Verwaltungsrecht

Abschiebung, Asylantrag, Ausreise, Asylbewerber, Staatsanwaltschaft, Bescheid, Einreise, Berufung, Asylanerkennung, Aufenthaltsverbot, Bundesamt, Abschiebungsverbote, PKK, Untersuchungshaft, Kosten des Verfahrens, Bundesrepublik Deutschland, richterliche Anordnung

Aktenzeichen  Au 8 K 20.31116

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48101
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
1. Dem Kläger zu 1 droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit/Zurechnung zur HDP.
a) Der Kurdenkonflikt ließ auch die politische Vertretung der kurdischen Minderheit zum Ziel staatlicher Repressalien werden. Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Abgeordnete mehrerer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung im Juli 2016 betroffen, besonders auch die linkskurdische Partei „Demokratische Partei der Völker“ (HDP). Für die türkische Regierung war die HDP Verhandlungspartner im Befriedungsprozess; sie zog in der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 mit 13,1% der Stimmen erstmals als Partei ins Parlament ein, nachdem sie zuvor durch unabhängige Kandidaten vertreten gewesen war. In der Parlamentswahl am 1. November 2015 gelang ihr mit 10,8% der Stimmen ebenso die Überwindung der Zehnprozenthürde zum Wiedereinzug ins Parlament wie in der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 mit 11,7% der Stimmen und dies trotz Einschränkungen ihres Wahlkampfs u.a. durch die Inhaftierung ihres Spitzenkandidaten Demirtas (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 5 f., 10 f.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 65). Im Zuge von Anklagen wegen angeblicher Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze verloren 57 der damals 59 HDP-Parlamentsabgeordneten zunächst ihre Immunität und nach rechtskräftiger Verurteilung verloren neun Abgeordnete der HDP auch ihr Parlamentsmandat (Lagebericht ebenda S. 5 f., 11). Auch auf lokaler Ebene versucht die Regierung, den Einfluss der HDP und von deren Schwesterpartei DBP zu verringern. Die DBP stellt 97 der Bürgermeister im Südosten der Türkei und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird vielen DBP-Mitgliedern Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete wurden 93 gewählte Kommunalverwaltungen überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhändler ersetzt (Lagebericht ebenda S. 10). Teilen der Basis der HDP werden Verbindungen zur PKK nachgesagt sowie zu deren politischer Dachorganisation „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK), welcher von türkischen Behörden unterstellt wird, von der PKK dominierte quasistaatliche Parallelstrukturen (z. B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen (Lagebericht ebenda S. 11). Strafverfolgung gegen die PKK und die KCK trifft daher teilweise auch Mitglieder der HDP/DBP, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger unter dem Vorwurf, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Bei mehreren Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert sowie 845 Personen wegen kritischer öffentlicher Äußerungen gegen den Militäreinsatz in Afrin (Lagebericht ebenda S. 6, 10). Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 24. Juni 2018 überwand die HDP mit 11,7% der Stimmen erneut die Zehnprozenthürde (vgl. N.N., Präsidialsystem in der Türkei: Noch mehr Macht für Erdogan, www.spiegel.de, Abruf vom 26.6.2018). Der Druck auf die HDP dauert an; so wurden die der HDP angehörenden Bürgermeister von Diyarbakir, Mardin und Van im Südosten der Türkei am 19. August 2019 ihrer Ämter enthoben; gegen sie wird wegen der Verbreitung von Terrorpropaganda und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ermittelt (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 50).
b) Wegen der angeblichen Vorfälle, die sich ereignet haben, als sich der Kläger zu 1 noch in der Türkei befunden hat, ist eine Verfolgung nicht hinreichend glaubhaft bzw. substantiiert dargelegt worden. Wegen seiner Mitgliedschaft bei der HDP und seiner Stadtrats- bzw. Delegiertentätigkeit muss er nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit mit einer Verfolgung rechnen. Selbst wenn man es als wahr unterstellt, dass der Kläger schon öfters in Polizeigewahrsam und als Wahlbeobachter tätig gewesen sein soll und zuletzt als Stadtrat für die HDP gewählt worden war, ist nicht glaubhaft dargelegt worden, dass er deswegen mit einer Verfolgung zu rechnen hat. Zutreffend weist das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid darauf hin, dass der Kläger, soweit es zutreffend sein soll, dass er auch mehrmals von der Polizei in Gewahrsam genommen worden sei, nach den Verhören jeweils wieder freigelassen worden ist. Ein nachhaltiges Verfolgungsinteresse am Kläger ist insoweit nicht erkennbar. Auch die angebliche Durchsuchung am 24. Juli 2019, vor der er von einem Freund gewarnt worden sei, hat er nicht glaubhaft dargelegt. Obwohl der Klägerbevollmächtige bereits mit Klageschriftsatz vom 27. Juli 2020 darauf hingewiesen hat, dass gegen den Kläger zu 1 ein geheimes Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, hat er dazu (im Gegensatz zu dem erst im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingeführten zweiten (Straf-) Verfahren) keine Unterlagen vorgelegt. Wie der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung ausführte, habe sich dieser Hinweis auf ein geheimes Ermittlungsverfahren in der Klageschrift auf die Hausdurchsuchung am 24. Juli 2019 bezogen. Auch der türkische Rechtsanwalt, Herr, den der Kläger angeblich laut der Vollmacht (K39) bereits am 1. Juli 2019 beauftragt hat, seine Rechte zu vertreten, hat dazu keine Dokumente vorgelegt, obwohl er in seinem Schreiben vom 25. Januar 2021 (K19) darauf hingewiesen hat, dass er durch seine Nachforschungen der am 24. Juli 2019 durchgeführten Durchsuchung erfahren habe, dass Ermittlungen eingeleitet worden seien und die Ermittlungen einem Geheimhaltungsbeschluss unterliegen würden und der Inhalt der Ermittlung und der Akte deshalb nicht zu erlangen sei. Es ist nicht nachvollziehbar und deshalb insgesamt unglaubwürdig, wieso der Kläger, der bereits am 1. August 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und am 11. Dezember 2019 vom Bundesamt angehört worden ist sowie angeblich seinen türkischen Anwalt bereits im Juli 2019 mandatiert hat, sich nicht zeitnah darum bemüht hat, Unterlagen zu diesem Ermittlungsverfahren durch seinen türkischen Anwalt zu erlangen. Selbst wenn dies tatsächlich ein geheimes Ermittlungsverfahren wäre, wäre somit zumindest ein Beschränkungsbeschluss zu erwirken und vorzulegen gewesen.
Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er wegen seiner HDP-Aktivitäten von seinem Arbeitgeber entlassen worden sei, ist die Entlassung bzw. Suspendierung in einem offensichtlich rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden gerichtlichen Verfahren überprüft und zu Gunsten des Klägers entschieden worden und war jedenfalls auch nicht ausreiseursächlich, da das Verfahren bereits 2015 bzw. 2016 abgeschlossen war. Auch das Beleidigungsverfahren ist bereits im Oktober 2016 eingestellt worden.
Des Weiteren hat der Kläger keine prominente oder sonst aus Sicht des türkischen Staats relevante Position innegehabt, die ein gesteigertes Verfolgungsinteresse glaubhaft machen würde. Auch wenn er als Wahlbeobachter tätig gewesen war, einmal als Mitglied der Vereinigung der Stadtverwaltung … bei einer Veranstaltung teilgenommen haben sollte und seit Ende März 2019 kurz vor seiner Ausreise im Juli 2019 in den Stadtrat als HDP-Vertreter gewählt worden ist, hat er damit im Gegensatz zu höheren Positionen wie beispielsweise als Bürgermeister keine herausgehobene Funktion inne, die nach der oben zitierten Auskunftslage für den türkischen Staat von Relevanz wäre. So sind auch kurzzeitig verhaftete HDP-Mitglieder wieder freigelassen worden. Dass der Kläger mit kritischen Äußerungen aufgefallen wäre, hat er selbst nicht vorgetragen.
2. Eine individuelle Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit/Zurechnung zur PKK hat der Kläger ebenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich zu befürchten. Ausgangslage der behaupteten Verfolgung ist die angebliche Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger mit dem (angeblich fingierten) Vorwurf der Unterstützung der PKK.
a) Eine weitere Gruppe, die staatlichen Nachstellungen ausgesetzt ist, sind Personen, denen eine Nähe zur kurdischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) vorgeworfen wird (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 6, 10 f. – im Folgenden: Lagebericht). Seit Sommer 2015 war die Türkei Ziel terroristischer Anschläge, welche seitens der türkischen Regierung u.a. der PKK zur Last gelegt wurden und Vorwand boten, den zwischen der Regierung und PKK-Chef Öcalan zur Beendigung des seit den 80er Jahren blutig ausgefochtenen Konflikts um eine kurdische Autonomie (zur Vorgeschichte und Entwicklung der PKK vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 16 ff. m.w.N.) erfolgversprechend eingeleiteten Befriedungsprozess mit der PKK abzubrechen. Flankiert von einem nationalistisch ideologisierten Kurs geht die Türkei bedingungslos gegen die PKK vor und nutzt den Vorwurf des Terrorismus auch für weitergehende Freiheitsbeschränkungen und Repressalien. Der seit Juli 2015 nach – der PKK zugeschriebenen – Attentaten wieder militärisch ausgefochtene Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK forderte erhebliche Opfer auf beiden Seiten sowie unter Zivilisten (vgl. AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1). Schwere Waffen wie Panzer und Artillerie sollen dabei sogar in Wohngebieten eingesetzt worden und nach Informationen der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) 321 Zivilpersonen getötet worden sein (vgl. AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 2; dazu auch Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 2 ff.). Neben Angriffen türkischer Sicherheitsorgane auf Stellungen der PKK im Südosten der Türkei kam es dort auch in Städten zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Armee einerseits und Mitgliedern der PKKJugendorganisation andererseits (vgl. AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1, 2). Mittlerweile hat die Intensität der Kämpfe auf türkischem Territorium seit Spätsommer 2016 deutlich nachgelassen, während sie sich auf syrischem Gebiet durch den türkischen Einmarsch verschärften (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 17).
Daher besteht eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als tatsächliche oder potentielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.; auch BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 88).
b) Die gegen ihn angeblich in der Türkei erhobenen (angeblich fingierten) Vorwürfe der Unterstützung der PKK mit entsprechenden Dokumenten hat der Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 9. Juni 2021, beim Verwaltungsgericht am 15. Juni 2021 eingegangen, und damit unmittelbar vor der ursprünglich am 18. Juni 2021 terminierten Sitzung vortragen lassen.
Es ist schon nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger diese Vorwürfe nicht bereits früher in das gerichtlichen Verfahren eingeführt hat. So ist das Schreiben seines türkischen Bevollmächtigten in der Türkei bereits vom 25. Januar 2021. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, von den Vorwürfen bereits im Juli 2020 erfahren zu haben. Zweifel bestehen auch an der Authentizität des vorgelegten Haftbefehls bezüglich des Klägers vom 18. März 2020 (K6). So ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der Haftbefehl, der genauso wie das Dokument K 7 nur den Kläger betrifft, sich in den Verfahrensunterlagen eines Mitbeschuldigten, auch wenn eventuell das Ermittlungsverfahren für mehrere Beschuldigte nicht getrennt geführt wird, befindet, dies vor allem deshalb, weil der Kläger vorträgt, dass sein Ermittlungsverfahren „als geheim“ eingestuft ist. Würde die türkische Justiz tatsächlich die Festnahme des Klägers beabsichtigen, hätte sie ein elementares Interesse an der Geheimhaltung des Haftbefehls, um den Kläger nicht zu einer (weiteren) Flucht zu veranlassen. Nicht nachvollziehbar ist es weiterhin, wieso der Kläger erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung am 23. November 2021 Unterlagen vorlegt, wonach sein türkischer Anwalt am 16. November 2021 einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt hat. Nachvollziehbare Gründe, wieso dies nicht schon viel früher geschehen ist, wurden nicht vorgetragen. Es wäre nahegelegen, seinen Anwalt damit schon viel früher zu beauftragen und dies entsprechend zu forcieren.
Selbst wenn der Vortrag zutreffend sein sollte, fehlt es jedoch für die Annahme einer politischen Verfolgung an einem dem Kläger zugeschriebenen Verfolgungsmerkmal und einer Verfolgungshandlung. Zwar wird ihm seitens des türkischen Staats ausweislich der vorgelegten strafprozessualen Unterlagen, deren Echtheit die Einzelrichterin mangels Überprüfungsmöglichkeit durch das Auswärtige Amt (wegen der Verhaftung von dessen Vertrauensanwalt) nicht weiter prüfen kann und daher unterstellt wird, die Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen Dies ist grundsätzlich strafrechtlich relevant, so dass es für die Annahme einer Verfolgung als einer eine reguläre Strafverfolgung übersteigenden Verfolgungshandlung weiterer Feststellungen sowie der Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal bedarf, an dem es hier aber fehlt. Aus dem Vortrag und den vorgelegten Unterlagen ist nicht erkennbar, dass das gegen den Kläger eröffnete Strafverfahren nicht legitimer Strafverfolgung entspringt. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte für ein Vorverhalten liefern können, aus denen eine übersteigerte Strafverfolgung ersichtlich wäre (z.B. um eine oppositionell anderweitig aufgefallene Person „mundtot“ zu machen), wie dies z.T. gegen Parlamentsabgeordnete und hohe Funktionäre der HDP, z.B. Bürgermeister, der Fall sein könnte. Das strafrechtliche Verfahren in der Türkei ist auch offensichtlich noch nicht abgeschlossen, eine Verurteilung liegt nicht vor. Zwar trägt der Kläger vor, dass es sich um ein „geheimes“ Ermittlungsverfahren handeln soll, der vorgelegte Beschränkungsbeschluss betrifft aber nach eigenen Angaben das Verfahren gegen den angeblich Mitbeschuldigten …. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren des Klägers mit Beschluss vom 18. März 2020 (K35, Bl. 194 der Gerichtsakte) vom Verfahren des Herrn … abgetrennt worden ist, wie der Kläger vorgetragen hat. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass der Anwalt des Klägers spätestens seit diesem Zeitpunkt kein Akteneinsichtsrecht in das Verfahren des Herrn … haben kann. Nicht auszuschließen ist, dass das Verfahren gegenüber dem Kläger nach der Abtrennung eingestellt worden ist. Dokumente zum weiteren Verfahrensgang nur den Kläger selbst betreffend hat dieser nicht vorgelegt.
Dass gegen den Kläger mittlerweile ein Haftbefehl vorliegen könnte, bedeutet nicht per se, dass dies keine legitime Strafverfolgung darstellen könnte und dem Kläger deswegen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Es sind keine objektiven Umstände erkennbar, die darauf schließen lassen, dass dem Kläger eine härtere als die sonst übliche Behandlung droht. Da er gerade keine derart exponierte Position innerhalb der HDP (vgl. oben) inngehabt hat, dass der türkische Staat ihn deswegen als Oppositionellen „mundtot machen“ wollte, ist nicht ersichtlich, dass die türkischen Behörden ihn trotz eines behaupteten offenen Strafverfahrens bereits als ernstzunehmenden politischen Gegner eingestuft hätten. Selbst wenn er in den Jahren 2015/2016 in … geholfen hätte ist dies zeitlich in keinem Zusammenhang mehr. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich dies trotz eines etwaigen Strafverfahrens zwischenzeitlich geändert hätte. Die beide Mitbeschuldigten haben ausgesagt, den Kläger nicht (näher) persönlich zu kennen. Es ist völlig unklar, ob das Strafverfahren, sollte es existieren, noch läuft oder nicht beispielsweise eingestellt worden ist.
Die Kläger zu 2 bis 5 haben keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht.
II. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24.8.2020, S. 19). In der Person der Kläger liegt kein ein Risiko von Folter zum Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhender Umstand vor. Es besteht auch keine beachtliche Gefahr einer Inhaftierung in der Türkei zu unmenschlichen Bedingungen.
III. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen eben falls nicht vor.
1. Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschie bungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
a) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger zu 1 und seine Familie würden im Fall seiner Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert (in std. Rspr. VG Augsburg, U.v. 9.10.2018 – Au 6 K 17.33922 – juris Rn. 89 ff.). Der Kläger war vor seiner Ausreise in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Es ist nicht erkennbar, dass dies nach einer Rückkehr nicht wieder der Fall sein sollte.
b) Die Kläger würden im Fall seiner Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen der Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24.8.2020, S. 26; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 – A 6 K 4635/17 – juris Rn. 28 ff.). 2. Ein Abschiebungsverbot i.S.d. des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer ziel staatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Kläger ebenfalls nicht vor.
IV. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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