Verwaltungsrecht

Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  AN 17 K 17.32236

Datum:
26.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30758
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) 2011/95 Art. 15
AsylG § 3, § 3c, § 4, § 25, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Durch Kirche ausgestellte Taufbescheinigung und damit Gültigkeit des Übertritts ist wegen Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht in Zweifel zu ziehen. Jedoch darf und muss das Tatsachengericht zur vollen Überzeugung feststellen, ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat (Anschluss an BVerfG NVwZ 2020, 950)
2. Schlechte humanitäre Lage kann subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG begründen, wenn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG ein Zurechnungszusammenhang zwischen den schlechten humanitären Bedingungen und den Handlungen eines Gefährdungsakteurs besteht
3. Derzeit keine individuelle Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG als Zivilperson bei Rückkehr nach Aden (Jemen)
4. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG für vorerkrankten, eingeschränkt arbeitsfähigen und alleinstehenden Mann wegen aktueller Lage im Jemen bejaht

Tenor

1.    Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. März 2017 wird in den Ziffern 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf den Jemen vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu ¾, die Beklagte zu ¼. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und mit dem hilfsweise gestellten Antrag hinsichtlich der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes begründet und im Übrigen unbegründet.
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Hingegen ist der Bescheid des Bundesamtes vom 31. März 2017 insofern rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt wurde. Dem Kläger ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Ziellandes Jemen zuzuerkennen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, sowie in Folge die Abschiebungsandrohung nach Jemen sowie die Festsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aufzuheben.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil es an einer begründeten Furcht vor Verfolgung fehlt. Daher besteht auch kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG.
a) Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Hierzu bestimmt § 3a AsylG näher die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Handlung muss darauf gerichtet sein, den Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolger leiten (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 13).
Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
Maßstab für die Beurteilung der Furcht des Klägers vor Verfolgung als begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) der Verfolgung. Erforderlich ist also, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer angenommenen Rückkehr Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936 Rn. 32; BVerwG, U.v. 22.11.2011 – 10 C 29/10 – NVwZ 2012, 1042 Rn. 23 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – NVwZ 2011, 51 Rn. 22). Die Bejahung einer solchen beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936 Rn. 32).
Diesbezüglich gewährt Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungs-RL) eine Beweiserleichterung: Für Vorverfolgte wird vermutet, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Die Vermutung ist widerleglich. Hierfür sind stichhaltige Gründe erforderlich, die dagegensprechen, dass dem Antragsteller eine erneute derartige Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 16).
Hinsichtlich der Geltendmachung des Verfolgungsschicksals befindet sich der Asylbewerber allerdings in einem sachtypischen Beweisnotstand, da es sich um Vorgänge außerhalb des Gastlandes handelt. Insofern ist für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsbildung den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung zuzumessen als dies sonst in der Prozesspraxis bei Beteiligtenbekundungen der Fall ist (BVerwG, B.v. 29.11.1996 – 9 B 293/96 – juris Rn. 2). Das Gericht darf also keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das prak-tische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht vollends auszuschließen sind (SächsOVG, B.v. 21.9.2018 – 5 A 88/18.A – juris Rn. 4). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris Rn. 17).
b) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist das Gericht zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in den Jemen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
In Betracht kommt hier nach dem klägerischen Vortrag eine Verfolgung aufgrund der nach einer Konversion in Deutschland bestehenden Religionszugehörigkeit zum Christentum gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG durch die vorgetragene Bedrohung mit dem Tode durch den Brief des Vaters an das jemenitische Konsulat bei Rückkehr in den Jemen als Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG und durch den jemenitischen Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den oder Teile des Staates beherrschen wegen der nach jemenitischem Recht für Apostasie grundsätzlich vorgesehenen Todesstrafe (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 – 3 AsylG).
Dazu muss zunächst die Konversion des ursprünglich dem Islam angehörigen Klägers zum Christentum in Deutschland als Nachfluchtgrund im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG glaubhaft gemacht werden. In Fälle einer Konversion erst im Aufnahmestaat trifft den Ausländer eine erhebliche Plausibilisierungslast insbesondere mit Blick auf den Anlass und den Verlauf des Konversionsprozesses, der Bedeutung der Religion für das Leben des Betroffenen und dessen Überlegungen für den Fall eines Bekanntwerdens des Glaubenswechsels im sozialen Umfeld und Herkunftsland des Betroffenen (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 3b AsylG Rn. 12). Das Gericht muss davon überzeugt sein, dass die Abwendung des Klägers von seiner vorherigen Religion und seine Hinwendung zur neuen Religion auf einer vollen inneren Überzeugung beruht. Nicht ausreichend ist für sich genommen, dass formell die Taufe vollzogen wurde. Von einem volljährigen Konvertiten ist zu erwarten, dass er mit grundlegenden Elementen seiner neuen Religion vertraut ist (Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281, 284 ff.). Hinsichtlich der durch die Kirche oder Glaubensgemeinschaft ausgestellten Taufbescheinigungen oder sonstigen Bescheinigungen besteht nur insofern als Ausfluss des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) eine beweisrechtliche Bindung, als sie die Tatsache der kirchenrechtlich wirksam durchgeführten Taufe und den Vollzug des Glaubenswechsels nach außen betreffen (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 9 ff.; Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281, 287 f.). Dies entspricht auch den Vorgaben der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund einer Konversion zum Christentum die Gültigkeit des Übertritts und das religiöse Selbstverständnis der Kirche oder Religionsgemeinschaft nicht in Frage gestellt werden dürfen, die Gerichte jedoch die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, zu ihrer vollen Überzeugung feststellen müssen. Diese fachgerichtliche Prüfung – so das BVerfG – verletzt weder das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sowie die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität noch die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Betroffenen (BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950).
Der Kläger hat jedoch die zentrale Bedeutung des angeblich neu angenommenen evangelischen Glaubens für seine religiöse Identität nicht im obigen Sinne dargelegt. Zwar liegen vor ein Auszug aus dem Eintrittsregister des Evangelisch-Lutherischen Pfarramtes … aus dem Jahr 2013, eine Bescheinigung des Evangelisch-Lutherischen Pfarramtes … vom 9. Oktober 2014, dass der Kläger Mitglied der Kirchengemeinde sei und eine Taufbestätigung vom 23. Oktober 2016, dass der Kläger am 18. Oktober 2014 in … getauft worden sei. Die Taufe und die Kirchenmitgliedschaft in der Evangelisch-Lutherischen Kirche sind damit gemäß der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als gegeben zugrunde zu legen. Gleichwohl ist allein damit noch nicht dargelegt, dass der nach außen hin neu angenommene evangelische Glaube eine für die religiöse Identität des Klägers zentrale Bedeutung hat. Der über das Vorlegen der Tauf- bzw. Mitgliedsbescheinigung hinausgehende klägerische Vortrag ist nicht geeignet daran etwas zu ändern. Insbesondere vermochte der Kläger nicht stimmig zu schildern, inwiefern er seine Lebensführung nachhaltig an den Geboten des evangelischen Glaubens ausrichtet. Das beginnt damit, dass er in der mündlichen Verhandlung einräumt, mit seiner ersten Frau, … … (Heirat … 2012, Scheidung … 2014), nur selten in der Kirche gewesen zu seien, da diese ihm vorgeworfen habe, er würde dort fremden Frauen hinterherschauen. Mit seiner Freundin, die er nach der Scheidung kennengelernt habe, sei er nicht in die Kirche gegangen, da diese am Samstagabend immer zu viel Wein getrunken habe; allein habe er nicht gehen können, da seine Freundin ihn ebenfalls zum Wein trinken genötigt habe. Dazu tritt, dass der Kläger auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht angeben konnte, wann er das letzte Mal einen Gottesdienst besucht habe, gleichzeitig aber behauptete, viel in die Kirche zu gehen. Den Namen des Pfarrers der evangelischen Freikirche, die er angab zu besuchen, konnte der Kläger ebenso wenig nennen. Weiterhin zeigten sich beim Kläger nicht unerhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Bedeutung zentraler christlicher Feste, wenn auch rudimentäre Kenntnisse vorhanden waren. So gab der Kläger auf die Frage nach der Bedeutung des Pfingstfestes an, dass Jesus im April geboren sei und auf eine andere Frage, dass die Geburt Jesu am Karfreitag gefeiert werde. Auch den Begriff „dreieiniger Gott“ konnte er nicht erläutern. In einer Zusammenschau der dürftigen theologischen Kenntnisse mit den, wenn überhaupt, seltenen Kirchgängen, ergibt sich das Bild eines hauptsächlich auf Betreiben seines sozialen Umfeldes in Form seiner Ex-Frau der Evangelischen Kirche Beigetretenen. Die Schwelle einer für die religiöse Identität zentralen Bedeutung der Glaubensausübung wird so nicht überschritten. Daran vermögen auch die vorgelegten Bescheinigungen der katholischen Münsterpfarrei … vom 22. April 2017, in denen ein regelmäßiger Kontakt des Klägers zur Pfarrgemeinde angegeben wird, der …Gemeinde … vom 2. Mai 2017, in der eine aktive Teilnahme am Gemeindeleben beschrieben wird und des Herrn … … vom 28. April 2017, dass der Kläger regelmäßig an seinem katholischen Hauskreis teilnehme, nichts ändern, da sie angesichts der klägerischen Aussagen im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung widersprüchlich erscheinen. Insbesondere widersprüchlich ist, dass zur …Gemeinde … ein regelmäßiger Kontakt bestanden haben soll, der Kläger sich aber nicht an den Namen des Pfarrers und ersten Vorsitzenden, der die Bescheinigung ausgestellt hat, erinnern kann. Weiter, dass der Kläger, obgleich eine regelmäßige Teilnahme am katholischen Hauskreis des Herrn … attestiert wird, auf Anhieb weder Ort noch Straße der Zusammenkünfte nennen kann. Schließlich sind die Bescheinigungen mehr als drei Jahre alt, was ihre Aussagekraft im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mindert.
Eine Verfolgung aus Gründen der Religionszugehörigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann allerdings auch dann, wenn es an einer ernsthaften Hinwendung des Klägers zum Christentum mangelt, vorliegen. Es genügt, dass der potentielle Verfolgungsakteur trotz des nur zum Schein oder ohne Überzeugung vorgenommenen Glaubenswechsels von einem tatsächlichen Glaubenswechsel ausgeht, insbesondere, wenn schon das formale Durchlaufen der Taufe als solches zum Anlass für eine Verfolgung genommen wird (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 3b AsylG Rn. 14; BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris Rn. 11). Dies muss der Kläger jedoch durch konkrete Darlegungen plausibilisieren (Wittmann a.a.O.).
Daran fehlt es hier. Der durch den Kläger zum Nachweis seiner Verfolgung zu den Akten gereichte Brief mutmaßlich seines, eigener Aussage nach in Saudi-Arabien lebenden Vaters an das Generalkonsulat der Republik Jemen vom 20. April 2014 ist nicht geeignet, eine ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungshandlung wegen seiner Religionszugehörigkeit durch den Vater zu belegen. Die neben der Übersetzung vorgelegte Schwarz-Weiß-Fotokopie des Schreibens in schlechter Qualität lässt nicht ansatzweise die Urheberschaft des Vaters des Klägers erkennen. Darüber hinaus ist die Übersetzung des Schreibens auf Seite 137 der elektronischen Akte der Beklagten hinsichtlich der behaupteten Drohung unspezifisch: „(…) möchte ich Ihnen mitteilen, wenn mein Sohn … … … … … innerhalb von drei Tagen nicht zum Islam zurückkehren würde, wird er nach islamischem Recht zur Rechenschaft gezogen. Deshalb bitte ich sie meine Angelegenheit zu berücksichtigen (…)“. Selbst wenn man aber mit dem Kläger eine schlüssig dargelegte Drohung annehmen würde, spräche gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung durch den eigenen Vater als möglicherweise nichtstaatlichem Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, dass dieser in Saudi-Arabien lebt, die Gefahrenprognose hinsichtlich des Klägers aber bezogen auf dessen Herkunftsland gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, nämlich den Jemen, anzustellen ist. Stellt man auf den jemenitischen Staat als potentiellen Verfolgungsakteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) ab, so ist nach der Auskunftslage nicht davon auszugehen, dass eine handlungs- und funktionsfähige Zentralregierung besteht; Präsident Hadi befindet sich derzeit im Exil (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 6; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 14; United States Department of State, Yemen 2017 International Religious Freedom Report, S. 4). Vielmehr differenzieren sich die Machtverhältnisse im Land je nach Region und beteiligten Gruppen aus (Übersicht über die Konfliktparteien bei Staatssekretariat für Migration Schweiz, Focus Jemen, Stand 15. April 2019, S. 8 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 13 ff.). Insofern ist schon nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der jemenitische Staat derzeit und in absehbarer Zukunft zu Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG anknüpfend an die Religionszugehörigkeit in der Lage ist. Darüber würde eine Verfolgung wegen der Konversion vom Islam zum Christentum als Apostasie durch die Todesstrafe im Jemen nur erfolgen, wenn der Apostat nicht die ihm gebotene dreimalige Möglichkeit zur Reue wahrnimmt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 24). Angesichts der oben festgestellten rein äußerlichen und oberflächlichen Bindung des Klägers an das Christentum als bloße Hülle wäre es ihm nicht unzumutbar, eine solche Reueerklärung abzugeben. Was allein die am 13. Dezember 2012 erfolgte christliche Heirat der Frau … … anbelangt, so wäre diese schon nach jemenitischem Recht zulässig und nicht verfolgungsträchtig, weil in diesem Fall der Kläger als (Noch-)Muslim zulässigerweise eine Christin geheiratet hat (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 25; United States Department of State, Yemen 2017 International Religious Freedom Report, S. 3). Stellt man schließlich für die Verfolgungsprognose auf die jeweils regionalen Parteien oder Organisationen im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG ab, die in Ausfüllung des staatlichen Machtvakuums in Folge des seit 2015 währenden bewaffneten Konflikts vor allem mit den Huthi-Rebellen (zum Konfliktverlauf und den beteiligten Kräften im Einzelnen: Staatssekretariat für Migration Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016 – März 2019, Stand 15.4.2019, S. 7 ff.) wesentliche Teile des Landes beherrschen, ist als geographischer Anknüpfungspunkt hinsichtlich des Klägers die Stadt und Region Aden zu wählen. Der in erster Linie zu wählende Ansatz der Herkunftsregion (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 3 AsylG Rn. 37; vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 13) trägt hier nämlich nicht, da der Kläger den Jemen und seine Geburtsstadt … bereits im Alter von sechs Monaten und völlig unabhängig von den jetzt vorgetragenen fluchtauslösenden Umständen verlassen hat. In einem solchen Fall verliert die ursprüngliche Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 3 AsylG Rn. 38; vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 14). Daher ist als Rückkehrregion bzw. -ort mit dem derzeit einzig noch verbleibenden geöffneten internationalen Flughafen die Großstadt Aden im Südwesten des Landes an der Küste des Golfs von Aden zugrunde zu legen (laut Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Jemen, Stand 16.12.2019, S. 31 ist der internationale Flughafen in Sanaa für den zivilen Luftverkehr geschlossen; laut Staatssekretariat für Migration Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, S. 33 fertigt der internationale Flughafen Aden (unregelmäßig) Flüge ab und laut der Website des Flughafens Kairo, Ägypten, gibt es eine Verbindung von Kairo nach Aden, Stand 25. Juni 2020). Die Hafenstadt Aden stand seit August 2019 unter Kontrolle der südjemenitischen Separatisten, nachdem es zuvor zwischen diesen und Anhängern der offiziellen Regierung des Präsidenten Hadi schwere Kämpfe um die Vorherrschaft in der Stadt gegeben hatte (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 9; selbst vor August 2019 wird berichtet, dass die Hadi-Regierung die Kontrolle nur „in name only“, also nur auf dem Papier hatte, s. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 28). Seit Oktober 2019 wird berichtet, dass saudische Kräfte schrittweise die Kontrolle über Aden übernehmen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 9). Ein Abkommen zur Teilung der Macht zwischen den südjemenitischen Rebellengruppen und den Regierungstruppen wurde bislang nicht umgesetzt (Bundesamt, Briefing Notes, 27.4.2020, S. 5). Angesichts der volatilen Herrschaftsverhältnisse in der angenommenen Rückkehrregion Aden ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass den südjemenitischen Separatisten oder Streitkräften Saudi-Arabiens überhaupt bekannt ist, dass der Kläger vor etwa sechs bis sieben Jahren in Deutschland Mitglied der Evangelischen Kirche geworden ist. Von einer Ausübung des evangelischen Glaubens bei einer angenommenen Rückkehr des Klägers in den Jemen ist nach dem oben Gesagten mangels ernsthafter Zuwendung zum Christentum auch nicht auszugehen.
Nach alldem liegt kein stimmig durch den Kläger vorgetragener Sachverhalt vor, der in Zusammenschau mit den verfügbaren Erkenntnismitteln eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet. An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass das Bundesamt in seinem Bescheid vom 31. März 2017 auf Seite 2 bei der Erörterung des § 3 AsylG einmalig eine Rückkehr des Klägers in den Iran erwähnte. Da im Übrigen und auch in der Abschiebungsandrohung nur vom Jemen die Rede ist, ist lediglich von einer unschädlichen falschen Bezeichnung auszugehen. Zudem sind die inhaltlichen Erwägungen des Bundesamtes zur Glaubhaftmachung des ernsthaften Glaubenswechsels auf Seite 2 f. des Bescheids sachlich unzutreffend.
c) Mangels drohender Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG scheidet auch die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG aus.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist der Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG Folter oder un-menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
a) Die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht dem Kläger nicht. Zwar wird im Jemen die Todesstrafe noch verhängt und zumindest im Jahr 2018 auch noch vollstreckt, allerdings sind nach dem oben unter 1. Ausgeführten keine stichhaltigen Gründe im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ersichtlich, dass dem Kläger dies droht.
b) Dem Kläger droht aus den genannten Gründen auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Ebenso wenig droht ihm im Ergebnis eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 AsylG, der inhaltlich Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh entspricht.
Eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 AsylG kann allerdings auch in schlechten humanitären Bedingungen im Zielstaat bestehen, wenn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG ein Zurechnungszusammenhang zwischen den schlechten humanitären Bedingungen und den Handlungen eines Gefährdungsakteurs besteht (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 12 ff.; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 4 AsylG Rn. 48 ff., 52.5 f.). Die humanitären Bedingungen im Jemen sind nach übereinstimmender Schilderung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel äußerst prekär. So kann derzeit von einer funktionierenden Volkswirtschaft nicht die Rede sein. Laut der Vereinten Nationen herrscht im Jemen die größte humanitäre Krise weltweit, die sich nach dem Beginn des bewaffneten Konflikts mit den Huthi-Rebellen 2015 immer weiter zuspitzt. 80 Prozent der Einwohner Jemens (24 von etwa 30 Millionen) sind auf humanitäre Hilfe angewiesen; im Zuge der wirtschaftlichen Verwerfungen haben 40 Prozent der Haushalte ihre Haupteinkommensquelle verloren. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Dazu grassierte die Cholera mit fast einer Million Fällen, was durch die Vereinten Nationen als der größte Cholera-Ausbruch weltweit bezeichnet wurde (statt vieler Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 34 ff.; s. näher zu humanitären Lage unten unter 3.). Zu alldem tritt aktuell die Gefährdungslage durch das Coronavirus SARS-CoV-2, die auf ein sowieso schon desolates Gesundheitssystem trifft (UN OCHA, Yemen COVID-19 Preparedness und Response Snapshot as of June 13th 2020; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Naher Osten, COVID-19, aktuelle Lage, Stand 27.3.2020, S. 4).
Allerdings besteht zwischen den geschilderten Zuständen und den Handlungen der Gefährdungsakteure gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG kein Zurechnungszusammenhang im Sinne eines zielgerichteten und bewussten Herbeiführens. Zwar ist der Jemen seit 2015 von einem nun schon Jahre andauernden schweren bewaffneten Konflikt hauptsächlich zwischen den durch den Iran unterstützten Huthi-Rebellen, die den westlichen, an das rote Meer grenzenden Landesteil inklusive der Stadt Sanaa beherrschen und der offiziellen jemenitischen Regierung, die durch eine von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz unterstützt wird, erschüttert. Weitere Konfliktparteien sind die durch die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten südjemenitischen Separatisten sowie radikalislamische Milizen etwa des Islamischen Staates und Al-Qaida (detaillierter Überblick aller Einzelakteure und Bündnisse bei Staatssekretariat für Migration Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, S. 7 ff. und Anhang II „Kriegsallianzen“). Dieser bewaffnete Konflikt ist auch als ein kausaler Faktor für die Verschlechterung der Lebensbedingungen im Jemen anzusehen, der neben andere tritt, wie insbesondere das niedrige Einkommensniveau sowie langfristige Herausforderungen bei der Stabilisierung der Wirtschaft (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 34; s.a. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 20 f.). Allerdings sind die prekären humanitären Bedingungen „nur“ als Kollateralschaden des intensiven bewaffneten Mehrparteienkonflikts anzusehen. Die Kampfhandlungen der Konfliktparteien zielen nicht auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen für die jemenitische Bevölkerung ab, sondern primär auf die territoriale und politische Vorherrschaft im Land (s. die Schilderung des Konfliktverlaufs bei Staatssekretariat für Migration Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, S. 11 ff. und Anhang I „Konfliktverlauf 2016-2019“, S. 37 ff.), bringen aber als Begleiterscheinung massive Einschränkungen der Grundversorgung der Bevölkerung insbesondere mit Nahrungsmitteln und Gesundheitsdienstleistungen mit sich.
Damit fehlt es an einem Zurechnungszusammenhang zwischen schlechter humanitärer Lage und einem bewussten und zielgerichteten Handeln der Gefährdungsakteure im Sinne des § 4 Abs. 3, § 3c Nr. 1 und 2 AsylG. Ein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG scheidet in allen Varianten aus.
c) Ebenso wenig ist der Kläger einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
aa) Von einem internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist wohl nicht auszugehen, da mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zwar die Streitkräfte anderer Länder in den Konflikt involviert sind, diese allerdings auf Seiten der offiziellen jemenitischen Regierung kämpfen und damit davon auszugehen ist, dass diese explizit um Hilfe gebeten bzw. sich die Streitkräfte der beiden Länder mit deren Zustimmung auf jemenitischem Boden befinden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 8; Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, Anhang II „Kriegsallianzen“). Die Huthi-Rebellen werden durch den Iran unterstützt, allerdings wird aus den Erkenntnismitteln nicht ersichtlich, ob und inwieweit iranische Kräfte direkt in den Konflikt eingreifen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 10 f.; Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, Anhang II „Kriegsallianzen“).
Dass im Jemen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und Art. 15 Buchst. c der RL 2011/95/EU (Anerkennungs-RL) herrscht, liegt hingegen nahe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung des Art. 15 Buchst. c der Anerkennungs-RL ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen, „wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist“ (EuGH, U.v. 30.1.2014 – Diakité, C-285/12 – NVwZ 2014, 573 Ls., Rn. 35). Mit den Huthi-Rebellen trifft eine bewaffnete Gruppe unter anderem auf die regulären Streitkräfte Jemens, weiter sind die südjementischen Separatisten und radikalislamische bewaffnete Gruppen wie der Islamische Staat oder Al-Qaida am Konflikt beteiligt (s.o. und Schweiz, Focus Jemen, Juli 2016-März 2019, Stand 15.4.2019, Anhang II „Kriegsallianzen“).
bb) Jedoch kann die Frage nach dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne der § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-RL 2011/95/EU letztlich offenbleiben. Denn es fehlt jedenfalls an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt.
Die ernsthafte individuelle Bedrohung setzt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 15 Buchst. c der Qualifikations-RL 2011/95/EU nicht zwingend voraus, dass die subsidiären Schutz begehrende Person beweist, dass sie auf Grund ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann vielmehr ausnahmsweise auch dann angenommen werden, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das Herkunftsland oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – NVwZ 2009, 705, Leitsatz und Rn. 33 ff.; EuGH, U.v. 30.1.2014 – Diakité, C-285/12 – NVwZ 2014, 573 Rn. 30; s.a. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – NVwZ 2010, 196 Rn. 13 ff.: „Verdichtung der allgemeinen Gefahr“).
Als für die Beurteilung einer ernsthaften individuellen Bedrohung maßgebliche Bezugsregion gilt grundsätzlich nicht das gesamte Staatsgebiet des Herkunftsstaates, sondern die Region, in der sich der Betroffene vor der Ausreise aufgehalten hat (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 6. Ed. 1.10.2020, § 4 AsylG Rn. 82). Im vorliegenden Fall muss hiervon, wie schon oben bei der Prüfung des § 3 AsylG abgewichen werden, da der Kläger den Jemen schon im Alter von sechs Monaten Richtung Saudi-Arabien verlassen hat. In einem solchen Fall verliert die ursprüngliche Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, § 3 AsylG Rn. 38; vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 14). Daher ist als Rückkehrregion bzw. -ort mit dem derzeit einzig noch verbleibenden geöffneten internationalen Flughafen die Großstadt Aden im Südwesten des Landes an der Küste des Golfs von Aden zugrunde zu legen (s.o.).
In der Person des Klägers selbst liegen keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor. So ist er insbesondere keinen berufstypisch bedingten sachlichen oder örtlichen Gefährdungen ausgesetzt. Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit des Klägers wird zur Verneinung eines individuellen gefahrerhöhenden Umstandes auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
Auch weisen die bewaffneten Auseinandersetzungen im Jemen zwischen den verschiedenen oben genannten Konfliktparteien kein so hohes Niveau an willkürlicher Gewalt auf, dass der Kläger bereits alleine durch seine Anwesenheit in der Stadt Aden ernsthaft und individuell bedroht wäre und sich die allgemeine Gefahr in seiner Person zum beachtlichen Risiko verdichten würde (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – NVwZ 2010, 196 Rn. 13). Zur Ermittlung der Gefahrendichte in der Rückkehrregion sind jedenfalls näherungsweise quantitative Feststellungen zur Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben dieser Zivilpersonen verübt werden, zu treffen, sowie schließlich eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung vorzunehmen. Insoweit können auch die Kriterien zur Feststellung einer Gruppenverfolgung des Flüchtlingsrechts herangezogen werden (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – NVwZ 2011, 56 Rn. 33; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 AsylG Rn. 16). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17.11.2011 (10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454 Rn. 22 f.) ein Risiko für eine Zivilperson, im Zuge eines bewaffneten Konflikts verletzt oder getötet zu werden, von 1:800 (0,125%) auf Jahresbasis als „so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt [angesehen], dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag“.
Diesen Maßstab zugrunde gelegt liegt keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG allein durch seine Anwesenheit in der Stadt Aden vor.
Speziell für die Stadt Aden wurden nach den jüngsten verfügbaren Zahlen zwischen Oktober 2018 und Oktober 2019 etwa 280 Todesfälle vermeldet, vor allem in Folge von Auseinandersetzungen zwischen den südjemenitischen Separatisten und der offiziellen Hadi-Regierung (ACLED, Yemen’s Fractured South: Aden, Abyan, and Lahj, Stand 18. Dezember 2019, S. 3 ff.; da die Zahl der Todesopfer mittels eines Koordinatensystems dargestellt ist, auf der x-Achse der Zeitverlauf, auf der y-Achse die Anzahl der Opfer, ist keine vollkommen exakte Ermittlung möglich). Die Einwohnerzahl Adens beträgt etwa 551.000 (UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 11). Somit ergibt sich ein Risiko durch den bewaffneten Konflikt in Aden getötet zu werden von 0,05% auf Jahresbasis, welches unter dem Orientierungswert des Bundesverwaltungsgerichts von 0,125% (1:100) liegt. Das Risiko für eine Zivilperson dürfte noch weit niedriger liegen, da die angegebene Quelle nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten differenziert. Selbst wenn man eine Dunkelziffer an Verletzten, die nicht eigens ausgewiesen sind, berücksichtigt, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Schwelle zu einer individuellen Gefährdung des Klägers als Zivilperson allein aufgrund seiner Anwesenheit in Aden überschritten würde. Dies umso mehr, als dass das am 5. November 2019 abgeschlossene „Riyadh“ – Abkommen zwischen den südjemenitischen Separatisten sowie der Hadi-Regierung unter Vermittlung Saudi-Arabiens letzterem die vollständige Kontrolle über die Sicherheitslage in Aden brachte (ACLED, Yemen’s Fractured South: Aden, Abyan, and Lahj, Stand 18. Dezember 2019, S. 7) und somit von einer Beruhigung der Lage auszugehen ist. Ein im April 2020 erfolgter Ausruf des Ausnahmezustandes durch die südjemenitischen Separatisten (Southern Transitional Council) wurde von Saudi-Arabien nicht akzeptiert, von einem Wiederaufflammen des Konflikts zwischen der offiziellen jemenitischen Regierung bzw. Saudi-Arabien und den Separatisten wird aber nicht berichtet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, 27. April 2020, S. 5).
Nach alldem scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG aus.
3. Jedoch besteht hinsichtlich des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf den Jemen, weshalb die Beklagte zu dessen Feststellung unter teilweiser Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheids vom 31. März 2017 zu verpflichten war (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung ist nach der EMRK insbesondere dann unzulässig, wenn dem Kläger in der Zielregion eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot. Denn Art. 3 EMRK kann, so der EGMR, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 249; s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 10). Gleichwohl ist eine Verantwortlichkeit nach Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen, wenn eine vollständig von staatlicher Unterstützung abhängige Person, die behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 253). Zudem muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist relativ und hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Dauer der erniedrigenden Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen, sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Ausländers (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 219; s.a. EGMR, U.v. 13.12.2015 – Paposhvili/Belgien, 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174). Dieser Maßstab kann auch für Abschiebungen in Staaten, die wie der Jemen nicht zu den Unterzeichnern der EMRK gehören, angewendet werden, jedenfalls wenn die schlechten humanitären Bedingungen dort nicht nur auf allgemeine Armut zurückgehen, sondern durch die Konfliktparteien befördert werden (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich, 8319/07 – NVwZ 2012, 681 Rn. 282 f.; s.a. VG München, U.v. 9.4.2020 – M 6 K 17.32718 – ZAR 2020, 381 m.Anm. Achatz).
Gemessen an diesem Maßstab ist für den Jemen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen. Zu der bereits oben unter 2. b) geschilderten höchst prekären humanitären Lage im Jemen in Bezug auf die wirtschaftliche und die Versorgungslage, insbesondere betreffend die Gewährleistung der Nahrungsmittelsicherheit sowie grundlegender Gesundheitsdienstleistungen, als Folge der allgemeinen wirtschaftlichen Schwäche sowie des seit Jahren anhaltenden bewaffneten Konflikts (s.o.), tritt noch Folgendes: So sind im Jemen etwa 8 der 30 Millionen Einwohner von einer Hungersnot bedroht, 80 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen und Anfang 2019 waren 25 Prozent der Bevölkerung unterernährt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 21). Zwar sind im gesamten Land Nichtregierungsorganisationen unter anderem in der Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung aktiv (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 35; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 22 ff.; UN OCHA, Yemen Humanitarian Update, Issue 13, 1.11.2019 bis 18.12.2019, S. 3 f.), die die Nahrungsmittelunsicherheit auch zurückgedrängt haben, gleichwohl sich immer noch 18 Distrikte (von 45) „in crisis“ und 11 „in emergency“ befinden (UN OCHA, Yemen Humanitarian Update, Issue 11, 26.7.2019 bis 28.8.2019, S. 2). Jedenfalls aber zeigt sich, dass die grundständige Versorgung der Bevölkerung nahezu vollständig von Nichtregierungsorganisationen abhängt. Was die Gesundheitsversorgung anbelangt ist ergänzend zu erwähnen, dass grundlegende Medikamente für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich geworden sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, Stand 16.12.2019, S. 35 f.). Die Kapazitäten des desolaten Gesundheitssystems des Jemen (s.o.) werden derzeit zusätzlich durch die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV2 strapaziert, das sich rapide im Land verbreitet (UN OCHA, Yemen COVID-19 Preparedness und Response Snapshot as of June 13th 2020). Selbst grundlegende Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen können für viele Jemeniten schwer umsetzbar sein, da nahezu 18 Millionen (von etwa 30 Millionen) Einwohner keinen stetigen Zugang zu sauberem Wasser, geschweige denn Seife, haben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Naher Osten, COVID-19, aktuelle Lage, Stand 27. März 2020, S. 4). Von einem irgendwie gearteten sozialen Sicherungssystem ist laut der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht auszugehen. Das Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2015 und 2017 um circa 42% eingebrochen, die Landeswährung befindet sich im freien Fall (UK Home Office, Country Policy and Information Note, Yemen: Security and humanitarian situation, Stand Januar 2019, S. 20).
Zur allgemein prekären Lage im Jemen addiert sich noch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers aufgrund seiner Erkrankungen in Folge zweier Autounfälle. Im vorgelegten Arztbrief vom 27. März 2017 und im Entlassungsbericht vom 4. April 2017 der Klinik … ist ausgeführt, dass der Kläger arbeitsunfähig entlassen werde. Eine Fortsetzung seiner Tätigkeit als Montagearbeiter sei unzumutbar, er könne aber leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung von überwiegenden Zwangshaltungen der Wirbelsäule im Umfang von täglich sechs Stunden oder mehr in allen Schichtdienstformen verrichten.
In einer Gesamtbetrachtung unter Einbezug der individuellen Umstände des Klägers sowie des immer noch anhaltenden bewaffneten Konflikts im Jemen sowie der dort herrschenden extrem prekären humanitären und wirtschaftlichen Lage ist davon auszugehen, dass seine Abschiebung in den Jemen einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet. Aufgrund seiner eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit steht dem Kläger allenfalls ein Teilarbeitsmarkt offen, weshalb angesichts der am Boden liegenden Volkswirtschaft des Jemen die Aufnahme einer Arbeit zur eigenen Existenzsicherung als höchst unwahrscheinlich einzustufen ist. Da kein funktionierendes staatliches soziales Sicherungssystem existiert und kein familiäre Unterstützung für den Kläger im Jemen ersichtlich ist, ist in Folge der Erwerbslosigkeit mit Obdachlosigkeit und Verelendung zu rechnen. Dem Kläger droht trotz der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln ernsthafte Armut und Bedürftigkeit, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
4. Wegen des festzustellenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids vom 31. März 2017 rechtswidrig und damit aufzuheben. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG kann eine Abschiebungsandrohung nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen.
5. Mit der Abschiebungsandrohung wird auch die Festsetzung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheids hinfällig und ist ebenso aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO (zur Kostenquotelung s. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris; VG Augsburg, U.v. 4.3.2020 – Au 6 K 17.32336 – BeckRS 2020, 5648). Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.


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