Verwaltungsrecht

Änderung des Streitgegenstands im Rechtsmittelzulassungsverfahren

Aktenzeichen  9 ZB 21.2368

Datum:
29.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41360
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

Zwar können grundsätzlich sogar Tatsachen, die vom Rechtsmittelführer erst nach Erlass des Urteils selbst geschaffen worden sind, in Abhängigkeit vom materiellen Recht unter Umständen im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen sein. Es darf aber keine Änderung des Streitgegenstands herbeigeführt werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 19.784 2021-07-08 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung betreffend den Umbau eines Mehrparteienhauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W… (G… straße …).
Anlässlich einer bauaufsichtlichen Kontrolle am 20. Dezember 2016 stellte die Beklagte fest, dass statt der mit Bescheiden der Beklagten vom 14. April 2011, 31. Juli 2012 und 30. Januar 2013 dem Kläger genehmigten insgesamt 26 Wohnungen (Rampengeschoss: sechs Wohnungen, Erdgeschoss: acht Wohnungen, 1. Obergeschoss: drei Wohnungen neben Räumen für Hausverwaltung, 2. und 3. Obergeschoss: je drei Wohnungen neben Büroräumen, 4. Obergeschoss bzw. Dachgeschoss: drei Wohnungen) insgesamt 75 Wohneinheiten auf dem Baugrundstück, nämlich abweichend von den bestehenden Baugenehmigungen im Kellergeschoss 15 Wohneinheiten, im Rampengeschoss/Rampengeschoss Galerie 23 Wohneinheiten, im Erdgeschoss 15 Wohneinheiten und im Dachgeschoss 13 Wohneinheiten geschaffen worden waren. Mit Bescheid vom 23. Juni 2017 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung der Kellergeschossräume zum Zweck des Wohnens. Dem leistete der Kläger Folge.
Mit Bauantrag vom 6. Oktober 2017 beantragte der Kläger im Hinblick auf den baulichen Zustand und die Nutzung im Rampengeschoss, im Erdsowie im Dachgeschoss die Erteilung einer Baugenehmigung für die sogenannte 3. Planänderung (23 Einzimmerapartments im Rampengeschoss, vier WG-Wohnungen mit je zwei Zimmern sowie acht Einzimmerappartements im Erdgeschoss und zwei WG-Wohnungen mit vier bzw. neun Zimmern im Dachgeschoss). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. August 2018 verpflichtete die Beklagte den Kläger, die Bescheinigung Brandschutz I als Nachweis eines Prüfsachverständigen über die Prüfung des Brandschutznachweises, welcher die planabweichende, bislang nicht genehmigte Bauausführung der 3. Planänderung abbildet, und eine schriftliche Erklärung eines Prüfsachverständigen für Brandschutz in Form einer vorläufigen Bescheinigung zur brandschutztechnischen Unbedenklichkeit der vorzeitig aufgenommenen Nutzung vorzulegen. Dem kam der Kläger nicht nach.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2019 versagte die Beklagte die Baugenehmigung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses aufgrund unzureichenden Brandschutzes. Zudem fehle es am Nachweis der Barrierefreiheit der Wohnungen einer Etage und ein Großteil der Apartments im Rampen- und Erdgeschoss erfülle nicht die Anforderungen an Aufenthaltsräume. Es sei auch kein prüffähiger Stellplatznachweis vorgelegt worden. Die auf die Erteilung der Baugenehmigung für die 3. Planänderung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2021 abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er kann mangels hinreichender Darlegung nicht auf den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützt werden. Soweit sich der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen sinngemäß auch darauf beruft, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg.
1. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Erforderlich ist die Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage und das Aufzeigen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, sowie weshalb dieser Frage eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 24). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Der Kläger formuliert bereits keine entscheidungserhebliche grundsätzlich klärungsbedürftige Frage, sondern verweist nur darauf, dass infolge der Versagung der Baugenehmigung 51 Bewohnern des gegenständlichen Gebäudes der Wohnraumverlust drohe.
2. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Der Kläger weist auf eine aus seiner Sicht genehmigungsfähige Planung hin, die er mit seinem Bauantrag vom 28. Dezember 2020 (4. Planänderung) vorgelegt habe. Obgleich steter Austausch zwischen den Parteien zum Bauvorhaben stattgefunden habe, gehe die Beklagte, die u.a. noch Unterlagen zum Brandschutznachweis gefordert habe, ausweislich ihres Schreibens vom 8. Juli 2021 vom Eintritt der Rücknahmefiktion aus. Zudem habe er der Beklagten, wie vom Verwaltungsgericht angeraten, um Wohnungsräumungen zu vermeiden, am 2. August 2021 einen genehmigungsfähigen Bauantrag zur 5. Planänderung vorgelegt. Der Brandschutz solle danach bauaufsichtlich geprüft und umgesetzt werden. Damit setze sich die Beklagte nicht auseinander bzw. konterkariere dies, indem sie medienwirksam die Durchsetzung ihrer mit Bescheid vom 3. Juni 2019 ausgesprochenen Nutzungsuntersagung betreffend Rampen-, Erd- und Dachgeschoss betreibe.
Mit alldem genügt der Kläger dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht. Zu fordern ist eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 – 9 ZB 20.874 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das Zulassungsvorbringen geht auf die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts, das die Genehmigungsfähigkeit aus mehreren bauordnungsrechtlichen Gründen verneint hat, nicht ein. Der Vortrag lässt auch sonst eine substantielle Erörterung oder ausreichende rechtliche Durchdringung der entscheidungserheblichen Fragen nicht erkennen. Insbesondere erörtert der Kläger nicht, in welchem Verhältnis die von ihm angeführten neueren Bauanträge zueinander und zum streitgegenständlichen Bauantrag zur 3. Planänderung stehen. Zwar können grundsätzlich sogar Tatsachen, die vom Rechtsmittelführer erst nach Erlass des Urteils selbst geschaffen worden sind, in Abhängigkeit vom materiellen Recht unter Umständen im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen sein (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2021 – 9 ZB 21.120 – juris Rn. 13 m.w.N.). Es darf aber keine Änderung des Streitgegenstands herbeigeführt werden (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 23 m.w.N.). Das Zulassungsverfahren gibt somit keinen Raum für den Versuch der „Wiederbelebung“ des von der Beklagten als zurückgenommen angesehenen Bauantrags zur 4. Planänderung (vgl. Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO; vgl. auch zum Rechtsschutz bei Rücknahmefiktion Shirvani in Busse/Kraus, BayBO, Stand Juli 2021, Art. 65 Rn. 201) oder die Einbeziehung des Bauantrags zur 5. Planänderung, weil nicht ersichtlich ist, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers weiterhin auf den Gegenstand der 3. Planänderung gerichtet sein könnte. Angesichts der im Zulassungsverfahren vorgelegten Unterlagen zum Bauantrag zur 5. Planänderung spricht vielmehr Einiges dafür, dass der Kläger nicht mehr im Wesentlichen die Legalisierung des bestehenden Zustands, sondern einen von der 3. Planänderung erheblich abweichenden Genehmigungsgegenstand verfolgt. So sollen nach der 5. Planänderung im Rampengeschoss wohl nur noch 17 statt 23 Apartments, im Erdgeschoss nur noch acht Apartments statt zusätzlich vier WG-Wohnungen, im 2. bis 3. Obergeschoss vier statt bisher drei Wohnungen und im Dachgeschoss 13 Apartments statt zwei WG-Wohnungen errichtet werden. Der Kläger selbst hatte im Übrigen den Bauantrag zur 5. Planänderung in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. Juli 2021 als Modifikation zur 4. Planänderung angekündigt, der an Stelle der 3. Planänderung einer Genehmigung zugeführt werden solle.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben