Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot nach Griechenland

Aktenzeichen  B 8 K 18.30983

Datum:
18.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54349
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Der Asylbewerber hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes Griechenlands, weil keine Zusicherung Griechenlands vorliegt, für ihn zumindest in der ersten Zeit nach seiner Ankunft den Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sicherzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 08.05.2017, Az. 2 BvR 157/17, und vom 31.07.2018, Az. 2 BvR 174/18). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Unter Aufhebung der Ziffern 2, 3 (mit Ausnahme des letzten Satzes) und 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 04.12.2018 wird die Beklagte verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands festzustellen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Einer ausdrücklichen Zustimmung bedarf es nicht.
2. Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Kläger hat nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands für ihn feststellt, weil keine Zusicherung Griechenlands vorliegt, für ihn zumindest in der ersten Zeit nach seiner Ankunft den Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sicherzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 08.05.2017, Az. 2 BvR 157/17, und vom 31.07.2018, Az. 2 BvR 174/18).
Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Hieraus folgen neben Unterlassungsauch staatliche Schutzpflichten, deren Verletzung dann in Betracht kommt, wenn sich die staatlicherseits verantworteten Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten allgemein als unmenschlich oder erniedrigend darstellen würden (OVG NRW, Urteil vom 19.05.2016, Az. 13 A 1490/13.A).
Das Schreiben des griechischen Ministeriums für Einwanderungspolitik vom 08.01.2018 an das deutsche Innenministerium reicht dafür nicht aus. Es enthält nur die allgemein gehaltene Bestätigung Griechenlands, dass die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umgesetzt wurde, aber keine Zusicherung, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob und wie der jeweiligen international schutzberechtigten Person, die nach Griechenland zurückkehren soll, die o.a. Versorgung in ihrem Fall auch tatsächlich gewährt wird, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung fordert.
Diese Gewährleistungspflichten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Einzelnen konkretisiert. Demnach kann die Verantwortlichkeit eines Staates aus Art. 3 EMRK begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, Urteil vom 04.11.2014, Az. 29217/12). Dagegen verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Art. 3 EMRK begründet auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Der Umstand, dass die allgemeinen Lebensbedingungen für international Schutzberechtigte in Griechenland schlechter sind als in Deutschland, führt nicht generell dazu, dass eine Abschiebung des Klägers gegen Art. 3 EMRK verstößt.
Unter Zugrundelegung der o.a. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen es angesichts der Erkenntnisse in der Vergangenheit ernsthafte Zweifel darlegte, ob die Lebensbedingungen von international anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland den Voraussetzungen von Art. 3 EMRK genügen, fehlt eine vom Gericht aus diesen Gründen für erforderlich gehaltene Erklärung Griechenlands, dem Kläger zumindest in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr den Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sowie Integrationsmaßnahmen zu gewähren.
Dabei sind die Erkenntnisse der Beklagten zu Griechenland, wie sie der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stade vom 06.12.2018, Az. 508-516.80/51293, der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.12.2017 an das Verwaltungsgericht Leipzig und der entsprechenden Länderinformation von Mai 2017 zu entnehmen sind, durchaus berücksichtigt. Danach haben anerkannte Schutzberechtigte seit Januar 2017 unter den gleichen Voraussetzungen wie griechische Staatsbürger Zugang zum neu eingeführten System der Sozialhilfe und erhalten unter den gleichen Voraussetzungen wie Einheimische medizinische Versorgung, die seit Februar 2016 kostenlos ist.
Es fehlen jedoch auch nach diesen Feststellungen konkrete Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte (gemäß Art. 34 EURL 95/2011/EU) bzw. ein vergleichbares Programm mit gezielten Maßnahmen. Insbesondere ist die Versorgung mit Wohnraum so defizitär, dass angesichts der lediglich zur Verfügung stehenden 63.700 Plätze keinesfalls alle Asylsuchende und international anerkannte Schutzberechtigte eine Unterkunft finden können. Auch nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes an Verwaltungsgericht Stade (a.a.O.) ist de facto eine Wohnraumüberlassung nur für die Personengruppe mit einem fünfjährigen, dauerhaften und legalen Aufenthalt in Griechenland gewährleistet. Personen, die – wie der Kläger – nach Zuerkennung ihres Schutzstatus in Griechenland eine solche Wohnung verlassen und einen Zweitantrag in einem anderen EU-Staat stellen, verzichten danach in eigener Verantwortung auf diesen Sozialvorteil. Damit wäre der Kläger von vorneherein von diesem Angebot ausgeschlossen. Da die Auslastungsquote bei dem EUfinanzierten und vom UNHCR koordinierten Unterkunftsprogramm ESTIA bei 98% lag und die Auslastungsquote sich im Winter voraussichtlich noch erhöhen werde, stellt dies darüber hinaus keine für den Kläger erreichbare Option dar. Zudem existieren bisher keine Erfahrungswerte, ob und unter welchen Voraussetzungen auch immer solche Unterkünfte für aus dem Ausland kommende anerkannte Schutzberechtigte zur Verfügung stünden. Wohnraum wäre danach grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen. Eine Unterbringung in den kommunalen Obdachlosenunterkünften ist zwar möglich, jedoch reichen auch diese nicht aus, den Bedarf zu decken.
Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Leipzig (s.o.) sind noch keine besonderen staatlichen Hilfsangebote für die bislang wenigen Rückkehrer gemeldet geworden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an Verwaltungsgericht Stade (a.a.O.) findet keine staatliche Beratung der Rückkehrer statt. Das System der sozialen Grundsicherung befindet sich vielmehr noch im Aufbau und wird schrittweise eingeführt. Es sieht Geldleistungen (erste Säule) sowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor. Eine etablierte Verwaltungspraxis besteht bislang nicht. Zudem wurde der Zugang im Rahmen einer Gesetzesänderung im Juni 2018 für jene Personen eingeschränkt, die in EUfinanzierten Aufnahmelagern und Apartments wohnen. Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung.
Wie sich die Pläne, wie sie der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stade vom 06.12.2018 – Az. 508-516.80/51293 – zu entnehmen sind, in Zukunft in Griechenland entwickeln und wie sie umgesetzt werden, wird abzuwarten sein.
Infolge der Aufhebung der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) kann auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes (Ziffer 4) keinen Bestand mehr haben, da dieses an die Abschiebung der Klagepartei anknüpft. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, dass darüber hinaus Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides der Beklagten insoweit rechtswidrig ist, als der Klagepartei entgegen § 36 Abs. 1 AsylG, wonach im Fall der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nummer 2 AsylG – wie hier gegeben – die Ausreisefrist eine Woche beträgt, eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt wurde.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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