Verwaltungsrecht

Alter oder dauerhafte Erkrankung rechtfertigen keinen Ausnahmefall hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts

Aktenzeichen  10 C 20.139

Datum:
6.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4526
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1. Anders als die (erstmalige) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG setzt die (weitere) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) erfüllt ist (BayVGH BeckRS 2020, 1235; BeckRS 2019, 19735).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann ein Ausländer wegen seines Alters oder einer dauerhaften Erkrankung keine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung finden, rechtfertigt dies als solches noch nicht die Annahme eines Ausnahmefalls von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 27 K 19.1197 2019-11-06 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängige Klage weiter, mit der sie die Verpflichtung des Beklagten erreichen will, unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Mühldorf am Inn vom 14. Februar 2019 ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat. Umstände, die eine andere Einschätzung bedingen würden, sind in Ermangelung einer Beschwerdebegründung nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Anders als die (erstmalige) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt die hier in Frage stehende (weitere) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) erfüllt ist (BayVGH, B.v. 21.1.2020 – 10 CS 19.2402 – juris Rn. 7; B.v. 7.8.2019 – 10 C 19.1351 – juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht eine Prognose angestellt, ob der Lebensunterhalt der Klägerin in Zukunft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 10 ZB 16.1850 – juris Rn. 13; B.v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.524 – juris Rn. 6). Nach diesem Maßstäben ist die Prognose des Verwaltungsgerichts, dass die 62-jährige Klägerin, die in Deutschland noch keiner Beschäftigung nachgegangen ist und derzeit von Leistungen nach dem SGB II lebt, aufgrund ihres Alters und ihrer schlechten Deutschkenntnisse auch weiterhin nicht in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten, nicht zu beanstanden.
Ferner hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt. Hierfür müssten entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels müsste aus Gründen höherrangigen Rechts, wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, geboten sein (hierzu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 8.8.2014 – 10 ZB 14.861 – juris Rn. 6 m.w.N.). Mit der Normierung der Pflicht zur Sicherung des Lebensunterhalts als allgemeine Erteilungsvoraussetzung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen ist (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 70). Daher ist bei der Annahme eines Ausnahmefalls ein strenger Maßstab anzulegen. Kann ein Ausländer wegen seines Alters oder einer dauerhaften Erkrankung keine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung finden, rechtfertigt dies als solches noch nicht die Annahme eines Ausnahmefalls. Im Fall der Klägerin hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin bis zu ihrem 57. Lebensjahr in Kasachstan gelebt und sich während ihres rund fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet weder wirtschaftlich noch in sonstiger Weise nennenswert integriert hat. Weiter ist das Erstgericht von der Beschwerde unbeanstandet davon ausgegangen, dass weder die Klägerin noch ihre im Bundesgebiet lebenden erwachsenen Töchter auf gegenseitige Lebenshilfe angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund ist gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass keine Umstände vorliegen, die die Annahme eines Ausnahmefalls im dargestellten Sinne rechtfertigen könnten, rechtlich nichts zu erinnern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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