Verwaltungsrecht

Androhung eines Zwangsgeldes zur Vollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich

Aktenzeichen  9 C 20.2277

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36192
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 167 Abs. 1, § 168 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 795 S. 1, § 890 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Androhung eines Ordnungsgeldes stellt eine Maßnahme und den Beginn der Zwangsvollstreckung dar. Es müssen daher bereits zu diesem Zeitpunkt die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen – dh Titel, Klausel, Zustellung – vorliegen (§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO iVm § 795 S. 1 ZPO). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erforderlich ist deshalb bei einem Vergleich, aus dem vollstreckt werden soll, dass er einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, dh es muss auch für einen Dritten erkennbar sein, was der Vollstreckungsgläubiger vom Vollstreckungsschuldner verlangen kann. Der Vergleichstext ist dabei auch einer Auslegung zugänglich, maßgebend ist aber allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 V 20.834 2020-09-04 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin und Vollstreckungsschuldnerin wendet sich gegen die Androhung eines Zwangsgeldes zur Vollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich.
Die Antragsgegnerin betreibt auf dem von ihr angemieteten Anwesen B* H1.straße …, … … (FlNr. … Gemarkung R* …*) einen Getränkemarkt und Getränkehandel. Der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B* H1.straße …, … … (FlNr. … Gemarkung R* …*). In einem vom Antragsteller eingeleiteten, auf den Erlass baurechtlicher Auflagen gerichteten Klageverfahren (Az. W 4 K 18.837) und einem vom Antragsteller erhobenen baurechtlichen Nachbarklageverfahren (W 4 K 19.602), in denen der Antragsgegner jeweils beigeladen wurde, schlossen die Beteiligten im Rahmen eines gemeinsamen Augenscheinstermins am 17. Oktober 2019 einen wirksam gewordenen gerichtlichen Vergleich, der u.a. folgende Regelungen enthält:
„I. Die Beigeladene verpflichtet sich zukünftig die Fahrten um 06:00 Uhr in der Früh so zu gestalten, dass aus dem Hof nur noch nach rechts (westwärts) in die H2. straße abgebogen wird. Dies gilt für die Zeit von 06:00 Uhr bis 09:00 Uhr und für alle von der GmbH benutzten LKW´s und Kleintransporter.“
II. Die Beigeladene verpflichtet sich weiterhin, in Absprache mit dem Gutachter eine Lärmschutzwand entlang der H2. straße zu errichten, die 1 m vom öffentlichen Straßengrund zurückversetzt entlang der B* H1.straße bis auf Höhe des Flüssiggascontainers verläuft. Von dort soll die Lärmschutzwand zudem 2 m gen Norden Richtung Flüssiggascontainer hineinragen.
III. Die Beigeladene verpflichtet sich, die Getränkewagen mit Luftbereifung auszustatten bzw. sich solche mit Luftbereifung anzuschaffen.
IV. Der Kläger verzichtet auf alle in diesen beiden Verfahren und in dem Verfahren W 4 K 19.1367 bis W 4 K 19.1369 geltend gemachten Ansprüche gegenüber dem Beigeladenen und dem Beklagten.“
Mit Schreiben vom 26. Juni 2020 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht u.a., wegen Nichteinhaltung der Nr. I des Vergleichs gegenüber der Antragsgegnerin ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, festzusetzen und hilfsweise, ihr ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, für den Fall anzudrohen, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung aus Nr. I des Vergleichs nicht nachkommt. Mit Beschluss vom 4. September 2020 drohte das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin „für den Fall, dass sie entgegen der in Ziffer I. des gerichtlichen Vergleichs vom 17. Oktober 2019 übernommenen Verpflichtung zuwiderhandelt, ein Ordnungsgeld von 2.500,00 EUR“ an. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab.
Gegen die Androhung eines Ordnungsgeldes richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Verpflichtung in Nr. I des gerichtlichen Vergleichs vom 17. Oktober 2020 sei nicht hinreichend bestimmt. Die verwaltungsgerichtliche Auslegung, wonach es der Verpflichtung unter Nr. I des Vergleichs zuwiderlaufe bzw. eine Umgehung dieser Regelung darstelle, wenn unmittelbar nach der Ausfahrt aus der Hofeinfahrt gewendet werde, sei unzutreffend. Solches ergebe sich nicht aus dem protokollierten Inhalt des Vergleichs. Ein Ort für Wendevorgänge von LKWs oder Kleintransportern der Antragsgegnerin sei mit dem Vergleichsschluss nicht festgelegt worden. Das Unterlassen der konkreten Bestimmung eines solchen Ortes dürfe nicht zu Lasten der Antragsgegnerin gehen. Dem Vergleich könne auch nicht entnommen werden, dass sein Sinn darin liege, den Antragsteller vor Anfahrts- und Beschleunigungsgeräuschen möglichst zu verschonen. Unzutreffend sei außerdem, dass Wendemanöver unmittelbar nach der Ausfahrt aus der Hofeinfahrt auf die B* H1.straße vor dem Betriebsgelände und in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses des Antragstellers erfolgen würden. Vielmehr fänden die Wendemanöver 30 m westlich der Ausfahrt statt, worin keine Zuwiderhandlung des Vergleichs auch unter Lärmgesichtspunkten liege, weil sich dadurch die Fahrzeuge der Antragsgegnerin beim Vorbeifahren an dem Wohnhaus des Antragstellers beim Schalten in den zweiten Gang im Kupplungsvorgang befänden, woraus ein geringerer Geräuschpegel als bei vorbeifahrenden PKWs resultiere. Deshalb sei auch das vom Verwaltungsgericht vorgeschlagene spätere Wendemanöver an der Kreuzung B* H1.straße mit der Straße … … … oder der J* H1.-Straße nicht sinnvoll. Stelle man auf die Vermeidung vermeintlicher Lärmbelästigungen als Zweck des Vergleichs ab, würde dieser durch spätere Wendemanöver ad absurdum geführt.
Der Antragsteller trägt zu seinem Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde vor, Voraussetzung der Androhung eines Ordnungsgeldes seien weder Zuwiderhandlung noch Rechtsschutzbedürfnis. Der Vergleich sei überdies dahingehend auszulegen, dass der Antragsgegnerin die Verpflichtung aufgegeben sei, es zu unterlassen, den Antragsteller unmittelbar vor seinem Gebäude auf der in westlicher Richtung gesehen linken Straßenhälfte Anfahrts- und Beschleunigungsgeräuschen der LKWs und Kleintransporter in den im Vergleich angegeben Zeiten auszusetzen. Die Wendemanöver würden 20 m entfernt vom Grundstück des Antragstellers ausgeführt und befänden sich beim Vorbeifahren am Haus des Antragstellers im Beschleunigungsvorgang. Der durch Rangiervorgänge verursachte Lärm auf der öffentlichen Straße sei auch nach Nr. 7.4 Abs. 1 TA-Lärm dem Betrieb der Antragsgegnerin zuzurechnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt sämtlicher Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zwar wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen, auf die Beschwerde vom 24. September 2020 die für die Zeit nach gewährter Akteneinsicht angekündigte Beschwerdebegründung abzuwarten und sodann eine Entscheidung über die Abhilfe zu treffen (§ 148 Abs. 1 VwGO). Es hat die Beschwerde jedoch ohne eine solche Entscheidung sofort dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Damit hat es das Abhilfeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Da die Beschwerde unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung zurückzuweisen ist, sieht der Senat davon ab, die Sache zum Zweck der Entscheidung über die Abhilfe an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2019 – 9 C 19.2202 – juris Rn. 2 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 148 Rn. 5). Die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. September 2020 erweisen sich als nicht durchgreifend.
Rechtsgrundlage für die Androhung des Ordnungsgeldes ist hier § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 890 Abs. 2 ZPO. Danach muss der Verurteilung zu einem Ordnungsgeld oder einer Ordnungshaft eine entsprechende Androhung vorausgehen, die hier aufgrund des Vergleichs, aus dem vollstreckt werden soll, vom Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wurde. Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis, insbesondere in Form eines bereits erfolgten Pflichtverstoßes des Vollstreckungsschuldners ist nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 9 C 18.2676 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 3.4.2018 – 22 S 17.2080 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dass die selbständige Androhung von Ordnungsmitteln eine bereits erfolgte Zuwiderhandlung des Schuldners gegen einen Unterlassungs- oder Duldungstitel nicht voraussetzt, rechtfertigt sich aus der Erwägung, dass die selbständige Androhung zwar bereits einen Akt der Zwangsvollstreckung darstellt, der Sache nach aber lediglich die formellen Voraussetzungen für die Vollstreckung des titulierten Anspruchs schafft und selbst noch keine Durchsetzung dieses Anspruchs ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Verfahren nach § 890 Abs. 2 ZPO ergibt sich regelmäßig bereits aus dem titulierten Unterlassungsanspruch und der ständigen Möglichkeit einer Zuwiderhandlung des Vollstreckungsschuldners (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2006 – 15 C 05.2757 – juris Rn. 12).
Die begehrte Androhung eines Ordnungsgeldes stellt eine Maßnahme und den Beginn der Zwangsvollstreckung dar. Es müssen daher bereits zu diesem Zeitpunkt die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen – d.h. Titel, Klausel, Zustellung – vorliegen (§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 795 Satz 1 ZPO; vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 9 C 18.2676 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Erforderlich ist damit, dass der Vergleich, aus dem hier vollstreckt werden soll, einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, d.h. es muss auch für einen Dritten erkennbar sein, was der Vollstreckungsgläubiger vom Vollstreckungsschuldner verlangen kann (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2019 – 9 C 18.2676 – juris Rn. 9 m.w.N.). Der Vergleichstext ist dabei auch einer Auslegung zugänglich, maßgebend ist aber allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs (BayVGH, B.v 19.2.2020 – 1 C 19.287 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Hieran gemessen ist der gerichtliche Vergleich entgegen dem Beschwerdevorbringen hinreichend bestimmt. Dem Wortlaut der Nr. I des Vergleichs lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass sich die Antragsgegnerin verpflichtet hat, dass ihre LKWs und Kleintransporter ihr Betriebsgelände in der Zeit von 6.00 Uhr bis 9.00 Uhr nur westwärts bzw. nach rechts in die „H. straße“ bzw. B* H1.straße abbiegend verlassen. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung dieser Vergleichsregelung zutreffend davon ausgegangen, dass der Schwerpunkt der Verpflichtung in der Unterlassung eines Abbiegens nach links, in südöstliche Richtung und auf das Wohnhaus des Antragstellers zu, liegt, weil auf diese Weise das ersichtliche Ziel der vergleichsweisen Regelung unter Nr. I, eine geringere Belastung des Antragstellers durch Geräusche im Zusammenhang mit der An- und Abfahrt vom Betriebsgelände der Antragsgegnerin, erreicht werden soll. Der damit verbundenen Handlungspflicht, nach rechts abzubiegen, komme dagegen keine eigene Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2006 – 15 C 05.2757 – juris Rn. 10). Dieses Verständnis steht insbesondere mit den beiden anderen vergleichsweisen Regelungen, die materielle Verpflichtungen der Antragsgegnerin enthalten, unter Nr. II (Errichtung einer Lärmschutzwand) und Nr. III (Nutzung von „Getränkewagen“ nur mit Luftbereifung), die beide offensichtlich ebenfalls der Lärmreduzierung zugunsten des Antragstellers dienen sollen, im Einklang. Es ergibt sich bei dieser Auslegung im Übrigen auch kein Widerspruch im Vergleich zu den vom Antragsteller ursprünglich verfolgten Klagebegehren in den Verfahren W 4 K 18.837, gerichtet auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Nutzung der Freifläche auf FlNr. … Gemarkung R* … als Betriebsfläche, und W 4 K 19.602 gegen die betreffende Baugenehmigung „Nutzungsänderung Freifläche als Betriebsfläche und Halle zur Lagerung von Getränkekisten, Leergut und Aktionsartikeln“ vom 30. April 2019, welche der Antragsteller jeweils wesentlich auch mit unzumutbarem Lärm bzw. unzureichendem Lärmschutz begründete und die beide mit dem hier gegenständlichen Vergleich ihre gütliche Erledigung fanden.
Keine Frage der Bestimmtheit ist dagegen vorliegend, auch wenn das Verwaltungsgericht hierzu Ausführungen macht, ob das unmittelbare Wenden der LKWs und Kleintransporter nach ihrer Ausfahrt gen Westen auf die B* H1.straße, als vom zu unterlassenden Verhalten abgewandeltes Gebaren, dem aber umgehende Wirkung zukommen könnte, wenn der beabsichtigte Lärmschutz auf diese Weise nicht zu erreichen ist, vom Umfang der titulierten Unterlassungspflicht erfasst ist. Diese Frage könnte die Antragsgegnerin ggf. über eine negative Feststellungsklage klären lassen (vgl. Stürner in BeckOK ZPO, Stand: September 2020, § 890 Rn. 34 m.w.N.; Gruber in Münchner Kommentar, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 890 Rn. 12). Unabhängig davon wäre sie aber jedenfalls Vorfrage eines Verfahrens nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 890 Abs. 1 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2017 – 4 C 16.730 – juris Rn. 7).
Die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Die Höhe des angedrohten Ordnungsgeldes ist nicht zu beanstanden (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EGStGB; § 890 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Hierzu enthält das Beschwerdevorbringen auch keine Ausführungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, weil keine wertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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