtsschutzbedürfnis, so dass sie unzulässig wäre.
Die wesentliche Erweiterung des Streitstoffes würde auch nicht zur endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits führen, denn unter den Beteiligten ist gerade strittig und zunächst behördlich und nicht gerichtlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 oder § 36 AufenthG überhaupt vorliegen. Gegen eine Anwendbarkeit des § 28 AufenthG spricht schon die dortige Beschränkung des Familiennachzugs auf jenen zu deutschen Staatsangehörigen, während der Kläger und seine aktuelle Familie diese unstreitig nicht besitzen. Einer Erweiterung auf Angehörige der EU-Mitgliedstaaten dürfte bereits entgegenstehen, dass die Unionsbürgerschaft (des Kindes des Klägers) die nationale Staatsangehörigkeit nicht ersetzt, sondern nach Art. 20 Abs. 1 Satz 3 AEUV lediglich neben diese tritt. Es liegt also in der Hoheit der Mitgliedstaaten, bezogen auf eigene Staatsangehörige gesonderte Anspruchsnormen zu schaffen und beizubehalten, wie es der Bundesgesetzgeber im Verhältnis des Aufenthaltsgesetzes zum Freizügigkeitsgesetz getan hat. Für § 36 Abs. 2 AufenthG wäre neben der klägerseitigen Darlegung einer außergewöhnlichen Härte auch noch eine Ermessensentscheidung des Beklagten erforderlich, die das Verwaltungsgericht nicht ersetzen kann (§ 114 VwGO). Schließlich steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen den Kläger aus der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags (BAMF, Bescheid vom 21.11.2016 – Gz. *-150, Ziffern 3 und 4, Behördenakte Bl. 1101, 1108) zwingend entgegen.
II. Der Kläger auf hat einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung direkt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, der gegenüber einer analogen Anwendung Vorrang hätte.
Die Grundvoraussetzung für eine Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist, dass der Kläger Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers im Sinne der in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG getroffenen Legaldefinition des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU ist. Daran fehlt es hier:
a) Der Kläger ist kein Familienangehöriger der Kindesmutter nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, da er nicht ihr Ehegatte ist. Einer Eheschließung steht derzeit jedenfalls noch seine bestehende dritte Ehe im Bundesgebiet entgegen. Gegenteiliges ist nicht aufgezeigt.
b) Der Kläger ist auch kein Familienangehöriger des mit der Kindesmutter gemeinsamen Kindes nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, da er als Vater zwar ein Verwandter des Kindes in gerader aufsteigender Linie ist, aber nicht vom Kind als Unionsbürger Unterhalt gewährt erhält.
Es kommt hierbei auf die tatsächliche Situation an, in welcher der Familienangehörige vom Unionsbürger unterstützt wird ohne Rücksicht darauf, worauf diese Unterstützung gründet und ob der Unterstützte seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit bestreiten könnte (vgl. EuGH, U.v. 18.6.1987 – C-316/15 – Slg. 1987, 2811 Rn. 22). An der Unterhaltsgewährung durch den Unionsbürger fehlt es hier, weil nicht der Kläger Unterhalt durch sein Kind erhält, sondern das Kind Unterhalt durch den Kläger -nach dessen Angaben – erhielt, solange dieser erwerbstätig war, bzw. erhält, seit er wieder erwerbstätig ist. Für eine erweiternde Analogie auf diesen umgekehrten Fall bietet § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU keinen Raum, da diese Norm der Umsetzung von Art. 2 Nr. 2 Buchst. d) RL 2004/38/EG dient und diese Regelung eine bewusste Beschränkung des Begriffs des Familienangehörigen (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 55; auch EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-133/15 -juris Rn. 52) und damit keine (unbewusste) Regelungslücke enthält.
Auch aus Art. 24 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG folgt kein Anspruch auf Besserstellung, denn die Voraussetzung für diese Gleichbehandlungsregelung ist nicht nur ein Aufenthalt eines Unionsbürgers – möglicherweise des Kindes – auf Grund dieser Richtlinie, sondern für den Kläger die Stellung als drittstaatsangehöriger Familienangehöriger, der das Recht auf Aufenthalt genießt. An beidem aber fehlt es hier, da der Kläger nach der unionsrechtlichen Begriffsdefinition der Richtlinie gerade kein Familienangehöriger ist und zudem sein Recht auf Aufenthalt strittig ist.
c) Da der Kläger kein Familienangehöriger des mit der Kindesmutter gemeinsamen Kindes ist, kommt auch die Erteilung einer Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU nicht in Betracht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 20 AEUV inne.
Eine Analogie setzt eine Regelungslücke voraus. Eine solche hat der Gerichtshof der Europäischen Union bezogen auf Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG gefunden und durch die Anwendung des primären Unionsrechts, namentlich des Unionsbürgerstatus nach Art. 20 AEUV, zu schließen versucht. Deren Voraussetzungen liegen hier jedoch tatsächlich nicht vor.
Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass dem Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils, der für einen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich sorgt, jede praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn ihm nicht erlaubt würde, sich mit diesem Bürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, da der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es ihr demgemäß ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, U.v. 19.10.2004 – C-200/02 – juris Rn. 45; EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 68). Ausgangspunkt dieser Entscheidungen ist, dass Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Einreise- und Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen auch außerhalb des Anwendungsbereichs u.a. der Richtlinie RL 2004/38/EG insoweit in einem immanenten Zusammenhang mit der Freizügigkeit eines Unionsbürgers stehen, die beeinträchtigt würde, wenn dem Drittstaatsangehörigen das Recht verweigert würde, in den Mitgliedstaat, in dem dieser Unionsbürger wohnt, einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 72). In derartigen Fällen ist es Aufgabe des (nationalen) Gerichts festzustellen, ob dem betroffenen Unionsbürger (hier: dem Kind des Klägers) der Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus dem Kind verleiht, verwehrt wird und ihm insbesondere die Gefahr droht, das Gebiet des Mitgliedstaats und sogar das Gebiet der Union als Ganzes (rechtlich oder de facto) verlassen zu müssen (zum Ganzen BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 10 CE 13.883 – juris Rn. 13 m.w.N.). Für die Prüfung, ob es dem betroffenen Unionsbürger de facto unmöglich wäre, den Kernbestand der Rechte aus seinem Unionsbürgerstatus in Anspruch zu nehmen, ist u.a. das jeweilige Sorgerecht von Bedeutung. Allerdings rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Angehörige einer Familie, die aus Drittstaatsangehörigen und einem minderjährigen Unionsbürger besteht, zusammen mit diesem im Gebiet der Union in dem Mitgliedstaat aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn ein solches Aufenthaltsrecht nicht gewährt wird. Demgemäß hat das (nationale) Gericht alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen, um festzustellen, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts bei dem Drittstaatsangehörigen tatsächlich dazu führen kann, die Unionsbürgerschaft des betroffenen Unionsbürgers ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben (BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 10 CE 13.883 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Zuletzt wurde diese Rechtsprechung dahin ergänzt, dass für die Prüfung, ob dem betroffenen Unionsbürger (hier: dem Kind des Klägers) eine Beeinträchtigung des Kernbestands der Rechte aus seinem Unionsbürgerstatus droht, darauf abzustellen ist, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger derart besteht, dass er sich im Fall der Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den Drittstaatsangehörigen gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes (rechtlich oder de facto) verlassen zu müssen (EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-133/15 – juris Rn. 63, 69 f.). Für ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger kommt es auf sämtliche Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls an, insbesondere das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, den Grad seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre, auch darauf, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, willens und in der Lage ist, die Personensorge allein auszuüben (EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-133/15 – juris Rn. 71).
Nach diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass sein Kind von der Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Kläger in einer Weise betroffen wird, die der Unionsbürgerschaft des Kindes die praktische Wirksamkeit nehmen würde.
Sowohl das Kind als auch die Kindesmutter haben beide die ungarische Staatsangehörigkeit und sind mithin Unionsbürger. Sie sind also unabhängig vom Rechtsstatus des Klägers berechtigt, sich in ihrem Herkunftsstaat Ungarn und damit im Gebiet der Europäischen Union aufzuhalten. Soweit die Kindesmutter zudem als im Bundesgebiet unselbständig Erwerbstätige freizügigkeitsberechtigt ist, was zwischen den Beteiligten wegen der nachgeburtlichen Erwerbslosigkeit der Mutter streitig ist, aber mangels förmlicher Verlustfeststellung durch den Beklagten nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU vorläufig unterstellt werden kann, wäre das Kind auch nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU akzessorisch zu seiner Mutter freizügigkeitsberechtigt und ebenso wenig zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen. Dass das Kind trotz seines eigenen Aufenthaltsrechts im Unionsgebiet zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen würde, ist daher nicht ersichtlich.
Dies gilt umso mehr, als es dem Kläger nicht unmöglich oder unzumutbar wäre, im Fall der Verweigerung eines (analogen unionsrechtlichen) Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet Kindesmutter und Kind im Familiennachzug nach Ungarn zu folgen und seinen Aufenthalt dort auf ungarisches Recht zu stützen, sollten beide dorthin übersiedeln. Gegenteiliges ist nicht substantiiert aufgezeigt.
3. Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 21 AEUV inne.
In einer weiteren Analogie hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass auch Verwandte, die mangels Unterhaltsgewährung in aufsteigender Linie keine Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchst. d) RL 2004/38/EG sind, ein Aufenthaltsrecht als drittstaatsangehöriger Elternteil beanspruchen können, wenn sie tatsächlich für das Kind sorgen und dieses über die erforderlichen Mittel zum Lebensunterhalt im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt, weil sonst dem Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers jede praktische Wirksamkeit genommen würde, da der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es ihr demgemäß ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12 – juris Rn. 24-29). Es sei dabei nur erforderlich, dass diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können (vgl. EuGH, U.v. 30.6.2016 – C-115/15 – juris Rn. 77 ff.). Dies erfordert die Prüfung, ob das Kind durch den tatsächlich sorgenden Elternteil über die erforderlichen Mittel verfügt (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 68).
a) Aktuellen Angaben des drittstaatsangehörigen Klägers in der mündlichen Verhandlung zu Folge stellt er aus einer Erwerbstätigkeit, die er nach Ablehnung seines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis aufgegeben und nun – nach seinem Vorbringen auf Hinweis des Jobcenters und nach dessen Rückfrage beim Ausländeramt, was dieses bestreitet – wieder aufgenommen hat, rund 1.600 Euro netto Erwerbseinkommen monatlich der aus ihm, Kindesmutter und Kind gebildeten Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung sowie Krankenversicherungsschutz für das Kind. Nach seinem Prozesskostenhilfeantrag – auf den hier zur Substantiierung der europarechtlich geforderten Prüfung zurückzugreifen ist -stehen der Bedarfsgemeinschaft weitere Beträge von 192 Euro monatlichem Kindergeld und von 196,09 Euro monatlichem Elterngeld zur Verfügung, von denen die Bruttomiete von 270 Euro zzgl. 70 Euro Betriebskostenvorauszahlung in Abzug zu bringen sind. Der verbleibende Betrag von 1.648,06 Euro reicht zur Deckung des Lebensunterhalts (auch) des Kindes aus, wenn für den Kläger und für die Kindesmutter jedenfalls ein Regelsatz der Sozialhilfe von je 368 Euro monatlich und für das Kind von 237 Euro monatlich (ohne etwaige Mehrbedarfe) angenommen wird.
b) Der Kläger ist auch personensorgeberechtigt nach der Erklärung vom 4. Mai 2017 über die gemeinsame elterliche Sorge (Behördenakte des Beklagten, Bl. 1154, 1156) und sorgt nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch tatsächlich für das mit ihm und der Kindesmutter zusammenlebende Kind.
c) Das Verwaltungsgericht geht trotz erheblicher Bedenken, ob die o.g. Rechtsprechung auch auf den vorliegenden Fall übertragbar ist, wegen der weiten Formulierung in der Begründung des Europäischen Gerichtshofs als maßgeblicher Auslegungsinstanz des Unionsrechts davon aus, dass der Kläger einen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 21 AEUV innehat. Die Bedenken betreffen zum Einen die Herkunft der Mittel des Klägers, die dieser – voraussichtlich aus unerlaubter – Erwerbstätigkeit erzielt; zum anderen ist das Kind nach derzeitigem Sachstand als von der Mutter abgeleitet freizügigkeitsberechtigt (vgl. oben) und nicht auf die Sicherung der Freizügigkeit durch den Kläger angewiesen, drittens führt diese Rechtsprechung zu einem Zirkelschluss, wie er im vorliegenden Fall augenfällig wird: 45 aa) Zunächst geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es nach der o.g. Rechtsprechung nicht auf die Herkunft der Mittel ankommt, welche dem Kind zur Verfügung stehen, so dass auch Mittel des Klägers, die dieser aus -voraussichtlich unerlaubter – Erwerbstätigkeit erzielt, zu berücksichtigen sind.
Es sei nach der Rechtsprechung nur erforderlich, dass die Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können (vgl. EuGH, U.v. 30.6.2016 – C-115/15 – juris Rn. 77 ff.). Hier ist davon auszugehen, dass der Kläger, der im Jahr 2017 zunächst erwerbstätig war, diese Tätigkeit auf Hinweise des Beklagten eingestellt und – nach eigenen Angaben auf Hinweise des Jobcenters – zuletzt wieder aufgenommen hat (vgl. Niederschrift vom 20.12.2017, S. 2 f.), im Zeitpunkt der letzten Arbeitsaufnahme hierzu nicht berechtigt war. Im Zeitpunkt der letzten und hier maßgeblichen Arbeitsaufnahme unterlag der Kläger sowohl dem aufenthaltsrechtlichen Aufenthaltserlaubniserfordernis nach § 4 Abs. 1 AufenthG als auch dem Beschäftigungserlaubniserfordernis nach § 4 Abs. 2 AufenthG. Von beidem war er nicht befreit, da er nicht als Familienangehöriger des Kindes freizügigkeitsberechtigt war (vgl. oben und sogleich unter cc)). Im Gegenteil unterlag er zusätzlich dem Einreise- und Aufenthaltsverbot aus der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags (BAMF, Bescheid vom 21.11.2016 – Gz. *-150, Ziffern 3 und 4, Behördenakte Bl. 1101, 1108), das erst nach Erteilung der letzten Aufenthaltserlaubnis an den Kläger ausgesprochen und durch die vorherige Erteilung nicht verbraucht wurde. Da ein solches Aufenthaltsverbot sogar der Einreise und dem Aufenthalt eines Unionsbürgers entgegensteht (vgl. EuGH, U.v. 14.9.2017 – Rs. C-184/16, InfAuslR 2017, 427/429 Rn. 45, 47 f., 56), kann für den drittstaatsangehörigen Kläger nichts anderes gelten. Er hielt sich somit unerlaubt und unter Verstoß gegen deutsches Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet tatsächlich auf; seine Arbeitsaufnahme war voraussichtlich ebenfalls unerlaubt unter Verstoß gegen geltendes Recht. Da der Europäische Gerichtshof aber Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel entnimmt, sind nach dieser weiten Formulierung seiner Entscheidungsgründe wohl auch illegal erworbene Mittel, die tatsächlich zur Verfügung stehen, zu berücksichtigen.
bb) Weiter geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es nach der o.g. Rechtsprechung nicht darauf ankommt, dass die Unterhaltsleistung des Drittstaatsangehörigen rechtlich überhaupt erforderlich ist für die Freizügigkeit des Kindes mit Unionsbürgerschaft. Im vorliegenden Fall ist die Freizügigkeit des Kindes jedenfalls bis zu einer – vom Beklagten angekündigten – Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Kindesmutter nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU unabhängig vom drittstaatsangehörigen Elternteil anzunehmen, da die Kindesmutter jedenfalls erwerbstätig war.
cc) Weiter geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger ein Aufenthaltsrecht als drittstaatsangehöriger Elternteil beanspruchen kann, obwohl eine unionsrechtskonforme Berücksichtigung seiner Unterhaltsleistung letztlich zu einem Zirkelschluss führt.
Wird – wie hier vom Kläger – eine Freizügigkeitsberechtigung eines Drittstaatsangehörigen beansprucht, um einem Unionsbürger – hier: dem Kind – dessen Freizügigkeit erst materiell zu sichern, damit wiederum der Drittstaatsangehörige sich sodann hierauf berufen und seine Freizügigkeitsberechtigung aus dem (wirtschaftlichen) Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden und damit aus dem Kernbestand der Rechte des Unionsbürgers aus dessen Unionsbürgerstatus ableiten kann, stellt dies einen Zirkelschluss dar. Die angenommene Freizügigkeitsberechtigung des Drittstaatsangehörigen diente dann nicht der Sicherung einer bereits vorhandenen Freizügigkeit des materiell abhängigen Unionsbürgers, sondern erst der Herstellung von dessen Freizügigkeit. Ohne eigene Freizügigkeit aber kann der Kernbestand der Unionsbürgerschaft des Unionsbürgers durch eine Aufenthaltsverweigerung gegenüber dem Drittstaatsangehörigen gar nicht berührt sein, da der Aufenthalt des Unionsbürgers dann nicht Unionsrecht, sondern allein nationalem Recht unterliegt.
Ausgehend allerdings davon, dass der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es ihr demgemäß ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12 – juris Rn. 24-29), geht das Verwaltungsgericht vorliegend davon aus, dass der Kläger als Drittstaatsangehöriger, auch ohne Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchst. d) RL 2004/38/EG zu sein, ein Aufenthaltsrecht als drittstaatsangehöriger Elternteil beanspruchen kann, da er neben der Kindesmutter tatsächlich für das Kind sorgt und dieses über die erforderlichen Mittel zum Lebensunterhalt im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt (vgl. oben).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da den Fragen grundsätzliche Bedeutung zukommt, ob es für ein Aufenthaltsrecht als drittstaatsangehöriger Elternteil genügt, dass dem Kind die Existenzmittel zur Verfügung stehen, ungeachtet, ob diese aus erlaubter Erwerbstätigkeit des Unterhaltsleistenden stammen und ob dem Kind eine eigene Freizügigkeit unabhängig vom drittstaatsangehörigen Elternteil zusteht, es somit nur materiell, aber nicht rechtlich auf dessen Unterhaltsleistung angewiesen ist.


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